Via Lemovicensis 2023
Datum | Strecke | Länge | Gesamtlänge | |
1. | 08.07.2023 | La Souterraine - Marsac (Les Rivailles) | 29 km |
29 km |
2. | 09.07.2023 |
Marsac (Les Rivailles) - Les Billanges | 22 km |
51 km |
3. | 10.07.2023 |
Les Billanges - Saint-Léonard de Noblat | 20 km |
71 km |
4. | 11.07.2023 | Saint-Léonard de Noblat - Limoges | 23 km |
104 km |
5. | 12.07.2023 | Limoges - Flavignac | 28 km |
132 km |
6. | 13.07.2023 | Flavignac - Bussière-Galant - (La Coquille) | 18 km |
150 km |
7. | 14.07.2023 | La Coquille - Thiviers | 18 km |
168 km |
8. | 15.07.2023 | Thiviers - Sorges | 18 km |
186 km |
9. | 16.07.2023 | Sorges - Périgieux | 24 km |
210 km |
10. | 17.07.2023 | Périgieux - Saint-Astier | 24 km |
234 km |
11. | 18.07.2023 | Saint-Astier - Mussidan | 26 km |
260 km |
12. | 19.07.2023 | Mussidan - Sainte-Foy-la-Grande | 34 km |
294 km |
13. | 20.07.2023 | Sainte-Foy-la-Grande - Saint-Ferme | 29 km |
323 km |
14. | 21.07.2023 | Saint-Ferme - La Réole | 20 km | 343 km |
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Anreise zur Via Lemovicensis Teil 2 Freitag, 7. Juli 2023: Koblenz - Mainz - Mannheim - Paris - La Souterraine Die Via Lemovicensis oder auch Voie Historique de Vézelay Teil 2 steht vor der Tür, heute geht es los. Nach einer wie immer vor einem besonderen Ereignis unruhigen Nacht bin ich vor meinem gestellten Wecker schon um kurz nach 5:00 Uhr auf den Beinen. Ein kleines Frühstück und ein letzter prüfender Blick auf mein Gepäck bestimmen die letzen Minuten zu Hause, bis Susanne mich zum Bahnhof bringt. Dort trifft mein ICE nach Mainz mit einer geringen Verspätung ein, die unterwegs wegen einer Baustelle kurz vor Bingen noch größer wird. Ich bekomme zu meinem Schrecken kurz vor Mainz bereits angezeigt, dass ich dort meinen Anschlusszug nach Mannheim voraussichtlich nicht erreichen werde. Das fängt ja wieder gut an. Aber auch der Zug hat einige Minuten Verspätung, und so verbringe ich lediglich fünf Minuten auf dem Bahnsteig, bis der ICE nach Mannheim einfährt, wo ich mich mit Jörg treffen werde. Ich sitze auf meinem reservierten Platz und bin jetzt sehr entspannt, da wir den ICE nach Paris auf keinen Fall verpassen werden. Jörg meldet sich gerademit einer Nachricht, auch sein Zug wird mit Verspätung in Mannheim eintreffen. Wir haben beide zum Glück einen ausreichenden Puffer eingebaut, damit wir den für uns wirklich wichtigen Zug nach Paris erreichen können. Ich habe vorgestern sogar noch einmal umgebucht, da mir das Zeitfenster zwischen den einzelnen Verbindungen zu klein war: alles richtig gemacht. Wir kommen letztendlich beide fast zur gleichen Zeit in Mannheim an und haben jetzt eine gute Stunde Zeit bis zur Abfahrt nach Paris. Diese nutzen wirum für die lange Fahrt noch etwas Verpflegung einkaufen. Auf dem Bahnsteig ist bereits einiges los und überrascht sehen wir dort schon den ersten gelben Pfeil aufgemalt - wir sind also auf der richtigen Fährte unterwegs. Für die Hinreise haben wir uns für Plätze in der 1. Klasse entschieden, da diese nur marginal teurer waren, und warum soll man sich nicht ein wenig Bequemlichkeit gönnen. Gemütlich tuckert der Zug über Kaiserslautern und Saarbrücken in Richtung Frankreich. Dann spürt man deutlich, dass wir die deutsch-französische Grenze hinter uns gelassen haben, denn der Zug nimmt nach einem Tempo von 148 km/h in Deutschland merklich Fahrt auf und erreicht eine Spitzengeschwindigkeit von 317 km/h. Gegen 13:00 Uhr treffen wir in der französischen Hauptstadt am Gare de l‘Est ein und stellen uns zunächst in die lange Schlange vor den Ticketautomaten für die Metro. Das möchten wir in zwei Wochen nicht noch einmal haben und so kaufen wir gleich für die Rückreise zwei zusätzliche Tickets mit. Nachdem wir das unterirdische Labyrinth besiegt und die Station der Linie 5 gefunden haben, fahren wir direkt mit der Metro acht Stationen bis zum Gare d‘Austerlitz. Dort müssen wir noch eine gute halbe Stunde warten, bis uns der Bahnsteig auf der elektronischen Anzeigetafel verkündet wird. Unser Wagen mit der 1. Klasse befindet sich im vorderen Bereich des Intercités. Wir laufen nach der Ticketkontrolle auf dem Bahnsteig gefühlt einen Kilometer, bis wir den Wagen 15 erreichen. Pünktlich um 14:40 setzt sich der Zug mit dem Zielbahnhof Toulouse in Bewegung. Unterwegs halten wir lediglich an vier weiteren Bahnhöfen und erreichen mit etwas Verspätung um 17:40 Uhr La Souterraine. Als erstes schauen wir bei der direkt am Bahnhof gelegenen Tourist-Info vorbei. Leider gibt es dort keinen Pilgerstempel mehr, sodass wir uns auf den Weg zu unserer Unterkunft „La Caucher du Soleil“ machen. Dort werden wir von Pieter, einem belgischen Pilger, empfangen. Er zeigt uns schon einmal das Haus, unsere Gastgeberin Claudine Moncuit wird erst später erscheinen. Es gibt neun Betten in drei Räumen und alles hat den Charme einer gemütlichen Pilgerherberge mit Garten. Es scheint ein guter Beginn unserer diesjährigen Pilgertour zu sein. Außer uns drei Männern ist auch noch die Französin Anne-Isabel aus der Nähe von Paris heute zu Gast.
Gefühlt der wärmste Tag - und das auf französischen Straßen Samstag, 8. Juli 2020: Von La Souterraine nach Marsac (Les Riveilles) - 29,6 km Nach einer angenehmen Nachtruhe wachen wir gegen 6:30 Uhr auf und freuen uns bereits auf das Frühstück, das Claudine im Erdgeschoss zubereitet hat. Es gibt vieles aus ihrem eigenen Garten und schmeckt hervorragend. Gestern Abend hat sie uns noch einen Pilgerstempel in die Ausweise gemalt, jeder hat jetzt einen ganz individuellen. Auch Anne-Isabel und kurz darauf Pieter gesellen sich zu uns. Um 8:00 Uhr sind wir abmarschbereit und Pieter macht für uns noch ein Erinnerungsfoto. Zunächst besorgen wir uns in einer Bäckerei noch ein paar Flaschen Wasser für unterwegs, damit wir bei den zu erwartenden Temperaturen nicht verdursten. Wir laufen zunächst auf der D10, wo uns öfter ein paar rasant fahrende Autos begegnen. In St. Priest la Feuille finden wir zu unserer Überraschung in der Église Saint-Laurent im Eingangsbereich einen Pilgerstempel. Kurz hinter der Ortschaft verlassen wir die D10 und gehen auf einer kleinen Nebenstraße bis zum Weiler Le Bec weiter. Nach jetzt zwei Stunden und rund 9 Kilometern machen wir eine erste Pause. Das wollen wir eigentlich so in den nächsten Tagen beibehalten. Rund 15 Minuten später sind wir wieder unterwegs durch Wiesen und Weiden. Straße und Waldweg, Sonne und Schatten sind im Wechsel unsere Begleiter. An einem See treffen wir Anne-Isabel, die gerade ihre Socken gewechselt hat. Wir haben hier die Hälfte unseres heutigen Tagespensums geschafft, sie hat nur noch 7 Kilometer bis zu ihrem Ziel Bénévent l’Abbaye. Auch in der Église St. Martial in Chamborand sehen wir sie noch einmal, bevor sich unsere Wege zumindest für heute trennen. Nach einer weiteren Strecke stoßen wir an einer Kreuzung auf eine gesperrte Straße, der wir nach unserer digitalen Karte eigentlich folgen sollten, die Wegweiser zeigen allerdings nach links. Wir ignorieren dann letztlich doch die Absperrung und vermeiden dadurch einen Umweg. Kurz darauf erreichen wir an einem See eine Sperre auf der Straße, die aber mühelos umgangen werden kann und wohl auch schon aufgrund der vorhandenen Fuß- und Fahrradspuren mehrfach genutzt wurde. Bereits nach hundert Metern endet der gesperrte Abschnitt. Der Grund für die Sperrung erschließt sich uns nicht und so kommen wir zu der Erkenntnis, wieder einmal alles richtig gemacht zu haben. Gegen 13:00 Uhr und nach circa 19 Kilometern wird es Zeit für eine weitere Pause. Vor uns breitet sich eine bunte Landschaft aus, wo ein Fuchs durch eine Wiese schleicht. Die Pause hat gut getan, das Hemd ist wieder trocken und wir sind voller Tatendrang für die letzten zehn Kilometer. Aber zunächst erwartet uns ein steiler Anstieg, bevor wir nach Bénévent l‘Abbaye kommen. Wir weichen etwas vom Weg ab, weil wir zur Église Saint-Barthélémy möchten, einer romanischen Kirche aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Warum die offiziellen Routen oftmals nicht an den Kirchen entlang führen, ist mir ein Rätsel. Zumal wir in der ehemaligen Abteikirche auch einen Pilgerstempel vorfinden. Es geht weiter - überwiegend auf Asphalt. Am Ortsende kaufen wir in einem Supermarkt so reichlich Wasser ein, dass jeder zusätzliche drei Kilo im Rucksack mitschleppen muss. Zum Ende des Tages durchqueren wir Marsac und finden auch hier eine offene Kirche vor, dieses Mal allerdings ohne Stempel. Das letzte Stück Weg hat es noch einmal in sich, denn es geht auf einer Landstraße beständig bergauf - und das bei inzwischen 30 Grad - bis wir unser Ziel erreichen: das Chambres d'hôtes La Balade. Dort werden wir von Ruudt begrüßt und zuerst einmal zu einem Bier eingeladen. Das tut gut, denn wir sind heute wirklich geschlaucht von der Streckenlänge und den hohen Temperaturen. Nach einem Gespräch, bei dem jeder den anderen kennenlernt, zeigt er uns unser Zimmer - alles bestens, wir fühlen uns wohl. Es folgt das übliche Abendritual: Körperpflege und Wäsche waschen, heute mit der Waschmaschine, was für ein Luxus. Gegen 19:00 Uhr verschwindet Rudi in der Küche und ich reserviere unsere Betten für morgen. Zunächst bekomme ich eine Absage, da es sich um eine Pilgerunterkunft handele. Ich hatte wohl nicht erzählt, dass Jörg und ich Pilger seien. Nachdem ich mich für meine schlechtes Französisch entschuldige, beginnt meine Gesprächspartnerin auf Deutsch mit mir zu reden. Irgendwie hat sie wohl gemerkt, mit welchem Landsmann sie es zu tun hat. Auf jeden Fall können wir morgen ab 16:00 Uhr die Unterkunft beziehen. Inzwischen ist Rudi mit dem Kochen fertig, es gibt Tomatensuppe, Salat und Gemüselasagne - und das alle superlecker. Morgen werden wir in Ruhe frühstücken, ein angekündigtes Gewitter abwarten und dann losmarschieren.
