Via Lemovicensis 2019
Datum | Strecke | Länge | Gesamtlänge | |
1. | 15.06.2019 | Vézelay - Le Chemin | 25 km |
25 km |
2. | 16.06.2019 | Le Chemin - Saint-Révérien | 29 km |
54 km |
3. | 17.06.2019 | Saint-Révérien - Prémery | 16 km |
70 km |
4. | 18.06.2019 | Prémery - Nevers | 32 km |
102 km |
5. | 19.06.2019 | Nevers - La Chapelle Hugon | 28 km |
130 km |
6. | 20.06.2019 | La Chapelle Hugon - Augy-sur-Aubois | 20 km |
150 km |
7. | 21.06.2019 | Augy-sur-Aubois - Saint-Amand-Montrond | 33 km |
183 km |
8. | 22.06.2019 | Saint-Amand-Montrond - Le Châtelet | 26 km |
209 km |
9. | 23.06.2019 | Le Châtelet - La Châtre | 30 km |
239 km |
10. | 24.06.2019 | La Châtre - Cluis | 30 km |
269 km |
11. | 25.06.2019 | Cluis - Gargilesse-Dampierre | 15 km | 284 km |
12. | 26.06.2019 | Gargilesse-Dampierre - Crozant | 20 km | 304 km |
13. | 27.06.2019 | Crozant - La Souterraine | 27 km | 331 km |
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Angekommen in der Vergangenheit Freitag, 14. Juni 2019: Koblenz - Köln - Paris - Vézelay Heute geht es los. 2013 erreichten Jörg und ich mit der Basilika Sainte-Marie-Madeleine in Vézelay unser erstes großes Zwischenziel. In diesem Jahr werden wir in den nächsten vierzehn Tagen unsere Pilgerreise durch Frankreich von dort fortsetzen. Meinen Wecker habe ich auf 3:30 Uhr gestellt, doch meine innere Uhr ist bereits früher auf das Aufstehen getrimmt, sodass ich schon einige Minuten vor dem Weckruf auf den Beinen bin. So kann Susanne wenigstens durchschlafen und ich störe sie nicht. Meinen Rucksack habe ich bereits gestern gepackt und komme auf ein Gewicht von knappen 9 Kilogramm. Nach den letzten Vorbereitungen verlasse ich um 4:15 Uhr die Wohnung und fahre mit dem Auto in die Stadt. Schon nach wenigen Metern muss ich bremsen, denn ein Igel kreuzt gemütlich die Straße, dreht sich neugierig zu mir um und setzt seinen Weg in aller Ruhe fort. Das Auto parke ich in der Stadt in der Nähe von Christians Wohnung, da er heute zu seinem Arbeitseinsatz nach Saffig fahren muss. Ich schicke ihm die Parkposition per WhatsApp und hinterlege den Schlüssel in seinem Briefkasten. Von der Wohnung sind es nur ein paar Ecken bis zum Bahnhof, die ich in ein paar Minuten hinter mich bringe. Am Bahnhof ist noch nicht viel los. Nur wenige Reisende warten wie ich auf ihre Züge, während es sich andere auf den Sitzmöglichkeiten in der Vorhalle „gemütlich“ gemacht haben und vor sich hindösen. Überpünktlich setzt sich der IC 208 in Bewegung und um kurz nach 6 Uhr bin ich schon in Köln. Hier habe ich jetzt rund eine dreiviertel Stunde Zeit, bis der Thalys nach Paris abfährt. Ich werfe noch einen Blick auf den Dom und besorge mir in einer Bäckerei ein Frühstück. Nach einer ruhigen Fahrt mit kurzen Zwischenstopps in Aachen, Lüttich und Brüssel und einer zeitweisen Reisegeschwindigkeit von über 300 km/h treffe ich in Paris am Gare du Nord um 10 Uhr ein. Während der Reise meldet sich Christian. Er fände es gut, wenn ich ihm meinen Live-Standort mitteile, allerdings hätte er damit ein Problem, das geparkte Auto zu finden. Ups, da habe ich wohl etwas falsch gemacht. Ich erkläre ihm, wo das Auto tatsächlich steht. Wieder habe ich etwas dazu gelernt. Ich verlasse den Bahnhof laufe noch rund 700 m bis zum Gare de l'Est, wo ich Jörg abholen muss. Er kommt von Mannheim und sollte eine gute halbe Stunde nach mir mit einem ICE aus Mannheim eintreffen. Aus der halben Stunde wird allerdings etwas mehr, die Deutsche Bahn hat es halt nicht so mit der Pünktlichkeit. Wir begeben uns direkt eine Etage tiefer und reihen uns in die Schlange vor einem Ticketautomaten ein. Dabei tauschen wir erste Neuigkeiten aus und machen uns mit dem Handling des Automaten vertraut. Dieser lässt sich mit einem Klick auf Deutsch umstellen und alles Weitere erklärt sich von selbst. Mit den Tickets in der Hand finden wir ausgesprochen schnell unsere Metrolinie 4 und müssen gar nicht lange auf die nächste Bahn warten. Nach sechs Haltepunkten steigen wir an der Station Chatelet um in die Linie 14, mit der wir bis Bercy fahren und dort aussteigen. Bis der Zug nach Sermizelles abfährt, dauert es jetzt noch eine gute Stunde. Wir schlendern mitten durch eine kleinere Demonstration gemütlich in Richtung Gare de Bercy und werden von einem Paar mit Rucksäcken auf dem Rücken, vermutlich Niederländer, nach dem Weg gefragt. Wir schauen uns den Bahnhof an und entscheiden uns, zunächst in einem nahegelegenen Park die Zeit bis zur Abfahrt mit einem ersten café au lait zu verbringen. Um 12:30 Uhr sitzen wir im Zug nach Sermizelles. An einem Zwischenhalt werden wir von einem Zugbegleiter aufmerksam gemacht, dass wir bitte in einen anderen Wagen umsteigen mögen. Da haben wir anscheinend eine Durchsage nicht mitbekommen. Pünktlich um 15 Uhr erreichen wir unseren Zielbahnhof. Von meinem vorab reservierten und bestätigten Taxi ist allerdings keine Spur zu sehen. Inzwischen macht sich das niederländische Ehepaar, das wir in Paris getroffen hatten, zu Fuß auf dem Weg in das 10 km entfernte Vézelay. Nach zwanzig Minuten fährt ein Taxi auf den Bahnhofsvorplatz und ich erkenne anhand der Beschriftung „Cathy Taxi“, dass es unseres sein müsste. Aber auch ein älteres Paar geht zielstrebig auf die Fahrerin zu und verstaut ihr Gepäck im Kofferraum. Ich versuche, der Fahrerin zu erklären, dass ich ebenfalls eine Reservierung habe. Das ältere Ehepaar gibt uns zu verstehen, dass wir doch einfach mitfahren sollen, es sei genügend Platz vorhanden und zudem würde es günstiger für alle. Um 15:45 Uhr lässt uns die Taxifahrerin nahe der alten Post am Ortseingang von Vézelay aussteigen und nach einem kurzen Anstieg durch die Rue de Saint-Etienne und die Rue Saint-Pierre haben wir schon unsere Unterkunft erreicht, die mittelalterlichen Pilgerherberge Cabalus. Ich hatte bereits im Vorfeld den Code für den Eingang erhalten, sodass wir uns bereits in unserem Zimmer - damals wie heute Nummer 7 – einrichten können. Alles wirkt so vertraut, die Zeit seit 2013 scheint hier stehen geblieben zu sein. Auf dem Weg zum Büro der hiesigen Jakobusgesellschaft werden wir von unserer Vermieterin, Madame Ingrid Schmieding, einer Schweizerin, begrüßt. Im Pilgerbüro erhalten wir den ersten Stempel für den Pilgerausweis einige nützliche paar Tipps aus erster Hand für die folgenden Tage. Auf dem Rückweg zur Unterkunft kaufen wir in einem kleinen Laden Chorizo, Käse, Brot und Bier und genießen eine erste Pilgermahlzeit auf unserer mittelalterlichen Stube. Durch das geöffnete Fenster strömt eine angenehme Ruhe in den Raum, die aber bald schon durch das sanfte Geräusch von Regentropfen, die auf Blätter fallen, verdrängt wird. Nach dem Essen gehen wir zur Basilika Sainte-Marie-Madeleine, um an der abendlichen Vesper und dem anschließen Gottesdienst teilzunehmen. Diese gehen wiederum mit den wunderschönen und engelsgleichen Chorälen der Brüder und Schwestern des Jerusalemordens ins Herz, geben Kraft und Zuversicht für die kommenden zwei Wochen auf der Via Lemovicensis. Durch die traumhafte meditative Musik kann man die anstrengende Anreise verdrängen, sich behutsam fallen lassen und sich auf die Pilgerfahrt einstimmen. Das ist ein wunderschönes Ankommen in Vézelay. Leider wird die Basilika gerade saniert und ist am Hauptportal eingerüstet. Schade, dass damit auch das bewundernswerte Tympanon im Verborgenen bleiben muss. Irgendwie habe ich jetzt Parallelen zur Kathedrale in Santiago im Kopf - ein Teil der Kirche ist versteckt, ein anderer bereits fertig und wie neu geboren aussehend. Morgen geht es richtig los. Die erste Etappe bis Le Chemin steht auf dem Plan. Derweil gehen wir heute früh schlafen und lauschen dem leichten Regen, der durch das offene Fenster ins Zimmer eindringt und einschläfernd wirkt. Gute Nacht.
