Rheingauer Klostersteig 2020
Datum | Strecke | Länge | Gesamtlänge | |
1. | 14.05.2020 | Kloster Eberbach - Assmannshausen |
33 km |
33 km |
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Von Kloster Eberbach nach Assmannshausen (14. Mai 2020) Seit ein paar Tagen ist es nun klar, dass ich meinen geplanten Caminho da Geira e dos Arrieros von der portugiesischen Stadt Braga nach Santiago de Compostela im Juni nicht pilgern kann. Schade, denn dieser Weg besteht noch nicht sehr lange, hat bisher keine ausreichende Pilgerinfrastruktur und wäre somit ein schönes Abenteuer geworden. Also wird dieser Camino zunächst einmal auf meine Wunschliste geschrieben und irgendwann in der Zukunft bewältigt. Als Ersatz habe ich mir in meinem Urlaub einen Weg vor der Haustüre ausgesucht, den schon seit längerer Zeit im Auge hatte: den erst im Herbst 2016 eingeweihten Rheingauer Klostersteig. Dabei handelt es sich zwar um keinen reinen Pilgerweg und er wurde auch vornehmlich von den örtlichen Touristikern entwickelt. Doch auf dem rund 30 km langen und in nördlicher Richtung ausgelegten Pfad durchstreift man einsame Wälder, grüne Weinberge und macht Station an sechs ehemaligen und bestehenden Klöstern. Als Pilgertag hatte mir meine Frau den 14. Mai vorgeschlagen - unseren Hochzeitstag. Ungewöhnlich, doch terminlich passte es nur genau an diesem Tag, zumal mir in der Folgewoche noch eine Schilddrüsenoperation bevorstand. Per Auto mache ich früh auf den Weg nach Assmannshausen. Dort möchte ich den Wagen am Bahnhof abstellen, damit ich am Nachmittag nicht vom Fahrplan der Bahn abhängig werde. Mit dem Zug soll es um 8:48 nach Eltville gehen, dort mit dem Bus zum Startpunkt Kloster Eberbach - so mein Plan. Kurz nachdem ich mein Ticket über die Bahn-App gekauft habe, erscheint die Meldung, dass der Zug wegen eines technischen Problems heute nicht fährt. Das fängt ja gut an. Also wieder zurück zum Auto gehen und nach Eltville fahren. Dort stelle ich das Auto in einem Parkhaus nahe des Bahnhofs ab und gehe das letzte Stückchen zu Fuß. Auf dem Bahnhofsplatz werden Tickets für die Busse verkauft, ich habe meins aber bereits im Verkehrsverbund bis zum Kloster gebucht. Nachdem ich mit Mundschutz einen freien Platz im Bus bekomme, fährt dieser pünktlich ab. Nur rund fünfzehn Minuten später steige ich aus an der Haltestelle Westtor aus und muss noch ein paar Meter zum Kloster gehen. Um diese Uhrzeit ist der Parkplatz völlig autofrei. Inzwischen hat auch die Klosterkasse geöffnet und ich hole mir den ersten Stempel für meinen Pilgerpass ab. Das Kloster selbst wurde durch Bernhard von Clairvaux im 12. Jahrhundert gegründet und erlangte großen Ruhm. 1803 wurde es, wie viele andere Klöster auch, im Zuge der Säkularisation aufgelöst. Heute ist es touristisch erschlossen, die Basilika ist der Hauptspielort des Rheingau Musik-Festivals. Darüber hinaus wird durch die hessischen Staatsweingüter der traditionelle Weinanbau bewahrt. Der Pilgerpass ist ein 48-seitiges Heftchen, das mich in den nächsten Stunden begleiten wird. Darin enthalten sind nicht nur Felder für einzelnen Stempel, sondern auch nützliche Informationen zum Weg, zu den Klöstern und einige Impulse zum Nachdenken. Nach einer Umrundung der Klosteranlage - hier wurden Teile des Kino-Klassikers „Der Name der Rose“ mit Sean Connery gedreht - erreiche ich unmittelbar vor dem Klosterportal einen Buswendeplatz. Dort befindet sich einen große Informationstafel zum Klostersteig einschließlich einem Holzkästchen, das den Pilgerstempel von Eberbach enthält. Hätte ich das gewusst, wäre ich schon früher gestartet - ich