Die Hitze macht uns fertig Sonntag, 9. Juli 2023: Von Marsac (Les Riveilles) nach Les Billanges - 22,3 km Ein tiefer Schlaf hat gut getan, ich fühle mich von den gestrigen Strapazen doch recht gut erholt. Erst kurz vor dem geplanten Frühstück sind wir aufgestanden, begleitet von einem leichten Grollen aus der Höhe. Es wird gleich ein Gewitter über uns herziehen, das aber um 9:00 Uhr einen Abmarsch erlauben soll. Zunächst aber genießen wir mit Rudi ein gutes Frühstück. Währenddessen wird der Wind stärker, die Blätter an den Bäumen tanzen aufgeregt umher und es kühlt merklich ab. Dann beginnt es zu regnen und es ist ein einzelner Blitz zu sehen. Schon nach wenigen Minuten ist die Vorstellung bereits vorüber. Es wird nun Zeit, dass wir die Rucksäcke verpacken und uns für den Abmarsch bereit machen. Es wird dann doch 9:40 Uhr, bis wir uns von Rudi und einer inzwischen dazugekommenen Freundin verabschieden. Übrigens hat er unsere Pilgerpässe wie auch Claudine am Vortag mit einem selbst gemalten Stempel versehen – sehr spät am Abend, wie er uns versichert. Der Abend sollte dann noch einige Überraschungen für uns bereit halten. Zum Essen brachte Françoise ihre deutschstämmige Mutter mit. Mit ihren 95 Jahren hat sie schon ein stolzes Alter erreicht, wirkt aber nicht mehr ganz so fit. Der Clou aber ist, dass sie im Koblenzer Stadtteil Lützel geboren wurde. Und dann kam der große Auftritt von Jörg: er pflückte draußen eine duftende Blume und überreichte diese der alten Dame. Ihr ewiger Dank wird mit ihm sein. Wir durften dann noch der Geschichte lauschen, wie sie ihren Mann, einen französischen Offizier kennenlernte. Ich werde nach meiner Rückkehr ihr früheres Wohnhaus und die Straße fotografieren und zuschicken. Als besonderes Bonbon erlebten wir noch ein kleines exklusives Konzert: Françoise spielte uns ein selbstgeschriebenes Camino-Lied auf der Gitarre. Einer Übersetzungs-App zauberte daraus eine wunderschöne deutsche Version, die ich zu Hause noch etwas verfeinern werde und ihr zur Verfügung stelle. Jörg und ich sind begeistert, der Aufenthalt hier ist wieder so ein typisches Camino-Erlebnis. Dank dem Universum dafür. Das Lied kann man sich HIER anhören, den Text dazu inklusive der Übersetzung findet man HIER.
Für die Tour zu später, für die Herberge pünktlich Montag, 10. Juli 20123: Von Les Billanges nach Saint-Léonard de Noblat - 20,4 km Heute steht mit rund 19 Kilometern die bisher kürzeste Etappe an. Wir stehen gegen 6:00 Uhr auf und Jörg deckt mit dem vorbereiteten Frühstück den Tisch im Aufenthaltsraum. Bis wir dann endlich fertig sind, wird es 7:45 Uhr. Die Verzögerung geht auf meine Kappe, da ich noch in den gestrigen Blogeintrag das von Jörg aufgenommene Lied von Francoise eingebaut habe. Die ersten 5 Kilometer kommen wir auf der D29 gut voran und erreichen nach noch nicht einer Stunde die Pont du Dognon über den Fluss Taurion. Dabei sind wir etwas von der eigentlichen Route abgewichen, die uns sonst über Saint-Laurent-les-Églises geführt hätte - das aber mit ein paar zusätzlichen Kilometern. Wir haben uns auch für die kommenden Tage vorgenommen, aufgrund der hohen Temperaturen wenn möglich die Strecken zu verkürzen. Da wir zu der auffälligen gelben Brücke einiges an Höhe verloren haben, geht es auf der anderen Seite über meist schattige Wald- und Wiesenwege durch unberührte Natur aufwärts, sodass wir das Tempo wieder etwas drosseln müssen. Unser Plan ist, in Le Châtenet-en-Dognon nach rund 10 Kilometern eine erste Pause einzulegen. Bereits am Ortseingang werden wir auf eine Bäckerei und einen Rastplatz an der Kirche hingewiesen. In der Bäckerei füllen wir unsere Wasservorräte auf und genehmigen uns dazu noch einen Snack. Außerdem bekommen wir einen weiteren Pilgerstempel für unsere Credenciales. Während der folgenden Pause haben unsere Hemden die Gelegenheit, wieder in einen trockenen Zustand zu gelangen. Wir lassen uns eine gute Stunde Zeit, denn den Schlüssel für die Pilgerherberge der Amis de Saint Jacques in Saint-Léonard de Noblat erhalten wie frühestens um 14:00 Uhr nach der Mittagspause in der Tourist-Info. Der nächste Abschnitt führt uns auf einer Nebenstraße durch die pralle Sonne, ohne den Hauch von Schatten. Wir sind hocherfreut, als wir nach 4 Kilometern wieder in ein Waldstück abbiegen können. Eine Viertelstunde später erreichen wir die ehemalige Mühle von Lajourmard, die ein idealer Platz für eine weitere Unterbrechung ist. Die Mühle scheint bewohnt zu sein, aber es ist niemand zu Hause. Wir nehmen auf einer Bank unter einem Mandelbaum Platz und lassen ein wenig die Beine baumeln. Ein Thermometer an dem Gebäude zeigt 26 Grad im Schatten, nebenan rauscht der Mühlbach vor sich hin und ein paar Vögel zwitschern uns aus den Bäumen zu. Vor uns steht auf der Wiese ein kunstvoller Sessel, der aus unzähligen Hufeisen zusammengeschmiedet wurde. Es hilft nichts, wir müssen weiter. Die Temperaturen steigen weiter an, genauso wie es die letzten Kilometer zweimal machen. Dabei wird unser Tempo langsamer. Am Horizont sieht man bereits den Glockenturm der Stiftskirche Saint-Léonard-de-Noblat, doch es dauert noch eine Viertelstunde, bis wir zum Ortseingang gelangen. Dort hängt auch noch ein erster Hinweis zum gestrigen Etappenstart der diesjährigen Tour de France, den wir leider um einen Tag verpasst haben. Die ganze Stadt ist noch mit gelben Wimpeln geschmückt und in beinahe jedem Schaufenster kann man Relikte zu DEM Radsportereignis in Frankreich betrachten. Immer wieder findet man Bilder und Sprüche von Raymond Polidour, einem der besten französischen Radprofis, der hier in der Stadt gelebt hat und hier 2019 verstorben ist. Kurz vor 14:00 Uhr stehen wir vor der Touristinfo, die in wenigen Augenblicken öffnen wird. Wir werden von einer jungen Frau empfangen, mit der wir uns auf Englisch unterhalten können. Sie stempelt unsere Pilgerpässe und übergibt uns den Code für die Pilgerherberge, die sich unmittelbar neben der Stiftskirche befindet. Die Herberge besteht aus drei Räumen mit 10 Betten und einem großen Aufenthaltsraum mit Küche und Waschmaschine. Diese nutzen wir auch direkt nach dem Duschen für unsere Wäsche. Während des Waschganges kaufen wir unser Abendessen ein: wir bereiten uns Lachs auf der Haut gebraten mit Pasta und Pesto zu, zum Dessert Bio-Schokopudding. Da der Trockner defekt ist, hängen wir die Wäsche in dem kleinen Innenhof des Gebäudes auf. Jörg legt sich nun etwas hin und ich erkunde noch etwas die Umgebung. Die mittelalterlichen Gebäude sind schick, eines versteckt sogar etwas oberhalb in einer Nische einen Jakobus. Das beste hebe ich mir bis zum Schluss auf, die Stiftskirche. Der romanische Bau aus dem 11. und 12. Jahrhundert zieht mich direkt in seinen Bann. Rund um den Chor sind mehrere Nischenkapellen angeordnet und im südlichen Querschiff befindet sich das Grab des Heiligen Leonhard. Schon das Liber Sancti Jacobi (oder auch Codex Calixtinus) aus dem 12. Jahrhunder empfahl den Pilgern im Mittelalter, am Grab des Schutzheiligen der Gefangenen und der schwangeren Frauen zu beten. Ich zünde dort eine Kerze für meine Lieben an. Und lausche danach der wunderschönen Musik eines jungen Organisten, dessen meditatives Spiel auf eine vortreffliche Akustik in dem Kirchenraum trifft. Ich genieße die halbe Stunde und kann mich in dieser Atmosphäre tief fallen lassen - ein schönes Erlebnis.