Ein Paradies für Jakobspilger Samstag, 15. Juni 2019: Von Vézelay nach Le Chemin Die gestrige Anreise war wirklich anstrengend und so kommt es uns sehr entgegen, dass es erst um 9 Uhr Frühstück gibt. Wir sind jedoch schon eine halbe Stunde vorher fertig mit packen und entscheiden uns, schon einmal im kleinen Supermarkt noch etwas Wasser für den Tag einzukaufen. Nach unserer Rückkehr hat Madame Schmieding das Frühstück vorbereitet. Wir lassen es uns schmecken und führen ein wenig Smalltalk mit ihr. Schließlich zahlen wir unsere Rechnung und verabschieden uns. Ich kaufe mir noch einen handbearbeiten Stein mit Jakobsmuschel. Einen ähnlichen, hier 2013 gekauften, trage ich seitdem bei meinen Pilgertouren immer bei mir. Wir sind sehr dankbar, dass wir im Cabalus unsere Fortsetzung durch Frankreich beginnen können. Durch das bereits bekannte in Vézelay ist die Verbindung unseres bisherigen Weges mit dem vor uns liegenden Abschnitt sehr eng – trotz der sechs Jahre Differenz. Um 9:40 Uhr stehen wir vor der eingerüsteten Basilika und starten in den Tag. In der Nacht hat es geregnet und für heute Mittag sollen wir auch noch etwas davon abbekommen. Gerade in diesem Augenblick kommt die Sonne ein wenig durch die graue Wolkendecke und wirkt für uns wie ein Startsignal. Zunächst umlaufen wir einmal die Basilika und genießen den weitreichenden Ausblick von hier oben. Danach steigen wir über schmale Wiesenwege hinab und erreichen schon bald Saint-Père, wo wir das Flüsschen Cure überqueren. Wir folgen dem Verlauf des Gewässers, müssen dann aber über einen Feldweg einen ersten Aufstieg bewältigen. Der aufgeweichte Lehmboden klebt an unseren Schuhen fest und macht diese breiter und schwerer. Irgendwann ist es vorbei mit der Aufnahmekapazität der Schuhe und der Morast fällt in einem großen Klumpen wieder ab. Das ist die Chance für eine weitere Masse des braunen Bodenbelags, das gleiche zu versuchen. Wir sind froh, diese Passage bald hinter uns zu haben und laufen auf kleinen Nebenstraßen und Feldwegen durch Précy Le Moult und danach durch Pierre-Perthuis. Dort treffen wir auf zwei deutsche Pilgerinnen, die ich an ihrem gelben Outdoor-Wanderführer erkenne. In der kurzen Unterhaltung stellt sich heraus, dass sie heute noch 11 km mehr laufen wollen als Jörg und ich. Das wäre dann 36 km, und das am ersten Tag!? Ok, jeder, so wie will und kann…für uns wäre das entschieden zu viel. In Domecy-sur-Cure machen wir eine erste kurze Trinkpause. Dabei verstelle ich meinen Rucksack ein wenig, weil er nicht richtig auf dem Becken sitzt, wie ich mir das vorstelle. Kurz hinter dem Château de Bazoches fallen vereinzelte Regentropfen aus dem grauen Wolkenvorhang herab – die Wettervorhersage stimmt also. Wir überziehen deshalb vorsichtshalber die Rucksäcke mit dem Regenschutz und tragen unsere Regenjacken in der Hand. In Bazoches haben wir 15 km geschafft und werden mit der offenen Église Saint Hilaire begrüßt. Nach der kurzen Besichtigung fällt noch mehr Regen herab und wir befürchten, dass der noch stärker wird und wir gleich richtig nass zu werden. Tut er aber nicht - er hört hinter dem Dorf in einem Anstieg einfach wieder auf. An der Chapelle de Saint-Roche verstauen wir wieder unsere Jacken und marschieren nach Neuffontaines, wo wir an einer Ruhebank erneut eine Pause einlegen. Auch hier muss ich meinen Rucksack noch einmal verstellen. Ich bin immer noch nicht mit der Einstellung zufrieden. Es wäre besser gewesen, im Vorfeld den neuen Rucksack zu testen und richtig einzustellen. Im weiteren Verlauf zieht über uns noch einmal eine große dunkle Wolke auf, die vereinzelt etwas Wasser fallen lässt. Vor uns thront auf dem Mont Sabot die aus dem zwölften Jahrhundert stammende Chapelle Saint-Pierre-aux-Liens. Die Kapelle scheint von einer heiligen Aura umgeben zu sein, denn die Wolke zieht in gebührenden Abstand darüber hinweg und das dazwischen sichtbare helle Band wirkt wir eine Corona. Nun ist nicht mehr weit bis zu unserem Tagesziel. In Vignes durchlaufen wir die Rue de Compostelle, bevor es für rund einen Kilometer ganz gemein auf einem Feldweg steil aufwärtsgeht. Am Ende dieses Wegestückes werden wir von einem ersten Hinweis auf unsere Herberge L'Esprit du Chemin erwartet. Jetzt müssen wir nur noch um drei Ecken herum und stehen vor der Herberge. Auf einer Bank befinden sich schon zwei Rucksäcke, sie gehören Jan und Adrie. Die beiden haben wir schon in Paris und am Bahnhof von Sermizelles getroffen. Wir werden von Huberta empfangen und durch die Herberge geführt. Vor einigen Jahren hat sie mit Arno die Herberge in Saint Jean-Pied-de-Port aufgegeben und sich in diesem alten Bauernhof in Le Chemin niedergelassen. Mit der Unterstützung von freiwilligen Helfern wurde daraus eine paradiesische Pilgerherberge. Wir beziehen gleich das uns gezeigte Zweibettzimmer, das noch relativ neu ist. Heute ist „Schlafen in Bettwäsche“ angesagt – purer Luxus, aber aus rein hygienischen Gründen. Danach heißt es Wäsche waschen, duschen und ausruhen. In der Herberge unterhalten wir uns ein wenig mit Jan und Adrie, die beide nur wenig Deutsch, dafür aber besser Englisch sprechen. Es ist eine nette Unterhaltung. Um 19 Uhr gibt es Abendessen, zu dem uns Arno aus dem Aufenthaltsraum abholt und in einen geräumigen Nebenraum führt. Es gibt Reis, ein Linsengericht und ein Gemüsepotpourri, das meiste aus dem eigenen Garten. Bevor wir zuschlagen dürfen, stellt sich jeder kurz vor und erzählt etwas aus seiner Camino-Geschichte. Beim Essen führen wir auf Englisch eine richtig nette Unterhaltung. Erst nach über einer Stunde und einem leckeren Dessert aus Früchten werden allmählich die Stimmen etwas leiser. Es wird Zeit, den Tag zu beenden und sich für die kommende Herausforderung auszuruhen. Für Jörg und mich stehen morgen 30 km an, Jan und Adrie planen mit 24 km.
Am Ende geht es ja doch wieder bergauf... Sonntag, 16. Juni 2019: Von Le Chemin nach Saint-Révérien Für 7 Uhr steht das Frühstück bereit und alle vier Übernachtungsgäste sitzen pünktlich am Tisch. Auch heute früh gibt es einiges aus der eigenen Küche - lecker. Huberta und Arno verabschieden sich bereits von uns, da sie noch in die Kirche fahren möchten. Vorher bekommen wir noch unsere Stempel, die zum Teil mit der Hand ausgemalt sind. Außerdem erhalten wir Anweisungen, wo wir den Schlüssel der Herberge deponieren sollen. Bereits eine Dreiviertelstunde später haben wir alle unsere Rucksäcke auf dem Rücken und beginnen mit dem geplanten Tageswerk. Jörg und ich sind anscheinend noch nicht richtig dabei und laufen einfach die Straße geradeaus weiterund bemerken erst kurz darauf, dass wir eigentlich nach links abbiegen müssten. Adrie und Jan laufen richtig und wir beide schließen uns an. Durch einen feuchten Wiesenweg geht es zunächst abwärts nach Anthien, wo das Portal der Église Saint-Laurent aus 16. Jahrhundert offensteht. Ein Gitter versperrt zwar den Zugang, allerdings ist zumindest ein Blick in den Innenraum der Kirche möglich. Es folgt nun eine schmale Straße entlang von großen Weideflächen, aus denen unsichtbare Grillen um die Wette zirpen. Hier überholen wir die beiden Niederländer und gehen unser eigenes Tempo weiter, das heute deutlich flotter ist als gestern. Es folgen die kleinen Dörfer Sancy-le-Bas und Charpuis und nach circa 10 km mit Corbigny eine Gemeinde mit immerhin rund 1.500 Einwohnern. Den markanten Turm der Abtei Saint-Léonard aus dem 16. Jahrhundert sehen wir schon aus der Ferne. Neben den inzwischen vertrauten Wegzeichen - übereinanderliegende gelbe und blaue Balken sowie spezielle Muschelpfeile - zeigen uns am Boden eingelassene Bronzemuscheln den Weg durch Corbigny. Jörg und ich nehmen gegenüber dem Rathaus in einem Straßencafé Platz und machen eine erste Pause mit einem café au lait. Als wir uns nach einer guten halben Stunde wieder fertigmachen, treffen auch Jan und Atrie ein - schön sie wiederzusehen. Bevor es allerdings weitergeht, kaufen wir in einem kleinen Laden noch Wasser und Riegel für unterwegs ein. Schon bald verlassen wir Corbigny - seit 1979 besteht eine Partnerschaft mit Kobern-Gondorf ganz in der Nähe meines Wohnortes Koblenz - und befinden uns wieder in ländlicher Umgebung. Nun säumen ausgedehnte Getreidefelder unseren Weg, die mit dem leuchtenden Rot von hunderten Mohnblüten durchsetzt sind. Wir durchwandern mit Chitry-les-Mines und Chaumot wieder kleine Dörfer und überqueren den Canal du Nivernais. Unter unseren Füßen befindet sich jetzt vermehrt Asphalt und als wir nach einem zum Teil auch schattigen Anstieg am Friedhof von Pazy eine Bank vorfinden, machen wir für eine weitere Pause Gebrauch davon. Wieder auf der Piste erkennen wir vor uns zwei Pilgerinnen - das sind die beiden Deutschen von gestern. Sie haben für sich eine bequeme Art des Pilgerns gefunden und lassen das meiste Gepäck von einer Begleiterin per Auto transportieren. Die Sonne meint es momentan richtig gut mit uns und heizt weiter gut ein. Jörg und ich wandern weiter nach Guipy, wo es einen kleinen und vor allem geöffneten Laden geben soll. Wir werden nicht enttäuscht und decken uns mit allen Zutaten für ein Abendessen ein, denn in Saint-Révérien gibt es keine Einkaufsmöglichkeit und auch kein Restaurant. Wir kaufen Nudeln, Soße, Baguette und Bier und erhalten noch gratis eine Salami dazu. Herzlichen Dank dafür. Zum sofortigen Verzehr gönnen wir uns ein Sandwich mit Käse und Schinken, das riesig ausfällt. Als Ausgleich für den bisherigen Flüssigkeitsverlust müssen ein paar Gläser kalter Gerstensaft herhalten. Inzwischen sind die beiden Deutschen auch eingetroffen und stellen sich als Becky und Stefanie aus Mönchengladbach vor. Auch diese Pause dauert wiederum länger wie angedacht, sodass es allmählich Zeit wird, aufzubrechen. Die Straße schlängelt sich jetzt zur Abwechslung durch Weiden, die von zahlreichen Rindern abgegrast werden. Am Horizont erkennen wir eine Kirchturmspitze und hoffen, dass es sich um die Kirche von Saint-Révérien handelt. Ein Blick auf meine elektronische Karte bestätigt die Vermutung. Doch unsere Begeisterung wird sofort wieder gedämpft, denn das letzte Stück Weg verlangt mit einem netten Anstieg noch einmal alles von uns. Das passiert uns hier öfters, die Ortschaften befinden sich anscheinend zumeist auf Anhöhen. Dann stehen wir neben dem Rathaus vor der Herberge, entnehmen mittels dem schon bekannten Code den Hausschlüssel aus einem Kästchen neben dem Eingang und sind schon drin. Die Pilgerherberge wird von der Gemeinde bereitgestellt und ist recht einfach. Es gibt 14 Betten in drei Zimmern, einen Aufenthaltsraum und eine Küche. Ein Franzose war schon vor uns da und hat sich bereits sein Bett ausgesucht. Da wir die Herberge so früh erreicht haben, können wir glücklicherweise das einzige Zweibettzimmer für uns in Beschlag nehmen. Es ist jetzt kurz vor 16 Uhr und wir sind ganz schön geschafft. Heute war es doch sehr warm und wir sind oft ohne Schatten gelaufen. Das ist allerdings alles besser als Regen, und davon erwarten wir in den kommenden Tagen gemäß Wettervorhersage noch einiges. Es folgt das übliche Programm: duschen, waschen, Wäsche aufhängen, ausruhen, später noch kochen. Derweil versuche ich unsere ausgewählte Unterkunft für morgen per Telefon zu erreichen, jedoch ohne Erfolg. Ersatzweise schreibe ich eine Mail, werde aber später noch einmal zum Telefon greifen. Inzwischen sind auch noch Jan und Atrie sowie zwei niederländische Fahrradpilger aus Maastricht eingetroffen, denen ich meinen Führer zwecks der weiteren Planung zur Verfügung stelle. Es ist einiges los auf der Via Lemovicensis. Gegen 19 Uhr kommen zwei Damen im Auftrag der Gemeinde, die alle Unterkunftsgäste registrieren und gerne das Geld für die Übernachtung kassieren möchten. Als Gegenleistung erhalten wir den Stempel des Tages für unser Credencial. Dann wird es Zeit, den bereits knurrenden Magen zu füllen. Jörg bereitet auf dem zur Verfügung stehenden Gasherd die Nudeln zu und erhitzt im Wasserbad die Sauce. Ein Pfund Nudeln ist für uns beide etwas zu viel, sodass Jan und Adrie sich auch noch bedienen können. Nach dem Abwasch leert sich die Küche und alle ziehen sich in ihre Zimmer zurück. Wir sammeln abschließend unsere getrocknete Wäsche ein und bereiten schon einmal grob das Gepäck für den morgigen Tag vor. Bisher habe ich noch niemanden in unserer für morgen geplanten Unterkunft „Le Saint-Jacques“ in Prémery erreichen können. Ich versuche es mit einer E-Mail, vielleicht glückt das ja. Auch für die Schlafmöglichkeit in Nevers in der Pilgerunterkunft der Espace Bernadette Soubirou am Dienstag habe ich schon eine Anfrage rausgeschickt.
