Via Lemovicensis 2024
Datum | Strecke | Länge | Gesamtlänge | |
1. | 08.07.2024 | Langon - Abbaye Sainte-Marie du Rivet | 11 km |
11 km |
2. | 09.07.2024 |
Abbaye Sainte-Marie du Rivet - Bazas | 17 km |
28 km |
3. | 10.07.2024 |
Bazas - Captieux | 19 km |
47 km |
4. | 11.07.2024 | Captieux - Roquefort | 19 km |
66 km |
5. | 12.07.2024 | Roquefort - Mont-de-Marsan | 29 km |
95 km |
6. | 13.07.2024 | Mont-de-Marsan - Saint-Sever | 21 km |
116 km |
7. | 14.07.2024 | Saint-Sever - Hagetmau | 18 km |
134 km |
8. | 15.07.2024 | Hagetmau - Orthez | 29 km |
163 km |
9. | 16.07.2024 | Orthez - Sauveterre-de-Béarn | 22 km |
185 km |
10. | 17.07.2024 | Sauveterre-de-Béarn - Harambeltz | 23 km |
208 km |
11. | 18.07.2024 | Harambeltz - Saint-Jean-Pied-de-Port | 26 km |
234 km |
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Wir sind dann mal wieder weg Montag, 8. Juli 2024: Anreise und von Langon nach Le Rivet (10,9 km) Heute startet unsere dritte Tour auf der Via Lemovicensis. Aufgrund der zeitlichen und preislichen Rahmenbedingungen haben wir uns in diesem Jahr entschieden, von Frankfurt nach Bordeaux zu fliegen. Das heißt, früh aufstehen. Susanne bringt mich nach Montabaur, zum ICE-Bahnhof. Es ist noch dunkel und ich bin ganz alleine auf dem Bahnsteig. Erst nach einer Weile bekomme ich von einem älteren Herrn Gesellschaft, der auf dem Weg zur Kur nsach Bad Tölz ist. Allmählich füllt sich der Bahnsteig doch noch und schließlich rollt der ICE heran. Pünktlich um 4:56 Uhr setzt sich der Zug zum Frankfurter Flughafen in Bewegung. Wir sausen mit maximalem Tempo von 320 km/h durch den Taunus und treffen eine halbe Stunde später am Ziel ein. Im Zug ist Sicherheit groß geschrieben, denn inzwischen ist gefühlt eine Hundertschaft Polizei an Bord. Am Airport begebe ich mich direkt zum Terminal 1 und warte auf Jörg, der sich etwas mehr Zeit zur Anreise von seinem Wohnort nehmen kann. Gegen 6:00 Uhr klingelt mein Telefon. Es ist Jörg, der fragt, wo ich denn sei. Ich kann ihn in der Abflughalle B nur wenige Schritte von mir sehen und winke ihm zu. Wir erstellen für unsere Rucksäcke die Gepäckanhänger und lassen sie in einem Automaten verschwinden. Die Zeit bis zum Abflug vergeht recht schnell. Die Sicherheitskontrolle durchlaufen wir rasch, suchen danach den Flugsteig A1. Das Boarding verläuft ebenfalls unproblematisch und die A320neo der Lufthansa hebt relativ pünktlich um 8:22 Uhr von der Startbahn ab. Nach gut neunzig Minuten landen wir um 9:47 Uhr bei schönem Wetter und angenehmen Temperaturen in Bordeaux. Die Gepäckrückgabe verzögert sich ein wenig. Erst 50 Minuten später ist mein Rucksack wieder bei mir, Jörg hatte da deutlich mehr Glück. In der Ankunftshalle erwartet uns bereits der bestellte Taxifahrer, der uns zum Gare Saint Jean bringt. Das letzte Stück der Anreise absolvieren wir mit der Bahn. Das Gleis unseres TER wird erst kurz vor der Abfahrt bekannt gegeben, obwohl der Zug dort bereits auf uns wartet. Um 11:44 Uhr geht es los nach Langon, unserem Startort, wo wir um 12:30 Uhr eintreffen. Wir warten gar nicht lange, schultern die Rucksäcke und legen los mit dem diesjährigen Jakobsweg. Schon bald finden wir einen kleinen Laden, in dem wir uns mit Wasser eindecken. Aufgrund der bereits hohen Temperaturen werden wir es benötigen. In diesem Jahr starteten wir nicht in La Réole, wo wir im vergangenen Jahr aufgehört haben. Wir hätten einen Zug ab Bordeaux nehmen können, der allerdings erst gegen 13:30 Uhr La Réole erreicht hätte. Unsere heutige Unterkunft, die Abbaye Sainte-Marie du Rivet hatte uns jedoch mitgteilt, dass wir bis spätestens 17:00 Uhr dort sein sollten. Zudem der geplante Zug von der französischen Bahn vor ein paar Wochen gestrichen. Letztendlich verkürzte sich die Strecke um gut 5 Kilometer, was uns ebenfalls sehr entgegenkam. Die erste vermeintliche Abkürzung durch einen Park entpuppt sich schließlich als Umweg - fängt schon gut an. Wir laufen neben einer Straße und danach an einer Kleingartenanlage vorbei durch schattigen Wald. Anschließend begleiten wir über sechs Kilometer die ganz gut genutzte D116. Die meisten Autofahrer sind rücksichtsvoll, manche aber weniger. Nach unspektakulären 2:15 Stunden erreichen wir das kleine Kloster, das seit 1939 von Trapistinnen (= Zisterzienserinnen der strengen Observanz) bewohnt wird, und begeben uns zunächst in den Klosterladen. Dort werden wir von zwei Schwestern begrüßt, eine kann sogar Deutsch. Sie führt uns zu Schwester Magdalena, die für die Hotellerie zuständig ist und auch Deutsch spricht. Unsere Unterkunft ist spärlich, aber vollkommen ausreichend. Was will man denn als Pilger in einem Kloster erwarten? Sicherlich keinen Luxus. Später wird uns Schwester Magdalena erzählen, dass in unserem Zimmer 18, mit Saint Bernard benannt, auch schon Bischöfe genächtigt haben. Wir beginnen mit dem Herrichten des Zimmers, duschen, waschen die durchgeschwitzte Bekleidung und hängen sie zum Trocknen in die Sonne. Um 17:45 Uhr sitze ich in der Klosterkirche und lausche mit einer Handvoll weiterer Gäste der abendlichen Vesper der Kommunität. Danach ist Abendessen angesagt, bei dem wir zwei Teilnehmer von insgesamt 13 Personen sind, darunter ein wohl im Ruhestand befindlicher Pfarrer und ein weiterer Jakobspilger, der mit schon in der Kirche begegnet ist. Bei Schwester Magdalena bezahlen wir für die Unterkunft und bekommen im Gegenzug unseren ersten Pilgerstempel. Nach dem Mahl helfen alle beim Abwasch, sodass wir schnell fertig sind. Eine Überraschung beendet den Abend: unser Pilgerfreund Frédéric aus dem vergangen Jahr ist seit acht Tagen auf der Via Podiensis - also ab Le Puy-en-Velay - auch wieder auf dem Jakobsweg unterwegs. Er fragt, wann wir in Saint-Jean-Pied-de-Port eintreffen. Das wäre ja was, wenn wir uns dort wiedersehen könnten.
