Badischer Jakobusweg 2020
Datum | Strecke | Länge | Gesamtlänge | |
1. | 15.06.2020 | Worms - Limburgerhof |
32 km |
32 km |
2. | 16.06.2020 | Limburgerhof - Reilingen |
27 km |
59 km |
3. | 17.06.2020 | Relingen - Ubstadt |
27 km |
86 km |
4. | 18.06.2020 | Ubstadt - Grötzingen |
27 km |
113 km |
5. | 19.06.2020 | Grötzingen - Waldprechtsweier |
26 km |
139 km |
6. | 20.06.2020 | Waldprechtsweier - Lichtenthal |
24 km |
163 km |
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Vorbemerkung Sicherlich fällt direkt auf, dass der Badische Jakobsweg nicht in Worms beginnt. Das ist auch mir bewusst. Den Verbindungsweg zwischen Worms und Speyer könnte man dem Rheinhessischen oder dem Pfälzer Jakobsweg zuweisen. Von Speyer bis Malsch bin ich den Jakobsweg von Rothenburg o.d.T. nach Speyer rückwärts gelaufen und dann auf den nördlichen Teil des Badischen Jakobsweges abgebogen. Dies war für mich Anlass, die ganze Woche im Juni 2020 nur einem Jakobsweg zuzuordnen, und da blieb nur der Badische Jakobsweg, den ich ja dann ab Lichtenthal irgendwann fortsetzen werden.
Von Worms nach Limburgerhof (15. Juni 2020) Eigentlich wäre ich jetzt schon eine Woche auf dem Caminho da Geira e dos Arrieiros vom portugiesischen Braga nach Santiago de Compostela unterwegs. Das war nur eine Idee für 2020, die durch die Corona-Pandemie zunichte gemacht wurde. Ich bin aber zum Glück kein Einzelfall, viele Menschen auf dieser Welt habe sich das Jahr wohl etwas anders vorgestellt und mussten sich mit den Gegebenheiten abfinden. Für mich standen im Mai und Juni ganze sechs Wochen Urlaub an, die gut gefüllt waren. Neben der bereits angesprochenen Pilgertour in Portugal und Spanien war auch eine zweiwöchig Reise nach Kreta, das Festival Rock am Ring und eine Woche als Volunteer bei den Special Olympics in Koblenz eingeplant. Stattdessen kam eine unangemeldete Schilddrüsenoperation dazu. Meine Frau meinte dann, ich solle nach den Lockerungen im öffentlichen Leben doch zumindest eine Woche in Deutschland pilgern gehen. Das war eine gute Idee, die ich noch am selben Tage geplant habe. Neben meinem Weg durch Frankreich über Vézelay wollte ich irgendwann auch noch über Le Puy in Richtung Spanien laufen. Den Anfang hatte ich vor ein paar Jahren gemacht und mich in südliche Richtung aufgemacht, wo ich in Worms stecken blieb. Ja, dann gehe ich halt von Worms noch weiter nach Süden. Ich rechnete mir die Tagesetappen durch und kam nach gut 160 Kilometern in sechs Tagen bis nach Baden-Baden. Das erschien mir machbar. Meine Tour sollte mich also von Worms über Speyer nach Baden-Württemberg bringen, wo ich auf den noch nicht eröffneten Nordteil des Badischen Jakobsweges abbiegen wollte. Freundlicherweise bekam ich von Gottfried Wiedemer von der Badischen Jakobusgesellschaft eine Wegbeschreibung, die bald als Buch herauskommen soll. Im Netz fand ich zudem noch dazu passende GPS-Daten, sodass ich mir eigentlich keine Sorgen machen musste. Bezüglich der Unterkünfte machte ich mir schon Gedanken und kam zu dem Schluss, mir zwei Basecamps in Speyer und Karlsruhe einzurichten, von denen ich jeweils zu den Start- und Zielorten der einzelnen Etappen pendeln wollte. In Speyer bot sich die Jugendherberge an, die gerade wieder geöffnet hatte, in Karlsruhe fand ich mit dem Hostel Kaiserpassage eine günstige Übernachtungsmöglichkeit. Ich verlasse am Montag morgen um kurz nach 6:00 Uhr die Wohnung und begebe mich auf die ersten zwei Kilometer Fußmarsch zum Koblenzer Hauptbahnhof. Auf dem Bahnhofsvorplatz treffe ich Christian aus unserem Pilgerforum, der für drei Wochen nach Langeoog reist, um dort in der Freizeitbetreuung der evangelischen Kirchengemeinde zu arbeiten. Mein ICE fährt pünktlich um 6:48 Uhr ab. In Mainz steige ich um in die S6 und treffe um 8:37 Uhr in Worms ein. Bis zum Dom, meinem Startpunkt, ist es nicht weit. Dort sind gerade die Vorbereitungen für einen Gottesdienst im Gange. Nach getaner Arbeit bekomme ich vom Küster meinen ersten Stempel in den Pilgerausweis. Um kurz nach 9:00 Uhr beginne ich meine Pilgertour. Es geht zunächst durch die Stadt und unterwegs kaufe ich mir an einer Tankstelle noch zwei Flaschen Wasser - das hatte ich beinahe ganz vergessen. Nach ein paar Kilometern entlang einer Landstraße erreiche ich Bobenheim-Roxheim, wo ich zunächst ein Wohngebiet durchquere. An einem Wendeplatz haben sich Hauseigentümer etwas schönes für die Umwelt einfallen lassen: eine größere Wiese vor dem Haus wurde mit Wildblumen bestückt und als „Tummelplatz für Biene Maja & Co.“ bezeichnet. In der Nähe des jüdischen Friedhofs entdecke ich die erste Jakobsmuschel. Es handelt sich um eine Ortschleife des Pfälzer Jakobswegs, hat aber nichts mit dem anscheinend nicht markierten Weg Verbindungsweg zwischen Worms und Speyer zu tun. Kurz darauf passiere ich die verschlossene evangelische Kirche und ein paar Straßen weiter ist auch die katholische Pfarrkirche St. Maria Magdalena nicht zugänglich. Stattdessen hängt neben dem Portal eine Infotafel zum Pfälzer Jakobsweg. Es geht weiter durch eine Gewerbegebiet, wo noch einmal eine Muschel an einem Pfahl angebracht ist - es soll die letzte wegweisende bis Malsch sein. In einem Industriegebiet darf ich endlich nach rechts abbiegen und eine Weile entlang des Flüsschens Isenach laufen. Ich passiere einen von Algen grün gefärbten Teich und entdecke dahinter ein hübsches Insektenhotel am Rande eines Ackers. Der geteerte Boden ist übersät mit Nacktschnecken in allen Größen, sodass ich aufpassen muss, wo ich hintrete. Da der Weg nicht markiert ist, muss ich ständig die