Als Asphalt-Pilger on the road Montag, 17. Juni 2019: Von Saint-Révérien nach Prémery Zwei Tage haben Jörg und ich nun schon gut hinter uns gebracht und dabei rund 54 km absolviert. Heute ist eine leichte Etappe eingeplant, damit wir nicht zu schnell ausgepowert sind. Gegen 7:30 Uhr sind wir mit den Vorbereitungen fertig und setzen uns in die Küche, um das am Vortag gekaufte Baguette und die geschenkte Salami zum Frühstück zu essen. Leider gibt es keine Möglichkeit, einen Kaffee oder Tee zuzubereiten, da es einfach nur an Zutaten fehlt. Heißes Wasser solo ist nicht so unser Ding. Hier wäre zumindest ein Getränkeautomat wünschenswert. Die beiden Fahrradpilger aus Maastricht bereiten sich ebenfalls auf die Abfahrt vor und gesellen sich zu uns. Währenddessen haben Jan und Atrie bereits auf leisen Sohlen das Haus verlassen, der Franzose scheint noch früher losgegangen zu sein. Wir tun es ihnen um Punkt 8 Uhr gleich und sind relativ schnell aus Saint-Révérien heraus. Zunächst geht es durch einen kühlen Wald auf weichem Gras, wo wir den Franzosen einholen, der sich nur langsam vorwärtsbewegt. Schon bald befinden wir uns für eine Weile auf einer Landstraße, die zu dieser Zeit von vielen Autos genutzt wird. Zum Glück sind die meisten französischen Fahrer eher rücksichtsvoll und reduzieren bei Gegenverkehr das Tempo oder weichen nach Möglichkeit so aus, dass wir ohne Bedenken am grünen Randstreifen entlanglaufen können. Es gibt aber auch andere… Wir verlassen kurzzeitig die Straße, um durch ein Dorf namens Moussy zu gehen. Hinter dem erblicken wir an einem großen Wegekreuz eine Grünfläche, die zu einer ersten Rast einlädt. Da der Platz jedoch unmittelbar an die Landstraße grenzt, verschieben wir die Pause noch etwas nach hinten und laufen für weitere 5 km neben der Landstraße her. In Boulon biegen wir in eine kleinere Nebenstraße ein, an deren Ende wir in Vilaine eine passende Möglichkeit für die Rast finden. Inzwischen habe ich eine Antwort aus Nevers erhalten, die ich bestätige. Danach muss ich mich noch einmal um heute kümmern, denn diese Antwort steht noch aus. Ich versuche mich mit meinen wenigen Brocken Französisch am Telefon und erreiche tatsächlich Monsieur Molé. Irgendwie kommen wir auf einen gemeinsamen Nenner und am Ende des Gespräches haben Jörg und ich heute Abend ein Zimmer mit Abendessen und Frühstück. Das klappt ja besser, als ich gedacht habe. Eine erholsame halbe Stunde später machen wir uns wieder auf den Weg, duchqueren das Dorf und landen wieder auf einer schmalen Straße. Diese wird vornehmlich von Weideland flankiert, auf dem zumeist weiße Rinder und zur Abwechslung hin und wieder auch einmal Schafe grasen. Zwei Kilometer vor Prémery entdecken wir in einem Garten eine lustige Vogelscheuche, die ein ähnlich schickes gelbes Oberteil wie ich trägt, und kurz dahinter eine private Pilgerherberge. Inzwischen ist es richtig warm geworden, die Sonne knallt vom blauen Himmel ganz schön herab. Das letzte Stück müssen wir erneut an einer Landstraße absolvieren, bevor wir Prémery erreichen. Der Ort zieht sich sehr lange hin, bis wir nahe dem Zentrum unsere Pension „Le Saint Jacques“ erreichen. Da wir deutlich früher als vereinbart in Prémery angekommen sind, laufen wir noch etwas weiter in der Hoffnung, eine geöffnete Bar zu finden. Das gelingt uns auch und wir lassen ein großes Glas Leffe verdampfen, das mit 6,50 € auch einen großen Preis hat. Obwohl unser Gastgeber im Telefonat von 15 Uhr gesprochen hat, möchten wir nicht länger warten und versuchen, bereits über zwei Stunden früher unser Zimmer zu bekommen. Das ist für Monsieur Molé anscheinend kein Problem, er lässt uns eintreten und zeigt uns das Haus sowie unser schnuckeliges Zimmer im ersten Stock. Wir sind zufrieden damit. Jörg ist heute trotz der relativ kurzen Etappe ganz schön geschafft. Daher geht lasse ich ihm im Bad den Vortritt. Schnell unter die Dusche, Wäsche waschen und aufhängen und etwas ausruhen in Form eines Mittagsschlafes ist jetzt angesagt. Gegen 16:30 Uhr drehen wir eine kleine Runde durch den Ort. Prémery ist wie bereits Saint-Révérien eine Stadt, die nicht allzu viel zu bieten hat. Hier gibt es wenigstens noch eine Bar, eine Boulangerie und etwas außerhalb einen großen Supermarkt. Die Gegend blutet anscheinend im Laufe der Zeit aus und lässt nur ältere Menschen zurück. Industrie findet man zumindest im Blickfeld überhaupt nicht, dafür aber noch an jeder Ecke einen landwirtschaftlichen Betrieb. Um 19 Uhr bekommen wir unser Abendessen serviert und lernen dabei ein älteres französisches Ehepaar aus der Bretagne kennen, das sich hier inzwischen auch einquartiert hat. Ich versuche unserem Gastgeber zu erklären, dass wir morgen kein Frühstück benötigen, da wir wegen der zu erwartenden Temperaturen und der Streckenlänge von 32 km früh losziehen werden. Nach dem Essen bezahlen wir unsere Rechnung und ziehen uns dann zur Nachtruhe zurück.
Wallfahrt zur Heiligen Bernadette Dienstag, 18. Juni 2019: Von Prémery nach Nevers Um 7 Uhr sitzen wir doch am Frühstückstisch, daneben liegen unsere fertig gepackten Rucksäcke. Monsieur Molé hat uns angeboten, das Frühstück so vorzubereiten, wie es in unseren Plan passe. Das macht sicherlich nicht jeder und dafür sind wir sehr dankbar. Bereits eine Viertelstunde später haben wir unsere Rucksäcke auf dem Rücken und verabschieden uns von unserem freundlichen Gastgeber. Nur zwei Ecken weiter haben wir das noch im Schlaf befindliche Prémery hinter uns gelassen und bewegen uns parallel zu einer Bahntrasse. Hier ist aber schon lange kein Zug mehr gefahren, denn die Gleise sind mit einer dünnen Rostschicht bedeckt. Wir zweigen auf eine Nebenstraße ab, auf der uns einige wenige Autos begegnen und aus denen man uns sogar zuwinkt. Es geht zunächst etwas aufwärts, danach aber eher flach und durch einige Weiler weiter. Man spürt schon deutlich die ansteigenden Temperaturen. Vor allem beim Wechsel von Wald zu offener Fläche merkt man sofort einen deutlichen Unterschied. Kurz vor Mauvron entfaltet sich die Sonne in ihrer ganzen Pracht, die aber zu unserem Wohlgefallen im Laufe des Tages hin und wieder von Wolkenschwaden versteckt wird. Die Landschaft ist immer noch von Weidewirtschaft und Ackerbau geprägt und vereinzelt laufen wir an größeren Gehöften vorbei. In dem Dorf La Quellerie weckt an einem Gartenzaun ein kleines blaues Schild mit gelber Muschel und Pfeil sowie einem ermunternden Spruch unsere Aufmerksamkeit: „Si vous avez besoin d'eau: Sonnez!“ – „Wenn Sie Wasser brauchen: bitte klingeln!“ Überhaupt sind wir von der Freundlichkeit der Franzosen begeistert. Es gibt bei Begegnungen immer ein „Bonjour“ verbunden mit einem Lächeln. An anderer Stelle wird uns aus einem vorbeifahrenden Auto winkend „Bonne route“ zugerufen. Schließlich erreichen wir nach rund 18 km mit Guérigny eine Stadt, die am Eingang mit einem Industriebetrieb aufwarten kann. Direkt daneben bietet sich ein Supermarkt zum Einkauf und einer ausgiebigen Pause an. Diese nutze ich, um per Mail für die morgige Übernachtung bei der Mairie von La Chapelle-Hugon anzufragen. Nachteil für uns: es gibt dort weder ein Restaurant noch eine Einkaufsmöglichkeit. Wir müssen also heute Abend in Nevers alles Notwendige besorgen und ihm Rucksack mitschleppen. Inzwischen ist unser Mittagsimbiss verzehrt und wir machen uns wieder auf den Weg. Guérigny geht fließend über in die Gemeinde Urzy, die eine Partnerschaft mit Kamp-Bornhofen am Rhein pflegt. Nach diesem kurzen städtischen Intermezzo sind wir erneut umgeben von grüner Landschaft. Die Temperaturen sind weiter angestiegen und wir laufen wieder auf einer Nebenstraße. Nach einer Weile lädt uns eine Bank unter einem schattenspendenden Baum zu einer weiteren Pause ein, die wir gerne annehmen. Jetzt haben wir noch circa 7 km bis Nevers vor uns - übrigens Partnerstadt von meinem Wohnort Koblenz. Wir überqueren auf einem frisch asphaltierten Wirtschaftsweg die A 77 und befinden uns kurz darauf in den ersten Vororten von Nevers. Es zieht sich noch ganz schön lange bis zum Zentrum der Stadt. Gegen 15 Uhr erreichen wir den mittig gelegenen Park Roger Salengro, in dem gerade eine Kirmes aufgebaut ist. Die aufwärtsführende Straße nebenan bringt uns direkt zu unserer heutigen Unterkunft „Espace Bernadette Soubirous“. An der Rezeption werden wir sehr freundlich empfangen und erhalten entgegen unserer Buchung in der Pilgerunterkunft ein nettes Zweibettzimmer. Das ist eine angenehme Überraschung. Wir werden in die Örtlichkeiten eingewiesen und machen uns danach in unserem Zimmer 152 breit. Nach der täglichen Wäsche von Kleidung und Körper ist für Jörg ein wenig ausruhen angesagt. Ich ziehe mich in die Kirche zurück und besuche den Schrein der heiligen Bernadette, die 1858 in Lourdes mehrere Marienerscheinungen hatte, 1866 in das Kloster Saint-Gildard in Nevers eintrat und dort 1878 im Alter von 35 Jahren an Knochentuberkulose starb. Noch heute kann man in der Klosterkirche den unversehrten Leichnam der heiligen Bernadette in einem gläsernen Sarkophag verehren. Als eine spanische Jugendgruppe die Kirche betritt, wird es sehr unruhig und gehe nach draußen. Vor der Kirche zünde ich an einem Nachbau der Grotte von Lourdes eine Kerze. Zweimal habe ich schon an der Internationalen Soldatenwallfahrt in Lourdes teilgenommen. Ich werde wahrscheinlich in 2020, meinem Dienstjahr als Soldat, noch einmal mitfahren. Ich erkunde das weiträumige Gelände und entdecke etwas unterhalb des Klostergebäudes die Pilgerunterkunft, die anscheinend momentan saniert wird. Deshalb haben wir wahrscheinlich das wesentlich komfortablere Zimmer bekommen. Am Spätnachmittag suchen wir nach einer Einkaufsmöglichkeit und finden diese auch. Für morgen kaufen wir lediglich Pasta, Tomatensoße und ein paar Kleinigkeiten ein, um Gewicht zu sparen. Um 19:30 Uhr gehen wir zum Abendessen und unterhalten uns am Tisch mit einem französischen Ehepaar. Die beiden haben die gleichen Schwierigkeiten wie Jörg und ich, denn nur die Frau spricht ein wenig Englisch und muss für ihren Mann übersetzen. Im Anschluss drehen wir noch eine kleine Runde durch den Klosterpark und ziehen uns dann in unser Zimmer zurück.
