Mosel-Camino 2009-2010
Datum | Strecke | Länge | Gesamtlänge | |
1. | 20.07.2009 | Lahnstein - Alken | 23 km | 23 km |
2. | 31.07.2009 | Alken - Treis-Karden | 24 km | 47 km |
3. | 28.09.2009 | Treis-Karden - Bullay | 29 km | 76 km |
4. | 14.12.2009 | Bullay - Traben-Trarbach | 26 km | 102 km |
5. | 05.07.2010 | Traben-Trarbach - Klüsserath | 37 km | 139 km |
6. | 06.07.2010 | Klüsserath - Trier | 35 km | 174 km |
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Von Lahnstein nach Alken (20. Juli 2009) Christian und ich beginnen nach dem Abschluss des Lahn-Caminos direkt an der Hospitalkapelle in Oberlahnstein den nächsten Jakobsweg: den Mosel-Camino. Ich habe vor, diesen Weg nach dem Pilgerwanderführer von Ka-Jo Schäfer und Wolfgang Welter zu gehen. Dort beginnt der Weg zwar erst in Stolzenfels, da wir aber noch in Lahnstein sind, starten wir auch hier. Wir nutzen gleichzeitig die Gelegenheit, für unsere Mittagsmahlzeit zu sorgen. Christian hat sich ein halbes Hähnchen gewünscht, das soll er auch bekommen. Er marschiert frohgelaunt mit und hat immer einen Witz auf Lager. Ich hatte schon Befürchtungen, dass er irgendwann vor mir steht und sagt: „Ich habe keine Lust mehr.“ Aber diesen Satz habe ich bei unserem nunmehr dritten gemeinsamen Pilgertag noch nicht gehört. Auf der ausgewiesenen Strecke zur Johanneskirche in Niederlahnstein kommen wir bei Globus vorbei. Dort kaufen wir ein. Wir sehen aber zu, schnellstmöglich die Kirche zu erreichen. Dort befindet sich am Ufer der Anlegesteg der Personenfähre „Nixe“, die uns auf die andere Seite bringen soll. Hinter der Rudi-Geil-Brücke biegen wir an die Lahn ab. Dort bleiben wir bis zum Zusammenschluss von Rhein und Lahn, dann geht es noch einen guten halben Kilometer weiter in Richtung Norden und wir stehen vor der romanischen Johanneskirche. Während Christian beginnt, an einer Sitzgruppe am Fahrradweg sein Hähnchen zu verspeisen, möchte ich mir die Kirche von innen ansehen. Die Mitte des zwölften Jahrhunderts erbaute einschiffige Kirche zählt zu den ältesten Emporenkirchen am Rhein. Vor der Kirche steht ein Santiago-Stein, der im vergangenen Jahr eingeweiht wurde. Ich suche nun mein Handy aus dem Rucksack, um beim Fährmann nachzufragen, wann wir die „Nixe“ erwarten können. Kaum bin ich wieder am Fahrradweg angelangt, sehe ich, dass in diesem Moment die „Nixe“ anlegt. Wir packen unser Mittagessen zusammen und sehen zu, dass wir auf das kleine Schiff kommen. Zunächst lassen wir aber drei Damen mit ihren Fahrrädern über den Steg aussteigen. Wir bezahlen den Fahrpreis in Höhe von 3 Euro für uns beide und nehmen im Bug Platz. Viel Verkehr ist heute nicht auf dem Rhein, bis auf das ein oder andere Touristenschiff sind heute keine Frachtschiffe unterwegs. Nach einigen Minuten des Wartens legen wir ab und fahren in einer Linie auf die andere Rheinseite zu. Wir bemerken sehr dabei, dass die kleine Fähre mit der starken Strömung des Flusses zu kämpfen hat, aber trotzdem macht sie Meter um Meter gut. Dann fahren wir ganz nah am Ufer entlang nach Süden in Richtung Stolzenfels. Hier ist die Strömung auch nicht mehr so stark und wir erreichen rasch die Anlegestelle. Da die „Nixe“ direkt weiter nach Oberlahnstein fährt, werden wir nur schnell herausgelassen. In unmittelbarer Nähe befindet sich eine Bank, auf der wir uns hinsetzen, um das unterbrochene Mittagsmahl zu beenden. (Anmerkung: Leider hatte die „Nixe“ inzwischen einen Motorschaden und wurde verkauft. Der Fährmann ist in den wohlverdienten Ruhestand gegangen.) Christian knabbert weiter an seinem Hähnchen, ich genieße zwei frische Mettbrötchen. Wir gönnen uns, umgeben von warmen Sonnenstrahlen, eine