Richtung mit meinen GPS-Daten abgleichen. Dabei stelle ich an der nächste Ecke fest, dass ich mir jetzt ein paar Meter sparen könnte, indem nach links weitergehe. Gesagt, getan, und nach nur wenigen Schritten schon bereut! Der Untergrund ist butterweich und mit Feuchtigkeit durchtränkt. Bei jedem Schritt bleibt etwas Lehm am Schuh kleben. Ist eine bestimmte Menge erreicht, verliere ich den Klumpen, um beim nächsten Schritt wieder fast genausviel mitzunehmen. So wate ich über den selbst gewählten Feldweg, werde aber an dessen Ende für mein Durchhalten mit einem mit reifen Kirschen schwer beladenen Ast belohnt, der aus einem Garten über den Zaun hinausragt. Da sage ich gerne Danke, bediene mich und lasse mir eine Hand voll süßer Früchte schmecken. Nach zwei weiteren Ecken unterquere ich die A6 und laufe durch Mörsch. Der Himmel ist leicht bewölkt und es weht eine angenehm frische Brise - ideales Pilgerwetter. Gegen 11:30 Uhr erreiche ich Frankenthal, laufe an der Pilgerstraße entlang. Hier verlief im Mittelalter einer der Pilgerwege nach Santiago, verrät mir das Straßenschild. An der katholischen Pfarrkirche St. Ludwig suche ich dann vergebens den Eingang, obwohl mir ein Schild den Weg weisen möchte. An der vermeintlichen Stelle werde ich aber wieder zurückgeschickt. Ich habe keine Lust, mich im Kreis zudrehen und gehe einfach weiter in die Innenstadt. Im Zentrum befindet sich die spätbarocke Kirche Hl. Dreifaltigkeit, die sogar vormittags zum Gebet geöffnet ist. Doch ich komme zu spät: überpünktlich wird das Portal vor meiner Nase verschlossen. Auch die dahinter erbaute evangelische Zwölf-Apostel-Kirche ist für Besucher nicht zugänglich. Also gönne ich mir einen kleinen Mittagssnack und nehme mir auf den Weg och ein Eis mit auf die Hand. Es geht noch eine Weile durch Frankenthal weiter, auch wieder über den Pilgerpfad (die Straße wurde wohl irgendwo unterwegs zum Pfad), der durch das gleichnamige ökumenische Gemeindezentrum und an der sehr modernen Kirche St. Jakobus d.Ä. vorbeiführt. Der Pilgerpfad zieht sich sogar noch weiter bis nach Studernheim (die katholische Pfarrkirche St. Georg war von 10:00 - 12:00 Uhr geöffnet), wo sich dann zumindest die Beschilderung verliert. Nach Oggersheim ist es nur ein kurzer Augenblick weit - hier lebte der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl. Endlich habe ich Glück, denn erstmals treffe ich nach dem Wormser Dom auf eine geöffnete Kirche. Es handelt sich dabei um die Wallfahrtskirche Maria Himmelfahrt, die 1775 als neoklassizistischer Saalbau über eine seit rund fünfzig Jahren bestehende Lorettokapelle errichtet wurde. Die Kapelle blieb dabei vollständig erhalten und beherbergt das Gnadenbild - eine schwarze Madonna mit Kind. Hier verweile ich einen Moment und entzünde eine Kerzen. Auf den erhofften Pilgerstempel vom benachbarten Kloster der Franziskaner-Minoriten muss ich verzichten, denn die Klosterpforte ist montags nicht besetzt. Die folgenden Kilometer werde ich von Ackerland begleitet, das gut bestellt ist. Mehrere abgeerntete Feldern sind übersät mit kleinen weißen Zwiebeln und es liegt ein strenger Duft von Lauch in der Luft. Ich schaue mir eine solche Zwiebel etwas genauer an, kann mir aber keinen Reim darauf machen, warum die hier alle rumliegen. Es ist nicht mehr weit bis zu meinem heutigen Etappenziel. Ich durchquere noch das Dörfchen Maudach und laufe danach erneut eine Weile am großflächigen Feldern entlang. In der Ferne sehe ich emsiges Treiben - hier wird wohl gerade die Ernte eingefahren. Es war heute ein ziemlich einsamer Weg, der überwiegend mit Asphalt versehen war. Mir macht das aber nichts aus, ich komme auf so ziemlich jedem Untergrund vorwärts. Heute zwickt es mich allerdings an hinteren Ende meines rechten Fußes, bin mal gespannt. Hin und wieder sind mir ein paar Spaziergänger oder Fahrradfahrer begegnet, die meiste Zeit war ich jedoch alleine. Ich erreiche vor meinem Plan den Bahnhof von Limburgerhof und kann deshalb eine halbe Stunde früher mit der S-Bahn nach Speyer fahren. Dort bekomme ich nach fünf Minuten Wartezeit einen Bus, der mich direkt vor der Jugendherberge absetzt. Es hätte ein so guter erster Pilgertag werden können. Doch wenn du dann vor der vor vier Wochen gebuchten Jugendherberge in Speyer stehst, und dir wird gesagt, dass alle Buchungen für diese Woche wegen anhaltender Bauarbeiten storniert wurden, dann hast du nur noch ein großes Fragezeichen im Kopf. Ich bin jedenfalls nicht über die um drei Tage verzögerte Öffnung der Herberge informiert worden. Da hilft nur eins: Handy raus und nach einer Alternative suchen. Ich finde das preiswerte Boardinghouse La Grotta und bekomme nach einem Anruf ein Doppelzimmer für zwei Tage für knapp einhundert Euro - das ist für das Zentrum von Speyer sehr günstig. Haken bei der Sache: Gemeinschaftsbad und kein Frühstück. Damit habe ich aber kein Problem, in Pilgerherbergen hast du auch kein eigenes Bad und das ich morgens früh raus will, ist auch ein Frühstück entbehrlich. Ich laufe also noch einmal quer durch die Stadt und werde kurz darauf von der Tochter der Eigentümer empfangen. Das Zimmer ist groß, sauber und liegt ruhig zum Innenhof. Auch die sanitären Räumlichkeiten sind in einem tadellosen Zustand - alles richtig gemacht! Da ich heute Abend nicht mehr viel unternehmen werde, besorge ich mir in einem benachbarten Supermarkt noch etwas zu Essen sowie Getränke und Obst für die nächsten Tage. Danach heißt es duschen, Wäsche waschen und essen. Irgendwann wache ich auf, der Fernseher läuft noch. Anscheinend bin ich eingeschlafen.