Das Hühnerwunder ist leider ausgeblieben... Mittwoch, 19. Juni 2019: Von Nevers nach La Chapelle-Hugon Auch heute besteht die Möglichkeit, bereits um 7 Uhr das Frühstück einzunehmen. Wir sind pünktlichst im Frühstücksraum und dort ganz alleine. Es wird ein typisch französisches „petit dejeuner“ angeboten: Baguette, Marmelade und Kaffee. Das Angebot ist reichlich und wir sind sehr zufrieden damit. Nach und nach trudeln noch weitere Gäste ein, doch wir sind die ersten, die fertig sind. Da wir schon im Zimmer alles für den Aufbruch vorbereitet haben, holen wir nur noch unsere Rucksäcke und starten in den Tag. Noch schnell den Zimmerschlüssel an der Rezeption abgeben, einen freundlichen Dank aussprechen und schon sind wir wieder auf dem Camino. Wir laufen durch den Park und stehen kurz darauf vor der Kathedrale Saint-Cyr-et-Sainte-Julliette, die aber rundherum mit einem Bauzaun und Gerüsten versehen ist. Ein Besuch muss daher leider ausfallen. So gehen wir unmittelbar nach nebenan und bestaunen das Palais Ducal aus dem 15. Jahrhundert, dem früheren Herzogspalast. Heute wird der Palast für repräsentative Zwecke und Verwaltungsaufgaben genutzt. Über den Place de la République gelangen wir an das Ufer der Loire und überqueren den Fluss über die Pont de Loire, die 1767 geplant wurde, aber erst 1832 eingeweiht werden konnte. Von der anderen Seite hat man einen wunderschönen Blick auf Brücke und Kathedrale. Hier findet man auch einen ersten Hinweis auf die alternative Route des Jakobsweges, der wir folgen werden. Diese Route ist überwiegend identisch mit dem GR 654. Neben den typischen Markierungen der Grande Randonné, übereinanderliegenden roten und weißen Balken, finden wir auch die uns schon bekannten Wegezeichen für die Via Lemovicenis. Wir laufen nun auf wenig befahrenen Straße parallel zur Loire nach Westen, zumeist aber nicht in Sichtweite des Gewässers. Nach einer Weile biegen wir an einem Campingplatz auf einen Schotterweg ab und kommen dem Fluss deutlich näher. Die Loire ist in ihrem Verlauf sehr natürlich geblieben und fließt mit einer majestätischen Ruhe dahin. Wir laufen jetzt in schattigem Wald auf schmalen Pfaden, bis der Weg sich wieder etwas vom Fluss entfernt. Kurz darauf erreichen wir Gimoulle und entdecken dort einen kleinen Laden, in dem es neben Backwaren, Kaffee und wenigen Dingen für das tägliche Leben auch Ziegenkäse gibt. Da schlagen wir zu und pausieren zum ersten Mal für den heutigen Tag. Den Käse gibt es morgen zum Frühstück, einen café au lait jetzt sofort. Während der Pause unterhalten wir uns mit einem Ehepaar aus Deutschland, das per Fahrrad ans Meer unterwegs ist. Dann wird es wieder Zeit, den Camino fortzusetzen, denn ab 15 Uhr ist ein Gewitter angekündigt, in das wir auf keinen Fall geraten möchten. Wir gehen nun am Canal Latéral a la Loire entlang, der kurz darauf mittels einer Brücke über den Fluss Allier führt. Am Ende der Kanalbrücke müssen Boote noch durch zwei Schleusen, um den Höhenunterschied von circa 10 m zu überwinden - ein interessantes Bauwerk. Wir verlassen den Kanal schließlich wieder nach Westen und stoßen auf einen weiteren Kanal, den wir ungefähr 2,5 km begleiten. Danach müssen wir wieder einmal auf eine Landstraße wechseln, an deren Ende uns das wunderschöne Dorf Apremont-sur-Allier empfängt. Dicht am grünen Flussufer lassen wir uns vor einem Bistro nieder. Wir finden auf der Wiese ein Tisch für uns und legen - zur Mittagszeit angemessen - eine Pause mit einem Glas Bier ein. Auf einmal ertönt das Gegacker von zwei braunen Hühnern, die sich den Gästen aus größerer Entfernung nähern. Sie picken alles auf, was von den Tischen herabfällt. Erwartungsvoll schauen sie auch mich an, doch ich kann nichts anbieten. Allerdings haben Jörg und ich wohl zeitgleich eine Idee: da wir heute Abend kochen müssen, wäre jetzt als Zugabe ein Ei oder vielleicht ein ganzes Huhn gar nicht so schlecht. Bereitwillig legen sich die beiden Federviecher sogar zu meinen Füßen nieder, jedoch bleibt der finale Satz in einen unserer Rucksäcke dann zu unserem Unmut doch aus. Es wäre zu schön gewesen... Auch diese Pause geht vorbei und wir haben noch gut 9 km Wegstrecke vor uns. Da die gleich nebenan positionierte Église Notre-Dame-de-l´Assomption offensteht, werfen wir auch einen Blick hinein, bevor es zunächst auf einer Straße aufwärts weitergeht. Kurz darauf biegen wir in einen Schotterweg ein, der uns durch Wald führt. Wir haben aber wohl im Verlauf des Weges einen Abzweig verpasst und landen an einem See. Die in der elektronischen Karte eingezeichneten Wege entpuppen sich als Waldschneides, durch die wir nicht unbedingt wandern möchen. Wir navigieren uns also wieder in die korrekte Richtung und lauen auf einem Waldweg rund 3 km schnurgeradeaus weiter. Inzwischen ist es etwas windiger geworden und es ziehen vermehrt Wolken auf, alles Anzeichen für ein aufkommendes Gewitter. Doch wir haben anscheinend mal wieder Glück und wir erreichen trockenen Fußes gegen 14:30 Uhr die Mairie von La Chapelle-Hugon. Auf der Rückseite des Rathauses befindet sich der Eingang zu der kleinen Herberge, deren Türe unverschlossen ist. Wir sind auf den ersten Blick überrascht, denn wir finden lediglich eine ausklappbare Schlafcouch vor, die aber wohl für uns beide für die Nachtruhe ausreichend sein muss. Die Unterkunft hat zudem einen sehr sauberen Sanitärbereich und auch eine kleine Küche. Zu unserer Freude gibt es noch eine Waschmaschine, die wir sofort mit unseren getragenen Kleidungsstücken befüllen und in Gang setzen. Ich finde in einem Schrank einige Teebeutel und koche eine Kanne Tee, die ich danach zum Abkühlen in den gut funktionierenden Kühlschrank stelle. Während Jörg schon etwas entspannt, hänge ich die Wäsche auf, die in kürzester Zeit trocknet. An meinem Rucksack muss ich erneut einiges verändern, da auf meiner rechten Schulter einfach zu viel Gewicht lastet und die nun ein wenig schmerzt. Ich hoffe, dass es mit der neuen Einstellung besser wird. In Vorbereitung auf morgen rufe ich in der Pilgerherberge Nos Repos in Augy-sur-Aubois an, damit René auch mit uns rechnen kann. Er bietet mir an, dass wir auch gerne mit seiner Familie zu Abend essen, was ich gerne für uns beide annehme. Gegen Abend gibt es auch heute etwas Warmes zu essen: die mitgebrachten Nudeln und die Tomatensoße. Was uns hier fehlt? Ein kühles Bier! Oder auch zwei…
Ein Paradies für Jakobspilger 2.0 Donnerstag, 20. Juni 2019: Von La Chapelle-Hugon - Augy-sur-Aubois Trotz der beengten Schlafmöglichkeit und der nicht gerade niedrigen Raumtemperatur haben wir eine erholsame Nacht hinter uns. Um etwas mehr Platz auf der Schlafcouch zu haben, legten wir uns halt mit dem Kopf entgegengesetzt hin. Das hat gut funktioniert. Heute steht eine erholsame Etappe an, die recht kurz und relativ flach ist. So haben wir auch keine große Eile, um auf den Weg zu gehen. In aller Ruhe packen wir unsere Sachen zusammen und verzehren ein wörtlich genommenes „petit dejeuner“ - den gestern in Gimoulle gekauften Ziegenkäse. Während unserer Vorbereitungen schaut Madame Lolong, die Gemeindesekretärin, kurz in das Refugio hinein und erklärt uns, wo wir sie wegen des Entgeltes und des Stempels finden können. Ich habe natürlich wieder einmal nicht alles genau verstanden und so verstreicht die Zeit, ohne dass etwas passiert. Also mache ich mich auf die Suche nach Madame Lolong. Ich finde sie mit ein paar anderen Leuten in einem offenstehenden Nebengebäude erwartungsvoll an einem Tisch sitzend. Ich hole schnell Geld und unsere Pilgerausweise und setze mich dazu. Sie nimmt unsere Daten auf, stempelt die Ausweise und verabschiedet uns freundlich. Ziemlich genau um 8 Uhr verlassen Jörg und ich La Chapelle-Hugon. Zunächst laufen wir an der Église Saint-Etienne-et-Saint-Martin vorbei, doch das reich verzierte Portal ist wie so oft verschlossen. Anstatt meinen GPS-Daten folgen wir den Markierungen der hiesigen Jakobusgesellschaft. Diesen Weg finde ich jedoch nicht auf meiner elektronischen Karte. Trotzdem vertrauen wir den Markierungen, die uns bisher nie im Stich gelassen hatten. Erst sehr viel später erkenne ich, dass wir entlang eines nicht mehr wasserführenden Abschnittes des Canal de Berry laufen. Diese Route durch dichten Baumbestand ist uns auch viel lieber, anstatt wie geplant entlang einer Straße zu gegen. In Grissoure verlassen wir das bewaldete Wegstück und machen in einer Bäckerei einen ersten Stopp. Dort sitzen einige Einheimische an einem kleinen Tisch über ihrem morgendlichen Kaffee. Jörg und ich bestellen und ebenfalls einen Kaffee und dazu eine Apfeltasche und dürfen uns mit an den Tisch setzen. Nach der Stärkung mit diesem zweiten „petit dejeuner“ verabschieden wir uns und machen uns auf den Weg. Es ist heute im Vergleich zu den Vortagen noch frisch und der Himmel ist von grauen Wolken bedeckt. Der Camino verläuft weiterhin durch schattigen Wald und nun entlang des kleinen Flüsschens Auboir, dahinter befinden sich großflächige Weiden, auf dem Rinder grasen - also das übliche Bild der vergangenen Tage. Schließlich gelangen wir erneut an den Canal de Berry, und dieses Mal ist er auch mit Wasser gefüllt. „Der“ Kanal ist eigentlich ein System aus mehreren Armen im historischen Herzogtum Berry und wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit einer Länge von insgesamt 260 km angelegt. Er verfügt über rund 200 feste und bewegliche Brücken sowie 97 Schleusen. Erst 1956 endete die wirtschaftliche Nutzung und einige Abschnitte wurden sogar verfüllt. Inzwischen gibt es Initiativen, die eine zumindest teilweise Wiedernutzbarmachung anstreben. Wir wandern mal auf der linken, mal auf der rechten Seite der Wasserstraße und erfreuen uns der Landschaft. Aus allen Richtungen sind Vogelstimmen zu hören, aber auch Frösche und anderes Getier machen sich in der Stille der Natur lautstark bemerkbar. Der Kilometerzähler zeigt ungefähr „10“ an, als wir Sancoins erreichen. Kurz bevor wir den Kanal verlassen, fallen aus einer dunklen Wolke ein paar Regentropfen. Da kommt uns eine Bank unter einem Baum gerade recht. Das Ende des kurzen Schauers abwartend, werden wir von einer Französin unseres Alters überraschend direkt auf Englisch angesprochen. Sie fragt uns nach unserem Ziel, wo wir herkommen und gibt uns ein paar Tipps für die Stadt. Dann zieht sie mit ihren beiden Hunden weiter. Auch wir wollen weiter, kaufen in Sancoins in einem kleinen Markt einen Mittagsnack ein, den wir auf den Treppenstufen der Église Saint-Martin verspeisen. Die Kirche selbst ist natürlich verschlossen. Nach einer ausgiebigen Pause machen wir uns wieder auf den Weg und landen alsbald erneut am Kanal. Obwohl inzwischen die Wolkendecke aufgerissen ist und blauer Himmel und die Sonne durchkommen, beginnt es plötzlich zu regnen. Rasch ziehen wir den Regenschutz über die Rucksäcke, gleichzeitig kommen unsere Regenponchos erstmals zum Einsatz. Doch nach 200 m ist der ganze Spuk schon wieder vorbei und zumindest die Ponchos verschwinden wieder. Übungsende! Erkenntnis: wir sind innerhalb kürzester Zeit in der Lage, einen vollständigen Regenschutz herzustellen. Weiter geht es auf einem gemähten Wiesenweg entlang des Kanals. An einer Brücke wechseln wir die Seite und dort auf eine Schotterpiste, die durch eine Hecke vom Kanal getrennt ist. Am Ende der Piste stehen wir allerdings vor dem verschlossenen Tor eines Bauernhofes. Da hat uns das GPS aber ganz schön in die Irre geführt. Auf dem Rückweg entdecke ich eine Lücke in der Hecke, durch die wir auf den parallel verlaufenden, richtigen Weg unmittelbar am Kanal, wechseln können. Das reduziert den zusätzlich zu laufenden Weg deutlich. Schließlich verlassen wir für heute den Kanal über eine aufwärts führende Rampe und laufen das letzte Wegstück auf einer Straße. Am Horizont ist schon die Kirchturmspitze von Augy-sur-Aubois zu erkennen. Nur wenige Minuten später werden wir von René am Refuge Nos Repos in Empfang genommen. Dieses besteht bereits seit 19 Jahren. In der ersten Planung für die Via Lemovicensis wollte ich eine völlig andere Route nehmen, aber der Hinweis meines Pilgerfreundes und Naturschützers Karl-Heinz ließ mich umdenken und -planen - und das war auch gut so. Das, was René mit seiner Frau Hanny und weiteren Freiwilligen aufgebaut hat, ist vergleichbar mit der Pilgerherberge in Le Chemin. Aus einem alten Bauernhof wurde eine tolle Unterkunft für Pilger. Wir sitzen im Aufenthaltsraum bei einem Begrüßungsbier eine gute Dreiviertelstunde zusammen und unterhalten uns sehr angenehm. René erzählt, dass er früher Militärpfarrer bei den niederländischen Streitkräften war. Damit haben Jörg und ich einen guten Abholpunkt, denn wir haben uns ja vor Jahren über die Pilgerrüstzeiten der evangelischen Militärseelsorge kennengelernt. Nach der herzlichen Begrüßung haben wir im rustikal hergerichteten Schlafsaal im Obergeschoß freie Auswahl bei den verfügbaren Betten. Danach widmen wir uns den täglichen Themen Pflege von Material und Personal und spazieren danach ins nahegelegene Augy. Dort kaufen wir im Restaurant mit angeschlossenem Dorfladen schon einmal Wasser für den kommenden Tag ein und genehmigen uns ein kühles Bier. Wieder zurück in der Herberge werden wir um 18:45 Uhr wir zum Abendessen gerufen, wobei wir Hanny, Daniel und Sven kennenlernen. Es gibt Frikadellen und Fleischspieße vom Grill und verschiedene Salate. Nach dem Essen sitzen wir noch lange zusammen und verbringen in einer vertrauten Atmosphäre einen sehr schönen Abend. Jörg und ich sind dankbar, dass wir in Nos Repos zu Gast sein dürfen und erhalten wie jeder Übernachtungsgast zur Erinnerung eines kleines Stoffherz für den Rucksack sowie als österliches Symbol ein gekochtes Ei von den hauseigenen Hühnern. Wir werden diese herzliche Begegnung gerne in Erinnerung behalten. Da wir morgen schon sehr früh das Haus verlassen werden, verabschieden wir uns bereits heute und begeben uns zeitig ins Bett.