Einlaufen auf dem Camino Dienstag, 09.07.2024: Von Le Rivet nach Bazas (17,4 km) Nach einer langen Nacht mit gutem Schlaf stehen wir erst kurz vor 7:00 Uhr auf und gehen in den Speisesaal zum Frühstück. Dort sitzen bereits eine Frau und der Pilger von gestern, Alain le Belge, wie er in das ausliegende Gästebuch eingetragen hat. Baguette, Butter und Marmelade sowie Kaffee und Tee stehen zur Selbstbedienung bereit. Nach der Stärkung blinkt mein Telefon auf und übermittelt eine unerwartete Nachricht. Claire, die Betreiberin der für Mittwoch geplanten Unterkunft „Gîte d´étape du Billon“ schreibt mir, dass dort keine Übernachtungsmöglichkeiten mehr bestehen. Ich mache mir Gedanken über einen Plan B, der relativ schnell auf dem Tisch liegt. Wir werden dann halt in der öffentlichen Pilgerherberge in Captieux übernachten. Dadurch verkürzt sich die Etappe aber auch um acht Kilometer auf rund 17 Kilometer. Grundsätzlich ist das in Ordnung, aber am Tag darauf müssen wir das verlorene Stück dranhängen, da es keine andere Möglichkeit gibt. Ist halt so. Inzwischen bemerke ich, dass ich in der Nacht zahlreichen Besuch von blutdürstigen Insekten hatte. Arme und Beine sind übersät mit Einstichstellen. Jetzt bloß stark bleiben und nicht drangehen. Um 8:40 Uhr starten wir in den heutigen Tag und kommen recht gut vorwärts. Schon bald sehen wir am Wegesrand die ersten Wegweiser der Voie de Vézelay, dem Vézelay-Weg. Bisher waren wir ja aufgrund des abweichenden Startortes Langon abseits der markierten Strecke unterwegs. Wir laufen schon bald an der verschlossenen Chapelle Saint-Germain aus dem 11. Jahrhundert vorbei, passieren eine Haselnussplantage und ein paar Weinfelder. Rund 7 Kilometer laufen wir bei bereits intensiver Sonneneinstrahlung überwiegend auf wenig befahrenen Nebenstraßen (nur zwei Autos begegnen uns), bis wir zu einer ersten Rast am Lac du Brouqueyran die Rucksäcke absetzen. Hier herrscht Ruhe, die nur von Vögeln und von von ein paar springenden Fischen unterbrochen wird. Es folgt nun überwiegend asphaltierter Untergrund, der uns beiden aber nichts ausmacht. Es geht eine Weile im Wechsel bergauf und bergab, meistens sogar durch schattenspendenden Wald. Hin und wieder sorgt auch ein leichter Wind für Abkühlung. Nach 5 Kilometern entscheiden wir uns im Weiler Moureau für eine weitere Pause an einer Einbuchtung der D123. Ein Blick um die Ecke öffnet uns den Blick auf eine trübe Teichanlage mit einer Hütte, wo wir uns niederlassen. Gut zwanzig Minuten später geht es weiter. Die Pausen sind wichtig und sorgen für Entspannung im Schultergürtel. Weitere 5 Kilometer auf einer Nebenstraße sowie einer zum Fahrradweg umfunktionierten, stillgelegten Bahnlinie und wir erreichen Bazas. Um 13:30 Uhr stehen wir auf dem Place de Cathedral, müssen aber noch eine halbe Stunde warten, bis die Tourist-Info wieder öffnet. Wir nehmen gleich zu unserer Linken die Einladung des Bistrot Saint-Jean an und finden einen schönen Platz unter schattigen Arkaden. Ein großes Bier ist der Lohn für die absolvierte Strecke bei Temperaturen um die 28 Grad. Wir bestellen ein großes Bier (wir bekommen ein belgisches Affligem) zum großen Preis von je 7,50 €. Kurz nach 14:00 Uhr sind wir in der Tourist-Info, wo schon reger Betrieb herrscht. Wir bekommen einen weiteren Pilgerstempel und einen Plan mit dem Weg zur Herberge. Es geht demnach wieder zurück in die Richtung, aus der wir gekommen sind. Das hatte ich im Vorfeld anders erkundet, früher war die Herberge tatsächlich in der Nähe der Kathedrale verortet. Auf dem Weg dahin verhaspeln wir uns allerdings und laufen prompt zwei Straßen zu weit und vor allem deutlich an der Herberge vorbei. Wir bemerken unseren Irrtum dann letztendlich doch und es dauert nur wenige Minuten, bis wir vor der mit einem Zahlenschloss gesicherten kleinen Unterkunft für vier Pilger stehen. Zunächst gilt es, wie immer eigentlich, Material- und Körperpflege durchzuführen. Heißt nichts anderes als Waschen und Duschen. Nach ein wenig Power-Napping gehen wir noch einmal in die Stadt und besichtigen die ehemalige Cathédrale Saint-Jean-Baptiste, die Bischofskirche des 1801 aufgelösten Bistums Bazas. Die beeindruckende Fassade stammt noch aus der Erbauerzeit im 13. Jahrhundert, der Rest wurde nach mehrfachen Zerstörungen im 16. Jahrhundert erneuert. Auf dem Heimweg kaufen wir noch Getränke und Obst für den folgenden Tag ein und beschließen, in einem am Weg liegenden asiatischen Restaurant unser Abendessen einzunehmen. Für übermorgen hat sich inzwischen auch eine Lösung gefunden. Heute übernachtet auch Alain bei uns, er war früher Offizier in der belgischen Armee. Für ihn ist die Etappe nach Roquefort zu lang und er muss an einem bestimmten Tag dort sein. Er will mit dem Taxi fahren und würde uns mitfahren lassen. Damit sparen wir rund 10 Kilometer und brauchen anstatt 35 nur 23 Kilometer zu gehen. Alles weitere wollen wir morgen in der Pilgerherberge von Roquefort-de-Marsan besprechen, in der wir drei übernachten werden.
