„Wir war´n dann mal weg“ oder Don Camillo und Peppone auf dem Jakobsweg
Mittwoch, 3. Dezember 2008, es ist kalt und ich fahre nach Dachsenhausen, einem kleinen Dorf auf den Höhen zwischen Braubach und Bad Ems. Aus der Zeitung hatte ich erfahren, dass die evangelische Kirchengemeinde und der Ortsverband des Sozialverbandes VDK Deutschland e.V. zu einem Vortrag über den Jakobsweg eingeladen hatten. Die Veranstaltung sollte in der evangelichen Kirche stattfinden.
Mit zunehmender Fahrdauer erkenne ich in der Dunkelheit immer mehr zusammenhängende weissen Flächen, hier liegt noch richtig viel Schnee. Nun heisst es, die Kirche zu finden. Ich halte Ausschau nach einem Kirchturm, den ich nach zweimaligem Wendemanöver auf der Hauptstraße auch entdecke. Ich parke mein Auto in einer Seitenstraße, stelle fest, dass ich direkt vor der Kirche stehe.
Ich betrete die Kirche und bin überrascht über den hellen und großzügigen Kirchenraum, in dem sich allerdings nur wenige Menschen tummeln. Aber ich bin ja auch eine halbe Stunde zu früh da, suche mir einen Platz in der zweiten Reihe.
Die evangelische Kirche in Dachsenhausen wurde in den Jahren 1834 und 1835 im spätklassizistischen Stil erbaut. Dieses neue Gebäude ersetzte eine kleinere baufällig gewordene Kirche aus vorreformatorischer Zeit. Sie stand auf der Ostseite des wuchtigen Turmes, der 1712 errichtet worden war und bis heute 33 m hoch aufragt. An seiner Ostseite kann man heute noch sehr gut den Rundbogen erkennen, der den Turm mit dem alten Kirchlein verband. Das Innere der heutigen Kirche wurde im Lauf der Zeit mehrmals umgestaltet. Die Farben und die Ausmalung wechselten. Das jetzige helle, freundliche Aussehen erhielt die Kirche bei einer Renovierung im Jahr 1978. Die Farben entsprechen dem klassizistischen Stil der Erbauung.
Nun füllt sich die Kirche doch noch und ist kurz vor Beginn des Vortrages sehr gut gefüllt, ich schätze, dass cirka einhundert Zuhörer gespannt auf den Vortrag warten. Pünktlich begrüßt nun der Vorsitzende des Ortsvereines die Gäste und stellt die beiden Referenten vor. Hierbei handelt es sich um Vikar Patrick Mittermüller aus Kottenheim bei Mayen und Friedhelm Münch, dem Ortsvorsteher von Löhndorf (einem Stadtteil von Sinzig). Als Kulisse haben die beiden auf einem Tisch Literatur zum Jakobsweg ausgestellt, auch persönliche Andenken und Devotionalien wie Rucksack, Wanderschuhe, Pilgerstab, Pilgerhut, Jakobsmuscheln, aber auch ihre Pilgerausweise und ihre Compostela oder einen Wegweiserstein sind dabei.
Kennengelernt haben sich die beiden in der Bibliothek im Kloster Maria Laach. Der eher kleine Friedhelm Münch stolperte über die Beine des 1,92 m-Mannes Mittermüller. Hieraus entstand eine tiefe Freundschaft, die schließlich nach einigem hin und her in der Planung und Durchführung für den Weg nach Santiago de Compostela ihren Höhepunkt erlebte.
Bereits im Herbst 2006 erwarben die beiden Wanderschuhe, die dann in regelmäßigen Wanderungen eingelaufen wurden. Die Pilgerreise begann dann im Juni des folgenden Jahres. Ab dem Flughafen Hahn reiste man mit dem Billigflieger nach Santiago, um dann die rund 300 Kilometer zum Startpunkt des Weges nach Leon zurück zu fahren.