Canal de Berry - eine unendliche Geschichte Freitag, 21. Juni 2019: Von Augy-sur-Aubois nach St.-Amand-Montrond Heute steht der siebte Pilgertag auf dem Tableau, und es wird die Königsetappe sein. Schon gestern Abend haben wir uns von Hanny und René verabschiedet, weil wir sehr früh losmarschieren wollten. Kurz nach 7 Uhr stehen wir vor der Herberge und beginnen den Tag. Wir werden schon von der Sonne begrüßt, der Himmel ist aber bereits mit Wolken gespickt und auch die Temperatur meint es mit angenehmen 18 Grad richtig gut mit uns. Wir marschieren zunächst auf einer Straße, die aber schon bald auf einen noch feuchten Wiesenweg abzweigt. Die Schuhe verfärben sich ganz langsam dunkel, weil sie den im Gras gefangen Morgentau bereitwillig entgegennehmen. Es dauert rund 4 Kilometer, bis wir den bereits bekannten Canal de Berry erreichen. Zunächst laufen wir parallel etwas oberhalb des Kanals, wechseln aber nach gefühlten wenigen Minuten schon direkt an das Ufer auf den alten Treidelweg. Aufgrund der Streckenlänge werden wir heute regelmäßige Pausen einlegen - die erste an einer einladenden Sitzgruppe nahe dem Chateau Lienesse. Im weiteren Verlauf wechseln wir mehr oder weniger regelmäßig an Kanalschleusen, die zumeist mit hübschen Wärterhäuschen versehen sind, die Uferseite. Bald verändert das Kanalbett völlig das Aussehen: kein Wasser mehr, dafür wilder Pflanzenbewuchs. An einer Stelle liegen am Boden sogar die verlassenen Schalen von großen Flussmuscheln. Aus dem stillgelegten und sich selbst überlassen Kanal ist ein natürliches Biotop geworden. Hier tummeln sich quietschvergnügte Entenbabies und starten erste Flugversuche, während andere seelenruhig noch brütend auf ihrem Gelege sitzen. Zugleich ergreifen aufgeschreckte Bisamratten und Fischreiher die Flucht vor uns, sobald wir in ihre Nähe kommen. Besonders auffällig ist hier die unfassbar große Anzahl an Schmetterlingen, die sich anscheinend um die Wette verfolgen. Aber auch für andere umherfliegende Insekten ist der Kanal mit seinen steilen Ufern ein Paradies geworden. Nach circa 21 Kilometern erreichen wir Charenton-sur-Cher, wo wir uns in einer Bäckerei mit einem Mittagssnack versorgen. Es gibt hier verschiede „Menüs“, bestehend aus einem belegten Baguette, einem Getränk und einem Dessert. Wir nehmen an einem der Tische, die vor der Bäckerei stehen, Platz und verzehren zufrieden unsere Mahlzeit. Ich nutze die Gelegenheit und gehe noch einmal ein Stück zurück zur Église Saint-Martin, deren ältester Teil im dem 12. Jahrhundert erbaut wurde. Glücklicherweise ist die Kirche geöffnet und ich kann sie mir ansehen. Zum Abschluss des Tages stehen noch einmal rund 10 km Geleitschutz für den Canal de Berry an, bevor wir diesen endgültig am Eingang von Saint-Amand-Montrond verlassen können. So schön es am auch Kanal war, es wird jetzt Zeit, wieder einmal etwas Anderes zu sehen. Doch hier erwartet uns die nächste Herausforderung: es beginnt zu regnen. Na ja, wir haben das ja vor ein paar Stunden geübt. Fix werden die Rucksäcke vor dem Regen gesichert und der Schritt beschleunigt. Auf die Ponchos verzichten wir. Es sind aber noch circa 3 km quer durch die Stadt zu bewältigen, bevor wir ziemlich durchnässt an unserer Unterkunft, dem Foyer de Jeune Travailleurs, ankommen. An der Rezeption bekommen wir unsere Schlüsselkarten für je ein Einzelzimmer - damit hätten wir jetzt nicht gerechnet. Der Leiter des Hauses kann ein wenig Englisch und erklärt uns, dass am Abend ein kleines Fest mit Karaoke im Speisesaal stattfindet, bei dem auch das Abendessen gereicht würde. Daran könnten wir gerne teilnehmen. Doch zunächst beziehen wir unsere Zimmer und kümmern uns um die Wäsche. Bevor wir im nahegelegenen Supermarkt einkaufen gehen, darf ich mir Jörgs Wäscheleinenkonstruktion ansehen, die er quer durch sein Zimmer gespannt hat. Ich bin erstaunt über seinen Ideenreichtum. Ich war in der Zwischenzeit auch nicht untätig und habe für morgen per Telefon eine Unterkunft organisiert. Dazu musste ich wieder meine Sprachkenntnisse herauskramen – und es hat wiederum funktioniert. Da heute ein anstrengender Tag war und wir beide sehr müde sind, werden wir im Speisesaal lediglich etwas essen und uns dann in unsere Zimmer zurückziehen. Da es immer noch sehr warm ist, lasse ich die Balkontüre geöffnet, lausche noch dem niedergehenden Regen und hoffe auf besseres Wetter für den morgigen Tag.
Rita aus Flandern - die ewige Pilgerin Samstag, 22. Juni 2019: Von St.-Amand-Montrond nach Le Châtelet Da unsere Unterkunft heute geschlossen hat, besteht auch keine Möglichkeit, ein Frühstück zu bekommen. Die Bäckereien haben aber bereits früh geöffnet, und so verabreden wir uns für 7 Uhr, um vor dem Aufbruch ein paar Croissants einzukaufen. Die nächste Boulangerie ist auch nur wenige Minuten von unserer Unterkunft entfernt. Bevor wir unser Frühstück in Jörgs Zimmer einnehmen, packen wir unsere Siebensachen zusammen, damit wir im Anschluss sofort loslegen können. Gegen 8 Uhr verlassen wir das Foyer de Jeune Travailleurs und ziehen von dannen - zunächst in Richtung Orval. Wir überqueren den Fluss Cher und landen hinter der Brücke an einem Kreisverkehr, in dessen Mitte ein ausrangiertes Kampfflugzeug ausgestellt ist. So etwas würde es in Deutschland nie geben. Da es gerade ein wenig vom Himmel tropft, verpacken wir vorsichtshalber die Rucksäcke. Noch ist es frisch, doch mit zunehmender Bewegung empfinden wir die Temperatur als sehr angenehm. Wir verlassen schon sehr bald die Hauptstraße und laufen auf einer Nebenstraße in Richtung Bouzais weiter. Die dortige Église Saint-Roche ist zwar verschlossen, aber es sind einige Telefonnummern angegeben, wo der Schlüssel erhältlich ist - allerdings leider nicht samstags. Es geht weiter, erneut durch ländliches Gebiet mit landwirtschaftlicher Nutzung, über die Autobahn A71 und vorbei an einsamen Gehöften. Nach ungefähr neunzig Minuten legen wir eine erste Pause ein. Es ist bemerkenswert, wie schnell sich der Körper von der Last des Rucksackes erholen kann, wenn man ihm eine kurze Regeneration einräumt. Jetzt pilgern wir auch einmal zur Abwechslung durch schattigen Wald. Bei den ständig steigenden Temperaturen tut das gut. Hinter einem solchen Waldstück erkennen wir schon von weitem eine Person mit Rucksack am Wegesrand sitzen. Wir unterhalten uns kurz auf Deutsch mit der älteren Dame aus Flandern, die heute ebenfalls bis nach Le Châtelet gehen möchte. Ich gebe ihr noch einen Tipp für eine Bleibe, da die von ihr und uns ursprünglich ausgewählte Unterkunft nicht mehr existiert. Auf dem weiteren Weg beschäftigt mich die Frau noch etwas. Einen Tag bevor wir in Augy bei Hanny und René waren, hat dort eine Belgierin übernachtet. Ihren Eintrag im Gästebuch der Herberge habe ich mit dem unsrigen fotografiert. Ich erinnere mich außerdem daran, dass René auch von einer solchen Frau gesprochen hatte. Meine Vermutung ist, dass es sich tatsächlich um diese Rita handelt, die wir auf dem Weg getroffen haben. René erzählte uns von einem Mord auf dem spanischen Camino vor Jahren, und Rita sei die Mutter des Getöteten. Seitdem sei sie in jedem Jahr auf Jakobswegen unterwegs. Das gibt einem schon zu denken… Unsere Route führt weiter über Planche (wo es auch eine Übernachtungsmöglichkeit gibt). Dort schwimmen in einem benachbarten Teich fünfzehn kleine Entenküken um ihre Mutter herum - ein nettes Bild. Wenig später treffen wir in Loye-sur-Arnon ein. Hier werden wir unsere ausgiebige Mittagsrast für den heutigen Tag einlegen. Das ortsansässige Restaurant hat heute geschlossen, aber zum Glück führt uns ein Hinweis zu einer Käserei ganz in der Nähe. Dort verkauft uns die sogar Englisch sprechende Mitarbeiterin verschiedene Käse aus der eigenen Produktion, die wir an einem netten Rastplatz neben der Église Saint-Martin verspeisen. Die Kirche ist sogar geöffnet, ziemlich dunkel, aber mit einer besonderen Atmosphäre. So gibt es noch viele erhaltene alte Wandmalereien, z.B. einen Sternenhimmel im Chorraum. Nachdem wir uns ausgiebig ausgeruht haben, stehen noch circa 11 km Restweg für an. Dieser führt uns über Feld, Wirtschafts-, Wiesen- und Waldwege. Unterwegs passieren wir eine idyllisch gelegene alte Mühle einschließlich Teich und laufen kurz danach an einem Markierungszeichen vorbei und damit in die falsche Richtung. Glücklicherweise bemerken wir sehr schnell, dass wir in die falsche Richtung unterwegs sind und kehren um. So ziemlich genau nach 5 km pausieren wir noch einmal und erreichen schließlich um 15:15 Uhr unsere Unterkunft in Le Châtelet. Wir werden von unseren Vermietern, dem Ehepaar Francois empfangen. Ein weiterer Pilger aus der Bretagne ist ebenfalls schon da. Wir werden außerdem darüber informiert, dass auch noch eine gewisse Rita sich für die Übernachtung angemeldet hat... Jörg und ich bekommen ein Zimmer mit zwei Einzelbetten im Obergeschoss, was uns sehr erfreut. Wir müssen zwar immer durch das Zimmer des Franzosen laufen, aber das stört auf dem Camino niemanden. Nach dem Duschen wird die Waschmaschine angeworfen und wir kaufen im örtlichen Supermarkt für das Abendessen Brot, Käse und Schinken. Später sitzen dann alle vier Übernachtungsgäste am Tisch und verspeisen ihr mitgebrachtes Essen. Mit Rita führen wir noch angenehmes Gespräch, indem sie uns gerne an den Erfahrungen ihrer unzähligen Jakobswege teilhaben lässt. In diesem Jahr wird sie vier Monate unterwegs sein. Es macht Spaß, aus ihrem großen Erfahrungsschatz den Geschichten vom Camino zuzuhören. Ihre dunkelste Geschichte lässt sie allerdings unerwähnt… Da die Temperaturen ab morgen noch weiter ansteigen werden, stellt uns Monsieur Francois bereits das Frühstück raus, damit wir das Haus verlassen können, wann wir möchten. Einhellig haben wir uns alle dazu entschieden, bereits gegen 6 Uhr die nächste Etappe anzugehen.