Von Limburgerhof nach Reilingen (16. Juni 2020) Normalerweise habe ich einen sehr guten Schlaf, doch in dieser Nacht wurde ich zweimal durch den niederprasselnden Regen wach. Gegen 1:00 Uhr nutzte ich die Gelegenheit, meine Blase an der hinteren linken Kante des rechten Fußes zu versorgen. Da sich die Blase unter der Hornhaut gebildet hatte, entschied ich mich dazu, mit einem kleinen Schnitt die Flüssigkeit ablaufen zu lassen und das Ganze mit einem Compeed-Pflaster zu bedecken. Danach bin ich noch einmal eingeschlafen, aber es blieb unruhig. Später packe ich meinen Rucksack, nehme aber nur das Nötigste mit, da ich ja noch eine weitere Nacht in Speyer bleibe. Der Bahnhof ist nur zehn Minuten von meiner Unterkunft entfernt, die ich gegen 7:30 Uhr verlasse. Gegen 8:30 Uhr steige ich in Limburgerhof aus der S3 aus, kaufe ich mir noch zwei belegte Laugenstangen und beginne mit der heutigen Etappe. Schon nach wenigen Metern beginnt es leicht zu regnen, sodass mein neuer Euro-Schirm sofort zum Einsatz kommt. Der Schirm wird an einem Tragegurt und am Hüftgurt des Rucksackes befestigt und man hat beide Hände frei. Ich bin begeistert, ein absolut nützliches Accessoire. Gerade bei Temperaturen um die 20 Grad ist ein Poncho nicht das Ideale, da man zwar vor äußerer Nässe geschützt wird, dafür aber darunter trotzdem klatschnass wird. Schon bald verlasse ich Limburgerhof, bleibe aber weiter auf einem geteerten Weg parallel zur Bahntrasse. Nach circa 2,5 km komme ich an den Rand des Golfplatzes Kurpfalz, wo mir auf dem schmalen Weg ein junger Mann mit einem breiten Rasenmäher entgegenkommt, sich aber weit links hält. Ich mache trotzdem Platz wegen meinem breiten Schirm und ernte als Dank einen erhobenen Daumen und ein nettes Lächeln. Einen Augenblick später werde ich von einer mich überholenden Läuferin angesprochen, ob ich Hilfe bräuchte. Ich stehe gerade an einem Abzweig und schaue meine Karte zur Orientierung an. Nachdem ich ihr versichere, dass alles in Ordnung sei, fragt sie mich wo ich herkomme und wohin mich der heutige Tag bringt. Nach einem kurzen Plausch wünschen wir uns gegenseitig gutes Gelingen und setzen uns wieder in Bewegung. Ich komme gut vorwärts und erreiche schon nach einer guten Stunde die St. Jakobus-Kirche in Schifferstadt, in der allerdings gerade ein Gottesdienst stattfindet. Also halte ich mich nicht lange auf, sondern marschiere einmal quer durch die Stadt, um dann fast 5 km der Landstraße 454 Gesellschaft zu leisten. Unterwegs mache ich unter der A61 kurz Halt, um den Regenschirm wieder zu verstauen, denn es hat inzwischen aufgehört zu regnen. Allmählich gelange ich in ein Gewerbegebiet, das bereits zu Speyer gehört. An einer Fußgängerampel spricht mich ein Fahrradfahrer an. Er hat wohl die Aufnäher an meinem Rucksack gesehen und ist neugierig geworden. Gerne gebe ich ihm Auskunft über mein Vorhaben. An der nächsten Ecke biegt er ab, wünscht mir aber noch „Buen Camino“. Auf dem langen Weg in die Innenstadt passiere ich den Adenauer-Park, wo sich auch der Friedhof des Domkapitels und die St. Bernhard-Kirche befinden. Auch heute sind sowohl Kirchen als auch Pfarrämter geschlossen, sodass es schwierig ist, an Stempel für den Pilgerpass zu kommen. Lediglich die 1717 fertig gestellte evangelische Dreifaltigkeitskirche lädt zu einem Besuch ein. Und der lohnt sich tatsächlich, ist doch das Gotteshaus im Gegensatz zu vielen eher schlicht gehaltenen evangelischen Kirchen mit sehenswerten farbigen Malereien und einer prächtigen Orgel ausgestattet. Schließlich erreiche ich die Maximilianstraße mit der großen Pilgerstatue und den Kaiser- und Mariendom. Meinen heutigen Stempel bekomme ich in der Dominformation. Danach verweile ich noch etwas im Dom und komme ein wenig zur Ruhe. Es wäre jetzt ein leichtes, umzukehren und in die nur paar Schritte bis zu meiner Unterkunft zu gehen, aber ich habe noch rund 10 Kilometer bis Reilingen vor mir. Mit dem Überqueren des Rheins mittels der Salierbrücke verlasse ich Rheinland-Pfalz und befinde mich ab sofort in Baden-Württemberg. Dort erwartet mich ein einsamer Abschnitt neben auf einem Fahrradweg - auch auf der B39 nebenan ist nicht viel los. Jetzt befinde ich mich in umgekehrter Richtung auf dem Jakobsweg von Rothenburg o.d.T. nach Speyer. Hin und wieder entdecke ich auch einmal eine Muschelmarkierung, wenn ich mich umdrehe. Irgendwann beginnt es wieder zu tröpfeln und der Schirm wird erneut in Position gebracht. Als nächstes folgen Altlußheim und Neulußheim, die praktisch ineinander übergehen und sich sehr in die Länge ziehen. Vor der evangelischen Kirche in Neulußheim sind die 1949 aus Stahl gegossenen Glocken platziert, die 2009 durch neue Bronzeglocken ersetzt wurden. Hinter dem Friedhof von Neulußheim zweige ich endlich von der Straße ab und gehe durch weitläufige Felder, auf denen Rollrasen gepflanzt wird. Darauf haben sich Scharen von Nilgänsen breitgemacht und schnattern um die Wette. Es dauert jetzt noch eine gute halbe Stunde, bis ich an der von mir ausgesuchten Bushaltestelle am Reilinger Rathaus ankomme. Ich bin so zeitig da, dass ich schon