ausgedehnte Pause. Dabei erregen wir bei Passanten anscheinend Aufsehen, aber keiner traut sich, uns anzusprechen. Wir bewegen uns nun zum eigentlichen Beginn des Mosel-Caminos, müssen dabei noch durch eine Bahnunterführung und stehen plötzlich und ohne Vorwarnung direkt an der stark befahrenen B 9. Wer hier nicht vorsichtig ist, riskiert sein Leben. Allerdings ist dieser Zugang nur vorübergehend, da die originäre, wesentlich ungefährlichere Unterführung zurzeit wegen Bauarbeiten gesperrt ist. Gut, dass auch die Umleitung mit Muschelsymbolen gekennzeichnet ist. Der Camino verlässt nun das Rheintal in Richtung Schloss Stolzenfels über eine asphaltierte Straße, die unter einem Viadukt hindurchführt. Wir überwinden jedoch die ersten Höhenmeter alternativ über eine Treppe, an deren Fuß eine mit einer Bronzemuschel versehene Stele platziert ist. Am Ende der Treppe stehen wir vor der St. Menaskirche, die leider nicht geöffnet ist. Von der über dem Ort gelegenen Kirche hat man noch einmal einen schönen Blick auf Lahnstein und die südlichen Ausläufer von Koblenz. Über einige Nebengebäude gelangen wir zum Haupteingang des Schlosses, das seit einiger Zeit mit einem Aufwand von mehreren Millionen Euro saniert wird und daher für den Besucherverkehr nicht zugänglich ist. Lediglich die Gartenanlagen können mittels einer Führung besichtigt werden. Pünktlich zum Beginn der Bundesgartenschau 2011 in Koblenz soll das Schloss wieder für die Allgemeinheit geöffnet werden. Leider haben wir in Stolzenfels keinen Stempel erhalten. Aber da wir in unmittelbarer Nähe wohnen, wird das demnächst nachgeholt. Nachdem wir Schloss Stolzenfels nun hinter uns gelassen haben, geht es noch eine Zeit lang weiter den Berg hinauf. Dabei passieren wir zwei alte Grenzsteine aus den Jahren 1779 und 1810. Christian klagt auf einmal über Bauchschmerzen. Ich versuche ihn abzulenken, indem ich ihn den Berg hinaufziehe. Ich benutze dazu seinen Pilgerstab, der die Verbindung zwischen uns beiden herstellt. Und damit scheinen die Bauchschmerzen auch nicht mehr vorhanden zu sein. Allerdings spielt er jetzt mit mir und lässt sich zwischendurch gerne ein Stückchen von mir ziehen. Ich komme mir dabei vor, als hätte ich einen störrischen Esel am Seil. Schwierig wird es nun bei den Wegmarkierungen. Einerseits weist das Muschelsymbol den Weg, andererseits kann man auch dem Wegweiser zum „Schüllerhof“ folgen. Zunächst bleiben wir auf dem Camino, da aber nach rund dreihundert Metern kein weiteres Schild folgt, kehren wir wieder um und laufen auf direktem Wege zum „Schüllerhof“. Zum Glück kenne ich mich in dieser Gegend ganz gut aus, da ich dort oft laufend unterwegs bin und so kommen wir tatsächlich am „Schüllerhof“ raus. Damit ist zunächst einmal eine römische Villa gemeint, deren Reste neben vielen weiteren antiken Gebäuden im Koblenzer Stadtwald gefunden wurde. Im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet man aber auch die Wegkreuzung, an der wir hier stehen, als „Schüllerhof“. Wir wenden uns nun nach links und befinden uns auf dem sogenannten Pastorenpfad. Der Name rührt daher, dass in früheren Zeiten der Pfarrer von Stolzenfels diesen für ihn kürzesten Weg nutzte, um zu seiner Filialgemeinde nach Waldesch zu gelangen. Nach einem guten Kilometer sehen wir auf der rechten Seite die Grundmauern des römischen Merkurtempels. Hier macht gerade eine Damengruppe ein Päuschen während einer Wanderung. Es ist ziemlich laut, es werden Schnäpse verteilt und seltsame Blicke und Worte finden zu uns. Wir grüßen höflich und machen, dass wir hier weiterkommen. Am Ende des Pastorenpfades, der sich wie mit dem Lineal gezogen durch den