hatte mich an der Öffnungszeit der Klosterkasse orientiert. Neben der Tafel macht der im weiteren Verlauf sehr gut markierte Weg seinem Namen alle Ehre - es geht über einen schmalen Pfad ziemlich steil aufwärts. Zum Glück habe ich meine Wanderstöcke dabei, die mir wertvolle Unterstützung sind. Die nächsten Stunden werde ich kein weiteres Kloster mehr sehen, denn ein Wegweiser sagt mir unmissverständlich, dass es bis zum ehemaligen Kloster Johannisberg noch rund 14 km sind. Als Entlohnung habe ich kurz danach einen ersten sehenswerten Ausblick auf den Rheingau und bald erreiche ich den ersten Ruhepunkt Unkenbaum. Der Platz ist gut gewählt, denn danach geht es über ein längeres Wegstück zum Teil steil aufwärts. Links und rechts des Weges sieht es aus wie in einer Kraterlandschaft - hier hat ein Sturm gewütet und einen Großteil des Baumbestandes vernichtet. An einer Stelle muss ich mich kletternd über noch nicht geräumte Stämme fortbewegen. Nach einem weiteren kurzen Anstieg (seit dem Start in Eberbach sind es rund 360 Höhenmeter gewesen) tauchen vor mir Bruchsteinmauern auf und kündigen die Hallgarter Zange an. Hier befindet sich ein Ausflugsrestaurant mit Aussichtsturm und ein großer Kletterpark - aufgrund der aktuellen Situation aber noch geschlossen. Der Besitzer gestattet mir den Aufstieg auf den Turm, der allerdings bequem per Aufzug möglich ist. Aus dem oberen Stockwerk habe ich einen atemberaubenden Ausblick auf das Rheintal - einfach toll. Nachdem ich den höchsten Punkt des Tages hinter mir habe, kann es nur noch leichter werden. Es geht nun erst einmal abwärts durch das mit dichtem Laubwald bestückte Pfingstbachtal, wo sich der nächste Ruhepunkt befindet. Nach insgesamt 10 km gelange ich an den Ruhepunkt Honigberg, wo ich mich auf einer Bank niederlasse und meine mitgebrachte Vesper zu mir nehme. Eine gute halbe Stunde später bin ich wieder unterwegs und genieße nun die wärmende Sonne, die mich inzwischen durch die großflächigen Weinberge begleitet. In der Ferne erkenne ich bereits die Silhouette der Basilika des ehemaligen Klosters Johannisberg. Im 12. Jahrhundert entstand hier ein Benediktinerkloster, das aber nach der Zerstörung in den Bauernkriegen im Jahr 1563 aufgehoben wurde. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts kauften die Fürstäbte von Fulda die Anlage und bauten sie zu einer Sommerresidenz um. Diesem Umstand verdankte man im Weinbau die Spätlese. Die Erlaubnis zur Lese musste der Abt von Fulda erteilen, die wiederum durch einen Boten nach Johannisberg überbracht werden musste. Der Bote kam jedoch viel zu spät zurück und die Trauben begannen bereits zu faulen. Trotzdem wurden die Trauben geerntet und man stellte zum Erstaunen aller fest, dass die Fäulnis dem Geschmack des Weines eher gut tat. Erhalten geblieben ist jedoch die romanische Basilika, wenngleich große Teile davon nach verheerenden Kriegsschäden neu errichtet werden mussten. Nun geht es Schlag auf Schlag - alle drei bis vier Kilometer erreiche ich jetzt auf dem Weg ein anderes Kloster. Als erstes ist dies das Kloster Marienthal, das seit 1873 von Franziskanern bewohnt wird. Sie kümmern sich um den kleinen Marienwallfahrtsort. Eine erste Kapelle wurde im 14. Jahrhundert gebaut und mit der Einrichtung einer Druckerei im Todesjahres von Johannes Gutenberg (1468) stand hier die erste Klosterdruckerei der Welt. Im Laufe der Zeit verfielen Kloster und Wallfahrtskirche und wurden erst 1846 mit dem Kauf durch den Fürsten von Metternich vor der endgütigen Zerstörung gerettet. Etwa zur gleichen Zeit entstand nur in kurzer Entfernung das Kloster