Ralf Elenz: Ich war dann auch mal weg
In der Zeitung wurde es schon vor einiger Zeit angekündigt, heute soll ein Vortrag über die Erlebnisse eines Pilgers auf dem Jakobsweg in der St. Barbara-Kirche in Braubach stattfinden. Für mich dieses Mal fast ein Heimspiel, liegt Braubach doch nur zehn Autominuten von meiner Haustür entfernt. Also mache ich mich rechtzeitig auf den Weg, finde recht schnell einen Parkplatz in Braubach. Bis zur Kirche sind es nur wenige hundert Meter.
Am Eingang begrüßt der Vortragende, Ralf Elenz aus Braubach, die Gäste. Die Kirche ist bereits gut gefüllt, es sollen dann letztendlich alle ca. 160 Plätze belegt sein. Die St. Barbara-Kirche selbst ist ein wirkliches Kleinod. Sie wurde Ende des 13. Jahrhunderts errichtet unmittelbar an der Stadtmauer errichtet, wobei deren Nordwest-Eckturm zum Glockenturm umgebaut wurde. Bis 1526 war sie die Pfarrkirche der katholischen, danach bis 1901 der evangelischen Gemeinde. Einige Jahre zuvor entschloss man sich, auch aufgrund der Lage im Hochwassergebiet, eine neue Kirche zu bauen. So wechselten die Nutzungszwecke zwischen Wahllokal, Turnsaal, Kino, Lager, aber auch als Gemeindesaal. Ende der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde die Kirche im Einklang mit der historischen Substanz und unter Berücksichtigung denkmalpflegerischer Gesichtspunkte zum Gemeindezentrum umgebaut. Besonders fallen die kunstvoll gestalteten geschnitzten Holzsäulen mit wunderschönen Ornamenten der Emporen sowie die erhaltenen Wandmalereien auf.
Als Hausherrin begrüßt Frau Pfarrerin Silke Funk die Zuhörerschaft. Sie fragt zunächst, wer denn das Buch von Hape Kerkeling gelesen hat, und so gut wie alle Hände erheben sich. Bei der nächsten Frage, wer denn schon einmal auf einem Jakobsweg gepilgert ist, reduziert sich die Anzahl auf vier oder fünf. Das sind beste Voraussetzungen, um Informationen und Hintergründe sowie persönliche Erlebnisse zu vermitteln. Somit hat Ralf Elenz es einfach, in seinen einleitenden Worten über die Person des Jakobus, die Legenden zur Entstehung des Jakobuskultes sowie einer Skizzierung der unterschiedlichen Wege quer durch Europa zu berichten. Abschließend stellt er grafisch statistische Erhebungen zu den Pilgern nach Santiago de Compostela aus dem Jahr 2008 dar.
Dann steigt der Referent in seine eigene Pilgerfahrt ein. Ein Arbeitskollege brachte ihn Anfang 2007 durch seinen eigenen Plan nach Santiago zu pilgern zu dem Entschluss. So ergab sich nach einer Planungsphase unter Abwägung von Urlaub und anderen Verpflichtungen eine reine Gehzeit von vierzehn Tagen. Im Schnitt wurden 25 Kilometer pro Tag berechnet, sodass als Startort Leon ausgewählt wurde. Die Strecke von 329 Kilometern sollte dann im September 2008 in Angriff genommen werden. Nach weiteren Vorbereitungen erfolgte die Flugbuchung und die konkrete Routenplanung, die endgültige Tagesetappen von 12 bis 33 Kilometer enthielt. Als nächstes, galt es die Ausrüstung vorzubereiten. Nach Zusammenstellung der Packliste ergab sich ein Gesamtgewicht von ungefähr elf Kilogramm, ohne die Körperbekleidung, Verpflegung und Wasser. Am 6. September erfolgte der Flug vom Flughafen Hahn nach Santiago, doch erst am nächsten Tag ging es zum Startort nach Leon, den er nach rund sechs Stunden Bahnfahrt erreichte. Trotz zweier Pilgerführer suchte er dort anderthalb Stunden nach dem Benediktinerkloster, seiner ersten Unterkunft.