Koblenzer Stadtwald zieht, sind wir kurz vor Waldesch. Wieder haben wir ein Zwischenziel erreicht und weichen etwas vom Camino ab, denn es gilt unsere Getränkevorräte aufzufüllen. Direkt an der „Hunsrückhöhenstraße“ gibt es einen Supermarkt, in dem ich zwei große Flaschen Wasser kaufe. Christian bekommt noch ein Puddingteilchen aus der angrenzenden Bäckerei. Gerne hätte ich jetzt einen Abstecher zur katholischen Kirche St. Antonius gemacht, um einen Stempel für den Pilgerpass zu bekommen, aber auch hier hat das Pfarramt heute geschlossen. Das werde ich dann ebenfalls in den nächsten Tagen erledigen. Relativ schnell verlassen wir Waldesch, das durch den Mosel-Camino eigentlich auch nur gestreift wird. Der Weg verläuft nun auf einem Fahrradweg. Dieser gleicht aber eher einem normalen Feldweg und ist nicht für jedes Rad geeignet. Rechts und links ziehen Wälder, Wiesen und Getreidefelder an uns vorbei. Kurz darauf öffnet sich die Landschaft und wir haben einen herrlichen Blick auf das Rheintal und die Lahnhöhen. Deutlich sehen wir die Marksburg hoch über Braubach, aber auch das Kurzentrum von Lahnstein, das wir erst heute Morgen umrundet haben. Ich glaube, wir stehen jetzt genau an der Stelle, auf die ich Christian vor einigen Stunden aufmerksam gemacht hatte. Der nun asphaltierte Radweg steigt noch einmal an und mündet dann in das Dörfchen Hünenfeld. Christian erinnert sich an Misselberg in der vergangenen Woche. Das sah dort ähnlich ausgestorben aus. Menschen bekommen wir keine zu Gesicht, nur einige Pferde. Hier scheint ein Reitstall ansässig zu sein. Auch als wir Hünenfeld schon hinter uns gelassen haben, sehen wir auf den Weiden in der Umgebung sehr viele Pferde. Wir ziehen weiter in die Höhe, denn den höchsten Punkt haben wir noch nicht ganz erklommen, sind aber nicht mehr weit davon entfernt. Wir klettern über einen hölzernen Tritt. Hier ist Vorsicht geboten, das Holz ist feucht und rutschig. Etwas weiter stehen wir vor einem mächtigen Hügel, davor steht ein Wegweiser mit mehreren Richtungsangeboten. Die Erhebung selbst wird Bruder-Tönnes-Hügel genannt. Es handelt sich wahrscheinlich um ein Fürstengrab aus der Zeit 1000 bis 500 vor Christus. Bis heute wurde der Hügel nicht archäologisch untersucht, sodass man keine klaren Aussagen treffen kann. Der Hügel ist zum Schutz von Mensch und Tier umzäunt, denn die darauf stehenden über zweihundert Jahre alten Buchen sind vermorscht. Ab hier geht es merklich abwärts, wenn auch zunächst nur ein wenig. Wir laufen jetzt parallel zur „Hunsrückhöhenstraße“, die wir gleich überqueren müssen. Kurz vor einem Parkplatz entdeckt Christian eine aus einem Baumstamm geschnitzte Figur. Beim näheren Betrachten erkennen wir einen Förster oder Jäger mit einem Doppelfernrohr. Er blickt genau auf den Parkplatz, beobachtet diesen anscheinend. Es sind aber keine Wohnmobile eines gewissen Gewerbes vor Ort (vgl. „Ein Jakobsweg von Stolzenfels nach Trier“ von Ka-Jo Schäfer und Wolfgang Welter, Seite 41). Doch jetzt steht uns die nächste Herausforderung bevor: wir müssen die Bundesstraße überqueren, obwohl ständig Autos aus beiden Richtungen angerast kommen. Wir warten dort einige Minuten, bis sich endlich die Möglichkeit ergibt, über die Fahrbahn zu hetzen. Etwas außer Atem gehen wir auf der Straße weiter nach Naßheck. Am rechten Wegesrand finden wir erneut einen Grenzstein, der aber im Gegensatz zu den beiden vorherigen ein ganz anderes Wappen trägt. Hinter einem Waldstück kommen immer mehr Details des Sendemastes mit seinen Verankerungen ins Blickfeld. Der Mast selbst ist 280 Meter hoch und damit das zweithöchste Bauwerk in Rheinland-Pfalz. Wir gelangen an die