Nothgottes, das auf den Ritter Johann Brömser zurückgeht. Lange Zeit war das Gebäude ein Bildungshaus des Bistums Limburg, heute lebt dort eine vietnamesische Zisterzienser-Gemeinschaft. Den Stempel gibt es in der Wallfahrtskirche, die tagsüber geöffnet ist. Beim Betreten duftet es noch nach Weihrauch. An einer Wand entdecke ich auf einer Tafel der Nothgottes-Bruderschaft Kruft den Namen eines lieben Pilgerfreundes, der jedes Jahr eine Wallfahrt hierhin organisiert. Der Klostersteig führt mich nach einem weiteren Waldgebiet wieder durch Weinberge. Am Horizont sind bereits die markanten Türme der Abtei St. Hildegard zu erkennen - sie scheinen aber irgendwie nicht näher zu kommen. Der Weg schlängelt sich durch die Weinberge, in denen einige Winzer einen sehr beschäftigten Eindruck machen. An einer Mauer ist neben der Markierung des Steiges auch eine gelbe Jakobsmuschel auf blauem Grund eingelassen. Gegenüber befindet sich ein Ruheplatz mit Impuls - treffend als Jakobsrast benannt. Es gibt Bestrebungen, den Klostersteig in das Netz der Jakobswege zu integrieren. Es besteht dabei die Möglichkeit, den Rhein-Camino ab Kaub fortzusetzen und über den Rheingau und Wiesbaden in Mainz enden zu lassen. Die Abtei selbst besteht erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts, trat aber damals die Nachfolge des von Hildegard von Bingen gegründeten und 1803 aufgehobenen Klosters im nahegelegen Eibingen an. Für einen Snack komme ich nur wenige Minuten zu spät - das Kloster-Café ist bereits geschlossen. Daher begebe ich mich in die Kirche und versinke einen Augenblick in Stille, die ich sehr genieße. Bevor ich weitergehe, hole ich mir noch im Informationsraum den Stempel für den Pilgerpass ab. Nun ist es nicht mehr weit bis zu meinem Zielort - der Marienkirche in Aulhausen. Diese gehörte früher zu einem Zisterzienserkloster und ist seit 1893 Bestandteil des St. Vincenzstiftes, einer kirchlichen Einrichtung zur Betreuung von körperlich und geistig beeinträchtigten Menschen. Nach eine grundlegenden Sanierung der aus dem 13. Jahrhundert stammenden Kirche wurde der Innenraum in einer einzigartigen Weise nur von Künstlern mit Beeinträchtigung gestaltet. Seit 2016 ist sie für jedermann zu besichtigen - das werde ich irgendwann einmal nachholen, denn aufgrund der Corona-Krise kann man das Gelände derzeit nicht betreten. Die im Internet eingestellten Fotos machen neugierig. Wer alle sechs Pilgerstempel des Klostersteiges gesammelt hat, erhält in Aulhausen ein Eberbacher Kreuz, handgefertigt aus alten Weinreben von Menschen mit Beeinträchtigung. Derzeit kann man sich das Kreuz bei der Rheingau-Taunus Kultur und Tourismus GmbH bestellen, das in einem Vliesbeutel mit einem Text vom emeritierten Limburger Bischof Dr. Franz Kamphaus geliefert wird. Dieser verbringt seinen Ruhestand im St. Vincenzstift und ist hier seelsorgerisch tätig. Nun erwartet mich noch ein letztes Stück Weg, das mich zumeist abwärts nach Assmannshausen zum Bahnhof bringt. Ich komme gut voran und schaffe es sogar, nach knapp 33 km Pilgerstrecke und rund 6:30 Stunden reiner Gehzeit nur wenige Minuten vor dem Eintreffen des Zuges nach Eltville auf dem Bahnsteig zu sein. Es war ein erlebnisreicher Tag in der wunderschönen Schöpfung. Vielleicht war in der Summe das ein oder andere Kloster zu viel dabei. Ich wurde zumindest mit Informationen und Reizen überflutet, denn mich interessieren auch die Geschichten und die Menschen hinter den Steinen. Trotzdem freue ich mich, wenn die Zeit wieder da ist, um „richtig“ pilgern zu gehen.
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