Ralf Elenz liest immer wieder aus seinen Aufzeichnungen vor, lässt auch einmal mittelalterlicher Pilgerlieder von CD spielen und zeigt unzählige aussagekräftige Photos von Kirchen, Städten und Landschaften. Gerade in den Pilgerunterkünften ereignen sich immer wieder Geschichten, von denen erzählt werden muss. Doch vorweg sollte das Publikum die Augen schließen, um dann recht unsanft mittels dem Rascheln einer Plastiktüte oder dem Öffnen eines Klettverschlusses aus der Ruhe gerissen zu werden. Wenn man sich jetzt noch intensives Schnarchen dazu vorstellt, hat man eine ungefähre Vorstellung der Geräuschkulisse der Pilgerunterkünfte. Hinzu kamen dann noch Störungen durch spät heimkehrende, angetrunkene oder aufgeregt erzählende, rücksichtslose Pilger. Erst in der vierten Nacht holte Ralf Elenz Oropax aus seinem Gepäck und verbrachte eine ruhige Nacht.
Viele Augenpaare richten sich auf die Leinwand, alle sind konzentriert bei der Sache. In den Redepausen tritt eine angenehme Stille ein, man könnte wirklich eine Nadel auf den Boden fallen hören. In regelmäßigen Abständen stört ein vorbeifahrender Zug, die Barbarakirche liegt unmittelbar an der Bahntrasse.
Dann der Schock wenige Kilometer vor Astorga: die gut eingelaufenen Wanderschuhe begannen sich aufzulösen, die Sohlen wollten sich vom Rest der Schuhe verabschieden. Da blieb dem Pilger nichts anderes übrig, als neue Schuhe zu kaufen, was allerdings kein Problem darstellte. Die Frage war nur: wie kommen meine Füße mit nagelneuen Schuhen zurecht. Für die letzten zwölf Tage fand der Braubacher Anschluss und pilgerte mit einem 64-jährigen Niederländer und zwei jungen Studentinnen aus Chemnitz. Diese Gruppe erlebte einiges auf ihrem Weg zum Pilgerzentrum nach Santiago, vor allem immer wieder in den Pilgerherbergen. So entpuppte sich ein 4-Bett-Zimmer nach einigem Suchen als ein Durchgangsflur. Die Betten standen unmittelbar neben dem WC und der Dusche für die Männer.
Ihre Mahlzeiten bereiteten sich die Pilger überwiegend in den Herbergen zu, die oftmals komplette Kücheneinrichtungen hatten. So kam es aber auch vor, dass verschiedenste Leute auf wenigen Kochplatten die unterschiedlichsten Gerichte nebeneinander her zauberten. So war es keine Seltenheit, dass neben Fisch oder Fleisch eine Reispfanne oder Spaghetti garten. Kurios war auch einmal der Einkauf von Hackfleisch für Frikadellen in einem Supermarkt. Auf einem mindesten fünfzig Jahre alten Metzgerblock wurde das Fleisch zerkleinert, anschließend durch den Fleischwolf gedreht. Das Gewicht des Fleisches von 1340 Gramm wurde auf die Papiertüte geschrieben. Die Kassiererin verlangte dann tatsächlich 13,40 Euro – teure Frikadellen. Dies tat jedoch der guten Stimmung in der Gruppe keinen Abbruch - im Gegenteil, die Euphorie schwappte mit zunehmender Dauer richtig über, sodass zwischendurch sogar Weihnachtslieder gesungen wurden. Warum - das wusste keiner so recht.
Am 22. September erreichte Ralf Elenz mit seinen Begleitern Santiago de Compostela. Die Freude über das Erreichte war riesengroß, aber gleichzeitig stieg wie bei vielen anderen Pilgern auch eine gewisse Leere in den Kopf. Das Ziel war erreicht, wie sollte es nun weitergehen. Zunächst holte er sich aber im Pilgerbüro seine Pilgerurkunde ab und anschließend ging es direkt zur Pilgermesse. „Wer einmal dabei war, will immer wieder hin“, so sein Gedanke. Es folgte die Verabschiedung von den Weggefährten, eine letzte Übernachtung im Priesterseminar und schließlich am folgenden Tag der Rückflug nach Deutschland.
Lang anhaltender Applaus bescheinigt dem Vortragenden, dass seine Ausführungen die Zuhörer positiv betroffen gemacht haben. Ralf Elenz hat seine Erlebnisse gut verpackt dargestellt, auch wenn er sich abschließend entschuldigt, kein geübter Redner zu sein, und ihm „hin und wieder ein Kloß im Hals steckte“. Allein das zeigt mir, dass er immer noch von seinem Pilgerweg im vergangenen Jahr ergriffen ist und seine Erinnerung tief aus dem Herzen kommt.
Ich fahre wieder nach Hause. Es war ein toller Vortrag, fast zweieinhalb Stunden, mit vielen Impulsen versehen. Tief in mir bewegt sich etwas, zieht mich wieder raus auf den Weg. Ich muss bald wieder den Rucksack umschnallen und ein weiteres Stück in Richtung Santiago laufen.