ersten Gebäude von Naßheck, links befindet sich eine kleine Kapelle mit einer Marienstatue. Auf den ersten Blick besteht Naßheck nur aus einer Hand voll Häusern, darunter auch eine Reitschule. Schnell haben wir die Siedlung hinter uns gelassen, der Weg führt uns zu einer Brücke über die A 61. Wir wundern uns über das relativ geringe Verkehrsaufkommen, der Urlaubsverkehr ist anscheinend zunächst einmal vorbei. Nach der Autobahnüberquerung laufen wir jetzt direkt neben der Fernstraße her, nur getrennt durch Buschwald. Vor uns sehen wir bereits die Raststätte Moseltal. Hier werden wir eine kurze Rast einlegen. Wir erlauben uns ein leckeres Eis und studieren unsere Wanderkarte. Wir überschlagen grob die verbleibende Strecke, um meiner Frau eine Uhrzeit durchgeben können, wann sie uns in Alken abholen kann. Nachdem auch diese Sache geklärt ist, machen wir uns auf die letzten sechs verbleibenden Kilometer. Wir lassen die Raststätte hinter uns und biegen auf einen leicht abschüssigen Waldweg ein. Wir sind erleichtert, dass es nur noch bergab geht. Doch leider werden wir bald eines Besseren belehrt. Nach der Überquerung einer Waldstraße werden wir durch ein schmales Tal geleitet und am Horizont können wir schon erahnen, welch steiles Stück Weg uns hier erwartet. Diese Straße verlangt noch einmal Motivation von uns. Langsamen Schrittes quälen wir uns nach oben. Nach einer kurzen Erfrischung laufen wir anschließend durch Felder wieder leicht abwärts. Aus einem Seitenweg begegnen wir zwei Wanderern, wir begrüßen uns freundlich. Auf der rechten Seite durchschneidet ein Streifen mit Wildblumen ein Feld, dazwischen ragen vereinzelt einige Sonnenblumen heraus. Nun bemerken wir sehr deutlich, dass wir immer mehr an Höhe verlieren. Vor uns taucht eine Straße auf, der wir auf einem weichen Waldweg parallel folgen, bis wir sie überqueren müssen. Zwei Biegungen weiter bekommen wir einen ersten Blick ins Moseltal und direkt vor uns baut sich auf einer Bergkuppe die Burg Thurant auf. So sehen wir heute nach Lahn und Rhein bereits den dritten Fluss unserer Region, das hatten wir bisher auch noch nicht erlebt. Bevor wir nach Alken gehen, schauen wir uns die Dreifaltigkeitskirche auf dem Bleidenberg an, die nur wenige Schritte entfernt ist. Das ursprüngliche Bauwerk stammt wohl aus dem 10. oder 11., die Kirche in ihrer derzeitigen Form erst aus dem 13. Jahrhundert. Auffällig, dass der Innenraum weder verputzt noch mit Wandmalereien versehen ist, das macht aber auch ihren eigenen Charakter aus. Dann geht es endgültig abwärts. Ein Schild weist darauf hin, dass festes Schuhwerk erforderlich sei. Wir steigen zunächst einige Treppenstufen hinab, dann stehen wir mitten im steilen Weinberg. Durch den führt ein schmaler Pfad, übersät mit mehr oder weniger großen Schieferstücken. Dies erfordert Konzentration und Trittsicherheit, man gerät sonst ins Rutschen. Gut, dass wir unsere Pilgerstäbe haben, die hier sehr hilfreich ihre Dienste leisten. Wir überholen bald ein Pärchen, das kein geeignetes Schuhwerk an den Füßen hat; und genauso sieht deren Abstieg auch aus. In regelmäßigen Abständen passieren wir Kreuzwegstationen, die im Jahre 1662 von wohlhabenden Alkener Familien gestiftet wurden. In Alken selbst werden wir direkt an das Moselufer geleitet und stehen dann vor einem großen Hinweisschild zum Café Becker, versehen mit einer Jakobsmuschel. Dort erhalten wir unseren Pilgerstempel, ein altes Pfarrsiegel der katholischen Gemeinde St. Michael. Vom Straßenrand winkt uns schon meine Frau zu. Wir verstauen unser Gepäck im Auto und fahren nach Hause. Das war ein anstrengender Tag mit insgesamt 32 Kilometern Wegstrecke.