Immer geradeaus… Mittwoch, 10.07.2024: Von Bazas nach Captieux (18,5 km) Heute morgen regnet es wie angekündigt leicht, aber wir haben Zeit bis zum Aufbruch. Es hört immer wieder auf, fängt aber nach kurzer Unterbrechung erneut leicht an. Zum Frühstück haben wir gestern ein Baguette und Käse gekauft, das wird jetzt Zug um Zug verspeist. Um 8:15 Uhr brechen wir auf, Alain ist bereits vor ein paar Minuten losgezogen. Der Regen und die grauen Wolken sind inzwischen verschwunden. Wir drehen zunächst eine Runde durch die Stadt bis zur Kathedrale und biegen kurz davor nach rechts ab. Schließlich landen wir hinter einer Schule auf der stillgelegten Bahntrasse, auf der wir bereits gestern ein kurzes Stück vor Bazas gelaufen sind. Nach 1,5 Stunden beginnt es wieder leicht zu regnen und wir beschließen an einer naheliegenden Bank die Schutzhüllen für die Rucksäcke herauszuholen. Doch im selben Augenblick endet der leichte Nieselregen und wir legen stattdessen eine Pause ein. Der Camino verläuft der früheren Bahnlinie entsprechend zumeist schnurgeradeaus, nur hin und wieder sind elegante Kurven vorhanden. Am Rande steht das Gras manchmal sehr hoch, sodass wir es oftmals an den Arm bekommen. Hoffentlich verstecken sich darin keine weiteren Blutsauger. Hinter Bernos-Beaulac laufen wir durch einen Kiefernwald. Die ganze Atmosphäre ist seltsam, denn es herrscht eine ungewohnte Stille. Kein Vogelzwitschern oder sonstigen Waldgeräusche, lediglich unsere Schritte sind zu hören. Wir sind bereits rund 12 Kilometer gelaufen und überlegen gerade, ob wir eine weitere Unterbrechung einlegen sollen. Die Entscheidung wird uns einfach gemacht, denn von der nächsten Sitzbank winkt uns Alain zu. Da sagen wir natürlich nicht nein. Er hat eine gute und eine schlechte Nachricht für uns. Die schlechte: er konnte in Roquefort noch keine Reservierung vornehmen. Die gute: er ist morgen vor uns dort und übernimmt das dann vor Ort. Im Gespräch höre ich allerdings heraus, dass er in der öffentlichen Pilgerherberge der Gemeinde reservieren wollte. Ich gebe den Tipp, die Herberge der Jakobusgesellschaft zu versuchen. Diese bietet auch gleichzeitig Abendessen und Frühstück auf Spendenbasis an. Alain wartet nicht lange und telefoniert mit einer Dame. Am Ende haben wir drei morgen auch eine Unterkunft, die zudem sehr komfortabel zu sein scheint. Es wird allmählich Zeit, weiterzugehen. Wir schnallen die Rucksäcke auf den Rücken - Alain schleppt rund 20 Kilo - und marschieren los. Der ehemalige belgische Offizier legt trotz des Gewichtes ein strammes Tempo vor, Respekt. Eine gute Stunde bleiben wir ihm einigermaßen auf den Fersen, dann legt er die nächste Pause ein. Und wir laufen wieder unser gewohntes Tempo. Wir werden uns nachher in Captieux wiedersehen. Es sind auch nur noch rund drei Kilometer auf dem Bahndamm. Gegen 13:00 Uhr erreichen wir den früheren Bahnhof der Stadt. Zwei Straßen weiter neben der Post führt eine schmale Gasse zur Herberge, die wir auch rasch finden. Lediglich die Türe scheint verschlossen und so entledigen wir uns unserer Rucksäcke und Schuhe und warten, bis um 14:00 Uhr die Türe geöffnet wird, um an die Schlüsselbox zu kommen. Schon bald nach uns trifft auch Alain ein. Wir können uns glücklich schätzen, einen ehemaligen belgischen Offizier dabei zu haben, denn er findet die richtige und vor allem geöffnete Tür, um an die Schlüsselbox zu gelangen. Die kleine Herberge ist mit sechs Betten ausgestattet und hat neben zwei Duschen auch eine Kochgelegenheit. Bevor wir uns heute um Material und Körper kümmern, beschließen wir drei, zunächst einmal etwas trinken zu gehen. Neben der benachbarten Kirche ist die Brasserie „Le Commrcial“, wo wir uns zwei große Grimbergen-Biere (natürlich aus Belgien) und eine Portion Pommes genehmigen. Dabei tauschen wir uns richtig toll aus und haben viel zu lachen. Unter anderem erfahren wir auch, dass Alain vor seiner Pensionierung im Range eines Obersten war. Das lässt er aber überhaupt nicht heraushängen, im Gegenteil. Er ist ein echter Kamerad. Den Tag lassen wir ruhig ausklingen mit einer Pizza am Abend und weiteren guten Gesprächen.
Ein klein wenig geschummelt Donnerstag, 11.07.2024: Von Captieux nach Roquefort (18,9 km) Heute kürzen wir ab. Es war ursprünglich nicht geplant, in Captieux zu übernachten, sondern im 8 Kilometer entfernten La Billon. Da die dortige Unterkunft inzwischen dauerhaft geschlossen ist, mussten wir uns einen Plan B überlegen. Da Alain mit dem Auto nach Roquefort fährt, haben wir uns ihm angeschlossen und wollen unterwegs abgesetzt werden. Anstatt wie zunächst angedacht mit einem Taxi zu fahren, hat er eine private Mitnahmemöglichkeit über das Portal BlaBlaCar ausfindig gemacht, die deutlich günstiger ist. Wir fahren also mit Celine, die nach Mont-de-Marsan zur Arbeit fährt. Dadurch verkürzt sich unser heutiger Tag erheblich auf circa 19 Kilometer. Das ist aber aufgrund der morgigen langen Etappe völlig in Ordnung für uns. Nach 15 Autokilometern auf der D932 lassen wir uns von Celine an der Kreuzung mit der D24 in einer Parkbucht absetzen. Wir bedanken uns für die günstige Mitnahme und verabschieden uns. Alain werden wir in ein paar Stunden in Roquefort wiedersehen. Zunächst wandern wir auf der wenig befahrenen D24 in Richtung Bourriot-Bergonce. Unterwegs tröpfelt es ein wenig, hört aber nach einer Weile schon wieder auf. Im Ort selbst finden wir eine geöffnete Bar gegenüber der Église St. Martin de Bourriot vor und genehmigen uns nach rund 4 Kilometern eine erste Pause mit einem Café au lait. Kurz darauf sind wir wieder auf einer ehemaligen Bahntrasse unterwegs. Es geht über acht Kilometer nur geradeaus auf einem Abschnitt des Sentier des lagunes de Nabias, flankiert von schattenspendenden Bäumen. Unterwegs haben wir manchmal tieferen sandigen Boden unter den Füßen, der aus den früheren Moorlandschaften stammt. Diese wurden überwiegend trockengelegt und mit Kiefern bepflanzt. Um die Mittagszeit fallen ein paar dicke Tropfen auf uns herab. Daraufhin hüllen wir unsere Rucksäcke mit dem Regenschutz ein, doch schon nach wenigen Schritten hört es schon wieder auf. Erneut etwas später beginnt es aber noch einmal feucht zu werden. Zeit, meinen Trekking-Regenschirm herauszuholen. An der ersten Bank auf dem Bahndamm bei Kilometer 14 machen wir die nächste Pause und verstauen den Regenschutz erneut in den Rucksäcken. Jetzt ist es auch nicht mehr allzu weit, bis wir Roquefort erreichen. Leider ist das Örtchen mit seinen rund 2000 Einwohnern nicht das Roquefort, in dem der berühmte Schafskäse hergestellt wird. Schade eigentlich. Gehen 13:30 Uhr treffen wir in Roquefort ein. Unmittelbar hinter dem zweiten Abzweig im Ort winkt uns in einer Bar sitzend Alain zu, der den gesamten Weg hierher mit Celine gefahren ist. Wir setzen uns zu ihm und erlauben uns zwei große Bier, um die Wartezeit bis zur Öffnung der Pilgerherberge abzuwarten. Nachdem das Bier verdampft ist, finden wir nur eine Straße weiter unsere heutige Unterkunft, die von der Jakobusgesellschaft des Departements Landes zur Verfügung gestellt wird. Dort werden wir vom Hopitaliero Patrice empfangen, aufgenommen und mit bis zu vier Stempeln versehen. Unser Programm wie jeden Tag: duschen, Wäsche mit der Maschine waschen und abwarten, was uns Patrice am Abend zu Essen serviert. Vor dem Abendessen macht er mit uns noch einen Stadtrundgang, zeigt uns die örtliche Stierkampfarena sowie die Église Saint-Marie aus dem 12. Jahrhundert und die daneben befindliche Chapelle Josephe, die seit dem Jakobustag 1999 (25. Juli) dem Pilgerpatron geweiht ist. Nach dem leckeren Abendessen - es gab poulet basquaise (Huhn auf baskische Art) sowie einem giftgrünen Absacker aus Kräutern (Ruavieja) - machen wir vier noch einen Verdauungspaziergang durch den Ort. Dabei steigen wir über einige Treppenstufen hinab an den Fluß Estampon mit wunderbaren Blicken auf die mittelalterliche Rundbogenbrücke und die Kirche. Auf dem Rückweg zur Herberge machen wir noch einen kurzen Stopp an einem Denkmal für die Gefallenen von Roquefort. Danach zieht sich jeder zurück in sein Bett, um sich für den kommenden Tag auszuruhen.
