Du findest den Weg nur, wenn du dich auf den Weg machst
Auf einem Tisch liegen zur Ansicht verschiedenste Bücher über den Jakobsweg bereit, darunter auch Pilgerführer, eine Jakobswegbibel und ein reichlich bestückter Pilgerpass von Gerhard Hillen, einem der heutigen Vortragenden. Als ich den Pilgerpass interessiert betrachte, spricht mich Karl-Heinz Maxein an, der zweite Vortragende und Vorsitzender der Kolpingsfamilie Gladbach. Er erzählt mir, dass sein Pilgerpass mit weiteren Erinnerungen auf der Rückfahrt mit dem Zug mit einem Gepäckstück verloren gegangen ist. Das ist natürlich sehr ärgerlich, wenn mit vielen Erinnerungen verbundene Gegenstände verloren sind.
Pünktlich um 19.30 Uhr geht es dann los. Die Idee, den Jakobsweg zu gehen entstand bereits im Jahre 1998, als drei Familien zum Urlaub in Portugal verweilten und einen Ausflug nach Santiago de Compostela durchführten. Die Planungen wurden konkreter, man wollte zunächst in Südfrankreich starten. Schließlich sollte dann doch der Start in Gladbach erfolgen, zumal bereits 1996 die ersten Etappen über 230 Kilometer per Fahrrad zur Heilig Rock-Wallfahrt in Trier erfolgreich hinter sich gebracht wurden. So ergab es sich, dass der eigentliche Startschuss im September 2001 in Trier erfolgte, das Ziel Santiago sollte dann in jährlichen Etappen erreicht werden.
Der Vortrag gliedert sich nun in zwei Abschnitte. Zunächst berichtet Karl-Heinz Maxein mit vielen Fotos über seine Erlebnisse, die ihn und seine Mitpilger ab Trier quer durch Frankreich bis nach Puerte la Reina führten. Anschließend beschreibt Gerhard Hillen den von ihm und seiner Frau beschrittenen Aragonesischen Weg ab Jaca.
Eine detaillierte Planung wurde nicht gemacht, man wollte den Weg mit einfachen Mitteln anpacken. Da wo die Gruppe am Abend ankam, wollte man auch bleiben. Obwohl ohne erkennbare Pilgerzeichen wie Jakobsmuschel oder Pilgerstab und „nur“ mit Rucksack ausgerüstet, wurden die Teilnehmer bereits in Trier angesprochen: „Ach, ihr wollt wohl nach Santiago!“ Die nächsten Stationen waren Konz, Rehlingen (wo man an der Jakobus-Kapelle von einem älteren Herrn gleich einen Stempel für den Pilgerpass bekam), Schengen, Metz und Toul. Hier endete die erste große Etappe und wurde im Folgejahr von dort auch fortgesetzt. Die Strecke führte über Neufchateau, Langré, Dijon bis nach Beaune. Kurz vor Dijon landete man ermüdet nach einem beschwerlichen Aufstieg in einem kleinen Dörfchen mit 91 Einwohnern. Eine Frau wurde nach Unterkunftsmöglichkeiten befragt, aber es gab einfach keine. Sie hatte aber die Idee, beim Bürgermeister nachzufragen, ob sie denn in der Mairie (Bürgermeisteramt oder Gemeindehaus) auf dem Holzboden übernachten könnten. Diese Nachricht verbreitete sich wohl sehr schnell in dem Dorf, denn auf einmal wurden Matratzen gebracht, sodass die Nacht doch noch mehr oder weniger bequem verbracht werden konnte. Dazu gab es noch ein leckeres Omelette und Wein, später sogar noch Champagner. Interessant auch die Inhalte der Schränke in der „Schlafstube“: jeweils 91 Porzellangedecke.
In den beiden folgenden Jahren erfolgte die Pilgerschaft sowohl per Fahrrad als auch teilweise zu Fuß. Die Transfers wurden mit Autos durchgeführt, mit denen die Räder bequem transportiert werden konnten. So wurden 2003 auf dem Weg nach Beaune noch Taizé und Cluny besucht, bevor mit dem Rad bis Le Puy gepilgert wurde. Im Jahr darauf sollte der Kurs auf die Pyrenäen gerichtet sein, wo dann Conques mit seiner wunderschönen romanischen Klosterkirche Sainte-Foy Etappenziel war. An einem regnerischen Tag musste die Gruppe einmal wegen mangelnder Unterkünfte in einem großen Rundzelt übernachten, dass intensiv nach Ponyhof roch, innen jedoch mit reizenden Holzmalereien und einer angenehmen Ausstattung aufwartete. Auch im kommenden Jahr 2005 auf dem Weg nach Saint-Jean-Pied-de-Port musste man hin und wieder in Gemeindehallen auf Bühnen schlafen. Einmal gab es so gut wie keine Einkaufsmöglichkeit. Hilfe kam von einer Kindergruppe, die von einem Tagesausflug zurück kehrte und noch übrig gebliebene Verpflegungsbeutel zur Verfügung stellte. Ein Jahr später sollte der Abschnitt Saint-Jean-Pied-de-Port bis Puente la Reina unter die Füße genommen werden. Unterwegs freundete man sich mit einem deutschen Musikstudenten an, der eine kleine Wandertrompete mitführte. In Pamplona wollte man noch kurz vor Schließung die Kathedrale besichtigen, erhielt aber von den Damen an der Kasse keinen Einlass mehr. Man überzeugte sie dann aber doch noch, wenigstens in den Kreuzgang gehen zu dürfen. Dort spielte der Student einige Lieder auf seinem Instrumente und rührte die Damen letztendlich zu Tränen. Unterwegs luden sogar zwei in der Landschaft herumstehende Ledersessel zu einer erholsamen Pause ein, bevor man das Ziel Puente la Reina erreichte.