Von Alken nach Treis-Karden (31. Juli 2009) Zum Abschluss meines Urlaubs sollte eine weitere Etappe auf dem Mosel-Camino absolviert werden. Christian hatte vor ein paar Tagen ein paar neue Outdoor-Schuhe bekommen, die er baldmöglichst austesten wollte. Heute lassen wir es im Vergleich zu den bisherigen Etappen sehr spät werden, bevor wir die ersten rund 2,5 Kilometer von unserer Wohnung bis zum Koblenzer Hauptbahnhof zu Fuß bewältigen. Es ist bereits kurz vor neun Uhr, unser Zug nach Löf an der Mosel fährt um 9:26 Uhr ab. Leider hat die Deutsche Bahn hinter einer Diesellok nur einen doppelstöckigen Wagen angehängt. Oben ist für 1.-Klasse-Passagiere reserviert und unten sind die sehr wenigen freien Plätze schnell belegt oder durch Fahrräder nicht nutzbar. Neben uns erzählt ein Mann einem älteren Paar aus Österreich einiges über seine Heimatstadt Kobern-Gondorf und die Mosel. Pünktlich erreichen wir eine gute halbe Stunde später den Bahnhof in Löf. Zunächst müssen wir vom Bahnhof zurückgehen, um über die Moselbrücke nach Alken zu gelangen. Dort haben wir die letzte Etappe beendet, da wollen wir an der katholischen Pfarrkirche St. Michael unsere heutige Etappe beginnen. Im Pfarramt, das gerade erst geöffnet hat, erhalten wir unseren ersten Stempel. Eine kurze Besichtigung der gegenüberliegenden, lichtdurchfluteten Kirche lassen wir uns nicht nehmen. Christian entzündet zwei Kerzen und wir beten um einen schönen Pilgertag für uns. Dann geht es endlich richtig los, obwohl wir ja eigentlich schon rund fünf Kilometer gelaufen sind. Der Camino zieht sich durch die Alkener „Oberstraße“, bis wir vor einem Heiligenhäuschen zu Ehren der Gottesmutter stehen. In der kleinen Kapelle befinden sich ein paar Bänke, einige Heiligenfiguren und Dankestafeln. Linker Hand erhebt sich über der Weinlage „Alkener Burgberg“ majestätisch die Burg Thurant. Jetzt haben wir das romantische Moselörtchen hinter uns gelassen, wir laufen unter einer Straßenbrücke hindurch und biegen nach rechts ab zur Moselbrücke. Hier fehlt leider noch eine zusätzliche Markierung; ein unkundiger Pilger könnte weiterhin geradeaus gehen. Da wir aber wissen, dass es auf der anderen Moselseite weitergeht, schlagen wir den richtigen Weg ein. Von der Brücke haben wir einen tollen Blick zurück auf Alken. Wir zweigen dann links ab und stehen praktisch vor der Löfer Pfarrkirche St. Luzia, deren Glockentum bereits im Jahre 1310 im spätromanischen Stil erbaut wurde. Im 18. Jahrhundert wurde das barocke Kirchenschiff neu errichtet, rund hundertfünfzig Jahre später wurde es neugotisch erweitert. Leider ist die Kirche verschlossen, sodass uns ein Blick ins Innere verwehrt bleibt. Der Pilgerweg geht unterhalb der Kirche weiter und mündet in eine Verbundsteinpflasterstraße unmittelbar neben der Bundesstraße. Diese zieht sich entlang des ganzen Ortes, vorbei an kleinen Touristenhotels und Weinstuben. Während wir einen Bilderstock aus dem Jahre 1728 passieren, schnattern auf dem Grünstreifen am Ufer der Mosel einige Gänse aufgeregt, als wollten sie uns etwas zurufen. Erst am Ortsausgang verlassen wir den jetzt nur noch schmalen Streifen neben der Bundesstraße in Richtung Bahnhof. Es geht weiter zwischen einem Hotel und einem rosa gestrichenen, abbruchreifen Haus, auf dessen Dach sich inzwischen einige Sträucher angesiedelt haben. Nach der Bahnhofsunterführung stehen wir vor einer aufgerissenen Straße ohne einen Hinweis auf den Jakobsweg. Nach einem kurzen Blick auf die Wanderkarte biegen wir nach links ab und sehen dann, verdeckt durch einen Busch, die nächste Muschel. Bei genauem Hinsehen hätte man sie auch schon aus der Unterführung bemerken können. Nur wenige Meter weiter gibt es einen großen Wegweiser nach Hatzenport mit dem uns