Gute Bedingungen für die Langstrecke Freitag, 12.07.2024: Von Roquefort nach Mont-de-Marsan (29,3 km) Heute wird es interessant für, denn zum ersten Mal überschreiten wir in diesem Jahr die 20 km-Marke, und das mit 29 km sehr deutlich. Das Wetter meint es allerdings gut mit uns, es ist wesentlich kühler angesagt, als noch die Tage zuvor. Kurz nach 6:00 Uhr sind wir bereits wach und beginnen, die Vorbereitungen für den Tag zu treffen. Patrice bereitet für uns vier das Frühstück vor, das wir gemeinsam einnehmen. Wie geplant verabschieden wir uns wenige Minuten nach 7:00 Uhr von unserem Hospitalero und leider auch von Alain, der heute seinen Sohn für eine kurze Etappe erwartet. Es kommt uns tatsächlich draußen frisch vor, aber das Thermometer zeigt schon 18 Grad. Der Himmel ist bedeckt und es weht uns eine leichte Brise entgegen. Zunächst laufen wir durch ein Wohngebiet und wechseln anschließend an den Rand der stark befahrenen D932, die wir aber schnell wieder verlassen können. Danach sind wir wieder in einem schattigen Wald und haben sandigen Untergrund unter den Füßen. Wir haben bereits sechs Kilometer hinter uns, als wir am Ende des Sandweges in Bostens an einer Begrenzungsmauer eines Hauses erstmals unsere Rucksäcke ablegen - so wie wir es vorgesehen haben. Wir lassen uns eine gute Viertelstunde Zeit, bevor es weitergeht. Hinter der nächsten Kurve erscheint eine Sitzgruppe, die wohl der bessere Rastplatz gewesen wäre. Unseren nächsten Stopp verpassen wir beinahe. Immer noch in Bostens, will ich nur kurz in die romanische Église Sainte-Marie aus dem 12. Jahrhundert schauen, sie scheint aber verschlossen zu sein. Dafür entdecke ich rechts neben dem Eingang auf einer Türe einen Hinweis auf eine Pilgerrast. Davon hatte ich in meinem Pilgerführer gelesen, aber dann doch verdrängt. Nachdem ich de Türe öffne, erscheint dahinter ein gemütlich eingerichteter Raum mit Sofa, Tisch, offenem Kamin, Kühlschrank und Kaffeemaschine. Das ist eine tolle Sache, der wahrscheinlich früheren Wohnung des Pfarrers eine neue Funktion zu geben. Einen Pilgerstempel gibt es noch dazu. Den holen wir uns und ziehen nach der Besichtigung der tatsächlich offenen Kirche (man muss halt nur den Hebel richtig herunterdrücken) weiter. Nicht weit von der Kirche stolpern wir beinahe über einen großen Hirschkäfer, den wir von der gefährlichen Straße heben und somit vielleicht vor dem Überfahren retten. In Gailleres nach circa 13 gelaufenen Kilometern finden wir die geöffnete Bar „La Coeur des Landes“ und entschließen uns kurzfristig zu einer weiteren Unterbrechung. Schade, dass die von außen schmucke Église Notre-Dame-de-l´Assomption verschlossen ist. Auch hier verweilen wir höchstens ein Viertelstündchen, das reicht aus, um sich ein wenig zu entspannen. Wir bewegen uns zum wieerholten Mal auf einer früheren Bahntrasse, dem „Voie verte du Marsan et de l´Armagnac“. Die Region Landes war früher eines der Mont-de-Marsanam besten mit der Eisenbahn erschlossenen Gebiete. Davon ist heute nicht mehr viel zu sehen, wenn die Strecken nicht gerade in Wander- und Fahrradwege umgewandelt wurden. Weitere sieben Kilometer weiter finden wir in Bogue eine weitere Bar, in der wir uns zur Mittagszeit ein Kaltgetränk gönnen. Eine Besonderheit finden wir vor der Église Saint-Candide vor: einen Kilometerstein, der die Entfernung nach Santiago de Compostela mit 970 Kilometern angibt. Da haben wir ja noch etwas vor uns. Dann folgt wieder etwas inzwischen Bekanntes: eine weitere stillgelegte Bahnlinie, der wir bis fast zum Ende der Tagesetappe über knapp acht Kilometer schnurgeradeaus folgen. Dabei biegen sich die zu beiden Seiten stehenden Bäume wie das Rippengewölbe einer gotischen Kathedrale über uns - ein gigantischer Anblick ist das. Gegen 15:00 Uhr haben wir unser Tagespensum fast geschafft und stehen in Mont-de-Marsan vor dem Asia-Shop, in dem wir gegen Vorlage des Pilgerausweises den Schlüssel für die Pilgerherberge erhalten, die nur eine Straßenecke davon entfernt liegt. Da wir die ersten sind, können wir unser Bett frei auswählen. Jörg entscheidet sich für ein einzelnes Bett in einer kleinen, offenen Kammer. Ich belege in einem Etagenbett die untere Schlafmöglichkeit an einer Wand. Anschließend ist wie jeden Abend duschen und waschen angesagt. Heute müssen wir unsere durchgeschwitzten Sachen mit der Hand waschen, im sonnigen Hof werden sie schnell trocknen. Während Jörg sich ein wenig ausruht, erkunde ich ein wenig die Stadt und schaue mir den Donjon Lacataye und die Église Saint-Madeleine an. Nach meiner Rückkehr suchen wir uns einen Supermarkt und kaufen unser Abendessen ein, das Jörg anschließend in der Küche zubereitet: Tomatensalat und Spaghetti mit Gorgonzola-Sauce. Inzwischen sind noch Gregor und Jaczek aus Polen dazugestossen, außerdem kam beim Besuch von André, dem Hopitaleiro, Claire dazu, die ein eigenes Zimmer bekommt. Wir teilen mit den beiden Polen die viel zu üppige Mahlzeit und erledigen auch gemeinsam den Abwasch. Dabei erzählen die beiden, dass sie vor sechs Jahren in Stettin gestartet sind und auch über den Lahn- und Mosel-Camino nach Frankreich kamen. Die Welt ist halt klein.