deutlich früher als geplant einen Bus nach Speyer bekomme. Der hält auch schon zwei Minuten später vor meiner Nase und bringt mich zunächst zur Salierbrücke, die aktuell für den Durchgangsverkehr wegen Sanierungsarbeiten gesperrt ist. Hier steige ich in einen Kleinbus um, für den eine Fahrspur freigehalten wird und der zwischen Brücke und Domplatz pendelt - eine gute Idee, um den Transportbedarf auf die jeweils andere Rheinseite sicherzustellen. So bin ich schon um 15:00 Uhr im La Grotta und mache mich in aller Ruhe frisch. Anschließend kaufe ich noch mein Frühstück für den morgigen Tag ein und schlendere noch etwas durch das Zentrum von Speyer. Zur Belohnung für die heutigen 27 km habe ich mir eigentlich ein Eis verdient, das ich mir in der etwas versteckt liegenden Eismanufaktur in der Korngasse hole - kann ich nur empfehlen. Bis zum Abendessen ruhe ich mich noch etwas aus. Gegen 19:00 Uhr gehe ich nach unten ins Restaurant, nehme aber wegen des angenehmen Wetters an einem Tisch im Innenhof Platz. Ich komme mit der Eigentümerin ins Gespräch, das sich in sehr angenehmer Weise über das ganze Essen hinzieht. Ich entscheide mich für Polpo auf Salat, selbstgemachte Ravioli und zum Dessert ein traumhaftes Erdbeertiramisu. Dazu genieße ich einen Montepulciano, von dem ich eine ganze Flasche auf den Tisch bekomme, aber nur das Getrunkene bezahlen muss. Das gute Essen war die Krönung des Tages, frisch, schmackhaft und sättigend. Währenddessen treffen drei junge Leute, die eindeutig als Jakobspilger zu erkennen sind. Sie kommen gerade aus Neustadt und laufen auf dem Pfälzer Jakobsweg nach Hornbach. Kurz darauf bezahle ich und ziehe mich auf mein Zimmer zurück, denn morgen früh möchte ich bereits zeitig das Haus verlassen, da am späten Vormittag schlechtes Wetter angesagt ist.
Von Reilingen nach Ubstadt (17. Juni 2020) Erneut hatte ich eine unruhige Nacht. Im tiefsten Schlummer war weit entfernt ein leises Klopfen zu hören, das mich zunächst aber nicht beeindruckte. Als es sich aber ständig wiederholte war es mit dem Tiefschlaf vorbei - meine Uhr zeigte 1:00 Uhr an. Ich quälte mich aus dem Bett und schlurfte zur Tür, die ich langsam öffnete. Vor mir stand ein italienischer Gast in Unterwäsche auf dem Flur, den ich gestern bereits im Haus gesehen hatte. Er erklärte mir, dass er auf der Toilette war, seine Zimmertür angelehnt hatte und diese nun verschlossen sei. Und der Schlüssel befand sich im Zimmer. Er versuchte es mit meinem Schlüssel was natürlich scheiterte. Mir war eigentlich sofort klar, dass in einem Beherbergungsbetrieb ein Schlüssel nicht auf mehrere Zimmer passen würde. Ich gab ihm mein Handy und er telefonierte mit den Eigentümern, die ihn wohl kurz darauf aus seiner misslichen Lage befreiten. Nachdem er sich mehrfach bei mir bedankte hatte, legte ich mich wieder ins Bett und schließ anscheinend bald ein. Eigentlich wollte ich erst um 6:35 Uhr die Unterkunft verlassen, doch ich bin schon deutlich früher fertig, dass es fast eine Stunde früher wird. Ich wollte grundsätzlich rechtzeitig auf den Weg, da für den Vormittag ein Gewitter angekündigt ist. Dieses ist inzwischen auf die Abendstunden verschoben worden - umso besser für mich. Draußen ist es angenehm kühl und über mir zeigt sich ein blauer Himmel mit leichter Bewölkung. Es geht zunächst durch die jetzt menschenleere Maximilianstraße bis zum Domplatz, wo bereits der kleine Shuttlebus zur anderen Rheinseite wartet. Von dort steige ich einen größeren Linienbus um und steige in Reilingen um 6:40 Uhr an der Rathaus-Haltestelle aus. Das erste Stück Weg über 13 km folgt noch immer noch dem Jakobsweg Rothenburg - Speyer rückwärts bis Malsch. Nach einer guten Dreiviertelstunde und zwei Laugenstangen zum Frühstück treffe ich in St. Leon ein. Einen hier vorhandenen Stempel kann ich mir leider nicht abholen, dafür bin ich einfach zu früh dran. Die Wegführung ging, wie in den beiden vergangen Tagen, überwiegend auf asphaltieren Wirtschafts- und Radwegen an Ackerland vorbei und am Naherholungsgebiet Sankt Leoner See mit einem großen Campingplatz. Hin und wieder erblicke ich die Muschelschilder vom Jakobsweg nach Speyer und freue mich darauf, wenn ich mich auch nach den blauen Schilden orientieren kann. Am Ortsausgang sollte ich eigentlich nach rechts unter der A5 hindurchlaufen, doch da ist aktuell reger Betrieb an einer Großbaustelle. Also muss ich weiter geradeaus durch den Stadtteil Rot gehen, bis ich wieder auf den Weg stoßen werde. Auf dem nächsten Kilometer werde ich von einem älteren Fahrradfahrer begleitet, der mir in der kurzen Zeit sein Leben erzählt. Es dauert noch eine Weile, bis ich Rot durchquert habe und wieder in die Natur eintauche. Am Wagnersee überquere ich die L546, kurz darauf in einem Waldstück die Trasse der Schnellfahrstrecke Mannheim - Stuttgart. Auf letzterer Brücke kann man in beide Richtungen unendlich geradeaus in die Ferne sehen. Danach werde ich durch eine Allee mit Obstbäumen geleitet, die allesamt mit einem grünen Schild versehen sind: „Pflück mich“. Würde ich gerne machen, aber die Zeit für Äpfel ist noch nicht gekommen