wohlbekannten Symbol. Der Camino geleitet uns für die nächsten Kilometer zwischen Bahnlinie und Weinberg in den nächsten Moselort. Leider sind wir zur falschen Zeit an diesem Ort, denn sowohl die zahlreichen Zwetschgen als auch Äpfel und Trauben sind noch nicht zum Verzehr geeignet. Wir gehen über einen schmalen Pfad, einige Meter höher als die Bahnschienen. Hin und wieder müssen wir ein paar Treppenstufen überwinden, aber grundsätzlich ist das hier ein schöner Streckenabschnitt. Hinter einer Felswand tauchen, wie aus dem Nichts, die ersten Häuser von Hatzenport auf. Als erstes fällt uns die St. Johannes-Kirche inmitten der Weinberge auf. Die leider verschlossene Kirche wurde zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert erbaut. Sehenswert ist der hier angelegte Kräutergarten. Rund um die Kirche ist auch der örtliche Friedhof angelegt. In die Friedhofsmauer integriert ist eine Nische mit einer Christusfigur aus dem 18. Jahrhundert. Wir verlassen den bisherigen Weg und biegen über eine Brücke in den Ort ein. Allmählich macht sich bei uns ein Hungergefühl in der Magengrube breit. Dummerweise haben wir aufgrund der kurzfristigen Planung heute nur etwas Obst und ausreichend Flüssigkeit dabei. Wir hoffen, in Hatzenport etwas gegen den Hunger zu bekommen, werden aber enttäuscht. Da Hatzenport einer großen Baustelle gleicht, laufen wir statt in Sichtweite zur Mosel mitten durch den Ort. Dort finden wir neben einer weiteren verschlossenen Kirche weder einen Laden noch eine Metzgerei. Das gefällt vor allem Christian nicht, ich selbst kann das noch ganz gut verdrängen. Hungrig eilen wir aus Hatzenport heraus in der Hoffnung, irgendwie doch noch etwas zu essen zu bekommen.Der Weg steigt nun leicht an und führt uns in eine etwas höher gelegene Siedlung. Wir können schon bald erahnen, welch schöne Ausblicke uns auf dem nächsten Wegstück erwarten. Wir befinden uns jetzt nicht nur auf dem Moselhöhenweg und dem Jakobsweg, inzwischen hat sich auch der „WeinWetterWeg“ dazugesellt. Wir laufen jetzt wieder auf einem asphaltierten Wirtschaftsweg zwischen unzähligen Rebstöcken. Beim Blick zurück erhaschen wir eine traumhafte Aussicht auf Hatzenport. Vor uns taucht bereits auf der anderen Moselseite das Städtchen Burgen auf. Nach kurzer Zeit befinden wir uns erneut mitten drin im Weinberg. Der zur Verfügung stehende Platz zum Wandern wird immer geringer, rechts türmen sich marode Trockenmauern auf, links birgt ein gefährlich aussehender Abhang bei Unaufmerksamkeit viele Gefahren. Irgendwie hat diese abwechslungsreiche Passage etwas von verschlungenen Dschungelpfaden und macht sehr viel Spaß. An einer lichteren Stelle erkennen wir mitten im bewaldeten Hang die Burg Bischofstein, die heute ein Landschulheim beherbergt und nicht besichtigt werden kann. Wir erreichen das Ende des langsam ansteigenden Pfades und befinden uns auf dem so genannten „Küppchen“. Diese Örtlichkeit wird zum einen von Gleitschirmfliegern zum Starten genutzt, zum anderen bietet sie einen weiteren prima Blick auf Burgen. Hier beginnt auch ein Klettersteig, der allerdings nur von geübten Wanderern mit entsprechendem Equipment genutzt werden sollte. Wir nehmen den Abzweig nach Lasserg, bewegen uns auf Feld- und Wiesenwegen. Erst kurz vor dem Dorf wird der Weg wieder zur Straße, die dann von Maisfeldern gesäumt wird. Christian hat die Idee, gegen seinen Hunger einen Maiskolben zu vertilgen. Nach dem ersten Bissen gibt er es aber schnell auf, der Mais ist noch nicht genießbar. Es heißt also weiter für ihn, durchzuhalten. Wir spazieren durch Lasserg, das für das Auge nicht allzu viel zu bieten hat. Mitten im Ort befindet sich um einen Ziehbrunnen eine nette Sitzgruppe. Etwas weiter kommen wir an das auffälligste Gebäude, die