Die letzten werden die ersten sein Samstag, 13.07.2024: Von Mont-de-Marsan nach Saint-Sever (21,6 km) Wir sind wieder einmal die letzten, die eine Pilgerherberge verlassen. Kurz nach 6:00 Uhr wird es in unserem Schlafsaal unruhig, denn unsere polnischen Mitpilger machen sich für den Abmarsch bereit. Das ist aber für uns in Ordnung, da auch wir nicht zu spät das Haus verlassen wollen. Allerdings lassen wir uns deutlich mehr Zeit und als wir am Frühstückstisch sitzen, sind die zwei schon weg. Lediglich Claire leistet uns stumm Gesellschaft, bis auch sie aufbricht. Wir schließen um 7:45 Uhr die Tür hinter uns und laufen zunächst durch eine Fußgängerzone und dann entlang einer Ausfallstraße immer geradeaus raus aus der Stadt. Auf Höhe einer Ampel spricht uns ein Franzose aus seinem Auto durch das heruntergekurbelte Fenster an und erzählt uns, dass er schon zweimal in Santiago war. Das ist Völkerverständigung. Bald verlassen wir die Straße und durchlaufen ein längeres Waldstück, das zu den kühlen Temperaturen von circa 13 Grad zusätzlich Schatten bietet. Aber auch diese Passage endet bald und wir befinden uns wieder auf einer kaum befahrenen Straße. In Benquet finden wir in der schönen Église Jean Baptiste sogar einen Pilgerstempel vor. Im Ort selbst machen wir in der Bar „Au P'ti Gascon“ eine kurze Pause. Bereits wenige Schritte danach laufen wir an der zweiten, kleineren Kirche des Dorfes vorbei und treffen dort Claire, die uns wohl überholt haben muss, während wir in der Bar waren. Wir sind wieder auf dem Weg und treffen auf einen Wanderer, der ebenfalls ein kurzes Gespräch mit uns beginnt und nach unserem Ziel fragt. Inzwischen haben wir auch wieder Claire überholt, von Jacek und Gregor gibt es lediglich in Gästebüchern in den Kirchen Spuren. Nach einer weiteren Pause erreichen wir eine Stelle, wo unser vorgegebener Weg anders verläuft. Wir halten uns halt an die Markierungen und werden irgendwann unsinnigerweise nach links in ein Feld mit brusthohem Gras verwiesen. Das möchten wir nicht durchlaufen und suchen uns eine Alternative, die dann aber auch über ein Privatgelände führt. Das überstehen wir unbeschadet und laufen auf einem Deich entlang des Flusses Adour, überqueren diesen und erklimmen einen extrem steilen Aufstieg nach Saint-Sever. Dort erreichen wir um 12:50 Uhr die Tourist-Info - gerade noch vor der Mittagspause - und bekommen den Code für die Pilgerherberge, die in einem ehemaligen Jakobiner-Kloster untergebracht ist. Die Unterkunft ist geräumig und über zwei Stockwerke verteilt. Übrigens: wir sind mal wieder die Ersten. Bett belegen, duschen, Waschmaschine anstellen. Erst viel später trifft Claire ein, noch viel später die beiden Polen. Jetzt gilt es, die Sehenswürdigkeiten der Stadt anzuschauen. Dabei belassen wir es bei dem Jakobiner-Kloster und der früheren Benediktiner-Abtei mit der Klosterkirche. Zum Glück finden wir einen kleinen Laden, indem wir uns mit Oliven und Salami eindecken, denn ein kleiner Hunger macht sich bemerkbar. Ansonsten: ausruhen, faulenzen und am Abend etwas essen gehen. Außerdem gibt es im Klosterhof ein Konzert und um 23:00 Uhr ein Feuerwerk. Das wäre wirklich nicht nötig gewesen, aber danke schön. Davon werden wir aber nichts mitbekommen, da wir schon die Augen zu haben werden. Nachtrag: Heute endete ein Running-Gag der letzten Tage. Jörg wollte von Beginn an seine 200 Euro-Scheine loswerden, die er aus einem Geldautomaten mitgebracht hat. Das ist ihm heute beim Abendessen im Restauarant „Le Petit Saint-Séverin“ tatsächlich gelungen.
Vive la France! Sonntag, 14.07.2024: Von Saint-Sever nach Hagetmau (17,8 km) Heute ist in Frankreich Nationalfeiertag und da ticken die Uhren manchmal etwas anders. Am 14. Juli 1789 stürmte die Pariser Bevölkerung die Bastille und leitete damit den Untergang des Königreiches und den Beginn der Französischen Republik ein. Bereits gestern Abend gab es im Kreuzgang des Jakobiner-Klosters ein Konzert und später ein Feuerwerk. Ein Sägewerk hatten wir in unserem Schlafraum, denn einer der Polen machte ordentlich Lärm. Soviel Lärm, dass Jörg auf das Sofa im Aufenthaltsraum wechselte, um in Ruhe schlafen zu können. Jacek und Gregor wollten früh losziehen, da es erstens warm werden sollte und zweitens eine lange Etappe bevorstand. Gehen 5:00 Uhr standen sie auf, aber mit großzügiger Lärmverhinderung. Das war sehr rücksichtsvoll, aber ich habe es trotzdem bemerkt. Eine Dreiviertelstunde später waren sie aus der Herberge und auf dem Camino. Jörg und ich lassen uns noch etwas mehr Zeit und verlassen erst um 7:16 Uhr das Haus. Von Claire haben wir gestern weder etwas gesehen noch gehört. Sie hat sich nach ihrer Ankunft in ihr Zimmer begeben und blieb dort wohl die ganze Zeit. Wir traben noch in einer Bäckerei vorbei und starten in den Tag. Es sind heute nur 17 Kilometer, aber wir müssen bis 12:30 Uhr in Hagetmau sein, da dann der einzige Supermarkt schließt – es ist halt Sonntag. Wir kommen erneut gut vorwärts, ohne jedoch in Eile zu sein. Nachdem ein Wiesenweg für nasse Schuhe sorgt, folgt überwiegend Asphalt. Das macht uns aber überhaupt nichts aus, da man darauf auch weniger konzentriert vorwärts kommt. Eine erste, wirklich kurze Verschnaufpause gönnen wir uns in Audignon, die lediglich aus der Besichtigung der Église Notre-Dame besteht. Deren Usprünge stammen aus dem 11. Jahrhundert, heute gibt es einen Mix aus Romanik, Gotik und Barock zu bestaunen. Hinter Audignon verlieren wir kurzzeitig die bisher guten Markierungen aus dem Blick und machen auf einer schattigen Brücke eine längere Pause. Auf kleinen Landstraßen und Wirtschaftwegen setzen wir unsere Pilgerwanderung fort, bis wir kurz vor Horrsarieu mit einem Vorgeschmack auf die Pyrenäen konfrontiert werden. Es geht sehr steil bergauf, die Schritte werden kürzer und auf der Haut bilden sich feine Schweißperlen. Auf dem Kirchplatz finden wir eine Sitzmöglichkeit und legen eine weitere Pause ein. Jetzt ist es nicht mehr weit und wir erreichenden Supermarkt in Hagetmau tasächlich eine Stunde vor Ladenschluss. Wir kaufen ein paar Lebenssmittel für sofort, den Abend und für morgen ein, die in den nächsten Stunden in der Hitze nicht verderben. Es ist nämlich inzwischen deutlich über 25 Grad geworden und wir können uns eigentlich erst ab 15:00 Uhr im Cité Verte, dem Schwimmbad für die Pilgerherberge anmelden. Vor dem Supermarkt finden wir ein schattiges Plätzchen auf einer Nottreppe und verzehren ein Hähnchen - es wird wohl nicht DER französische Hahn gewesen sein. Nach dem Mahl packen wir alles zusammen und gehen zum Schwimmbad, halten dort Ausschau nach einem geeigneten Platz, wo wir die nächsten zwei Stunden bis zur Öffnung verbringen können. Wir haben allerdings Glück, die Türen des Bades stehen weit offen und wir können bereits jetzt die Formalitäten erledigen. Das kommt uns sehr entgegen, denn inzwischen ist in der Stadt wegen dem Nationalfeiertag alles geschlossen. Bis zur Pilgerherberge ist es noch 1 Kilometer, diese erreichen wir gegen 13:15 Uhr und beginnen sofort mit den Pflegemassnahmen. Die Wäsche erledigt für uns die Maschine - welch ein Komfort. Wir haben jetzt die erste Woche gut überstanden, sind 150 Kilometer unserem Ziel näher gekommen. Den Rest des Tages verbringen wir mit faulenzen, am Abend wir noch gekocht.