Plötzlich mittendrin Sonntag, 23. Juni 2019: Von Le Châtelet nach La Châtre Wie geplant stehen wir heute schon um 5 Uhr auf, damit wir nach dem schon vorbereiteten Frühstück zeitig wegkommen. Wir versuchen leise zu sein, aber auch unsere Mitbewohner sind beinahe zeitgleich auf den Beinen. Kurz nach 6 Uhr verabschieden wir uns von Rita und dem Franzosen. Als erstes erwartet uns ein Anstieg bis zu einem beeindruckenden Chateau. Beim Blick zurück auf Le Châtelet sehen wir gerade noch die Sonne am wolkigen Horizont emporsteigen. Uns fröstelt noch ein wenig, aber die Bewegung und die aufsteigende Sonne tun nun ihr übriges. Die Temperaturen steigen merklich an und schon bald ist es angenehm warm - circa 20°. Kurz vor dem Töpferdorf Saint-Jeanvrien begrüßt uns aus einem Dachfenster eine Pilgerfigur aus Blumentöpfen - da hatte jemand eine gute Idee. Wir so oft laufen wir aber hier auch an einer verschlossenen Kirche vorbei. Wir folgen einer in diesem Moment ungenutzte Landstraße und planen unsere erste Rast nach ziemlich genau 12 km in Chateaumeillant ein. Jörg besorgt in einer Boulangerie ein paar Croissants, während ich die geöffnete romanische Èglise Saint-Genès aus dem 17. Jahrhundert inspiziere. Lediglich die Säulen der Vierung stammen aus einem Vorgängerbau aus dem 13. Und ein paar wenige Mauern aus dem 14. Jahrhundert. Wir setzen uns direkt neben der Bäckerei auf die vor einem geschlossenen Lebensmittelladen platzierten Stühle und verzehren unser zweites Frühstück. Erst als eine alte Dame zielstrebig zur Eingangstüre läuft und diese auch noch öffnet, wird uns bewusst, dass der Laden geöffnet hat. Von innen ernten wir dazu einen nicht so freundlichen Blick. Wir sind jedoch fast fertig und verziehen uns ganz schnell. Gegenüber auf dem Vorplatz der Kirche sind gerade einige Leute dabei, einen bunten Blumenteppich auszulegen. Wir werden von einer deutschen Frau, die vom Obermain stammt und hier anscheinend regelmäßig ihren Urlaub verbringt, angesprochen und gebeten, uns an einer La-Ola-Welle für einen Videoclip zu beteiligen. Sie erklärt uns, dass gleich eine kleine Fronleichnamsprozession rund und das Pfarrhaus geplant ist. Prozessionen hätten in Frankreich eigentlich keine Tradition, aber der Pfarrer würde da mitmachen. Nur einen Augenblick später haben wir einen riesigen Palmzweig in der Hand und bilden das Ende der Welle. Nachdem der „Kameramann“ nach dem dritten Versuch mit der Aufnahem zufrieden ist, werden wir dem Pfarrer, Père Marie-Laurent, vorgestellt, der selbst fleißig an der Ausgestaltung mitwirkt. Er nimmt sich die Zeit und plaudert ein wenig mit uns. Die deutsche Urlauberin übersetzt dabei ein wenig. Zum Abschied schenkt uns Père Marie-Laurent eine kleine Marienplakette und erteilt uns noch einen Pilgersegen. Ein junger Mann möchte noch unbedingt ein Foto von uns Dreien machen Pfarrer sowie Jörg und mir machen, bevor wir uns endgültig verabschieden. Während wir Chateaumeillant verlassen, denke ich noch eine Weile an diese sehr herzliche Begegnung. Da sich aber just in diesem Augenblick ein ordentlicher Anstieg vor uns auftürmt, konzentriere ich mich lieber darauf, zumal die Temperaturen noch einmal merklich angestiegen sind und wir nun ungeschützt in der prallen Sonne pilgern. Nachdem wir heute bisher nur Asphalt unter den Füßen hatten, gibt es nun ein „Canal-de-Berry-Revival“ mit Graswegen bis nach Néret, allerdings ohne Wasser. Kurz zuvor haben wir an einem Rastplatz mit Sitzmöglichkeit eine zweite Pause eingelegt. Eine Dame aus dem benachbarten Haus bietet uns sogar Wasser an, aber noch haben wir genügend Vorräte. Schon bald zeiehn wir weiter und erreichen das Dörfchen Néret, dessen Église Saint-Martin natürlich verschlossen ist. Vor dem Kirchplatz entdecken wir zwei Pilgerfiguren mit einer Kilometerangabe bis nach Santiago de Compostela: nur noch 1557 km! Bevor wir nach Lacs kommen, legen wir eine letzte Pause an einer Lagerstelle für Strommasten aus Beton ein. Es sind jetzt nur knapp drei Kilometer bis La Châtre. Wenn man hier seinen Blick in die Ferne schweifen lässt, sieht die Landschaft aus, als wäre sie von Schnee überdeckt. Tatsächlich blühen hier irgendwelche angebauten Pflanzen in einem hellen Weiß. In Lacs bemerken wir im Vorbeigehen gerade noch, dass die hiesige Église Saint-Martin mit einer geöffneten Türe zu einem Besuch einlädt. Das nutzen wir gerne aus. Nun ist noch ein Anstieg zu bewältigen, bevor wir die Vororte von La Châtre durchlaufen. Gegen 14:30 Uhr treffen wir in unserem gebuchten Hotel „Notre Dame“ ein und beziehen unser Zimmer im ersten Stockwerk. Auf ein Frühstück am nächsten Tag verzichten wir, da es morgen wiederum sehr heiß werden soll und wir schon um 6 Uhr auf die Piste möchten. Nach dem Duschen und Waschen hängen wir die Wäsche im Badezimmer auf eine gespannte Leine und gehen in die Stadt, um eine Kleinigkeit zu trinken und zu essen. Daraus wird mit 7,50 € das teuerste Bier der letzten Tage und eine gebratene Chorizo im Baguette. Nach der Rückkehr in unser Zimmer gönnt Jörg sich eine Verschnaufpause, während ich mich meinem Pilgertagebuch widme. Zunächst schreibe ich die Erlebnisse des jeweiligen Tages in einem kleinen Büchlein auf, um anschließend den Text in mein Handy einzugeben. Hierzu nutze ich eine App, die Sprache relativ genau in Text umwandelt. Klar, eine Nachbearbeitung ist unbedingt erforderlich, da ich manchmal für das Gerät zu undeutlich spreche. Zum Abschluss kopiere ich den Tagesbericht und einige Bilder in meinen Pilgerblog. Gegen 19 Uhr macht sich ein Hungergefühl breit und wir verlegen in eine nahe gelegene Pizzeria. Die Preise sind nicht von schlechten Eltern, aber dafür ist das Essen sehr schmackhaft. Auf dem Rückweg zum Hotel nehmen wir in einer benachbarten, aber wesentlich kleineren und günstigeren Pizzeria ein paar Dosen Bier und eine Pizza Jambon mit, die morgen vor dem Abmarsch unser Frühstück sein wird.
Soviel Glück an einem Tag... Montag, 24. Juni 2019: Von La Châtre nach Cluis Heute sollen die Temperaturen noch einmal ansteigen, sodass wir zum Abschluss der vier heißen Tage erneut früh startbereit sind. Während der Vorbereitungen lassen wir uns die gestern Abend mitgebrachte Pizza Jambon schmecken. Um 6:30 Uhr geht es los. Wie schon an den Vortagen, sind wir relativ schnell aus der Stadt heraus und befinden uns in der Natur. Wir betrachten manch einen Hof mit erstauntem Blick, denn sie ähneln feudalen Gutshöfen. Überall riecht es nach frischem Heu, denn die Ernte ist in vollem Gang. Inzwischen ist schon zur Gewohnheit geworden, mit den vielen Wassertürmen ein Spielchen zu treiben. Immer, wenn wir einen neuen Turm sehen, gebe wir einen Tipp ab, ob er zum nächsten zum durchquerenden Ort gehört. Unsere erste Rast planen wir in dem Dorf Sarzay, dessen Chateau aus dem 12. Jahrhundert schon von weither sichtbar ist. Der prächtige Bau mit seinen vier Ecktürmen sticht in der Landschaft überdeutlich hervor. Direkt gegenüber vom Schloss steht die Türe eines Restaurants offen und wir fragen einfach mal nach einem Kaffee, den wir auch prompt bekommen. Lange wollen wir uns nicht aufhalten, denn die Quecksilbersäule steigt unaufhaltsam - und das spürbar. Wir sind froh über jede schattige Passage, die sofortige Abkühlung verspricht. Zur Abwechslung geht es wieder einmal über einen Wiesenweg. Zum Glück ändert sich der Bodenbelag mehrmals am Tag, sodass auch die Füsse etwas Abwechslung erhalten. Wir kommen heute wieder ganz gut vorwärts und durchlaufen mehrere kleine Weiler. Menschen begegnen uns heute keine, von anderen Pilgern ganz zu schweigen. Nach weiteren 10 Kilometern kommen wir nach Neuvry-Saint Sepulchre, einem wichtigen Ort der mittelalterlichen Pilger. Auch hier weisen uns in den Boden eingelassene Bronzemuscheln den Weg ins Zentrum der Stadt. Das Ziel damals wie heute ist die aus dem 11. Jahrhundert stammende Jakobuskirche, die der runden Grabeskirche von Jerusalem nachempfunden ist. Daran angebaut wurde eine vom Grundriss her rechteckige Basilika. Wir werden jedoch enttäuscht, denn die Kirche verschlossen. In der Nähe nehmen wir vor einer geöffneten Bar Platz und genehmigen uns zwei Bier. Wir sind froh, dass die Bar überhaupt offen ist - in Frankreich ist das montags nur selten der Fall. Wir haben noch ein weiteres Mal Glück. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich ein kleiner Lebensmittelladen, der geöffnet ist. Wir kaufen Pasta und Sauce für den Abend sowie etwas Süßes zur „Nervenberuhigung“ und ein leckeres Eis ein. Und das Glück ist uns noch ein drittes Mal auf unserer Seite, denn beim Verlassen des Ladens sehen wir zwei Leute aus der Kirche kommen. Also gelangen wir doch noch in den Genuss, dieses außergewöhnliche Gotteshaus mit seiner interessanten Architektur auch von innen zu bestaunen. Die Kirche ist sehr spärlich ausgestattet, sie hat aber trotzdem einen gewissen Charme. An einer Säule hängt ein altes Banner mit einer Abbildung des Jakobus und dem Schriftzug „S. Jacobe Major Ora Pro Nobis – Heiliger Jakobus, bete für uns“. Zufrieden machen wir uns auf die letzten 8 Kilometer, die aber aufgrund der Temperaturen um die 30° - in der prallen Sonne wohl noch höher - schwerfallen. Allmählich wird das Tempo etwas langsamer und der eintönige Geschmack von Wasser wird durch ein paar frisch gepflückte Kirschen aufgebessert. Schließlich laufen wir an den Ruinen einer mittelalterlichen Festung vorbei und nach einem letzten steilen Anstieg sind wir gegen 13:30 Uhr in Cluis. Direkt neben der Kirche befindet sich das Refugio - ein gerade einmal drei Meter breites Häuschen. An der Türe hängt ein Zettel mit einer Adresse und zwei Telefonnummern, wo man den Schlüssel erhalten kann. Das ebenfalls vermerkte Geschäft fällt aus - montags geschlossen. Also laufen wir zwei Ecken weiter und klingeln an der besagten Adresse - keine Reaktion. Zurück an der Herberge versuche ich es per Telefon - ebenfalls erfolglos. Wir stellen uns auf eine längere Wartezeit ein, als Jörg neben seinem Rucksack einen Pflasterstein hochhebt. Und was liegt darunter: der Schlüssel für das Refugio. Schon wieder Glück gehabt! Ich erinnere mich auch daran, als Rita vor ein paar Tagen erzählte, dass der Schlüssel in unmittelbarer Nähe der Herberg deponiert sei. Im Erdgeschoss befinden sich eine Schlafcouch, ein Gasherd, ein Kühlschrank und ein Wäschetrockner – perfekt für uns. Im Obergeschoss stehen zwei Doppelstockbetten, die jetzt uns gehören. Hier haben wir es richtig gut getroffen. Wir machen uns frisch, waschen die Wäsche und überlassen den Rest dem Trockner. Dann ist ausruhen angesagt. Neben Jörgs Bett summt es die ganze Zeit. Es dauert eine Weile, bis wir die Ursache herausfinden. Es ist eine Wildbiene, die sich an einem Bettpfosten aufgrund eines fehlenden Holzstiftes in der zurückgebliebenen Öffnung eingenistet hat. Gegen 18 Uhr beginne ich mit den Vorbereitungen für das Abendessen. Jörg erkundet währenddessen schon einmal den Ort, besorgt in einer Bäckerei zwei Eclaires als Dessert, danach noch in einem Tabakladen Cola und Wasser. Nach dem Essen taucht Marie-Therese auf, die für das Refugio verantwortlich ist. Sie wundert sich, dass sie das Klingeln am Mittag nicht gehört hatte. Wir unterhalten uns auf Englisch mit ihr und sie gibt uns den Tipp, dass es erst seit ein paar Wochen einen kleinen Supermarkt im Ort gibt, der auch montags offen hat. Jörg zieht direkt los und besorgt das einzige was uns heute noch fehlt: kaltes Bier. Das Glück bleibt uns treu! Etwas schwieriger gestaltet sich die Reservierung der Unterkunft am Mittwoch. Anscheinend hat das ursprünglich geplante Hotel nicht mehr geöffnet, ein zweites ist bereits ausgebucht. Im Rathaus erreiche ich zu dieser Uhrzeit niemanden mehr, also schreibe ich ein Mail, in der Hoffnung im Laufe des morgigen Tages eine Antwort auf meine Anfrage zu bekommen.