und für die wenigen Kirschen bin ich anscheinend zu spät. Eine Hand voll süßer Kirschen ergattere ich dann doch noch, und die schmecken wirklich lecker. Schließlich komme ich an die B3, die ich einmal quer kreuzen muss, um dann nach wenigen Schritten nach rechts in Richtung Malschenberg abzubiegen. Anscheinend ist das Flachland meiner Pilgertour nun vorüber, denn hier erwartet mich nach 11 km Strecke und einer ersten kurzen Pause ein heftiger Anstieg im Ort. Eigentlich wäre es ja für mich Pflicht gewesen, der katholischen Pfarrkirche St. Wolfgang einen Besuch abzustatten, aber beim Anblick der modernen Architektur und dem gerade ansteigenden Weg hatte ich dazu wirklich keine Lust. Am Ende des Berges zweigt der immer noch geteerte Weg nach rechts in die Weinberge ab, wo ich einen tollen Ausblick in das Kraichgau und meinem nächsten Zielort Malsch habe. Die Letzenbergkapelle rechts oberhalb von mir lasse ich außen vor, dafür komme ich an einer kleinen Rochus-Kapelle vorbei. Es geht jetzt nur noch abwärts nach Malsch, wo ich an der Pfarrkirche St. Johanna um 9:40 Uhr eintreffe. Gerade beginnt im Chorraum ein Gottesdienst mit gerade einmal vier Gläubigen, da will ich eigentlich nicht stören. Ich überlege es mir aber anders und stelle meinen Rucksack in einer Bank in der Mitte der Kirche ab und setze mich hin. Es ist eine gute Gelegenheit, für das bisher Erlebte zu danken und für einen weiterhin guten Weg zu beten. Der Gottesdienst dauert nicht lange, und zu meiner Überraschung kommt Pater John zur Kommunion zu mir in das Kirchenschiff. Nach der Messe frage ich nach dem Pilgerstempel, der eigentlich hier ausliegen soll. Daraus ergibt sich ein kurzes Gespräch mit den Damen und Herren, die natürlich wissen wollen, was mich nach Malsch führt. Dabei bietet mir Herr Hill an, mich zum Stempel zu bringen: zur Letzenbergkapelle! Dazu bekam ich eine kleine Führung mit allen wichtigen Informationen wie Baugeschichte, Stifter und Freiluftgottesdienste. Vielen Dank dafür. Wieder zurück an der Kirche konnte ich um 10:50 Uhr den Badischen Jakobsweg beginnen. Die erste Muschel war direkt am Beginn angebracht. Es geht zunächst abwärts an einem Tierpark vorbei. Wenn man oben blickt, kann man mehrere Storchenpaare mit ihrem Nachwuchs beobachten. Danach laufe ich um einen Segelflugplatz herum und bin erstaunt, denn unter meinen Füßen ist kein Asphalt mehr. Ich bin froh über den weichen Waldboden, muss jetzt aber gut aufpassen, denn es mangelt an Markierungszeichen. Stattdessen verweigert mir eine Sperre das Fortkommen - Baumfällarbeiten, Lebensgefahr. Ich suche mir auf meinem Handy eine Ausweichroute, auf der ich bald wieder auf den Jakobsweg komme. In der Folge fehlen mir an Kreuzungen oder Gabelungen immer wieder Markierungszeichen, sodass ich ständig auf meine GPS-Daten zurückgreifen muss. Das habe ich mir bei einem neu markierten Weg anders vorgestellt. Inzwischen ziehen zur Mittagszeit vermehrt Wolken auf und es wird schwüler. Hinter dem Waldstück folgt wieder ein Wirtschaftsweg bis nach Bad Schönborn, das ich durch das Kurviertel durchquere. Gerade will ich die Stadt verlassen, erreiche ich auf dem markierten Weg einen Sportplatz, wo es nicht weitergeht. Ich hätte rund 300 m vorher nach links abbiegen müssen - leider fehlte die entsprechende Markierung. Mittlerweile habe ich verstanden, dass der Badische Jakobsweg weitgehend dem mit einem roten Querbalken gekennzeichneten Weitwanderweg Odenwald - Vogesen folgt. Daran werde ich mich ab sofort zusätzlich orientieren. Ich bewege mich weiter auf harten Untergrund mit wechselnden Höhen durch Ackerland, streife das Örtchen Zeutern und erreiche gegen 14:00 Uhr mein Tagesziel, den Bahnhof von Ubstadt. Da habe ich wieder einmal Glück gehabt, denn nur wenige Minuten später kann ich in die S-Bahn nach Karlsruhe einsteigen. Für die nächsten drei Nächte habe ich mein Domizil im preiswerten Hostel Kaiserpassage mitten in Karlsruhe gebucht, das ein wenig das Flair einer Pilgerherberge hat - natürlich alles im Rahmen der strengen Corona-Vorgaben. Da die Rezeption erst um 16:00 Uhr verfügbar ist, laufe ich noch ein wenig über die Kaiserallee und erkunde Einkaufsmöglichkeiten. Ich bekomme ein 6-Bett-Zimmer, das noch mit einer weiteren Person belegt ist. Diese lerne ich kurz darauf kennen, es der Äthiopier Abdilhadir, der sehr gut Deutsch spricht und bereits die halbe Welt gesehen hat. Jeder hat in dem Zimmer einen abschließbaren Schrank und der Zugang zum Hostel und zum Zimmer ist durch Codes gesichert. Es ist hier sehr sauber - vor allem die sanitären Einrichtungen machen einen guten Eindruck. Ich glaube, das war eine gute Wahl. Als erstes wasche ich meine durchgeschwitzte Wäsche und hänge sie am Nachbarspind zum Trocknen auf, danach stehe ich selbst unter der Dusche. Besonders gefreut habe ich mich über den Besuch von meinem Pilgerbruder Jörg, der zurzeit in Karlsruhe tätig ist. Wir hatten uns im Vorfeld schon verabredet und sind nach längerer Suche in unmittelbarer Nähe des Hostels im Oxford Pub eingekehrt. Es wurde ein kurzweiliger Abend bei leckerem Burger, Bier und Cider.