Limoges - Namensgeber für den Camino Dienstag, 11. Juli 2023: Von Saint-Léonard de Noblat nach Limoges - 21,7 km Heute Nacht habe ich eine neue Disziplin kennengelernt: Intervallschlafen. Unsere Unterkunft befindet sich direkt neben der Stiftskirche Saint-Léonard. Durch Glockenschlag wird den Bewohnern der Stadt die Uhrt bekanntgegeben, und das durchgehend vierundzwanzig Stunden - auch nachts. Das bedeutet, ich wurde zu jeder Stunde durch den Glockenschlag wach. Zu meiner Verwunderung wurde die angezeigte Stunde nach wenigen Minuten noch einmal wiederholt. Na ja, so wusste ich halt immer sehr genau, welche Stunde geschlagen hatte. Um 6:00 Uhr stehen wir auf und bereiten Frühstück vor. Brot und Käse haben wir gestern schon gekauft, Marmelade, Butter und Kaffee werden den Pilgern zur Nutzung durch die Jakobusgesellschaft bereitgestellt. Es dauert dann doch noch bis 7:30 Uhr, bis wir die Pilgerherberge verlassen. Und dann haben wir doch glatt vergessen, unseren Müll in den vorgesehenen Behälter zu entsorgen. Also noch einmal zurck in die Herberge. Es geht zunächst durch schmale Gassen am mittelalterlichen Pilgerhospital vorbei durch eine vernebelte Landschaft abwärts, unter einem Eisenbahnviadukt hindurch und danach über eine bunt geschmückte Brücke über das Flüsschen Vienne. Anschließend laufen wir entlang einer gut befahrenen Landstraße auf dem Fußweg. Schon bald verlassen wir diese und kommen bei einem zwei Kilometer langen und mit verschiedenfarbig bemalten Jakobsmuscheln gesäumten Anstieg erstmals ins Schwitzen. Noch sind die Temperaturen erträglich. Nach 10 Kilometern machen wir in im Schatten der Église Saint-Jean-l´Évangéliste in Aureil eine erste Pause. Kurz darauf setzt sich ein deutsches Pärchen aus Dortmund zu uns, das per Fahrrad auf dem Camino unterwegs. Wir plaudern ein wenig in einer uns bekannten Sprache. Mittlerweile habe ich auch den Zugangscode für unsere heutige Unterkunft in Limoges und die Bestätigung meiner Buchungsanfrage für die Pilgerherberge in Flavignac für morgen erhalten. Das klappt richtig gut. Unser Weg führt uns weiter über Wiesenwege an einem früheren Kloster vorbei, danach aber erneut bis zum Ziel auf mehr oder weniger stark befahrenen Nebenstraßen. Eine weitere Pause legen wir in Feytiat an der romanischen Église Saint-Léger-et-Saint-Clair aus dem 12. Jahrhundert ein, denn die Hitze schwillt weiter an und macht vor allem Jörg zu schaffen. Schon bald gehen wir an einer Anzeigetafel vorbei, die uns 37 Grad vor den Kopf knallt. Wir besorgen uns in einem Supermarkt Flüssigkeit und begeben uns dann auf die letzten Kilometer durch einige Vororte von Limoges. Es wird allmählich städtischer und auch der Verkehr nimmt zu. Über die Pont Saint-Etienne überqueren wir die Vienne, steigen noch etwas aufwärts und stehen vor der unscheinbaren Eingangstüre unseres Apart-Hotels. Leider will der übermittelte Code für die Eingangstür nicht passen. Erst eine Dame aus dem nebenliegenden Eingang weist uns darauf, dass unser Zimmer in dem genau dem Nebengebäude ist. Und da passt der Code tatsächlich. In der Buchungsbestätigung steht dann auch wirklich die Hausnummer 26, wenn auch die Anschrift des Hauses mit der 28 versehen ist. Man muss halt genau hinschauen. Es gilt nun zunächst, aus den durchschwitzten Klamotten rauszukommen und zu duschen. Viel hilft das nicht, denn die Poren lassen unvermindert Schweiß an die Umgebung heraus. Nach der großen Wäsche - die wir mangels Möglichkeiten einfach auf Kleiderbügeln an die Gardinenstange zum Trocknen aufhängen - wollen wir uns etwas zu trinken besorgen, der Pilgerstempel fehlt auch noch. Zunächst habe ich aber noch das Vergnügen, einer niederländischen Familie sowie eine weiteren Frau beim Zugang zu ihren Zimmern behilflich zu sein. Alle hatten, so wie ich, nicht auf die in der Infomail von heute angegebene Hausnummer geachtet. Auf dem Weg liegt die gotische Kathedrale Saint-Étienne, der wir einen Besuch abstatten, eine Kerze wird auch entzündet. Das Bauwerk mit seiner imposanten Höhe im Inneren beeindruckt mich, wahrscheinlich die Menschen im Mittelalter aber noch viel mehr. Leider kann man sich nicht alles ansehehn, da umfamngreiche Sanierungsarbeiten im seitliche des Chores durchgeführt werden. Da Jörg morgen einen Ruhetag einlegen wird, haben wir eine Busverbindung gefunden, die ihn nach Flavignac bringen kann. Diese lassen wir uns in der Tourist-Info bestätigen. Außerdem ist die junge Frau so nett, uns für die Pilgerherberge in La Coquille anzumelden. Wir sind ihr dafür sehr dankbar. Danach erkunden wir noch den Abfahrtsort des Busses - der wohlgemerkt nur Mittwochs fährt - nahe des Bahnhofs, bevor wir weitere Getränke für unseren Flüssigkeitsbedarf besorgen. Unser Camino, die Voie Historique de Vézelay oder auch Via Lemovicensis, ist einer der vier Hauptwege durch Frankreich. Der lateinische Name leitet sich wohl von den vor der Römerzeit hier angesiedelten keltischen Lemoviken ab. Aber auch der Bezug zu Limoges ist da sicherlich nicht falsch. Zum Abendessen haben wir uns für Lou Pizza entschieden, die Jörg kurz vor der Pont de Saint-Étienne entdeckt hatte, als wir in Limoges eintrafen. Jörg wählt eine Pizza Milano, ich eine Pizza Chèvre Miel. Wir haben es nicht bereut, es hat hervorragend geschmeckt. Wieder in unserem Zimmer reißen wir die Frontfenster unseres im Erdgeschoss liegenden Domizils und spüren sofort, wie ein leichter Luftzug hereinströmt und die stehende Wärme etwas vertreibt. Außerdem können jetzt unsere an der Vorhangstange aufgehängten gewaschenen Kleidungsstücke besser trocknen. Neugierige Blicke von den wenigen vorbeihuschenden Passanten stören uns überhaupt nicht, denn schon bald sind wir in einen tiefen Schlaf versunken.
Dann gibt es halt nur Suppe... Mittwoch, 12. Juli 2023: Von Limoges nach Flavignac - 28 km Es war eine gute Idee, das Fenster weit offen zulassen. Die noch feuchten Bekleidungsstücke sind vollständig getrocknet und wir konnten bei einer erträglichen Temperatur schlafen. Ich werde gegen 6:00 Uhr wach und beginne schon einmal, meine Sachen zurechtzumachen. Jörg hat sich auch gut erholt und entscheidet sich, heute doch mitzulaufen. Von draußen kommt kühle Luft ins Zimmer, die Temperaturen sollen im Vergleich zu gestern bis zu 15 Grad kühler sein. Um Punkt 7:00 Uhr verlassen wir die Unterkunft ohne Frühstück und laufen unter bedecktem Himmel in Richtung Westen aus der Stadt hinaus. Einschließlich der Universitätsklinik und den Vororten benötigen wir rund sieben Kilometer. An einem Kreisverkehr lädt uns ein Rastplatz zum kurzen Verweilen ein. Bis auf ein paar Autos ist es ruhig, die Stille wird lediglich durch Vögel und zwei junge Reiterinnen auf ihren Pferden unterbrochen. Es riecht nach frisch gemähtem Gras und erste Sonnenstrahlen durchdringen die dichte Wolkendecke. Unterwegs grüßen wir zwei Arbeiter. Einer gibt uns zu verstehen, dass er uns schon gestern im Supermarkt von Feytiat gesehen hat. Wir werden anscheinend von den Menschen hier wahrgenommen. Nach einem kleinen Plausch auf Englisch ziehen wir weiter. Bis Aixe-sur-Vienne lässt es sich gut laufen. Wir sind neben der Landstraße auf einem befestigten Weg unterwegs. Kurz vor dem Ort passieren wir die Ferme Puy Panard, auf der unter freiem Himmel neben Schafen auch Perlhühner, Gänse und Kaninchen gehalten werden. Damit diese nicht von bösen Angreifern aus der Luft bedroht werden, sind über den großzügigen Gehegen Netze gespannt. In Aixe-sur-Vienne suchen wir zunächst vergeblich nach etwas Essbarem, denn allmählich überkommt uns der Hunger. Nach einem kleinen Umweg finden wir jedoch gleich neben der Église Sainte-Croix eine Bäckerei, in der wir uns mit gut belegten Baguette mit Schinken und Käse sowie Hühnchen und Käse eindecken. Die verzehren wir gleich auf dem Kirchplatz. Um 11:00 Uhr ziehen wir weiter, entlang der Aixette und ein paar ehemaligen Mühlen, doch schon bald beginnt es leicht zu tröpfeln und wir ziehen die Regenhauben über die Rucksäcke. Nach wenigen Schritten hört es aber schon wieder auf. Gegen 12:00 Uhr beginnt es aber erneut leicht zu nieseln und wir stellen uns neben zwei im Wald stehenden Autowracks unter. Bald lässt der leichte Regen wieder nach und wir setzen uns erneut in Bewegung. Kurz darauf zeigt sich ein Franzose von seiner besten Seite. In Le Breuil werden wir von einem Autofahrer gefragt, ob er uns mit Wasser helfen könne, doch wir haben noch ausreichend dabei. Trotzdem, mercy beaucoup! Wir tasten uns nach und nach kleine Wegstücke vorwärts, müssen aber immer wieder wegen einer nicht in der Wetter-App angekündigten Regenwolke Unterstand finden. Die Regenfront breitet sich ausgerechnet in dem Bereich Limoges - Flavignac aus und wir sind mitten drin, sodass erstmals mein Trekking-Schirm. In Saint-Martin-le-Vieux warten wir insgesamt eine halbe Stunde im Eingang der mit einem Gitter versperrten Église-Saint-Martin. Das Regenradar vertröstet uns bis 14:30 Uhr. Und das Universum liefert wieder einmal pünktlich. Leider hält die trockene Phase lediglich eine Dreiviertelstunde an, dann öffnet der Himmel erneut seine Schleusen - zum Glück nur leicht. Wir suchen wiederum Zuflucht unter dichtem Blätterdach und bleiben so überwiegend trocken. Es sind jetzt nur noch zwei Kilometer bis Flavignac. Die kleine Pilgerunterkunft liegt direkt gegenüber der Kirche, den Schlüssel bekommen wir in der Mairie. Dort kommt gerade ein weiteres Pärchen mit dem Fahrrad an und will anscheinend auch hier übernachten. Jörg und ich nehmen Fahrt auf, um die besten Betten zu bekommen - es gibt derer nämlich nur vier. Just in dem Moment, als wir unsere Sachen auf die unteren Liegen der beiden Doppelstockbetten platzieren, treten die beiden ein. Anscheinend nach reiflicher Überlegung sind sie dann von der für vier Personen recht kleinen Räumlichkeit nicht mehr ganz so begeistert und fahren weg. Glück gehabt - aber boah, sind wir eigensinnig. Unser Verhalten gegenüber den beiden Fahrradpilgern wird auch postwendend bestraft. Gegen 18:00 Uhr wollen wir im einzigen Restaurant im Ort etwas essen, aber das ist heute anscheinend nicht möglich. Wir hätten anscheinend bis 17:00 Uhr reservieren müssen, wenn ich das richtig verstanden habe. Man lediglich etwas trinken, außerdem kann man ein paar Kleinigkeiten kaufen. Wir trinken halt ein Bier, nehmen noch Getränke mit und kehren zur Herberge zurück. Kurz darauf erscheint eine junge Frau, die die Übernachtungsgebühr abkassieren möchte. Im Gegenzug erhalten wir einen Pilgerstempel. Sie kann uns aber auch nicht weiterhelfen, wie wir nun an etwas Essbares herankommen. Zum Glück gibt es ein paar Vorräte in der Herberge wie Nudeln, Tütensuppen oder Ravioli. Wir zaubern uns daraus etwas zusammen und hinterlassen in einer Box einen Obolus, damit man die Vorräte für kommende Pilger wieder auffüllen kann. Während ich noch am Herd stehe, holt Jörg aus dem Restaurant noch zwei große Bier, damit das Essen etwas besser rutscht. Jetzt ist Eile angesagt, denn bis zur Schließung des Restaurants um 20:00 Uhr müssen die Gläser wieder zurückgebracht werden. Da hier sonst wirklich nichts los ist, schließen wir schon früh die Augen.