Nach einer kurzen Pause erzählt jetzt Gerhard Hillen, dokumentiert mit unzähligen Bildern, von seiner Reise. Er begann im Juni 2009 mit seiner Frau in Jaca und folgte dem Aragonesischen Weg bis nach Puente la Reina. Zunächst reisten die beiden mit dem Flugzeug nach Barcelona und erreichten mit dem Bus Jaca. Bevor es aber richtig losging, wollten sie zunächst einen Ausflug zum Kloster San Salvador de Leyre aus dem 9. Jahrhundert unternehmen. Erst am zweiten Tag ging es über die Pyrenäen, bei einer Kälte von annähernd null Grad und Schnee. Unterwegs besuchte sie das Kloster San Juan de la Pena aus dem 10. Jahrhundert, das eindrucksvoll in den Fels gebaut wurde. Über Arrés und Eunate ging es weiter nach Puente la Reina, wo sie auf den Camino Francés trafen. Weitere Stationen ihres ersten Teiles des Jakobsweges waren Irache mit dem berühmten Weinbrunnen, Logrono, Najera (die Stadt der Störche), Santo Domingo de la Calzada (Hühnerwunder) und Burgos. Immer wieder besuchten beide auch die örtlichen Pilgermessen, die jedoch nur sehr überschaubar besucht waren, einmal waren sie sogar alleine. Danach ging es über Santander mit dem Flugzeug wieder zurück in die Heimat, um den hochsommerlichen Temperaturen Nordspaniens im August auszuweichen.
Zwei Monate später im September ging es dann ab Fromista weiter. Statt zwanzig Kilometer an der Autobahn entlang zu gehen, wurde dann auch einmal ein Taxi genutzt. Als Ausgleich sind die beiden dann aber hin und wieder zusätzliche Strecken gelaufen. Über Leon und Astorga gelangten sie nach Castrillo de los Polvozares, einem wunderschön restaurierten Dörfchen mit Flair. Hier erhielten die beiden auch Unterkunft, jedoch war die Dusche defekt. Als Trost gab es beim Abendessen zusätzlich einen leckeren Tomatensalat, danach wurde noch eine Schlachtplatte, eine Kohlsuppe mit Kichererbsen, eine Nudelsuppe, ein Likör und ein Schnaps sowie abschließend ein Kaffee gereicht, welch lukullische Reihenfolge. Eine weitere Besonderheit war die Pilgerherberge in Molinaseca, wo die Betten im Freien, jedoch überdacht platziert waren. Anstatt eines weiteren längeren Wegstückes entlang eine stark befahrenen Straße wählten beide den etwas schwierigeren, aber landschaftlich reizvolleren Camino Duro. Unterwegs machten sie ein Foto von auf einen Stein geschriebenen, beeindruckenden Botschaft eines drogenabhängigen Vaters an seine Familie und Freunde. Schließlich kamen sie wohlbehalten in Santiago de Compostela an und trafen dort auch die Gruppe um Karl-Heinz Maxein. Beim Gottesdienst in der Kathedrale wurden sie sogar Zeuge beim Schwenken des Botafumeiros, dem größten Weihrauchfass der Welt.
Lang anhaltender Applaus des Publikums würdigt nach fast zweieinhalb Stunden kurzweiligem Vortrag die Ausführungen der Herren Maxein und Hillen, und der ist auch verdient. Beide haben ihre doch sehr unterschiedlichen Erlebnisse auf eine erfrischende Weise transportiert, trotz der Dauer war es nie langweilig und man wartete gespannt auf das nächste Bild oder die nächste Geschichte. Und davon gab es reichlich. Für eine weitere halbe Stunde beantworten sie noch Fragen der Zuhörer, von denen auch schon einige den Jakobsweg gegangen sind. Aus Gesprächen erfahre ich, dass einige, so wie ich, noch etappenweise unterwegs sind. Auf dem Heimweg erhoffe ich demnächst besseres Wetter, damit der nächste Abschnitt bepilgert werden kann.