Pyrenäen in Sicht Montag, 15.07.2024: Von Hagetmau nach Orthez (29,0 km) Uns steht heute eine der herausforderndsten Etappen der diesjährigen Pilgertour bevor. Mit 29 Kilometern ist sie die längste und hat auch gleich mehrere Anstiege mit ordentlich Höhenmetern für uns parat. Gegen 5:30 Uhr werden wir wie vorgesehen wach und beginnen, unsere Ausrüstung in den Rucksäcken zu verpacken. Da wir alleine in der Unterkunft sind, stören wir niemanden mit unserer Geräuschkulisse. Eine gute Dreiviertelstunde später verlassen wir noch in der Dämmerung die Pilgerherberge und laufen fast drei Kilometer, bis wir das Ortsausgangsschild von Hagetmau passieren. In dem Augenblick steigt linker Hand von uns die Sonne empor und überzieht die Landschaft mit einem goldgelben Schimmer. Es ist mit 16 Grad noch angenehm kühl, genau wie von uns gewünscht. Wir sind in diesem Jahr schon viele Kilometer an Maisfeldern vorbeigelaufen, jetzt sorgen auch einmal Sonnenblumen, die ihr Gesicht dem gelben Planeten zuneigen, für farbige Abwechslung. Vor Argelos erklimmen wir den ersten Gipfel und beschließen, uns ein nettes Plätzchen für die Frühstückspause zu suchen. Zwar einige Schritte vom Weg entfernt, finden wir eine Bank auf einem Spielplatz mit vorgelagerter Tischtennisplatte, die uns sehr dienlich ist. Außerdem befindet sich direkt nebenan die geöffnete Schultoilette (in Frankreich sind bereits Ferien). Wir haben jetzt knapp elf Kilometer absolviert, da schmeckt das gestern gekaufte rustikale Baguette mit Leberpastete und Salami richtig gut. Bevor wir weiterziehen, wechsle ich noch die Unterhose, da ich mich anscheinend ein wenig wundgescheuert habe. Etwas Hirschtalg wird auf die Stelle geschmiert, das sollte dann ausreichend sein. Inzwischen nimmt der blaue Anteil am Himmel immer mehr ab und graue Wolken bestimmen die Szene über uns. Wir machen uns wieder auf den Weg. Hinter Argelos folgt nach einem steilen Abstieg gleich der nächste steile Aufstieg. Oben angekommen sind am Horizont erstmals die Pyrenäen für uns sichtbar. Es geht weiter durch eine Waldpassage, in der wir uns dauerhaften Angriffen von Bremsen erwehren müssen, die bei Jörg unter anderem eine blutige Einstichstelle hinterlassen. Nachdem wir diesen Überfall überstanden haben, nähert sich das nächste „Unheil“: es beginnt ein wenig aus den Wolken zu tropfen - aber gücklicherweise nur für eine kurze Weile. In Sault-Le-Navailles (= 16 Kilometer) wurde der Weg zu einem Supermarkt umgeleitet, was ja grundsätzlich nicht verkehrt ist, denn auf dieser Etappe gäbe es sonst keine Einkaufsmöglichkeit. Daher überlegen wir nicht lange und besorgen uns auch eine Kleinigkeit. Was übrigens immer bei uns geht, ist ein Trinkjoghurt in allen möglichen Geschmacksrichtungen. Über uns wird es allerdings zunehmend dunkler und die Wettervorhersage spricht von nichts Gutem. Eine Regenfront wird uns streifen, sodass ich zum zweiten Mal meinen Regenschirm benutze. Mitten im letzten Anstieg hört es doch noch auf und wir erreichen trockenen Fußes gegen 13:30 Uhr Orthez. Da die Tourist-Info erst in einer halben Stunde öffnet, setzen wir uns auf eine Bank unterhalb des monumentalen Donjons des früheren Château Moncade aus dem 13. Jahrhundert. Pünktlich zur Öffnungszeit erhalten wir den Schlüssel für die Pilgerherberge, die im Obergeschoss des Hôtel de la Lune untergebracht ist, einem Gebäude einer wohlhabenden Familie aus dem 13. oder 14. Jahrhundert. Das Haus liegt in einem Hinterhof und wird auch den Touristen zumindest zum Anschauen empfohlen. Die Unterkunft ist zweckmäßig eingerichtet, hat neben Waschmaschine und Trockner auch eine Küchenzeile, die wir am Abend nutzen werden. Nach dem Duschen wird gewaschen. Zunächst werfen wir aber die noch in der Waschmaschine befindliche Bettwäsche in den Trockner. Einkaufen und den Blick auf die Pont-Vieux (13. Jahrhundert) sind die letzten Aktivitäten für heute. Lediglich ein Besuch in der nahe gelegenen Église Saint-Pierre steht für mich noch auf der Liste. Dort entzünde ich eine Kerze vor einer Statue der Bernadette Soubirou (der wir ja bereits in Nevers begegnet sind) für meinen französischen Pilgerfreund Marcel, mit dem ich auf dem Camino Primitivo viel Zeit verbrachte. Kurz vor meiner diesjährigen Abreise hat er mir von seiner Krebserkrankung berichtet. Später kommen noch Elisa und Nicolas in die Herberge, die morgen hir in Orthez starten werden. Gegen 18:00 Uhr besuchen uns noch zwei Mitglieder der örtlichen Jakobusfreunde, die einen Tausch vom Übernachtungsgeld gegen einen weiteren Stempel im Pilgerausweis anbieten. Dagegen können wir uns natürlich nicht wehren. Außerdem kaufe ich ihnen noch einen örtlichen Pilgerpass ab, da ich sowieso einen neuen anfangen muss. Ich habe zwar noch einen mitgebracht, aber man kann ja die örtlichen Jakobusgesellschaften unterstützen. Zu guter Letzt stößt noch Alexandre, der rückwärts von Saint-Jean-Pied-de-Port nach Vézelay geht, zu unserer Schar dazu, jetzt ist nur noch ein Bett frei. Jörg und ich freuen uns jetzt über eine leckere Paella, die gerade in der Pfanne vor sich hin gart. Gegen 21:30 Uhr wird die Herberge doch noch komplettiert durch Wojcek, der in seiner Heimat Polen Anfang Mai gestartet ist und heute rund 45 Kilometer gelaufen ist. Für uns ist jetzt jedenfalls schlafen angesagt, der Tag war lange genug.