Von Ubstadt nach Grötzingen (18. Juni 2020) Eine innere Unruhe hat mich schon früh gegen 6:00 Uhr wach werden lassen. Es hat keinen Zweck, mich noch einmal umzudrehen, also mache ich mich in aller Ruhe fertig. Und in aller Ruhe heißt tatsächlich, wie es da steht. Schließlich bin ich nicht alleine im Zimmer und möchte Abdilhadir nicht unnötig aus dem Schlaf reißen. Da habe auch bereits genügend eigene Erfahrungen, wenn Pilger im Schlafsaal völlig rücksichtslos und lärmend in der Früh ihre Sachen zusammenpacken. Gestern Abend habe ich schon alles vorbereitet, sodass ich nur den Rucksack und ein paar Kleinigkeiten greifen muss. Den Rest erledige ich in der Küche, die zu dieser Zeit noch nicht genutzt wird. Ich nehme heute auch nur das Notwendigste mit und bin erfreut über das geringe Gewicht auf meinem Rücken. Außerdem ist heute Sandalentag. Da meine Füße, wie eigentlich immer nach zwei oder drei Tagen auf Pilgerschaft, mit großen und kleinen roten Flecken versehen sind, will ich ihnen etwas mehr Freiheit geben. Meine Keen Trekking-Sandalen kennen sie bereits aus der Vergangenheit, sind also kein Neuland. Selbst auf verschiedenstem Untergrund, der zunächst überwiegend aus Asphalt, später aber auch mal über längere Abschnitte im schattigen Wald aus angenehm weichem Boden bestehen sollte. Zur Sicherheit habe ich meine Wanderhalbschuhe dabei. Auf dem Weg zur Haltestelle kaufe ich mir noch zwei belegte Brötchen und erwarte die Ankunft der S-Bahn nach Durlach, wo ich umsteigen muss. Zu meiner Freude kommt schon deutlich früher ein Zug, in den ich natürlich dankend einsteige. Nach einiger Zeit ertönt die Ansage, dass hier an der Endstation bitte alle aussteigen sollen. Ich bin verwundert, merke aber dann doch rasch, dass ich statt mit der S1 mit die STR1 gefahren bin - der Straßenbahn. Ich fahre also wieder zwei Stationen zurück und bin dann fußläufig nur zwei Minuten vom Bahnhof Durlach entfernt. Kurz darauf fährt mein Anschlusszug nach Ubstadt ein, wo ich gegen 8:00 Uhr mit der heutigen Etappe beginne. Mit dem Wetter bin ich zufrieden - blauer Himmel mit vereinzelten Wolken und eine angenehme Temperatur sorgen für gute Laune. Nach gut 2,5 km beginnen die Lücken in der Markierung und zweimal wäre ich völlig verkehrt gelaufen, wenn ich nicht rechtzeitig auf meine GPS-Tracks geschaut hätte. An vielen Kreuzungen fehlt einfach die Muschel zur Orientierung. Dreimal weicht der Track von der Markierung ab, wobei ich dann doch der gelben Muschel folge. Ansonsten orientiere ich mich weiterhin an dem roten Balken des Weitwanderweges Odenwald - Vogesen. Kurz vor Bruchsal erreiche ich den Projektgarten Heubühl. Dahinter steckt ein Verein mit dem Motto „Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern.“ Ins Auge fällt zunächst ein überdimensional große Insektenhotel und ein Heilpflanzengarten. Daneben widmet man sich auch weiteren Themen des Umwelt- und Artenschutzes wie Erhalt des Bienenbestandes in Bruchsal. Außerdem werden für Kindergärten und Schulen Besuche vor Ort mit einem bunten Programm in der Natur angeboten. Noch in Gedanken über dieses tolle Projekt schlendere ich an der Justizvollzugsanstalt vorbei, die einer mittelalterlichen Burg ähnelt. Kurz darauf erreiche ich über den Stadtgarten das Bruchsaler Schloss, dass ab dem frühen 18. Jahrhundert als Residenz der Speyerer Fürstbischöfe errichtet wurde. Viele Kirchen und Pfarrämter sind wegen der Pandemie immer noch geschlossen. Eine Ausnahme bildet Bruchsal, die katholische Pfarrkirche St. Vinzenz steht offen für einen Besuch. Gegenüber im Pfarrbüro bekomme ich sogar noch einen Stempel. Davon habe ich jetzt vier - für jeden Tag einen. Das hört sich wenig an,ist es auch. Ich sehe das aber total entspannt, Stempel sind nicht das Wesentliche beim Pilgern. Ich verlasse Bruchsal und finde erst außerhalb der Stadt wieder meine geliebten blau-gelben Wegweiser. Nach eine längeren Stück entlang der Bahntrasse bin ich froh, dass es nun endlich in den Wald geht. Dort erwarten mich schmale Pfade und weicher Boden, aber auch ein paar Höhenmeter - rund 480 sollen es heute in der Summe werden. An einer Schafweide habe ich einen schönen Blick in die Ferne. Am Horizont zeichnen sich die Erhebungen des Pfälzer Waldes deutlich vom Himmel ab. Gegen 11:30 Uhr erreiche ich Untergrombach und muss über eine lange Treppe in die Höhe steigen. Mitten in der Treppenanlage erblicke ich eine Plattform mit einer Bank, die mich eindringlich zur Mittagspause auffordert. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen und nehme mit Blick auf die Pfarrkirche St. Cosmas und Damian für eine gute halbe Stunde Platz. Nach etwas über einer Stunde Fußmarsch komme ich nach Weingarten und habe von einer höher liegenden Terrasse einen schönen Blick auf das geistliche Ensemble der Stadt. Unmittelbar unter mir und in trauter Nachbarschaft stehen die katholische und evangelische Kirche nebeneinander. Nur einen Steinwurf davon entfernt existierte bis zur Zerstörung im Jahre 1938 auch noch eine jüdische Synagoge. Ich mache gerade ein Foto, da höre ich hinter mir mit weiblicher Stimme ein „Buen Camino“. Ein kurzer Smalltalk mit der Dame löste bei ihr wohl Sehnsucht nach dem Camino aus. Sie meint zum Abschied, sie müsse sich auch mal wieder auf den Weg begeben. Es gibt also doch Pilger hier in der Region. Ich hatte schon Bedenken. Zum Ende der Etappe gibt es noch ein paar Höhenmeter hinauf durch Weinberge und runter an Ackerland vorbei bis zum Tagesziel Grötzingen. Unterwegs komme ich immer wieder an frei stehenden Kirschbäumen vorbei, die ich gerne von ihrer Last befreie. Gegen 15:00 Uhr erreiche ich Grötzingen und werde auf dem Weg zum Bahnhof von einem Eisstand angelockt. Da sage ich nicht nein, nach 27 Kilometern habe ich mir ein Eis verdient. Die S-Bahn fährt hier im 10-Minuten-Takt, sodass ich zuerst in aller Ruhe die Tagesbelohnung vernichten kann. Von Grötzingen dauert die Fahrt nach Karlsruhe lediglich zwanzig Minuten, sodass ich frühzeitig in meiner Unterkunft bin. Am Abend bleibt die Küche kalt, ich besorge mir im nahegelegenen Supermarkt nur eine Kleinigkeit und Wasser für den morgigen Tag.
Von Grötzingen nach Waldprechtsweiher (19. Juni 2020) Ich laufe heute noch einmal mit Sandalen an den Füßen und nehme erneut nur das Nötigste mit auf den Weg. Schon früh um 6:40 Uhr mache ich mich auf zur S-Bahn-Station und kaufe mir in der selben Bäckerei wie gestern die gleichen Brötchen - die waren lecker! Die Anreise zum Startpunkt ist die kürzeste von allen Tagen und um 7:15 Uhr bin ich schon in Bewegung. Zum Aufwärmen geht es steil aufwärts, dass ich nur langsam voran komme und die Gelegenheit nutze, mein Frühstück zu vertilgen. Nach gut zwei Kilometern verliere ich die Muschelwegweiser aus dem Blick und verlasse mich auf die von der Website „deutsche-jakobswege.de“ heruntergeladenen GPS-Track. Leider fehlen genau der Stelle Markierungen - ärgerlich. Mich begleiten weiterhin die roten Zeichen des Weitwanderweges Odenwald - Vogesen, während durch die bewohnten Randzonen von Durlach laufe. Von hier aus blicke ich an einem Aussichtpunkt noch einmla zurück und entdecke dabei auf einer Erhebung den Turmberg mit seinem markanten Turm auf der Spitze. Auf den Vogesen-Weg kann ich mich in einem folgenden Waldstück nicht mehr stützen, denn der Weg lässt mich in Richtung Westen im Stich. Dafür mehren sich jetzt die Schilder des Schönstatt-Pilgerweges, der sein Ende in Vallendar nahe meines Wohnortes Koblenz findet. Heute scheint der Wurm drin zu sein, wieer verpasse ich einen Abzweig, komme aber bald wieder auf meine eigentliche Route. Ich durchlaufe Hohenwettersbach und Grünwettersbach, mache kurz dahinter nahe eines Funkturmes nach knapp zwei Stunden Marsch eine erste kleine Rastpause. Ich wundere mich, dass ich immer noch keine Muschelmarkierungen finde und suche auf meinem Handy eine Mail heraus, in der mir vor ein par Wochen Gottfried Wiedemer von der Badischen Jakobusgesellschaft eine Wegbeschreibung geschickt hatte. Blöderweise habe ich mir diese Datei nicht abgespeichert. Zum Glück finde ich die Mail noch im Papierkorb und stelle fest, dass mein Track nicht mit der eigentlichen Route übereinstimmt. Ergebnis: ich bin ab dem Durlacher Schützenhaus anders als vorgesehen gelaufen, hätte über den Turmberg gehen müssen. Dafür habe ich unwissentlich ein paar Kilometer abgekürzt. Na ja, in Ettlingen ist wieder alles gut, der Himmel lichtet sich und die Sonne kommt hervor. So gut sogar, dass ich in der evangelischen Johanneskirche einen Stempel bekomme und danach noch Zugang zur katholischen Pfarrkirche St. Martin erhalte, die gerade saniert wird. Die letzten 12 km nach Waldprechtsweiher führen mich unspektakulär durch Waldstücke und die Sonne läßt sich am Nachmittag auch deutlich häufiger sehen. Schade, dass auf diesem Weg zur Zeit keine anderen Pilger unterwegs sind. Dieser zweite Sandalentag ist ein typischer Tag, um Kilometer zu machen und erscheint mir am Ende dementsprechend unaufgeregt. Zwar stehen am Ende rund 600 Höhenmeter zu Buche, die meinem Befinden nach aber gut zu bewältigen waren. Trotz meines Navigationsfehlers gibt es an markanten Stellen nur wenige Markierungen, sodass ich den Weg immer wieder kontrollieren muss. Gegen 14:00 Uhr komme ich in der kleine Ortschaft Waldprechtsweiher an und koste beim Betreten von einem einzelnen Kirschbaum - leckere, zuckersüße Kirschen. Ich bin wieder so rechtzeitig am Ziel, dass ich nur ein paar Minuten auf den nächsten Bus warten muss, mit dem ich nach Ettlingen zurückfahre. Von dort komme ich mit der S-Bahn nach Karlsruhe, bin aber heute rund fünfzig Minuten unterwegs. Den Abend lasse ich in Ruhe ausklingen, und richte mich schon einmal auf den morgigen Tag ein, an dem ich wieder mit vollem Gepäck unterwegs sein werde. Es wird auf dem Badischen Jakobsweg vorerst der letzte Pilgertag sein.
