Als Wanderer losgegangen, als Pilger zurück gekommen

Für heute Abend steht ein Vortrag in Andernach auf dem Programm. Franz Blaeser erzählt im Hotel „Am Stadion“ über seine Erlebnisse auf dem Weg von Miesenheim nach Santiago de Compostela. Der Vortrag beginnt um 19.00 Uhr, bis nach Andernach ist es nicht sehr weit, das schaffe ich in 15 Minuten mit dem Auto. Ich finde den Veranstaltungsort relativ schnell, es sitzen auch schon einige Zuhörer in der eher kleinen Gaststube an zwei langen Tischreihen. Im Laufe der nächsten Minuten trudeln weitere Leute in, es werden schließlich um die sechzig sein. Ich selbst scheine den Altersdurchschnitt der Gesellschaft mit meinen vergleichsweise weniger Lebensjahren etwas zu senken. Schade, dass nicht mehr junge Leute hier sind, sich für das Thema Jakobsweg und Pilgern interessieren.

Zum Einstieg gibt uns Franz Blaeser einen ersten Eindruck vom Jakobsweg, zitiert aus der Andernacher Volkszeitung vom 7. Juli 1920. Schon damals wurde über Jakobsbrüder berichtet, die zum Überleben um Almosen baten und diese auch erhielten. Es folgt ein kurzer geschichtlicher Abriss des Jakobuskultes. Nach einem kurzen Film, der die Zuhörer in die richtige Stimmung versetzt, erzählt er uns als erstes, wie es überhaupt zu der Idee Jakobsweg kam. Im Rahmen einer Weinprobe im Jahre 2001 eröffnete er dem anwesenden Kreis, dass er sich im kommenden Jahr auf den Jakobsweg begeben würde. Während einer Weinprobe lässt man sicherlich auch mal unbedacht den einen oder anderen Spruch los, so auch Alexander Göddertz. Dieser stieß in das gleiche Horn, bekundete spontan seine Solidarität und erklärte sich bereit, mitzugehen. Ein paar Tage später wurde das Vorhaben noch einmal bekräftigt und schließlich besiegelt.

Es folgte eine akribische Vorbereitung, sowohl planerisch als auch körperlich. Karten wurden besorgt, Pilgerführer für die deutschen Wegabschnitte gab es zu dieser Zeit  noch kaum. Man lernte Pilger aus Oberwesel kennen, traf sich und bekam zahlreiche gute Hinweise. Es standen schließlich zwei Tourenvarianten zur Auswahl: über Trier oder über die Rheinschiene und Strasbourg. Da die Oberweseler Pilger letztere Route gelaufen sind, entschied man sich für diese. So wurde tatsächlich 2002 die große Fußreise begonnen. Innerhalb von neunzehn Tagen wurden 563 Kilometer zurückgelegt. Dabei liefen die beiden über Boppard, Oberwesel, Rheinhessen, Speyer, Strasbourg und Colmar. Ab da ging es wieder über Basel und Karlsruhe zurück nach Hause.

Ein Jahr später machten sich die beiden an Christi Himmelfahrt wieder auf dem gleichen Wege mit dem Zug zum Beginn der zweiten großen Etappe bis nach Le Puy. Sie liefen dort tagelang an Kanälen entlang und durch wunderschöne Landschaften. Manchmal wurden sie mittags einfach mal so zum Essen eingeladen, was sie aber zunächst ablehnten. Erst mit der Zeit lernten sie dazu, dass die Leute das von Herzen anboten. So lernten sie viele hilfsbereite und freundliche Menschen kennen. Unterkünfte besorgten sie sich meist über die Gemeindeverwaltungen, Polizei, Postämter, aber auch Metzgereien oder Bäcker. Dabei kamen sie auch einmal in einem umgebauten Schlösschen mitten in einem Wald unter, mit Duschen und warmem Wasser, das man nicht jeden Tag vorfand. Wiederum nach neunzehn Tagen und dieses Mal 522 Kilometern endete das Pilgerjahr 2003. Zurück ging es wieder mit dem Zug.