Als Pilger lernst du die Welt kennen Dienstag, 16.07.2024: Von Orthez nach Sauveterre-de-Béarn (22,2 km) Wenn man in einer Pilgerherberge die angebotenen Utensilien nutzt, sollte man diese nach Gebrauch auch wieder unmittelbar in den ursprünglichen Zustand versetzen. Das haben wir heute Morgen nach dem Aufstehen um 6:15 Uhr leider so nicht vorgefunden. Unsere Mitbewohner haben weder gespült noch den Tisch ordentlich hinterlassen, es stand sogar noch eine leere Fischdose darauf. Dann muss man sich nicht wundern, wenn man dann noch gesagt bekommt, dass für eine solche Herberge 15 € Übernachtungskosten viel zu viel seien. Jörg und ich sind da nur sprachlos. Es gab gestern aber auch noch etwas Positives. Ich hatte Marcel von der aufgestellten Kerze und meinem Gebet geschrieben, auch ein Foto geschickt. Es kam eine sehr emotionale Antwort von ihm zurück, die mich sehr berührt hat. Ich hoffe, dass ich ihm mit solchen Kleinigkeiten ein wenig aus der Distanz von Pilger zu Pilger helfen kann, Kraft zu erhalten für den Kampf gegen die Krankheit. Für so etwas geht man auf den Camino, von solch einer Pilgerfreundschaft lebt der Camino. Um halb acht sind wir abmarschbereit, haben alles leise zusammengepackt und ein kleines Frühstück eingenommen. Von unseren Mitbewohnern gibt es noch keine Spur, sie schlafen alle noch. Wir verlassen Orthez durch das Tor auf der Pont Vieux und haben den ersten Anstieg des Tages vor uns. Wir lassen es heute etwas ruhiger angehen, denn in die nächste Unterkunft können wir erst ab 15:00 Uhr rein. Nach circa 4,5 Kilometern finden wir vor der Kirche in Saint-Suzanne eine Sitzmöglichkeit und verweilen dort gleich eine halbe Stunde. Kurz nach dem Aufbruch spricht uns in Lanneplaà ein Autofahrer an, zunächst auf Französisch, dann in richtig gutem Deutsch. Er gibt uns den Tipp, in der Mairie Wasser zu bekommen. Wir sind aber noch gut versorgt, trotzdem empfinden wir das schon bemerkenswert. Etws später finde ich an einem Haus eine Plakette mit der interessanten Inschrift „Pelerin inconnu - tu connaitras le monde et personne tu ne connaitra“. Auf Deutsch ungefähr: „Unbekannter Pilger, du wirst die Welt kennenlernen und Menschen, die du bisher nicht kanntest.“ Unser nächster Stopp hat schon etwas Historisches an sich. In Hôpital-d'Orion gab es seit dem 12. Jahrhundert eine Komturei des Malteserordens mit einem Pilgerhospital, von der leider nur noch die einfach gehaltene Église Saint-Madeleine verblieben ist. Zur Erinnerung gibt es aber eine Statue von Jakobus im Pilgergewand. Hier halten wir uns wieder eine halbe Stunde auf und verzehren die verbliebenen Reste des Vortages. Bereits beim Studium des Höhenprofils haben wir gesehen, dass uns nun zwei nette Anstiege bevorstehen. Erschwerend allerdings ist der manchmal matschige und zerfurchte Untergrund, der mit kräftigen Wurzeln oder Gestein versehen ist. Man muss hier gut konzentriert zu Werke gehen, damit nichts passiert. Es sind nur noch rund 4 Kilometer zu absolvieren, da weisen die Zeichen an einer Kreuzung nach links. Mein Track zeigt aber geradeaus. Zum Glück bemerkt Jörg das und wir wählen die nicht markierte Route, die deutlich kürzer ist. Das hatten wir gestern auf der Suche nach sinnvollen Abkürzungen beschlossen. Nicht weit von dem Abzweig erreichen wir direkt neben der Mairie von Burgaronne einen Aussichtspunkt für Pilger mit Rastplatz. Auch hier verbleiben wir eine halbe Stunde und vergleichen die Schautafel mit den originalen Gipfeln der Pyrenäen, die sich vor uns auftürmen. Das letzte Stück verläuft abwärts und vergeht wie im Flug. Da wir bereits um 14:30 Uhr in Sauveterre-de-Béarn eintreffen, nehmen wir in der Bar „Auberge du Cheval Blanc“ Platz auf und erlauben uns zur Abkühlung ein Bier. Auf dem Weg zur Unterkunft holen wir uns noch in der Touri-Info einen weiteren Stempel für den Pilgerpass. Ziemlich genau um 15:00 Uhr stehen wir vor dem „Maison de la Tour“ und werden direkt von Anne-Marie begrüßt. Die Französin ist mit einem Engländer verheiratet und spricht akzentfrei Englisch. Wir bekommen ein geräumiges Zimmer mit einem großen und einem kleinen Bett. Nebenan gibt es noch ein weiteres Zimmer, das für eine Pilgerin vorgesehen ist, die sich aber mehrfach verlaufen hat und erst später eintreffen wird. Inzwischen gehen wir einkaufen und besorgen uns einiges für ein Abendessen, das wir im Haus einnehmen werden.
Drei Hauptwege werden einer Mittwoch, 17.07.2024: Von Sauveterre-de-Béarn nach Harambeltz (23,2 km) Und wieder startet ein neuer Tag, und wir sind immer noch erstaunt, wie gut man sich über Nacht erholen kann. Das Frühstück ist für 7:30 Uhr vorgesehen. Wir sind wie immer ohne Wecker so rechtzeitig wach, dass sämtliche Vorbereitungen für den Tag bis dahin abgeschlossen sind. Auch Alexandra, die spät angekommene französische Pilgerin, kommt fast zeitgleich in den Frühstücksraum. Es ist reichlich gedeckt und originales französisches Baguette - noch etwas Wärme aus dem Ofen ausströmend - schmeckt einfach nur himmlisch. Um 8:15 Uhr verabschieden wir uns von Anne-Marie und starten in den Tag. Zunächst verläuft die Strecke relativ flach, bevor sich nach circa 5 Kilometern der erste schweißtreibende Anstieg offenbart. Oben angekommen treffen wir auf eine kleine Stele, die auf die Grenze zum früheren Königreich Navarra hinweist. Eine gute halbe Stunde danach finden wir in Sussaute einen Unterstand mit Sitzmöglichkeit, wo wir uns für eine erste Pause niederlassen. Pausen wollen wir heute ausgiebig wahrnehmen, denn es ist warm und es erwarten uns noch einige Höhenmeter. Allmählich nähern wir uns auf Nebenstraßen Saint-Palais. Entlang eines der vielen Maisfelder ist die Beregnungsanlage in Betrieb und bewässert zusätzlich den Feldweg, auf dem wir unterwegs sind. Wir schaffen es jedoch, trocken unter dem sich bildenden Regenbogen hindurch zu kommen. Einen Topf mit Gold haben wir freilich nicht gefunden. Mitten in Saint-Palais erreichen wir mit Glockenschlag 12:00 Uhr die Stelle, wo unsere Via Lemovicensis (von Vezelay aus kommend) und die Via Turonensis (in Tour startend) zusammentreffen. Das könnte ein Grund zu Feiern sein - also legen wir in der Bar „Kennedy“ unsere Mittagspause ein, die eine geschlagene Dreiviertelstunde dauert! Es liegen jetzt noch überschaubare 8 Kilometer vor uns, die beinhalten aber zwei ordentliche Anstiege. Auf dem Weg aus Saint-Palais heraus laufen wir an einer Pilgerstatue vorbei, die vor einem früheren Benediktinerkloster und heutiger Pilgerherberge aufgestellt ist. Am Fuße des ersten Anstieges staunen wir beim Anblick nicht schlecht - das ist richtig böse steil. Es vergehen in sehr langsamem Tempo zwei Kilometer bergauf, die zum Glück von ein paar Passagen zum Verschnaufen unterbrochen werden. Um 13:45 Uhr erreichen wir den höchsten Punkt mit einer Skulptur, der mit einer tollen Aussicht in die Umgebung und auf die Pyrenäen. Wir sehen allerdings auch gegenüber von unserem Standort bereits den nächsten Berg, der noch einmal etwas höher erscheint als der aktuelle. Nach einer weiteren Verschnaufpause geht es zunächst abwärts. Unten angekommen befindet sich eine weitere Stele, denn hier trifft von links der dritte französische Hauptweg, die Via Podiensis (von Le Puy-en-Velay), auf unseren Camino. Für den Aufstieg hole ich mir dieses Mal meine Wanderstöcke aus dem Rucksack, muss aber feststellen, dass ich keine Pads dabei habe. Die brauche ich zwar auf dem felsigen Untergrund nicht unbedingt, die Stöcke helfen mir auch so, den Berg zu erklimmen. Der schweißtriebende Teil endet an der Chapelle de Soyartze erneut mit einen schönen Ausblick in die Umgebung. Ab hier ist es jetzt nicht mehr weit bis zu unserer Unterkunft in Harambeltz, wo es im Mittelalter tatsächlich ein Pilgerhospital gab. Einzig die Chapelle Saint-Nicolas ist davon erhalten geblieben. Unsere Herberge, die Gîte d'étape Etchetoa, liegt direkt am Weg. Wir werden von Marie begrüßt, die in der Schule Deutsch gelernt hat. Sie reicht uns zunächst einen Eistee und führt uns danach durch das 400 Jahre alte Haus. Hier schlägt das Pilgerherz höher, denn es wurde an vieles gedacht. Es stehen Getränke und Lebensmittel zur Verfügung, Wäsche wird auf Wunsch gewaschen und jedes Bett im großzügigen Schlafsaal verfügt über eine eigene Steckdose. Heute sind mit uns sieben Pilger zu Gast: zwei Frauen und eine Familie, die wir beim gemeinsamen Abendessen kennenlernen. Nach einer nachmittäglichen Ruhe wollen Jörg und ich noch einen Blick in die Kapelle werfen. Leider sind wir zu spät, denn erst vor wenigen Minuten muss das Kleinod abgeschlossen worden sein. Das ist sehr schade, denn wenn man sich im Web die Bilder vor und nach der Sanierung anschaut, weiß man, dass man etwas sehr Schönes verpasst hat.