Halbe Strecke ist halbes Leid Donnerstag, 13. Juli 2023: Von Flavignac nach Bussière-Galant - 18,5 km Nach einem sehr heissen und einem eher kühl-durchnässten Tag werden wir den Plan für heute völlig umwerfen. Ursprünglich waren 32 Kilometer bis nach La Coquille (= Muschel) angedacht, aber wir waren beide der Ansicht, etwas Erholung nach 150 gelaufenen Kilometern wären nun angebracht. Doch wie kürzt man eine Strecke ab, wenn es an Verkehrsmitteln mangelt. Busse? Fehlanzeige. Taxi? Zu teuer. Bahn? Fehlender Bahnhof. Dann bleibt nur, daraus eine vernünftige Mixtur zu finden. Die bestand für uns heute aus einer verkürzten Etappe bis Bussière-Galant, das gar nicht an der Via Lemovicensis liegt - aber einen Bahnhof hat, von dem zweimal am Tag ein Zug in Richtung Périgueux fährt - mit einem Zwischenhalt in La Coquille. Damit wir den Zug um 12:08 Uhr nicht verpassen (die nächste Verbindung gibt es erst um 17:43 Uhr per Bus), brechen wir schon um 7:00 Uhr auf, bringen aber noch den Schlüssel für die Herberge zur Mairie und werfen ihn dort in den Briefkasten. Nach 3 Kilometern auf einer Landstraße mit nicht immer präsenten Autofahrern erreichen wir Les Cars, wo wir in einer Bäckerei ein paar Croissants kaufen und diese nahe der Ruinen des Château des Cars verzehren. Wir sind hier übrigens in den früheren Ländereien des sagenhaften englischen Königs Richard Löwenherz. Nach der kurzen Pause folgen wir wieder den bekannten Zeichen und werden von den gestrigen spanischen Radpilgern überholt. Wo die wohl heute Nacht abgeblieben sind? Ein Blick auf den Track an der nächsten Kreuzung sagt uns, dass wir auf der falschen Route sind. Ab Les Cars müssen wir einen anderen Weg wählen, um zum Bahnhof von Bussière-Galant zu gelangen. Nachteil: wir auf einen zum Teil sehr steilen Berg auf 544 Meter Höhe klettern. Unterwegs werden wir im flacheren Teil des Anstieges von einem Gemeindearbeiter mit einem kleinen Traktor überholt, der freundlicherweise das Gras vor uns stutzt und umgestürzte Äste absägt. Womit haben wir das nur verdient? Als etwas steiler und unwegsamer wird, machen wir etwas langsamer, bis wir den 1959 errichteten Sendemast erreichen. Es wird nun etwas entspannter, da es leicht abwärts geht. Trotzdem verpassen wir heute zum zweiten Mal einen Abzweig. Der Mann, der für die Navigation zuständig ist, hat heute anscheinend keinen guten Tag. Über Waldwege und später wieder auf Asphalt geht es vorwärts. Und dann verpassen wir noch ein drittes Mal einen Weg. Dieser sollte uns eigentlich an einem kleinen See vorbeiführen. Jetzt zurückgehen wäre Zeitverschwendung, deshalb entscheiden wir uns nach dem Studium der Karte, weiter entlang einer Straße zu gehen. Wir sind dennoch zu früh am Bahnhof, eine geschlagene Dreiviertelstunde vor der Abfahrt, aber besser zu früh als gar nicht. Die Fahrt in dem volle besetzten Zug dauert lediglich 7 Minuten - wir steigen gegen 14:15 Uhr in La Coquille aus. Zunächst schauen wir uns die Herberge an, die sich nur zwei Straßenecken entfernt befindet. Um die Zeit bis zur Öffnung der Herberge zu überbrücken, gönnen wir uns in der Pizzeria La Bonne Table in der Nähe des Bahnhofs eine sehr leckere Pizza Cannibal. Die war sehr lecker, belegt mit Chorizo, Huhn und Barbecue-Sauce sowie den üblichen Zutaten. Nach dem Essen heißt es warten, bis uns jemand um 16 Uhr in das Refugio einlässt. Wir machen uns also auf den Sitzgelegenheiten davor breit, öffnen auch schopn einmal den Sonnenschirm. Zu unserer Überraschung öffnet sich die Türe der Herberge bereits eine halbe Stunde früher und wir werden von den beiden Hospitaleros, Jaqueline und Philippe aus Nantes, einem Paar in unserem Alter, herzlich begrüßt. Er spricht sehr gut Englisch, sie ein klein wenig. Die Räumlichkeiten sind hell und sehr sauber und es gibt Platz für maximal sechs Pilger. Jörg und ich richten uns ein und nutzen gerne die Waschmaschine. Gegen 19 Uhr gibt es Abendessen, das wir draußen im Garten einnehmen. Während dem Essen kommt noch Tom aus Belgien dazu, will aber nur einen Stempel. Der 19jährige ist auf dem Rückweg von Santiago. Nun haben wir uns alle fünf sehr viel zu erzählen - ein toller Abend!
Nichts geht am Nationalfeiertag Freitag, 14. Juli 2019: Von La Coquille nach Thiviers - 18 km Das Wetter meint es gut mit uns und der Wegeverlauf ebenso. Straße sowie Feld- und Wiesenwege wechseln sich ab und wir kommen sehr gut voran. Unsere erste Rast legen wir erst nach 10 Kilometern ein. In dieser Zeit lese ich noch einmal auf dem Smartphone die Druckvorlage der Neuauflage des Pilgerführers für den Linksrheinischen Jakobsweg durch und finde noch einige Stellen, die korrigiert werden müssen. Die Zeit eilt hierfür, denn kommenden Dienstag steht der Drucktermin an, sodass am 21. August die Veröffentlichung erfolgen kann. Nach der ausgiebigen Pause ziehen wir weiter durch unendliche Natur, die durch so gut wie keinen Zivilisationslärm gestört wird. Das ist auf die unendliche Weite der Landschaft zurückzuführen. Nur vereinzelt findet man kleine Dörfer oder auch nur einsame Gehöfte. Mitten in einem gedankenverlorenen Moment bekomme ich die Nachricht, dass unser früherer Religionslehrer, Pfarrer Josef Ernst, am Mittwoch nach langer Krankheit verstorben ist. Er war in unserer Schule sehr beliebt. In Thiviers werde ich eine Kerze für ihn entzünden. Wenige Kilometer vor unserem heutigen Ziel legen wir eine weitere Pause ein. Leider trennt uns ein verschlossenes Tor von dem verlockenden See, sodass wir uns davor im Gras niederlassen. Auch jetzt bleiben wir eine gute halbe Stunde, bevor es auf das letzte Stück Weg geht. Die Zeit nutze ich erneut, um einige Seiten in der Druckvorlage zu stöbern. Das ist nicht ganz einfach, denn ich muss alles auf dem kleinen Bildschirm meines Smartphones anschauen. In Thiviers finden wir nach einem kleinen Umweg unsere Unterkunft Gite d'étape L'Abeille und ich rufe unseren Gastgeber David wie gewünscht an. Er gibt mir telefonisch eine Einweisung in die Unterkunft, deren Eingangstür geöffnet ist. Er wird erst später bei uns sein. Die Unterkunft ist liebevoll und großzügig eingerichtet, es finden hier zehn Pilger Platz. Gegen 16:30 Uhr kommt David zu uns, er ist schon ein tougher Kerl. Seit zehn Jahren baut er das Haus selbst um und hat auch noch ein paar Bienenvölker. So besteht sein "Pilgerstempel" auch aus einer gemalten Biene. Dankenswerterweise reserviert er für uns noch die morgige Unterkunft in Sorges. Da Frankreich heute seinen Nationalfeiertag begeht, sind alle Restaurants geschlossen und niemand auf der Straße. Zum Glück hat der Supermarkt um die Ecke geöffnet und ein großes Sortiment. Wir kaufen ein paar Sachen für das Abendessen ein - es gibt Canneloni und Tomatensalat - und spüren, dass es inzwischen ganz schön warm geworden ist. Ich mache noch einen kleinen Spaziergang durch Thiviers und stelle in der Église Notre Dame de l'Assomption vor den Marienstatuen von Lourdes und Fatima je eine Kerze für meine Lieben und für Pfarrer Ernst auf. Inzwischen ist auch noch eine vierköpfige Familie in ein privates Zimmer eingezogen, die direkt den Kühlschrank fast vollständig mit Lebensmitteln belagert. Sie zieht es aber zunächst an einen See, sodass wir in Ruhe kochen und essen können. Später stören sie uns auch nicht mehr. David überlässt es uns, wann wir morgen das Haus verlassen. Da es "nur" um die 22 Grad werden soll, wird es wohl etwas später als zuletzt.