Von Waldprechtsweiher nach Lichtenthal (20. Juni 2020) Der heutige Samstag bildet den Abschluss meiner Corona-Ersatz-Pilgertour. Ich mache mich wieder einmal früh auf den Weg, verlasse gegen 7:30 Uhr möglichst geräuscharm mein Zimmer und das Hostel. Niemand außer mir scheint schon auf den Beinen zu sein. Es ist etwas Eile angesagt, denn in zwölf Minuten fährt meine S-Bahn nach Ettlingen ab. Zum Glück sind es nur ein paar Schritte bis zur Haltestelle. Mir bleibt sogar noch Zeit, wie bereits gestern, ein kleines Frühstück für unterwegs zu kaufen. In Ettlingen steige ich in den Bus um, der mich nach Waldprechtsweiher bringt, wo ich kurz nach 9:00 Uhr ankomme. Heute ist der Himmel noch stark bewölkt und nur vereinzelt lugt ein wenig blaue Farbe hervor. Zunächst geht es wieder einen guten Kilometer durch das Dorf bis zu dem Punkt, an dem ich gestern aufgehört habe. Ich bediene mich noch an den Kirschbäumen, die den Weg säumen - lecker. Nach 500 Metern summt mein Fon und ich werde durch meinen Provider in Frankreich begrüßt. Mir war gar nicht bewusst, dass ich bereits soweit westlich gelandet bin. Oder spielt man mir da einen Streich? Inzwischen ist es aufgeklart und über mir zeigt sich der Tag jetzt mit strahlend blauem Himmel und Sonnenschein von seiner besten Seite. Es geht wieder überwiegend durch Wald und ich vernehme das Zwitschern unzähliger unsichtbarer Vögel, das Plätschern eines Baches und das Rauschen der Blätter im leichten Wind. Ist das nicht schön? Kurzerhand werden die Schuhe gewechselt, der nun wieder etwas leichtere Rucksack geschultert und der Trekkingschirm in Position gebracht. Darin habe ich jetzt Übung. Nach einer weiteren halben Stunde ist der Spuk schon wieder vorbei und die Sonne kehr noch kräftiger zurück als vorher. Dafür ist die Beschaffenheit der Strecke heute sehr angenehm - bis Gaggenau geht es fast nur durch Wald. Unterwegs treffe ich auf eine Stele, die mit einer blauen Kachel mit Santiago-Symbolen verziert ist. Gegen High Noon erreiche ich zur Halbzeit der Etappe Gaggenau und fülle in einem Supermarkt meine Wasservorräte auf, denn nun beginnt der beschwerlichste Abschnitt des Tages, wenn nicht sogar der ganzen Woche. Auf der Murg-Brücke zeigt mir ein Pilger aus Stahl den richtigen Weg, dem ich bereitwillig folge. Die evangelische Kirche, die tagsüber geöffnet ist, wird in dem Augenblick vor meinen Augen geschlossen - Pech gehabt. Und dann geht es aufwärts: zuerst entlang einer Straße, dann auf breiten Waldwegen. Es folgt der von mir so getaufte Engelsweg: an einem Wegstück sind am Rand in Wurzeln, Baumstümpfen und Hangnischen verschiedenste Engelfiguren platziert. Zur Krönung muss ich einen schmalen Singletrail durch einen steilen Hang hochsteigen. Nebenbei ist die Sonne voll präsent und sorgt für die wärmsten Stunden der Woche. Schließlich erreiche ich das Gasthaus Wolfsschlucht auf dem höchsten Punkt - es gehört schon zu Baden-Baden. Nun geht es nur noch abwärts mit zum Teil schönen Ausblicken von der Höhe. Ich komme an einem großen Insektenhotel vorbei, das ich mir neugierig anschaue. Weiterhin passiere ich die Talstation der Merkurbahn, ein Wildgehege und die Marienkapelle in den Weinbergen. Lediglich ein paar Kurven trennen mich noch von der Abtei Lichtenthal, die ich gegen 15:00 Uhr erreiche. Im Hof der Zisterziensierinnenabtei, insbesondere im Bereich des Abteicafés ist reger Betrieb. An der Klosterpforte hole ich mir zunächst einen Stempel ab und besichtige die Abteikirche, die ganz im Gegensatz zu dem lauten Treiben auf dem Hof eine Oase der Ruhe darstellt. Das passt jetzt in dem Moment ganz gut zum Herunterkommen. Ich nutze die Zeit und setze mich eine Weile in einer Bank und lasse die letzten Tage noch einmal Revue passieren. Zur rechten Zeit gehe ich zum Café und finde einen einzelnen freien Platz. Nach 163 Kilometern von Worms nach Baden-Baden gönne ich mir ein Stück Schwarzwälder Torte und eine heiße Schokolade, die mir sehr munden. Inzwischen habe ich mein Zeitgefühl verloren und stelle fest, dass ich mich langsam um den Transfer zum Bahnhof kümmern muss. Zum Glück fährt schon in wenigen Minuten ein Bus direkt vor der Abtei. Zu Fuß müsste ich noch eine gute Stunde laufen, das schenke ich mir, denn kurz nach 17:00 Uhr fährt mein Zug bereits in Richtung Heimat. Irgendwann kehre ich zurück nach Lichtenthal und setze meinen Weg über Strasbourg nach Le Puy fort.
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