Erholungstour ins Künstlerdorf Dienstag, 25. Juni 2019: Von Cluis nach Gargiless-Dampierre Da wir heute nur eine sehr kurze Etappe unter die Füße nehmen, nutzen wir die Gunst der Stunde und stehen erst gegen 7 Uhr auf. Wir lassen uns sehr viel Zeit beim Zusammenpacken unserer Sachen und verzehren zum Frühstück die gestern Abend eigentlich als Dessert vorgesehenen, aber übrig gebliebenen Eclairs. Nach dem Eintrag im ausliegenden Gästebuch verlassen wir gegen 8:30 Uhr unsere kleine Herberge. Schon bald erreichen wir die erste und einzige Attraktion der heutigen Etappe, einen rund 300 m langen Viadukt, von dem auch Bungeesprünge angeboten werden. Kurz darauf haben wir noch die Gelegenheit, einen Blick von unten auf die imposante Brücke zu werfen. Es geht es nun unspektakulär auf schmalen Landstraßen weiter, bis wir nach circa 8 km das Örtchen Pommiers erreichen. Laut unserem französischen Führer MiamMiamDoDo soll es hier einen kleinen Laden geben, indem man sich mit einem Kaffee und einem Snack verwöhnen lassen kann. Leider stimmt die Angabe nicht mehr - der Laden sieht ziemlich geschlossen aus. Die hier vorgesehene Pause lassen wir also ausfallen und entscheiden, weiter bis zu unserem Zielort Gargilesse zu laufen. In der Zwischenzeit haben wir nämlich per Mail die Zusage aus dem Rathaus für ein Zimmer in der dortigen Pilgerunterkunft erhalten. Zeitlich sollten wir es schaffen, während den Öffnungszeiten der Mairie den Schlüssel dort abzuholen. Der verbleibende Weg führt uns weiterhin über kleine Straßen, die nur selten von Autos befahren werden. Hin und wieder geht es auch einmal durch schattige Waldgebiete. Das tut gut, denn die Temperaturen steigen auch heute weiterhin stetig an. Zum Abschluss der Wegstrecke geht es steil abwärts und gegen 11:45 Uhr stehen wir vor dem Rathaus des romantischen Dorfes, in dem ungefähr 200 Menschen leben. Auf diesem Steilstück begegnet uns mehrfach ein Radsportler, der hier Bergsprints trainiert. Wir bezahlen unseren Beitrag, bekommen Stempel und Schlüssel und gehen am Chateau de Gargilesse und der Église Saint-Laurent-et-Notre-Dame, die aus dem 10. und 12. Jahrhundert stammen, zum früheren Wirtschaftshof des Schlosses. Im oberen Geschoss ist die Herberge untergebracht. Wir haben das Zimmer 2 bekommen und finden dort allerdings nur ein Bett vor. Also laufe ich zurück zum Rathaus, wo man mir versucht zu erklären, dass ja ein zweites Bett herausziehbar sei. Wieder zurück in der Herberge, zeige ich Jörg mit einem breiten Grinsen das zweite Bett. Allerdings erscheint uns das Zimmer mit seinen circa 3 x 3 m für zwei Personen schlichtweg zu klein. Da im Wohnbereich der Unterkunft zwei Schlafsofas stehen, wird Jörg dort seinen Schlafsack ausbreiten. Wir gehen rasch unter die Dusche und stecken die verschwitzte Wäsche in die vorhandene Waschmaschine. Danach gehen wir in die Auberge des Artistes, die wir schon im Vorbeigehen als geöffnet entdeckt haben. Auf dem Wege dorthin begegnet uns der Franzose, den wir auch schon vor drei Tagen in Le Châtelet getroffen hatten. Er wird heute ebenfalls hier übernachten. Wir bestellen uns das Tagesgericht und etwas Kaltes zum Trinken. Der Nachmittag wird zum Ausruhen genutzt, denn bei Temperaturen um 31 Grad sollte man sich nicht großartig bewegen. Gargilesse ist ein hübsches kleines Nest mit rund zweihundert Bewohnern, in dem sich viele Künstler angesiedelt haben. Mehrere Ateliers und Galerien befinden sich auf kleinstem Raum. Ihnen ist es zu verdanken, dass der Ort von zahlreichen Neugierigen aufgesucht wird. Noch vor dem Abendessen erkunde ich die engen Straßen und versuche ein paar schöne Fotomotive zu erhaschen. Gleichzeitig nehme ich die romanische Kirche etwas genauer unter die Lupe. Sehenswert sind die original erhaltenen mittelalterlichen Fresken in der Krypta. Gegen 19 Uhr suchen wir noch einmal das Restaurant auf - wir haben uns bereits am Mittag für einen Burger entschieden und werden nicht enttäuscht. Auf dem Weg zurück zur Herberge probt vor dem Haus noch ein Seniorenchor ein paar Lieder, denen wir noch eine Weile auf der Schlossmauer sitzend zuhören. Da für uns inzwischen Zeit für die Nachtruhe gekommen ist, ziehen wir uns in die Herberge zurück. Für mich dauert das Abendkonzert noch etwas länger, denn die „Bühne“ befindet sich direkt unter meinem Zimmer.
Auf der Suche nach der Pilgerherberge Mittwoch, 26. Juni 2019: Von Gargilesse-Dampierre nach Crozant Im Endspurt unserer diesjährigen Pilgertour erwarten Jörg und ich heute extrem hohe Temperaturen. Deshalb werden wir trotz kurzer Distanz früh auf der Piste sein. 6 Uhr aufstehen - 6:35 Uhr Abmarsch. Es ist noch recht kühl, als wir nach wenigen Schritten den Schlüssel der Herberge im Briefkasten der Mairie hinterlegen. Unser französischer Pilgerfreund - er heißt übrigens Pierrick - ist viel früher losgelaufen, da er dem GR folgend einige Kilometer mehr bewältigen muss. Gleich hinter der ersten Kurve erwartet uns ein erster netter Anstieg - es soll nicht der letzte für heute sein. Links von uns geht gerade die Sonne auf - ein schönes Schauspiel, aber gleichbedeutend mit höheren Temperaturen. Bevor wir uns darüber Gedanken machen können, erwartet uns die nächste Herausforderung. Es liegt eine sichtbar längere Passage auf einem Grasweg zwischen eingezäuntem Weiden vor uns. Nachteil des Ganzen: kniehohes Gras, das zudem noch mit Morgentau bedeckt und damit klatschnass ist. Nach etwas mehr als einer Stunde gelangen wir nach Cuzion, wo eine erste Entlastung des Trageapparates erfolgen soll. Außerdem haben wir eine geöffnete Bar erwartet, in der wir ein kleines Frühstück einnehmen können. Wenn Träume doch öfter in Erfüllung gehen könnten... So bleibt uns wenigstens die kurze Pause vor der Kirche, die auch guttut. Hinter Cuzion geht es in einen Wald hinein, durch den wir auf felsigen, schmalen und rutschigen Pfaden abwärts zum Fluss Creuse geführt werden. Wir bleiben eine Weile am Fluss, müssen uns aber hinter einer zur Wanderherberge umgebauten Mühle durch ein Dickicht kämpfen. Ergebnis: dornenzerkratzte Beine. Über die Ponte de Piles überqueren wir die Creuse und treffen dort am Straßenrand sitzend auf Pierrick. Er fragt uns, ob er uns beim Verlassen der Herberge am Morgen gestört hätte. Zunächst verstehen wir nicht, was er von uns will, doch Jörg hat die rettende Idee. Er lässt Pierrick in sein Handy sprechen und schon haben wir mit dem Übersetzer die richtige Fragestellung. Wir werden ihn später in der gleichen Herberge in Crozant wiedersehen. Es geht weiter, und zwar gemäß meiner GPS-Daten. Abseits vom markierten Weg soll es eine Abkürzung geben, doch die entpuppt sich als ein unzumutbares, zerfurchtes Wegstück, das wahrscheinlich im Nirgendwo endet. Durch hohes Gras und matschigen Untergrund geht es zurück zur Straße. Dieser folgen wir aufwärts, zunächst über ein paar Serpentinen, danach auf einer schier endlosen breiten Geraden bis nach Éguzon. Auf diesem kurzen Stück haben wir mal eben rund 100 Höhenmeter bewältigt. In einer kleinen Bar in Éguzon gibt es einen Kaffee, in einem Supermarkt dann auch noch etwas feste Nahrung in Verbindung mit einer längeren Pause. Die folgenden Kilometer wechseln sich vom Untergrund ständig ab: Asphalt, Wiesen- und Waldwege. An einer Stelle „verfange“ ich mich in einem Spinnennetz und habe Mühe, dessen Einzelteile von mir abzustreifen. Inzwischen sind die Temperaturen in die Höhe geschnellt und wir sehnen unseren Zielort herbei. Doch wir müssen auch auf dem letzten Abschnitt des Tages noch etwas dranhängen, denn die vorgesehene „Abkürzung“ erscheint gleichfalls wie die erste ebenfalls nicht vertrauensvoll zu sein, sodass wir lieber ein paar Serpentinen nutzen. Unten angekommen überqueren wir das Flüsschen Sedelle und haben einen letzten Anstieg nach Crozant vor uns. Wir passieren die Ruinen einer mittelalterlichen Festung und das eigentlich für die Übernachtung vorgesehene, aber inzwischen geschlossene Hotel. Ab hier sind es „nur“ noch 1613 km bis nach Santiago – sagt jedenfalls ein Kilometerschild. Komisch, vor drei Tagen in Néret waren es bereits 1557 Kilometer, und wir sind inzwischen rund 60 Kilometer weiter nach Westen gepilgert… Wir haben jetzt nur noch ein paar Treppenstufen vor uns und stehen vor der Église Saint-Etienne, gehen weiter in den Ort hinein bis zur Mairie, wo es den Schlüssel für die Herberge geben soll. Zur aktuellen Zeit, 12:45 Uhr, ist diese aber noch über eine Stunde geschlossen. Also nehmen wir nebenan in einer Brasserie Platz und trinken zunächst einmal etwas. Da es auch hier den Schlüssel für die Herberge geben soll, frage ich mal nach. Die Inhaberin sagt mir zu, den Schlüssel herauszugeben, wenn sie mit dem Service fertig sei. Also trinken wir noch ein weiteres Bier. Gegen 13:30 Uhr bezahle ich unsere Rechnung und bekomme auch den Schlüssel ausgehändigt. Jörg und ich bewegen uns in Richtung Campingplatz, finden dort aber kein Schloss, auf das unser Schlüssel passt. Also muss ich noch einmal nachsehen, denn in meinem Buch steht eindeutig Campingplatz. Das scheint inzwischen aber veraltet zu sein, denn im Internet steht etwas von „alte Schule nahe der Kirche“. Dort finden wir auch ein vorher übersehenes Hinweisschild und die Herberge. Die sieht im Übrigen gut aus – eine alte Dorfschule mit sechs Betten in einem Schlafsaal. Davon belegen wir gleich zwei, gehen unter die Dusche und waschen unsere Wäsche. Inzwischen ist auch Pierrick eingetroffen. Den Nachmittag faulenzen wir, was bei 27 Grad in der Unterkunft nicht so einfach ist. Allerdings ist das im Vergleich zur Außentemperatur von 39 Grad fast wie in einem Kühlschrank. Gegen 19 Uhr machen wir uns noch einmal auf den Weg zu der Brasserie um dort etwas zu Abend zu essen. Aber was ist das? Die Brasserie hat geschlossen. Das ist ärgerlich, denn die servierten Speisen an den Nachbartischen am Mittag sahen sehr lecker aus. Zum Glück hat der kleine Lebensmittelladen gegenüber noch geöffnet, den wir beinahe leerkaufen. Jörg hat sich für Rührei mit Speck und ich für eine Dose Ravioli entschieden. Nach dem Essen ist noch einmal Duschen angesagt, wir schwitzen einfach zu viel und das fühlt sich einfach nicht gut an.