Pilger unter ständiger Beobachtung Samstag, 15. Juni 2023: Von Thiviers nach Sorges - 17,5 km David hat es gestern nicht mehr geschafft, auf ein Bier zu uns zu kommen. Dafür ist in der Nacht ein Gewitter mit Regen vorbeigezogen, die Straße ist heute Morgen noch feucht. Wir stehen auch erst spät auf und machen gegen 8:00 Uhr Frühstück. Erst eine gute Stunde später packen wir unsere Rucksäcke und starten. Die erste Straße vor uns ist gesperrt, es findet heute ein Markt statt. Die angebotenen Leckereien sehen so gut aus und riechen noch viel besser. Vor allem die gebratenen Hähnchen haben es uns angetan. Wir drängeln uns an den vielen Menschen vorbei, um erst gar nicht in die Versuchung zu kommen, doch noch irgendetwas mitzunehmen. Der Himmel ist momentan grau eingefärbt und mit schweren Wolken verhängt, die Temperatur ist angenehm, aber es ist leicht schwül. Wir kommen gut vorwärts und machen ordentlich Meter. Jörg und ich philosophieren eine Weile über die mitzunehmende Ausrüstung. Wesentlicher Aspekt ist dabei die Reduzierung von Gewicht. Wir haben zwar reichlich Pilgererfahrung und wissen eigentlich auch, was in den Rucksack hinein gehört und was nicht. Aber es gibt anscheinend immer noch Nachbesserungsbedarf, der sich dann im kommenden Jahr auswirken sollte. Während unserer Diskussion werden wir von zwei Eseln, mehreren Hühnern und einer aufgeregten Gans und immer wieder von Hunden (zum Glück hinter Zäunen) begutachtet. Dann verlassen wir nach rund 5 Kilometern den markierten Weg und kürzen etwas ab. Nachdem wir wieder auf dem Camino laufen, überholt uns ein polnischer Fahrradpilger. Kurz darauf folgen noch drei weitere Biker, die unschwer an ihren Muschelsymbolen ebenfalls als Pilger zu erkennen sind. Von allen schallt uns der bekannte Pilgergruß „Buen camino“ oder auf Französisch „bonne route“ entgegen. Nach fast zwei Stunden machen wir auf einer Kreuzung einer verkehrsarmen Straße eine erste Rast. Währenddessen bekomme ich eine Mail bezüglich unserer morgigen Unterkunft in Perigueux. Wir werden bei einer Dame übernachten, die zwar nicht anwesend sein und uns deshalb nicht bekochen kann, uns aber Gemüse aus ihrem Garten bereitlegen will. Da freuen wir uns schon drauf. Es geht weiter durch eine landwirtschaftlich geprägte Landschaft - wie zumeist in den letzten Tagen. Wir streifen durch Wiesen, Wälder und Maisfelder in unterschiedlicher Wuchshöhe. Ich habe mir sagen lassen, dass sei so beabsichtigt. Die Landwirte besitzen hier riesige Flächen Ackerland, die sie lediglich mit ihrer Familie bewirtschaften. Aufgrund des geringen Personaleinsatzes wird zu unterschiedlichen Zeiten ausgesät und geerntet. Vor Négrondes laufen wir durch und an einer riesigen Plantage vorbei, an der Walnussbäume in Reih und Glied stehen. Das Dorf selbst bezeichnet sich als „Village des nichoirs“ (Dorf der Nistkästen) - dementsprechend hängen dort zahlreiche Vogelnistkästen. Nach knapp 15 Kilometern machen wir noch einmal eine kurze Pause. Jetzt ist es nur noch ein kurzes Stück und man spürt, wie der Wind etwas zunimmt - da kommt doch nicht etwa eine Schlechtwetterfront auf uns zu. Es geht unter anderem an einem Feld mit abertausenden Sonnenblumen vorbei und wir fühlen uns in der gleichen Anzahl von den gelben Blüten beobachtet. Gegen 13:30 Uhr erreichen wir Sorges und finden auch rasch die Pilgerherberge direkt neben der Kirche, die zu unserer Überraschung offen ist. Wir sind aber deutlich zu früh, sie öffnet wie bereits in La Coquille erst um 16:00 Uhr. Die beiden Hospitaleros Pierre (aus Quebec/Kanada) und Jean-Luc haben noch einiges zu tun. Wir dürfen aber unsere Rucksäcke abstellen, sollen dann erst später ab circa 15:00 Uhr wiederkommen. Die beiden erklären uns den Weg zu einem kleinen Supermarkt, wo wir uns mit einem Snack für sofort und Getränken für morgen eindecken. Inzwischen beginnt es leicht zu regnen, da haben wir aber Glück gehabt. Am Supermarkt gibt es eine überdachte Sitzgruppe, in die wir uns zurückziehen. Von dort beobachten wir einen anderen Pilger, der deutlich an seinem Rucksack und seinem Pilgerstab zu erkennen ist. Da es allmählich frisch wird, gehen wir zurück in Richtung Herberge und kehren noch in ein uriges kleines Café ein, lassen uns dort noch etwas mit Kaffee und Apfelkuchen verwöhnen, allerdings zu einem etwas überhöhten Preis. Wir sind dann zur vereinbarten Uhrzeit wieder in der Herberge und unterhalten uns mit Pierre und Jean-Luc, die heute ihren letzten Tag ihres Dienstes haben. Am Abend wird noch die Nachfolgerin eintreffen. Auch diese Pilgerherberge ist klasse - klein, aber fein. Jean-Luc ist so nett, uns für übermorgen im Château Puyfarrat in Saint-Aster anzumelden. Das ist wohl ein ganz besonderer Geheimtipp für Pilger, wir sind freudig gespannt. Wir suchen uns im Obergeschoss unsere Betten aus und können nach der Dusche unsere Wäsche in der Maschine waschen. Im Anschluss drehen wir noch eine Runde durch Sorges und schauen uns die Église Saint-Germain-d´Auxerre aus dem 12. Jahrhundert an. Dabei bekommen wir von einer Dame, die gerade ein abendliches Konzert vorbereitet, im Rahmen einer kleinen Führung ein paar Fakten zur Kirche erzählt. Zurück in der Herberge treffen wir Fréderic, einen Franzosen, der bisher immer einen Tag nach uns in den jeweiligen Herbergen war. Außerdem lernen wir noch Annique kennen, die ab morgen für die nächsten zwei Wochen den Dienst in der Herberge versieht. Dann werden wir zum Abendessen gerufen. Jean-Luc hat Bœuf Bourguignon, ein französisches Rindfleischgericht mit viel Rotwein als Zutat, gekocht und es schmeckt köstlich. Als Dessert reicht er uns einen selbstgebackenen Apfelkuchen. Jörg ist dermaßen begeistert davon, dass er sich das Rezept geben läßt. Wir sitzen noch eine Weile zusammen, bevor gegen 22:00 Uhr alle in ihren Betten verschwinden. Bonne nuit!
Eine Herausforderung nach der anderen Sonntag, 16. Juli 2023: Von Sorges nach Perigueux - 24,5 km Das Frühstück ist heute für 7:00 Uhr verabredet, da Pierre zum Flughafen von Paris fahren muss. Pierre und Jean-Luc haben sich auf dem Camino kennengelernt und es entwickelte sich eine Freundschaft daraus. In diesem Jahr hat Pierre vier Wochen bei Jean-Luc verbracht, danach waren die beiden Freunde zwei Wochen Hospitaleros in Sorges. Wir treffen uns alle wieder im Aufenthaltsraum und genießen die Mahlzeit. Nachdem wir unsere Sachen fertig haben, ist auch für uns die Zeit für den Abschied von dieser wunderschönen Herberge gekommen. Kurz nach 8:00 Uhr sind Jörg und ich auf der Piste. Es ist wieder sehr angenehm und die Sonne scheint bereits. Es geht zunächst wieder durch die übliche dünn besiedelte Landschaft und auch heute treffen wir auf langgezogene Sonnenblumenfelder. Überwiegend laufen wir auf weichem Waldboden und werden von Bäumen beschattet. Nach rund zwei Stunden und 9 Kilometern finden wir ein sonniges Plätzchen, wo wir eine erste Rast einlegen. Es geht weiter durch schattigen Wald. Das ist eigentlich ungewohnt für uns, denn wir haben sehr häufig Asphalt unter den Füßen. Es kommt zudem sehr selten vor, dass wir unterwegs andere Menschen treffen - außerhalb der Dörfer schon gar nicht. Dann fallen uns am Weg mehrere große Zelte auf, die allesamt mit einer Veranda ausgestattet sind. Wir durchlaufen gerade einen Ferienpark, in dem die Gäste in diesen wirklich großen Zelten untergebracht sind. Nach einem weiteren Wegstück finden wir zu unserer Rechten beinahe versteckt das Château Caussade, das seine Ursprünge im 11. und 15. Jahrhundert hat. Im ersten Weltkrieg wurden hier deutsche Offiziere gefangen gehalten. Wenige Schritte später begegnet uns ein Auto und wir werden gefragt, ob das der richtige Weg zum Château Caussade sei. Das können wir ruhigen Gewissens bejahen. Trotzdem wundern wir uns, dass ein Auto mitten im Wald unterwegs ist. An der nächsten Kreuzung bekommen wir durch ein entsprechendes Hinweisschild die Antwort. Etwas später passieren wir einen kleinen Weinberg, nicht zu vergleichen mit den riesigen Mais- oder Sonnenblumenfeldern. Aber einfach mal etwas anderes. Nach 16 Kilometern finden wir eine Infotafel mit Wanderkarte und einer Sitzgelegenheit. Hier legen wir eine zweite Pause ein. Als Zwischenmahlzeit werden eine Salami und ein paar Müsliriegel vernichtet. Allmählich nähern wir uns Perigueux, wir erklimmen am Rande einer Landstraße einen Anstieg und sind froh, dass entgegen des vorhandenen GPS-Tracks der markierte Weg abzweigt auf einen weiteren Waldweg, der zudem noch eine Abkürzung für uns einbringt. Dann haben wir ein Déjà-vu zu Limoges. Die Zufahrtstraße wird von Gewerbegebieten gesäumt und wird wieder deutlich urbaner. Vorbei an einem großen Klinikareal sind wir schon bald im Zentrum der 29.000-Einwohner-Stadt und dem Verwaltungssitz der Dordogne. Wir laufen direkt auf DIE Sehenswürdigkeit der Stadt zu und glauben beim Anblick, in einer anderen Welt zu sein. Vor uns breitet sich die Kathedrale Saint-Front in ihrer ganzen Schönheit, aber auch mit einer gewissen orientalischen Fremdheit aus. Das liegt einfach daran, dass sowohl romanische als auch byzantinische Elemente verbaut wurden. Durch die Kuppeln besteht eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Markusdom in Venedig. Die ältesten Teile der Kirche stammen aus dem 11. Jahrhundert. In der kleinen dem Jakobus gewidmeten Kapelle steht eine Figur des Heiligen, dort entzünde ich zwei Kerzen. Anschließend holen wir uns in der Touristinfo noch einen nicht so schönen Stempel ab, der auch noch auf dem Kopf steht. In einem einem geöffneten Supermarkt kaufen wir noch ein paar Zutaten für das Abendessen. Wir wollen Rührei mit Schinken und Bratkartoffeln kochen, dazu soll es das Gemüse unserer Gastgeberin geben. Als wir dann das schöne Haus gegen 15:00 Uhr erreichen, stellen wir aber fest, dass leider kein Gemüse für uns bereit liegt, nur ein ganzer Schinken im Kühlschrank und ein Fässchen Paulaner Weißbier. Leider gibt es auch kein Öl, sodass wir jetzt eine Herausforderung haben, unser Essen zuzubereiten. Aber da hat Jörg schon eine Idee. Er schneidet ein Stückchen von der Fettschicht des Schinkens ab, sodass sich in der Pfanne wenigsten eine fettige Grundlage für das Braten der Eier befindet. Die Unterkunft befindet sich in einem Nebengebäude, und ist recht nett eingerichtet. Über eine steile Treppe erreicht man den Schlafbereich direkt unter dem Dach. Eine weitere Herausforderung bringt die derzeitige Schließung einer Pilgerherberge auf einer der letzten Etappen, sodass wir unsere letzten drei Teilstücke etwas umplanen müssen.