Ein Abschluss ist immer auch ein NeuanfangSchlossherren für eine Nacht Donnerstag, 18.07.2024: Von Harambeltz nach Saint-Jean-Pied-Port (26,1 km) Der letzte Tag auf der Via Lemovicensis ab Vezelay steht heute für uns an. Kurz vor 6:00 Uhr stehen wir auf, packen die Wäschekörbe mit unseren Habseligkeiten und verlassen ziemlich geräuschlos den Schlafsaal, ohne dass die beiden Frauen aufwachen. Unten bereiten wir uns für den Tag vor, Sonnencreme, Hirschtalg auftragen, Rucksack packen. Dann genießen wir das Frühstück. Leckeres Brot liegt bereit und im Kühlschrank steht eine große Auswahl regionaler Marmeladen. Gegen 7:00 Uhr sind wir abmarschbereit und verabschieden uns von Marie, die kurz zuvor zu uns gestoßen ist. Wir haben uns sehr wohl gefühlt und die angenehme Atmosphäre und das Willkommensein genossen. Gleich zu Beginn der Etappe erwartet uns der erste von mehreren Anstiegen. Als es wieder abwärts geht, erscheint gerade die Sonne in unserem Rücken und verwandelt mit den Nebelschwaden die Landschaft in eine geheimnisvolle Szenerie. Wir laufen auf Wald- und Feldwegen, manchmal auch am abgetrennten Rand einer Straße. Wir überholen sogar drei andere Pilger – das ist völliges Neuland für uns auf diesem Weg. Nach 10 Kilometern erreichen wir in Utziate eine alte Mühle, die vor langer Zeit zu einem Pilgerhospital gehörte. Heute stehen da vier Betten drin, die von Pilgern genutzt werden können. Hier machen wir eine erste kurze Trinkpause. Es tut immer wieder gut, den Rucksack für eine kurze Zeit von der Schulter zu nehmen, das bringt enorme Entspannung für die Muskulatur. Eine etwas längere Pause bietet sich in Gamarthe bei der Ferme Elizalida an. Dort werden unter anderem baskische Schinken hergestellt. Wir kaufen ein Sandwich mit Schinken und genießen es vor dem Haus auf einer aufgestellten Bank. Eine halbe Stunde später gehen wir gestärkt weiter. Wir versuchen, wo immer möglich, im Schatten zu bleiben. Der Temperaturunterschied macht sich krass bemerkbar, vor allem, weil heute kein Wölkchen den strahlend blauen Himmel verdeckt. Endlich erklimmen wir den letzten schweißtreibenden Peak für heute, machen oben gleich noch eine kurze Trinkpause. Kurz vor Saint-Jean-de-Vieux überholen wir eine ältere Dame, die sich später als Kanadierin herausstellen wird. Im Hotel Mendy machen wir eine weitere längere Rast und haben ein nettes Gespräch mit der Kanadierin. Alle Tische neben uns und auch hinter dem Haus sind belegt mit Menschen, die man aufgrund ihrer Rucksäcke allesamt als Pilger identifizieren kann. Wir lassen uns fast eine Dreiviertelstunde Zeit. Es sind jetzt nur noch rund 4 Kilometer bis Saint-Jean-Pied-de-Port, die wie im Fluge vergehen. Wie ein Zeitraffer läuft in meinem Kopf der gemeinsame Jakobsweg von Jörg und mir durch Frankreich. Das sind jetzt immerhin 1383 Kilometer gewesen. An den ersten Abschnitt von Trier bis Vezelay werde ich auch im Baskenland durch die Kanaldeckel aus Pont-a-Mousson an der Mosel erinnert. Die Via Lemovicensis mit ihren jetzt 915 Kilometern trage ich immer um den Hals in Form eines ovalen Steines mit Jakobsmuschel, den ich mir 2013 in Vezelay in unserer dortigen Unterkunft gekauft hatte. Wir haben schöne Landschaften und tolle Menschen kennengelernt. Auch mit den geringen französischen Sprachkenntnissen haben wir uns bei den insgesamt sechs Teilstücken bis an die Pyrenäen durchgeschlagen. Auf all das sind wir beide stolz, denn wir haben einen weiteren wichtigen Zwischenschritt erreicht und werden morgen mit dem Camino Frances einen neuen Abschnitt auf dem Weg nach Santiago de Compostela beginnen. Über die Rue de la Porte Saint Jacques erreichen wir Saint-Jean-Pied-de-Port und holen uns im gut besuchten Pilgerbüro den begehrten Stempel ab. Für die meisten Pilger ist es der erste Stempel, wir haben bereits eine stattliche Sammlung davon in unseren Pilgerpässen. Nur noch einmal um die Ecke herum befindet sich unsere reservierte Unterkunft „La Vita e Bella“, vor der wir um 14:30 Uhr stehen. Wir müssen noch eine halbe Stunde warten, dann lässt uns Sandrine herein. Wir, das sind außerdem Erik aus Schweden sowie zwei Pilgerinnen aus Südkorea und Taiwan. Alle starten morgen ihren Camino, sprechen Englisch und wir können uns gut verständigen. Sandrine weist uns in das Haus ein und nachdem sich jeder ein Bett ausgesucht hat, beginnt unsere tägliche Prozedur. Später kommen noch Nathalie und Helene (die wir schon in der gestrigen Unterkunft kennen gelernt haben), Pasquale aus Italien und ein Däne dazu. Die Temperaturen sind mörderisch, über 30 Grad, jeder Schritt sorgt für einen unkontrollirten Schweißfluss. Dennoch müssen wir für den morgigen Tag - dem ersten auf dem Camino Frances - Wasser einkaufen. Allen anderen Pilgern, die uns entgegen kommen, geht es genauso. Im Supermarkt herrscht durch die Klimaanlage eine im Moment angenehme Kühle, die ich aber nicht auf Dauer ertragen möchte. Wir sind froh, wieder in der Unterkunft zu sein. In unserem Zimmer ist ebenfalls klimatisiert, das werden wir in der Nacht so beibehalten. Um 19:00 Uhr werden wir zum Essen gerufen, das es in dem angeschlossenen kleinen Bistrot serviert wird. Nach dem Abendessen drehe ich noch eine kleine Runde durch die Stadt, gehe über die Stadtmauer zu den Brücken und betrete die Stadt wieder durch das Jakobustor von der anderen Seite her. In die Richtung stadtauswärts darf ich erst morgen zum Start des Camino Frances duch das Tor gehen. Ein Blick in die Église Paroissiale de l’Assomption de la Vierge direkt neben dem Tor beendet meinen Rundgang. Es wird Zeit, sich hinzulegen.
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