Mittermüller und Münch erzählen nun im Wechsel von ihren Erlebnissen. Sie berichten so lebendig und auch humorvoll, dass der Zuhörer schnell eingebunden ist und immer gieriger nach neuen Details des Weges wird. Da wird von einem Pilgerhut erzählt, der von Münch jeden Tag mit einer anderen Pflanze bestückt wird, später nehmen ihm dies freundschaftlich verbundene Pilger ab. Auch die Vergabe von Namen für andere Pilger wird durch die beiden gepflegt, aber auch sie selbst sind davon betroffen. Es hatte sich anscheinend herumgesprochen, welchem Beruf die beiden nachgehen, sodass sie selbst als Don Camillo und Peppone „umgetauft“ wurden.
Ergreifend sind die Ausführungen über erlebte „Pilgerwunder“. So die Geschichte von dem braunen Tuch von Gisela. Diese hatte das Tuch in Gerolstein extra für ihre Pilgerschaft erworben, hatte es unterwegs verloren. Friedhelm Münch fand es unterwegs und nahm es bis zur nächsten Herberge mit und konnte es der glücklichen Dame wieder überreichen. Auf einem steileren Abschnitt hatte sie dann zum Dank das Tuch mit Obst bestückt an einem Baum aufgehängt, in der Hoffnung die beiden Vortragenden würden es erkennen, sich stärken und wieder mitnehmen. Jedoch übersahen sie das Tuch und es schien verloren. Am nächsten Morgen hatte es ein Unbekannter direkt vor der Herberge aufgehängt.
Über ein weiteres Pilgerwunder berichtete der Vikar. Nachdem sie sich nur über eine Portion Pansen als Mahlzeit „freuen“ konnten, diese aber fast unangerührt stehen liessen, klingelten sie vor lauter Hunger an der Pforte einer „Residenz“. Hierbei handelte es sich um ein Seniorenheim, in dem sie sehr gastfreundlich aufgenommen wurden. Obwohl die Küche bereits geschlossen hatte, wurden sie mit den Resten des Mittagessens fürstlich verwöhnt. Ein älterer Herr gesellte sich zu ihnen, man kam ins Gespräch. Der Herr wollte ihre Pilgerausweise sehen und zückte einen Bleistift. Zunächst skeptisch, ließen sie ihn aber gewähren. Er zeichnete in den Pilgerausweis einen Pilgerstempel und signierte diesen. Später kam er mit einem Bildband mit Gemälden zurück, und es stellte sich heraus, dass der ältere Herr der Künstler dieser Werke persönlich war. Diese Pilgerstempel werden sicherlich eine Rarität sein, die nicht jeder Pilger sein eigene nennen kann. Zum Dank an die Küche sangen die beiden Pilger das „Salve Regina“, das Friedhelm Münch auf dem bisherigen Weg gelernt hatte.
Die Zeit verfliegt, nun werden zur Untermalung auch optische Reize gesetzt, sprich es folgt eine kleine Diashow. Neben herrlichen Naturlandschaften werden auch Bilder der einzelnen Stationen gezeigt, die ihren Höhepunkt vor der Kathedrale in Santiago haben. Nach fast zwei emotionalen Stunden und wahrscheinlich nur einigen Auszügen aus den umfangreichen Erlebnissen endet der Vortrag mit einer Gesangseinlage als Dank an die Zuhörer, natürlich dem Salve Regina. Vikar Mittermüller spricht mit der Zuhörerschaft noch ein Gebet, das nicht nur zur Adventszeit passt, sondern auch für jedermanns persönlichen „Weg“. Den endgültigen Abschluss begeht man wiederum gemeinsam, mit dem Lied „Großer Gott wir loben dich“.
Ich fahre wieder nach Hause, bin noch ganz ergriffen von den Eindrücken. Ich freue mich schon heute auf meine nächste Etappe auf dem Lahn-Camino.