Schlossherren für eine Nacht Montag, 17. Juli 2023: Von Perigueux nach Saint-Astier - 23,6 km Um 6:20 Uhr werden wir wach und stehen direkt auf, um uns für den Tag vorzubereiten. Auf ein Frühstück verzichten wir, es wäre auch bis auf ein paar Riegel und zwei Äpfel nichts da. Unsere Gastgeberin lernen wir nicht mehr kennen, ihr Mann schaute gestern Abend kurz rein und suchte den Haustürschlüssel. Deshalb legen wir das Geld für die Übernachtung unter den Pilgerstempel. Kurz nach 7:00 Uhr sind wir schon wieder auf der Straße. Zunächst geht es wieder durch Vorstadtgebiete und danach übergangslos nach Chancelade, wo wir uns in einer Bäckerei ein sehr gut belegtes und vor allem riesiges Baguette kaufen und sofort verzehren. Der Weg führt uns dann zur ehemaligen Abtei Notre-Dame de Chancelade aus dem 12. Jahrhundert und dann geht erst einmal aufwärts durch ein gehobeneres Wohngebiet. Im Anschluss geht es steil abwärts nach Les Andrivaux und danach, wie vermutet noch steiler wieder aufwärts. Das Tempo wird deutlich gedrosselt. In dem kleinen Weiler bestand ab dem 12. Jahrhundert eine Komturei der Templer bis zu deren Aufhebung im Jahre 1312 und danach der Johanniter. Darauf deuten auch noch einige Straßennamen hin. Als wir die Höhe erreichen, müssen wir einer neuen Streckenführung folgen und außerdem vertreibt die Sonne nun ein wenig die grauen Wolken. Erneut laufen wir nun auf einem schmalen Pfad abwärts und überholen einen Pilger, der bereitwillig Platz macht und wahrscheinlich seine Ruhe haben möchte. Mehr als ein „bonjour“ und „buen camino“ ist nicht drin. Nach dem nächsten mühsamen Anstieg bleibt es eher flach, bis wir nach circa 13 Kilometern in Annesse-et-Beaulieu in einer Bar eine erste richtige Pause machen. Der Inhaber spricht sogar Deutsch. Vom Nebentisch werden wir auf Englisch von einem jungen Paar angesprochen, ob wir auf dem Jakobsweg unterwegs seien. Die beiden kommen aus Bordeaux und sind von dort aus bereits den Camino Frances gelaufen. Nach Bier, Cola und Kaffee setzen wir unseren Weg fort. Inzwischen haben wir die Bestätigung für die morgige Reservierung in der Pilgerherberge in Mussidan erhalten. Zunächst geht es an einem Kanal entlang - hoffentlich nicht so lange wie am Canal du Berry vor vier Jahren. Doch wir können entspannt sein, es sind lediglich 2 Kilometer und dann verlassen wir ihn bereits wieder. Danach werden wir von Sonnenblumen und Maispflanzen begleitet, bevor wir vor Saint-Astier auf der Karte einen vermeintlichen Umweg abkürzen. Wir überqueren die Brücke über die Isle und stehen schon vor der Église Saint-Astier. Wir schaffen es tatsächlich, die Kirche einmal zu umrunden, bevor wir den Eingang finden. In der Kirche sitzt auch der Franzose aus dem Wald, der sich kurz darauf im Gespräch als Fréderic aus dem Burgund vorstellt. Ihn haben wir übrigens schon kurz in Sorges am Supermarkt gesehen. Er wird heute Abend auch im noch circa 2 Kilometer entfernten Château Puyferrat übernachten. Vorher müssen wir aber noch Verpflegung für den Abend und morgen früh besorgen, da auf dem Château lediglich Übernachtung angeboten wird. Die letzten 2 Kilometer des heutigen Tages müssen wir die eingekauften Lebensmittel steil nach oben tragen, werden dann aber von dem Anblick des prächtigen Schlosses belohnt. Wir werden sofort begrüßt und einer der Anwesenden zeigt uns als erstes den Speiseraum und die Küche. Beide haben schon direkt eine positive Wirkung auf uns. Nachdem wir noch einen Pilgerstempel bekommen haben, werden wir über eine breite Treppe in den zweiten Stock zu unserem Zimmer geführt. Auch das ist etwas Besonderes. Direkt vor unserem Fenster verläuft ein Wehrgang, der sich rund um das Château windet und tolle Ausblicke gewährt. Wir sind sehr zufrieden mit dieser einfachen, aber besonderen Unterkunft. Während Jörg seine täglichen Pflegemaßnahmen durchführt, nehme ich mir das Schloss von oben bis unten genauer unter die Lupe und werde von jedem Raum aufs Neue überrascht. Ich finde im Keller die frühere Küche, einen Festsaal und eine Bibliothek im Erdgeschoss sowie weitere Gästezimmer in den beiden Obergeschossen. Auch die bunt ausgemalte, zum Château gehörende Kapelle, hat ihren Reiz. Allmählich werden wir hungrig und begeben uns in die Küche. Heute servieren wir uns panierten Fisch aus der Pfanne, dazu gibt es einen Tomaten-Feldsalat und zum Dessert Mousse au Chocolat. Hört sich gut an oder? Nach dem Essen sitzen wir draußen noch ein wenig mit Fréderic zusammen und erfahren, dass er aus Tonnere stammt und ab Vézelay unterwegs nach Santiago ist. In Tonnere waren wir 2013 und haben davon aufgrund des Dauerregens keine guten Erinnerungen.
Abkühlung tut gut Dienstag, 18. Juli 2023: Von Saint-Astier nach Mussidan - 25,7 km Da war die Nacht als Schlossherr schnell vorbei, kurz nach 6:00 Uhr stehen wir auf und machen uns fertig. Auch aus dem Nachbarzimmer, in dem Fréderic untergekommen ist, erklingen ähnliche Geräusche. Frühstück gibt es heute nicht, dazu legen wir später an einem geeigneten Ort eine Pause ein. Die Uhr zeigt noch nicht die siebte Stunde an, da stehen wir zu Dritt mit gepacktem Rucksack vor der Tür und starten in den Tag. Das Thermometer soll am Nachmittag wieder dreißig Grad übersteigen. Der erste Abschnitt hat es gleich in sich, es erwarten uns zwei nette Anstiege. Zum Glück ist es noch nicht so warm, aber der Schweiß läuft trotzdem schon aus allen Poren. Nach fast 2 Stunden kommen wir an einem Waschplatz vorbei, an dem auch ein Tisch und Sitzgelegenheiten vorhanden sind. Das nutzen wir aus und verzehren das restliche Brot von gestern und zwei Croissants. Frédéric unterhält sich mit einem Franzosen, der gerade die Anlage pflegt. Als wir uns wieder in Bewegung setzen, erzählt er uns, dass er gerade eine kleine Lektion der Geschichte der Dordogne erhalten hat. Es folgen weitere Steigungen auf einem Schotterweg durch den Wald. Allmählich wird die Sonne etwas intensiver und ich habe das Gefühl, auf einer Insektenautobahn zu sein. Ständig werde ich von etwas Summendem umkreist. Das kann sehr zaghaft sein, hört sich aber meist laut und bedrohlich an. Bei Kilometer 14 verabschiedet Frédéric sich für eine Pause. Wir werden ihn heute Nachmittag in Mussidan in der Herberge wiedersehen. Nur wenige Schritte weiter verlassen wir den markierten Weg und laufen anstatt nach rechts geradeaus nach Douzillac weiter. Es gibt sogar Wegweiser, aber nur sporadisch. Gegen 11:00 Uhr machen wir dort unsere nächste Pause und gönnen uns in einem Restaurant Bier und Cola. Diese Chance hätten wir auf dem regulären Weg nicht gehabt. Nachteil: wir müssen nun circa 2 Kilometer entlang einer Landstraße laufen, bis wir wieder bei Saint-Louis-en-l’Isle auf dem Camino sind. Danach geht es durch das Dorf und an dem Fluss Isle vorbei, wo wir nach der Halbmarathondistanz eine weitere Unterbrechung einlegen und unsere Äpfel verzehren. Nicht weit von Sitzbank treffen wir an einem weiteren Rastplatz zwei belgische Pilgerinnen und um die Ecke auf den Stufen einer Kirche sitzend auch Frédéric, der ein belegtes Baguette genießt. Wir werden uns alle nachher in der Herberge sehen. Jörg und ich wollen weiterkommen und uns vor allem vor den angekündigten Temperaturen retten. Gegen 13:30 Uhr erreichen wir die Herberge und sind natürlich viel zu früh. Punkt 16:00 Uhr sollen wir hier sein, hat uns die Mitarbeiterin des Rathauses geschrieben. Wir machen es uns auf einer Parkbank in der Nähe der Herberge bequem und warten, dass diese geöffnet wird. Bereits um 15:00 Uhr erscheint eine junge Frau, die uns das Haus zeigt. Sprachlich ist es nicht immer ganz einfach, doch sie erklärt uns alles zum Teil mit einer Übersetzungs-App. Nur wenig später trudeln auch die beiden Belgierinnen ein, Frédéric hat noch einen Abstecher in das örtliche Schwimmbad gemacht, wie er bei seiner Ankunft berichtet. Damit sind wir heute zu fünft in der Herberge, das haben wir in Frankreich bisher noch nicht erlebt. Nach der großen Wäsche machen wir es Frédéric nach und gehen auch ins Schwimmbad. Es ist ein Wohltat, sich in das erfrischende Nass zu stürzen und ein paar Bahnen zu schwimmen. Im Anschluss besorgen wir uns noch etwas zu essen - bei Lidl, der sich leider etwas entfernt von der Herberge befindet. Die Sonne knallt nun richtig herab. Auf dem Rückweg kommen uns die beiden Belgierinnen entgegen und erzählen uns, wo sie den Schlüssel für die Eingangstür hinterlegt haben. Darüber hatten wir bisher nicht gesprochen, es gibt nämlich nur einen. Wenn dieser von einem der Übernachtungsgäste nun mitgenommen worden wäre… Wir sind froh, unbeschadet wieder in der Unterkunft zu sein. Gleich heißt es essen und dann ausruhen für morgen.