Zum Start der nächsten Jahresetappe 2004 wurde mit dem Flugzeug angereist. Vom Flughafen Hahn flogen sie zunächst nach London und St. Etienne, weiter ging es mit dem Zug nach Le Puy. Dort nahmen sie in der Kathedrale an einer Pilgermesse teil, die in mehreren Sprachen gehalten wurde. Stationen auf dem Weg waren Aubrac und Conques. Unterwegs lernten sie Herrmann aus Belgien kennen, der ohne Unterbrechung nach Santiago unterwegs war. Von ihm lernten sie: „Am siebten Tag sollst du ruhen.“ Sie nutzen dieses Mal auch Campingplätze zur Übernachtung, fanden dort kleine Zelte, große Zelte oder auch einmal einen Wohnwagen vor. Während eines Vortrages in Deutschland lernten sie einen Pilger aus Köln kennen. Dieser wurde einmal total durchnässt in Frankreich von einer Dame für eine Nacht aufgenommen und konnte vor dem Kamin schlafen. Er gab den beiden einen Zettel mit einem Dank für die Wohltäterin mit, da sie durch diese Region laufen würden. Wie aber findet man mitten Frankreich eine unbekannte Frau? Mit Hilfe eines Französisch sprechenden Luxemburgers im Restaurant „Relais de St. Jaques“. Dieser griff sich einfach den Zettel und befragte die Wirtin. Es stellte sich heraus, dass diese der Tochter der Gesuchten war. So etwas kann einem nur auf dem Jakobsweg passieren. Der Rückflug gestaltete sich etwas abenteuerlich. Das Flugzeug hatte in Biarritz Verspätung, sodass der Check-In in London bereits abgeschlossen war. Und eine bestimmte Billigfluglinie nimmt das sehr genau. Nach einigem Hin und Her bekamen die beiden doch noch einen Flug, mussten aber auf dem Flughafen übernachten. Am nächsten Tag ging es dann endlich nach Hause.

Es wird nun eine kurze Pause eingelegt. Die Zuhörer haben die Möglichkeit, neue Getränke zu ordern, oder sich einmal den vollgepackten Rucksack von Franz Blaeser auf den Rücken zu schnallen. Der letzte Teil der Erzählung, die durch zahlreiche Bilder unterlegt wird, handelt von der Jahresetappe 2005. Sowohl Franz Blaeser als auch Alexander Göddertz gingen in den ersten Monaten des Jahres in Altersteilzeit und hatten demnach ausreichend Zeit, den letzten Abschnitt komplett zu pilgern. Auf dem Weg zum Startort machten sie noch einen Abstecher nach Lourdes, wo sie aber nur eine Nacht blieben. Dann ging es noch drei Tage durch Frankreich, bevor die Überquerung der Pyrenäen anstand. Weiter ging es auf dem Camino Francés mit seinen unterschiedlichsten Pilgerunterkünften. Vom Zusammenbruch eines Bettes bis zu tropfenden Decken oder Schlafen auf felsigem Untergrund in Hanglage wurde so ziemlich alles erlebt. Aber auch das Miteinander der Pilger auf dem langen Weg wurde intensiv vollzogen. Nach einem Tag in Santiago, das am 4. Juni 2005 erreicht wurde, gingen beide noch drei weitere Tage bis ans Ende der Welt nach Finisterra, wo sie einen wunderschönen Sonnenuntergang erlebten. In Santiago wurden sie von Alexander Göddertz´ Frau und Tochter abgeholt und blieben noch zwei Tage vor Ort, um sich alles in Ruhe noch einmal anzusehen. Danach ging es dann über London mit dem Flugzeug zurück nach Hahn.

Zum Abschluss der Veranstaltung erzählt Franz Blaeser noch ein wenig über den Eifel-Camino und erhält schließlich einen lang anhaltenden verdienten Applaus. Ich denke, dass viele der Zuhörer, so wie ich selbst, von der Erzählung gebannt wurden. Ein solcher Vortrag weckt in mir Sehnsüchte, dann möchte ich am liebsten meinen Rucksack packen und loslaufen. Mit einem Gefühl der inneren Ruhe fahre ich wieder nach Hause und freue mich auch meine nächste Pilgertour.