St. Benedikt-Kirche. Auch diese ist verschlossen. Wir haben heute kein Glück mit Kirchenbesichtigungen. Die für die Größe des Dorfes eigentlich zu breite Hauptstraße stößt bald auf die Kreisstraße 39, die wir überqueren. Den Camino säumen nun Rüben- und Maisfelder, vereinzelt stehen am Rand Apfelbäume. Die Äpfel sind noch nicht reif und schmecken sehr sauer. Wir sind froh, wieder in ein Waldstück zu gelangen, denn die Sonne steht sehr hoch und sorgt für einen deutlich spürbaren Temperaturanstieg. Hier im Wald ist es schön kühl und schattig. Inzwischen hat sich der Traumpfad „Eltzer Burgpanorama“ zu unserer Wegsammlung gesellt und wir vermissen die gewohnte gelbe Muschel. Das gibt es hin und wieder, dass einzelne Abschnitte nicht so gut ausgeschildert sind. Ich mache mir keine Gedanken und wir durchqueren ein Feld auf Sägespänen bis zu einem Wirtschaftsweg. Wir folgen inzwischen blind den Traumpfad-Schildern. Erst nach einiger Zeit ziehe ich meine Wanderkarte aus der Tasche und überprüfe unseren Standort. Ich stelle fest, dass wir wohl an einem Wegweiser vorbeigelaufen sind. Wir haben bereits im letzten Waldstück einen falschen Weg eingeschlagen. Ich komme zu dem Schluss, dass es sich nicht lohnt, wieder zurückzugehen. Auf dem Parkplatz an der Burg Eltz werden wir nämlich von meiner Frau erwartet. Sie ruft uns in diesem Moment an und will wissen, wann sie mit uns rechnen kann. Ich vermute, dass Christian und ich noch eine gute dreiviertel Stunde vor uns haben. Statt direkt am Parkplatz rauszukommen, werden wir nun die Burg aus der anderen Richtung ansteuern. Uns erwartet jetzt wieder ein eher abenteuerlicher Abstieg. Ein schmaler, felsiger Pfad schlängelt sich eng am Hang anliegend ins Eltzbachtal. Hier bewähren sich zum wiederholten Male unsere Pilgerstäbe und unser festes Schuhwerk. Endlich haben wir es geschafft und treten auf den großzügigen Platz vor dem Ausflugslokal „Ringelsteinermühle“. Hier ist ganz schön was los. Wir möchten uns nicht aufhalten. Christian hat Hunger, möchte aber warten, bis wir auf dem Parkplatz sind. Er bestimmt jetzt das Tempo und wird immer schneller. Ich finde es toll, wie er sich immer wieder motiviert. Auf dem schönen Waldweg begegnen uns immer mehr Leute, die von der Burg Eltz kommen. Der Weg steigt nur leicht an, hin und wieder überwinden wir ein felsiges Hindernis. Nach unzähligen Biegungen haben wir von der Burg Eltz ein prächtiges Bild vor Augen. Die uns zugewandte Seite ist durch ein Gerüst verdeckt, die Burg wird großflächig saniert. Wir beschließen, zunächst die steile Straße zum Parkplatz zu gehen, um dann später zur Burg zurückzukommen. Wir erreichen den Aussichtspunkt mit dem großen Kruzifix, direkt neben den Ruinen der Burg Trutz Eltz. Kurz danach sagt mir Christian, dass er am Parkplatz nicht mehr weiter gehen möchte. Ich habe Verständnis für ihn, er ist jetzt gute zwei Stunden mit leerem Magen gewandert. Wir finden relativ schnell unser Auto, wo wir bereits erwartet werden. Nachdem Christian auch nicht mehr die Burg besichtigen möchte, mache ich mich alleine auf die restlichen sechs Kilometer nach Treis-Karden. Ich begebe mich nun in die Burg und frage im Souvenirladen nach einem Stempel für den Pilgerpass, den ich auch dort erhalte. Nach einem kräftigen Schluck aus der Wasserflasche, schnalle ich mir meinen Rucksack auf den Rücken und folge den vorhandenen Muschelwegweisern in Richtung Karden. Dazu muss ich zunächst über den Eltzbach gehen, dann geht es für einige hundert Meter geradewegs in die Höhe. Die Herzfrequenz steigt merklich an, je höher ich mich vorarbeite. Aus dem schmalen Weg über den Kamm des Bergrückens wird bald ein breiter Waldweg, der ab dem Forthaus „Rotherhof“ mit acht Kreuzwegstationen aus dem Jahre 