Jakobus ein Stück nähergekommen Donnerstag, 27. Juni 2019: Von Crozant nach La Souterraine Der letzte Tag beginnt wieder einmal sehr früh für uns. Pierrick ist deutlich vor uns aufgestanden und macht sich sehr rücksichtsvoll fertig. Außerdem hat er schon Kaffee gekocht. Jörg und ich stehen erst gegen 5 Uhr auf, kurz danach sind wir alleine in der Herberge, da Pierrick schon von dannen zieht. Nach einem kleinen Frühimbiss sind wir kurz nach 5:30 Uhr auch soweit und beginnen die finale Etappe - für dieses Jahr. Jörg hinterlegt noch den Schlüssel im Briefkasten der Brasserie, dann biegen wir rechts ab und gelangen auf einen schmalen, felsigen Pfad, der uns abwärts zur Sédelle führt. Zu Beginn durchlaufen wir einen Abschnitt, der seinesgleichen sucht. Entlang des Flüsschens gehen wir an Mühlen vorbei, die hier in einer wildromantischen Landschaft geradezu für Fotografen Modell stehen. An einer dreibogigen Brücke endet diese Idylle sehr rasch und es folgt ein langgezogener, gemütlicher Anstieg auf einer in Vergessenheit geratenen Straße. Wir passieren einen in der Morgendämmerung „dampfenden“ See, während in unserem Rücken die Sonne aufsteigt. Auf einer benachbarten Wiese kommen die aufsteigenden Nebelschwaden sehr gut zur Geltung. Und bei genauerem Hinsehen zeichnet sich darin die schattige Silhouette eines äsenden Rehes ab. Im Verlauf des Weges begegnen uns zu dieser frühen Zeit noch zwei weitere Rehe und eine Eule. Nach knapp 6 km erreichen wir La Chapelle Baloue, wo es eine Bar geben soll. Dem ist auch so - allerdings sind wir mit aktuell 7 Uhr deutlich eine Stunde vor der Öffnungszeit da. Das wird dann wohl wieder einmal nichts mit dem erhofften Pausensnack. Bis jetzt ließ es sich bei fast kühlen Bedingungen bestens vorwärtskommen, doch nun spüren wir, wie die Kraft der Sonne immer mehr zunimmt. Auch in Saint-Germain-Beaupré haben wir nach weiteren acht Kilometern kein Glück mit einer Bar und müssen uns in der Pause mit einer Banane und zwei Müsliriegeln zufriedengeben. Nach dem erholsamen Ausruhen ziehen wir auf der Straße weiter. Bei einem zufälligen Griff an den Hüftgurt meines Rucksackes stelle ich entsetzt fest, dass dort meine Kameratasche nicht an ihrem angestammten Platz ist. Beim Aufnehmen des Rucksackes nach der Pause bin ich wahrscheinlich an der Sitzbank hängen geblieben. Ich vermute, dass die Tasche dabei vom Gurt abgestreift wurde. Ich lasse mein Gepäckstück bei Jörg und laufe den guten Kilometer noch einmal zurück. Das würde mir jetzt fehlen, nach den Verlusten des Vorjahres, die Kamera mit allen Fotos der vergangenen zwei Wochen auch noch zu verlieren. Zum Glück liegt sie wo ich es vermutete. Wer sollte sie auch mitnehmen? In den Dörfern treffen wir ja so gut wie nie Menschen an. Jakobus hat wieder einmal geholfen, danke! Schon bald bin ich furchtbar schwitzend wieder bei Jörg angekommen und wir können die Etappe fortsetzen. Nur wenig später entdecken wir an einer Sitzgruppe ein Kästchen an einem Baum. Darin hat ein netter Mensch zahlreiche Informationen zum Jakobsweg deponiert - leider aber keinen Stempel. Wir nähern uns unaufhaltsam unserem Zielort, doch vorher machen wir noch nach circa 19 km in Saint-Agnant-de-Versillat in einer geöffneten Bar eine Pause und verdampfen mal schnell drei kleine Kronenbourg. Das tut gut bei den Außentemperaturen, die längst über die 30° Marke gestiegen sind. Nach der Besichtigung der gegenüberliegenden romanischen Kirche Saint-Agnant muss auch noch etwas feste Nahrung her. Wir stürmen eine Boulangerie und lassen uns ein mit Käse und Schinken gefülltes Croissant und ein Apfel-Rhabarber-Törtchen einpacken. Es sind jetzt nur noch 6 km bis La Souterraine, die uns zunächst in einem Wald durch einen Hohlweg und danach auf Naturteppich und Asphalt zu den ersten Vorboten der Stadt führen. An der Hauptstraße werden von einem Schild herzlich als Pilger in la Souterraine begrüßt und darauf hingewiesen, dass man mittels im Boden eingelassener Bronzemuscheln durch die Stadt gelotst wird. 10 Minuten später treffen wir im Zentrum auf die im vorderen Teil vollständig eingerüstete Eglise Notre Dame. Davor prangt nochmals ein Begrüßungsschild und wir folgen der Einladung in die Kirche. Wir tragen uns in ein Buch ein und erhalten noch einmal einen schönen Pilgerstempel zum Abschluss der diesjährigen Tour. Direkt um die Ecke befindet sich das Jakobstor und unser gleichnamiges Hotel. Das Einchecken dauert etwas, da die Dame im Restaurant viel zu tun hat. Sie erklärt uns, dass wir unser Frühstück zu jeder Zeit einnehmen können, da es in Selbstbedienung angeboten wird. Das kommt uns sehr entgegen, denn morgen müssen wir spätestens um 7:30 Uhr am 500 m entfernten Bahnhof sein, um unseren Zug zu erreichen. Wir beziehen unser zugewiesenes Zimmer, das sich als sehr klein darstellt. Manche Pilgerherberge bietet mehr Platz. Aber es ist sauber und in Ordnung, wenngleich durch die Außentemperaturen sehr aufgeheizt. Unsere Kleidung werden wir heute nicht waschen, dafür schauen wir uns nach der Dusche und einer kurzen Ruhephase den Weg zum Bahnhof an, damit wir uns morgen früh nicht verlaufen. Am Bahnhof kehren wir noch einmal für ein Bier in einer Kneipe ein und kaufen auf dem Rückweg weitere Getränke. Gegen 19 Uhr öffnet das Restaurant – wir stehen überpünktlich auf der Matte und dürfen uns aus einem Menükarte unser Abendessen zusammenstellen, das bereits im Zimmerpreis eingeschlossen ist. Nach dem Essen ziehen wir uns in unser Zimmer zurück, bereiten schon alles für morgen vor und begeben uns schon früh ins Bett.
Heimfahrt und Zukunftspläne Freitag, 28. Juni 2019: Von La Souterraine - Paris - Mannheim - Koblenz Die Hitze des vergangenen Tages haben wir in der Nacht noch deutlich zu spüren bekommen. Draußen ist es anscheinend etwas abgekühlt, aber in unserem kleinen Schuhkarton war es noch ziemlich warm. Hätten wir nicht noch einen Schlummertrunk zu uns genommen, den wir im Waschbecken kühl gehalten hatten, wären wir wohl nicht so schnell eingeschlafen. Da unser Zug bereits um 7:36 Uhr vom nur fünfhundert Meter entfernten Bahnhof abfährt, stehen wir früh auf, packen soweit alles zusammen und gehen in den Frühstücksraum. Prima, dass vom Personal schon gestern Abend alles im Kühlschrank bereitgestellt wurde. So sind wir zeitlich ungebunden und können uns bedienen. Da wir die Ersten sind, haben wir auch noch die freie Auswahl. Nach einem reichhaltigen Frühstück schlendern wir gemütlich mit Sack und Pack in Richtung Bahnhof, wo auch weitere Reisende eintreffen. Der Zug fährt pünktlich am Bahnsteig ein und bringt uns in drei Stunden nach Paris zum Gare de Austerlitz. Ein paar wenige Metrostationen weiter treffen wir am Gare de l´Est ein, wo wir erneut etwas Geduld aufbringen müssen. Der ICE nach Mannheim startet erst um 13:10 Uhr. In der Zwischenzeit suchen wir uns im Bahnhof etwas Essbares, was sich ziemlich schwierig gestaltet. Allerdings liegt das ausschließlich an uns, da wir uns einfach für nichts entscheiden können. Nachdem wir doch noch etwas gefunden haben, setzen wir uns für die restliche Wartezeit auf eine nach oben führende Treppe und beobachten während der Mahlzeit das bunte Treiben vor uns. Erwähnenswert ist, dass aufgrund der Wetterlage jeder Reisende mit einem Bahnticket an einem Stand kostenlos eine Flasche Wasser erhalten kann. Das nenne ich mal Service, den man so in Deutschland wohl nicht finden wird. Als endlich unser Bahnsteig freigegeben wird, steigen wir in unseren Zug und lassen uns entspannt in die reservierten Sitze fallen. Schon bald geht die Reise los und der Zug rauscht mit einer Geschwindigkeit von über dreihundert Stundenkilometern durch die Lande. Jörg und ich kommen während der Fahrt überein, unseren Weg ab La Souterraine erst 2021 fortzusetzen, und zwar die restlichen 600 Kilometer durch Frankreich bis zu den Pyrenäen. Dann ist zwar in Santiago ein Heiliges Jahr, aber wir möchten mit dem zu erwartenden Andrang nichts zu tun haben. In 2022 geht es dann auf das letzte „Stückchen“ Weg auf dem Camino Frances bis Santiago de Compostela. Dann hätte ich den gesamten Weg von zu Hause zu Fuß geschafft. Um 16:15 Uhr kommen wir in Mannheim an, wo sich die Wege von Jörg und mir trennen. Es war wiederum eine schöne und erlebnisreiche Tour, die uns, wie bereits die vergangenen Abschnitte, gerne in Erinnerung bleiben. Ich steige in einen anderen Zug nach Koblenz um und werde schon bald von einem älteren Herrn angesprochen. Er hat mich anscheinend anhand der Patches am Rucksack als Jakobspilger erkannt und fragt mich ein wenig aus. Gerne unterhalte ich mich mit ihm und nach einer guten Viertelstunde möchte er mich nicht länger „belästigen“. Als ich um 18:10 Uhr in Koblenz den Zug verlasse, wünscht er mir noch im Vorbeigehen ein „Buen Camino“. Am Bahnsteig werde ich von Susanne erwartet - es ist immer wieder schön, nach Hause zu kommen. |