Königsetappe heil überstanden Mittwoch, 18. Juli 2023: Von Mussidan nach Sante-Foy-la-Grande - 34 km Die innere Uhr hat uns nicht im Stich gelassen. Um 6:00 Uhr herrscht bereits in allen drei Zimmern so etwas wie Aufbruchstimmung. Wir werden wie so oft nicht hier vor Ort frühstücken, sondern das restliche Walnussbrot von gestern Abend und den Camembert unterwegs an einem geeigneten Platz verzehren. Die Belgierinnen lassen sich etwas mehr Zeit, sie werden nicht ganz so weit laufen wie Frédéric und wir. 6:40 Uhr: wir stehen vor dem Tor und los geht es. Wir drei sind erfreut über die kühle Temperatur und kommen ganz gut vorwärts. Wir unterhalten uns angeregt mit Frédéric und bemerken gar nicht, wie die Kilometer an uns vorbeifliegen. Dann tritt Jörg auf die Bremse und wir drosseln etwas das Tempo. Das macht Sinn, denn mit 34 Kilometern liegt die längste Strecke der diesjährigen Pilgertour vor uns. Unser französischer Pilgerfreund läuft nun etwas weiter vor uns, wartet aber auch immer wieder auf uns. Mitten im schattigen Wald macht er dann eine kurze Pause, während wir noch etwas weiterlaufen. Etwas weiter finden wir bei Kilometer 12 an einem Marienbildstock einen Pilgerrastplatz, den wir gerne annehmen. Der Käse schmeckt hervorragend mit dem Walnussbrot. Dann sehen wir Frédéric auf uns zu kommen, er grinst und sagt, dass er das von den Deutschen kenne, sich etwas bequemes zu suchen, um Pause zu machen. Wir lachen alle herzhaft. Wir pausieren noch etwas und Frédéric geht weiter. Nach zwanzig Minuten packen wir auch zusammen und gehen wieder auf die Piste. Unser nächstes Ziel wird der Campingplatz Bazanges sein. Diesen erreichen wir kurz nach 12:00 Uhr, wir haben jetzt etwas mehr als einen Halbmarathon hinter uns. Am Campingplatz kommt uns Frédéric entgegen, er hatte schon zwei Kaffee getrunken. Jörg und ich haben uns inzwischen entschieden, morgen die längere Strecke nach Saint-Ferme zu machen und fragen ihn, ob er uns bei der Reservierung behilflich sein könnte. Klar, macht er. Bei dem Telefonat kommt dann heraus, dass unsere Gastgeberin richtig gut Deutsch spricht. Wir verabschieden uns von Frédéric, der noch darauf hinweist, dass es in Port-Sainte-Foy-et-Ponchapt einen Strand gibt, vielleicht sehen wir uns dort, aber spätestens morgen in der Herberge. Wir trinken noch ein Cola-Bier und machen uns dann gegen 13:00 Uhr auf die letzten 12 Kilometer. Dieser Abschnitt verlangt noch einmal einiges von uns. Es sind einige Steigungen zu bewältigen und die Sonne wird zudem wieder intensiver. Wir haben Glück, dass der Wind etwas von der gefühlten Hitze wegnimmt und so das Gehen etwas angenehmer macht. Nun befinden wir uns allmählich in dem hiesigen Weinanbaugebiet, wo vor allem weiße Trauben wachsen. Auf Höhe eines Gite d‘étape in Calabre, wo wir eigentlich ursprünglich übernachten wollten, verlaufen wir uns erstmals in diesem Jahr. Ausgerechnet an dem entscheidenden Abzweig fehlt eine Markierung und wir laufen geradeaus weiter. Zum Glück bemerkt Jörg sehr schnell, dass etwas nicht stimmt und wir kehren um. Ansonsten ist die Markierung der Via Lemovicensis vorbildlich. Durch Weinberge geht es allmählich abwärts an den Fluss Dordogne, der ziemlich flach in seinem Bett dahinfließt. Mehrere Angler stehen mitten im Fluss und hoffen auf einen guten Fang. Wir passieren den Strand, der aber für uns zu weit entfernt von der Unterkunft ist, und überqueren danach den Fluss nach Sainte-Foy-la-Grande. Nicht weit von der Brücke befindet sich unsere Unterkunft L‘Esprit d‘Enzam, die wir um 15:00 Uhr erreichen. Unsere Gastgeberin Sandrine kommt etwas später, wir werden von der Familie begrüßt und in unser sehr geräumiges Zimmer geführt. Wir können sogar unsere Wäsche in der Maschine waschen lassen und können auch noch am Abendessen der Familie teilnehmen. Überragend war die Badewanne im geräumigen Badezimmer, die Jörg direkt nutzt. Ein kleiner Spaziergang und ein Bier in einer Bar überbrücken die Zeit bis zum Abendessen. Auch der schönen Église Notre-Dame de Sainte-Foy-la-Grande statten wir einen Besuch ab. Dort finden wir auch eine Jakobus-Figur und eine historische Karte der Jakobswege. Schon bald nach unserer Rückkehr aus einem Supermarkt werden wir zum Abendessen gerufen. Es ist wie immer ein schöner Abend im Kreise einer Familie, wir wurden richtig verwöhnt. Dabei erfahren wir auch, dass die Großmutter von Sandrine aus Alzey stammt. Die Welt ist halt ein Dorf.
Voie de Vézelay - ein erstes Résumé Donnerstag, 20. Juli 2023: Von Sante-Foy-la-Grande nach Sainte-Ferme - 29,3 km Übliche morgendliche Prozedur: 6:00 Uhr aufstehen, packen. Eine halbe Stunde später wurden wir von Marie, der Mutter von Sandrine, zum Frühstück erwartet, das reichlich ausfiel. Es war so reichlich, dass wir uns erst um 7:20 Uhr loseisen konnten. Wahrscheinlich war das aber wieder einmal eines dieser Camino-Wunder, denn an der nächsten Kreuzung kam aus einer Seitenstraße Frédéric. Zunächst hat er uns noch nicht bemerkt, aber wir schließen schnell zu ihm auf. Schön, dass wir uns getroffen haben, denn wir werden heute alle drei in der Pilgerherberge von Sainte-Ferme übernachten. Er hatte nicht ganz so viel Glück mit seiner Bleibe wie wir. Es war alles etwas oldstyle und wohl nicht mit der vorherigen Unterkunft zu vergleichen. Wie laufen also gemeinsam weiter, gehen durch die ersten Weinberge und links von uns steigt die Sonne auf und gewinnt an Wärme. Aber auch heute weht uns ein leichter Wind entgegen, der zumindest die gefühlte Temperatur etwas senkt. Um uns herum ist es sehr ruhig, man hört vereinzelt Vögel, manchmal springt in unserer Nähe ein Reh durch die Rebstöcke. Den meisten Lärm machen aber die Hunde an den verstreut liegenden Höfen, die wir passieren. Ich lasse mich ein wenig zurückfallen, während Jörg und Frédéric sich in einem guten Gespräch befinden. Ich verliere mich ein wenig in meinen Gedanken, stelle aber eine unglaubliche innere Zufriedenheit für die vergangenen Tage auf dem Camino in mir fest. Heute ist der vorletzte Tag und wir haben bisher wunderschöne Landschaften durchwandert, haben die Bekanntschaft von tollen Menschen gemacht, aber zu Beginn auch unsere Grenzen erfahren. Die Erfahrungen werden wir für den nächsten Abschnitt im kommenden Jahr einfließen lassen. Unterwegs machen wir zwei kleinere Pausen, um dann um 13:00 Uhr bei Kilometer 22 in Pellegrue einen etwas längeren Stopp einzulegen. Die letzten 7 Kilometer sollen dann eine Kleinigkeit für uns werden. Wir unterhalten uns wieder sehr intensiv und vergessen dabei die Zeit. Zuweilen laufen wir aber auch mit zwanzig Metern Abstand zueinander, auch das muss zwischendurch sein. Der Weg führt uns wiederum über wenig befahrene Nebenstraßen, Wald- und Wiesenwege. Die Region benötigt auch dringend Regen, der Boden ist sehr trocken und aufgerissen. Gegen 16:00 Uhr erreichen wir Sainte-Ferme. Am Ortseingang befindet sich ein ehemaliges Benediktinerkloster aus dem 13. Jahrhundert, dessen Klosterkirche sehr ursprünglich, aber schön ist. Nur zwei Ecken weiter ist die Pilgerherberge, in der wir von Claire und Michel empfangen werden. Claire spricht übrigens richtig gut Deutsch. Es ist eine kleine aber feine Herberge wie in Sorges, in der wir uns direkt aufgehoben fühlen. Wir freuen uns schon auf das gemeinsame Abendessen, das die beiden uns zubereiten. Ja, und dann hatte ich wieder einmal etwas mitgenommen, das eigentlich total überflüssig war. In diesem Jahr war es ein unbenutzter Pilgerpass vom letzten heiligen Jahr. In meinem Credencial war eigentlich noch reichlich Platz für Stempel, auch für den folgenden Abschnitt. Im Gespräch mit Frédéric erfuhr ich, dass er auf jeden Fall einen weiteren bräuchte. Und dann war mir sofort klar, wofür ich meinen zusätzlichen Pass verwenden würde. Das gemeinsame Abendessen gehört ja bereits zum Ritual in den Pilgerherbergen der hiesigen Jakobusgesellschaften. Michel ist ein ausgezeichneter Koch und vor allem ein gelernter Pâtissier. Das zeigt er bei der Nachspeise, deren Zubereitung er vor unseren Augen zelebriert. Auch in Saint-Ferme neigt sich ein schöner Abend dem Ende zu und es wird Zeit, die nötige Ruhe für den nächsten Tag zu finden.
Abschied tut weh Freitag, 21. Juli 2023: Von Sainte-Ferme nach La Réole - 19,8 km Der letzte Tag bricht an, und das in Form eines nervenden Hahnes, der bereits um 5:30 Uhr der Ansicht war, dass es Zeit zum Weckruf sei. Hat er sich gedacht, aber die Rechnung ohne uns gemacht. Schon gestern Abend war er neben der Spur, als er zur Sandmännchenzeit zu krähen begann. Da es in unserem Schlafraum sehr warm war, wurde kurzerhand der Standventilator aus dem Aufenthaltsraum zu uns gestellt. Damit ließ es sich gut schlafen. Die Bettflucht beginnt dann wie vereinbart um 6:00 Uhr und eine halbe Stunde später sitzen Frédéric, Jörg und ich mit Claire und Michel am Frühstückstisch. Im Laufe des Morgens wird mir Fréderic erzählen, dass sie mich gerne noch etwas da behalten wollten - weil ich gestern Abend abgetrocknet hatte. Kurz nach 7:00 Uhr verabschieden wir uns von den zwei Hospitaleros und ziehen los. Für Jörg und mich ist es die Zielgerade in diesem Jahr, für Frédéric eine weitere Etappe auf seinem Weg nach Santiago de Compostela. Es ist wiederum eher frisch - ideal zum Laufen. So haben wir während unseren Gesprächen erneut einen guten Schritt drauf. Die Strecke ist aber auch für ein flottes Tempo gut geschaffen, es geht zumeist über flache Straßen oder gut befestigte Wald- und Wiesenwege. Wir merken wieder einmal gar nicht, wie die Zeit vergeht und legen nach fast der Hälfte der heutigen Etappe an einem idealen Platz eine Pause ein. Frédéric sagt ja immer, die Deutschen suchen so lange, bis sie ein schönes und komfortables Plätzchen gefunden haben. Da kann ich ihm inzwischen tatsächlich zustimmen. Auch der zweite Abschnitt führt uns wieder durch eine herrlich anzuschauen Landschaft, die nur selten von Dörfern bestückt ist. Manchmal halten sogar Leute mit Hund oder Auto an und haben das Bedürfnis, uns anzusprechen. Zum Glück haben wir Frédéric dabei, das macht das ganze von der Verständigung her einfacher. Nach einem letzten fiesen Anstieg können wir von der Anhöhe auf unser heutiges Ziel La Réole hinabschauen. Es dauert zwar noch eine Weile, bis wir die Vororte der Stadt durchlaufen haben, treffen aber ziemlich genau zum zwölften Glockenschlag an der Église Saint Pierre ein. Die Kirche ist sehr geräumig und hat eine schöne Atmosphäre. Als wir sie betreten, erklingt die Orgel und spielt für uns eine Art Fanfare. Zufall? Nein, nicht auf dem Camino! Es findet wohl gerade eine Probe statt, doch es nerven ein wenig ein paar Kinder, die lauthals durch die Kirche rennen oder auf die Kanzel klettern. Das ist für mich kein Umfeld für ein Ankommen. Für Frédéric anscheinend auch nicht, denn wir verlassen beide die Kirche. Jörg hingegen bleibt noch etwas sitzen und bekommt noch weitere Kostproben zu hören, so unter anderem das "Halleluja" von Leonard Cohen mit Orgel und Gesang. Wir besorgen uns in Tourist-Info einen Stempel und suchen uns danach eine Möglichkeit, etwas zu trinken. Außerdem ist die Zeit gekommen, Frédéric zu verabschieden. Wir hatten ihn schon ein paar mal gesehen, aber erst die letzten drei Tage zusammen verbracht. Es war uns eine Freude, ihn kennengelernt zu haben und ihm zumindest ein kleines Stück seiner Pilgerreise begleiten zu können. Gegen 13:00 Uhr ist dann der Moment des Abschieds gekommen, denn Frédéric hat noch circa 10 Kilometer vor sich, bis er seine heutiges Unterkunft in Bassanes erreichen wird. Wir wünschen ihm buen Camino und ein gesundes Ankommen in Santiago. Für Jörg und mich beginnt nun eine dreistündige Warterei, bis wir in unsere Unterkunft Amañi Hostel einziehen können. Das ist erst um 16:00 Uhr der Fall - irgendwie eine magische Uhrzeit in den letzten zwei Wochen. Bis dahin sitzen wir nahe der Garonne und vertreiben uns die Zeit unter anderem mit der Buchung einer Zugverbindung ab Mannheim nach Hause. Den letzten Rest der Wartezeit nutzt Jörg noch mit einem Besuch beim Barbier. Inzwischen gesellt sich eine fünfköpfige niederländische Familie in die Warteschlange vor dem Hostel, die etwas ungeduldig wirkt. Pünktlich öffnet sich die Eingangstür. Beim Betreten wird der Blick frei auf das wunderschöne Treppenhaus des mittelalterlichen Gebäudes, das geschmackvoll in eine Unterkunft mit Schlafsälen und Doppelzimmern umgebaut wurde. Der Eigentümer, ein junger Mann, zeigt uns die Räumlichkeiten, wir bekommen einen Schlafsaal mit sieben Betten - hoffentlich für uns alleine. Mit dem Frühstück wird es morgen knapp, doch wir dürfen schon eine halbe Stunde früher anrücken. Jetzt ruhen wir uns etwas aus, gehen etwas essen und sind froher Erwartung auf die Rückreise zu unseren Lieben. Und dann gibt es noch eine Zugabe in der Nachbarschaft: dort findet ein Konzert mit einer Ein-Mann-Band statt, das bis in unser Zimmer gut zu verstehen ist. Die Musik macht mich neugierig und ich entschließe mich, mir das etwas genauer anzusehen. Die letzte halbe Stunde bekomme ich noch live mit. Der Typ nennt sich Fredovitch und ist der absolute Hammer, spielt Drums, Keyboards oder Gitarre zugleich.
Home Sweet Home Samstag, 22. Juli 2023: La Réole - Bordeaux - Paris - Mannheim - Koblenz Ob es die freudige Erwartung der Heimkehr war oder doch der Lärm auf der Straße, es war auf jeden Fall eine sehr unruhige Nacht. Mehrfach wachte ich auf durch schreckliche Musik aus den benachbarten Wohnungen oder andere unangenehme Geräusche auf. Kurz nach 6:00 Uhr stehen wir auf und bereiten alles für die Abreise vor, auf das Frühstück verzichten wir, da es einfach zu knapp bis zur Abfahrt des Zuges in La Réole werden könnte. Ich lasse meine Wanderschuhe gleich in der Müllecke stehen, die sind jetzt wirklich am Ende, vor allem ist am rechten Schuh etwas aufgerissen und hält eigentlich nur noch durch die Goretex-Membran. Wir sind dann allerdings so früh am Bahnhof, dass wir einen eine halbe Stunde früher abfahrenden Zug bekommen. Schon bald stellen wir fest, dass dieser Zug nicht alle Bahnhöfe des eigentlich vorgesehenen anfährt. Es ist wohl im übertragenen Sinne ein Regionalexpress, der uns zudem noch dreißig Minuten schneller nach Bordeaux bringt und natürlich etwas teurer ist. Jedoch fällt die Ticketkontrolle entspannt aus, denn die Zugbegleiterin war wohl der Ansicht, uns bereits kontrolliert zu haben. Da hat uns wieder einmal Jakobus zur Seite gestanden. In Bordeaux haben wir viel Zeit, die wir überwiegend mit der Suche nach einer Frühstücksmöglichkeit verbringen. Die finden wir dann auch nach intensiver Recherche etwas abseits vom Bahnhof. Danach schlendern wir wieder zurück und warten auf unseren TGV. Paris erreichen wir pünktlich kurz vor 12:00 Uhr und haben jetzt noch 80 Minuten Zeit, vom Gare de Montparnasse zum Gare de l‘Est zu gelangen. Am Ende reicht das gerade aus, denn zunächst verbringen zwanzig Minuten in der Pariser Unterwelt, bis wir am Bahnsteig der Metrolinie 4 stehen. 12 Stationen und weitere 25 Minuten später steigen wir am Gare de l‘Est aus. Toilettengang und Verpflegungskauf folgen. Inzwischen wird für die Abfahrt unseres ICE das Gleis 30 angezeigt und wir stellen uns zum Boarding in die Reihe. Jetzt bleiben uns noch zehn Minuten, bis sich der Zug in Richtung Mannheim um 13:10 Uhr in Bewegung setzt. Solange wir durch Frankreich mit hoher Geschwindigkeit sausen, läuft alles gut. Kaum sind wir in Deutschland muss der ICE mitten auf der Strecke vor dem Bahnhof Saarbrücken anhalten und sammelt ein paar Verspätungsminuten. Ich kontrolliere daraufhin mal meinen Anschlusszug ab Mannheim, der auch schon 10 Minuten später eintreffen wird. Den Vogel schiesst aber Jörgs Verbindung nach Hause mit einer geschlagenen Stunde Verspätung ab. Er sucht sich einen Ersatzzug, der sogar einen günstigeren Fahrplan hat. Letztendlich fällt sein ursprünglicher Zug sogar komplett aus. Willkommen zurück in Deutschland.
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