1808 flankiert wird. Die recht gut erhaltenen Stationen aus Stein wurden von den damaligen Bewohnern des Hofes aufgestellt. Der Camino wird nun über die K 29 geführt und zweigt nach wenigen hundert Metern nach links ab. Ich befinde mich auf einem Wiesenweg, der sich quer durch das Ackerland zieht. Vor den Windhäuserhöfen umkreise ich ein eingezäuntes Maisfeld, um dann nach links in den Wald abzubiegen. Ich kann jetzt auch schemenhaft Treis-Karden sehen, bin ich wirklich noch so weit weg? Schon bald stoße ich auf einen großen Wegweiser zur Pilgerherberge „Klickerterhof“. Dort kann man als Pilger mit Pilgerausweis kostenlos bzw. gegen eine Spende übernachten. Ich wähle heute den abschüssigen Weg zu meiner Linken und gelange zu einer Schutzhütte. Was mich nun erwartet, hätte ich nicht gedacht! Vor mir offenbart sich der bisher schwierigste Pfad meiner Pilgerwege, dazu stetig steil abwärts und übersät mit Schieferbruchstücken. Hier muss jeder Schritt bedacht gesetzt werden, volle Konzentration ist notwendig. Der Weg ist in keinem guten Zustand. Treppenstufen aus Holz lösen sich in ihre Bestandteile auf, kurze Abschnitte sind überwuchert. Als Besonderheit wächst hier am Hang wilder Buchsbaum, einer der wenigen Vegetationsplätze in Deutschland. Richtig schwindelerregend wird das letzte Stück. Es geht über unregelmäßige Treppenstufen aus Schiefer, ich habe sie nicht gezählt, aber es sind ganz schön viele. Es kommt mir vor, als stiege ich einen südamerikanischen Tempel herab. Ich schaffe es trotzdem, mit schnellem Schritt diesen Hang zu bewältigen und bin doch relativ rasch an der „Moseluferstraße“. Dieser folge ich bis zum Zentrum von Karden. Am Bahnhof werde ich bereits erwartet. Meine Frau hat von der Touristen-Information ein nagelneues Faltblatt vom Mosel-Camino mitgebracht. Ich gehe selbst dorthin, um nach einem Stempel zu fragen. Leider gibt es noch keinen, man will sich aber bemühen, in naher Zukunft einen verfügbar zu halten.Christian erzählt mir, dass er bisher immer noch nichts gegessen hätte, da es in Karden auch keine Möglichkeit hierzu gäbe. Also fahren wir auf die andere Seite nach Treis, dort finden wir ein Einkaufszentrum und Christian kauft sich bei einem Imbiss eine gegrillte Schweinshaxe. Meine Frau und ich gönnen uns ein Puddingteilchen, besorgen noch Getränke und machen uns dann auf den Heimweg. Auf der Rückbank beißt Christian herzhaft in seine Haxe. Er hat sich diese aber auch heute mehr als verdient. Für die nächste gemeinsame Etappe werden wir deutlich besser mit Speis und Trank ausgerüstet sein.
Von Treis-Karden nach Bullay (28. September 2009) Heute steht eine weitere Etappe auf dem Mosel-Camino an. Wie immer muss ich dazu früh aufstehen und zum Bahnhof laufen. Mein Zug fährt um 7.22 Uhr in Richtung Treis-Karden, wo ich kurz vor acht Uhr eintreffe. Insgeheim hoffe ich, hier einen schönen Stempel zu erhalten, aber dafür ist es dann doch noch zu früh. Ich beginne meinen Weg an der ehemaligen Stiftskirche St. Castor im Ortsteil Karden. Der Bau der Kirche begann im ausgehenden 12. Jahrhundert und wurde rund einhundert Jahre später vollendet. Ich laufe zunächst entlang dem ausgeschilderten Weg durch den Ort, der nach wenigen Schritten in Richtung Moselufer abzweigt. Dabei passiere ich die evangelische St. Georg-Kapelle sowie eine lebensgroße Kreuzigungsgruppe. Ich überquere die Mosel und habe von der Brücke auf beide Stadtteile einen schönen Ausblick. Noch sieht alles sehr trüb aus, der Nebel hängt tief im Tal. Ich folge dem Weg weiter ins Zentrum von Treis. Hier verlasse ich den Camino nach links, um mir die katholische Kirche Johannes der Täufer anzusehen. Leider ist die Kirche um diese Uhrzeit noch verschlossen und das Pfarramt ist heute überhaupt nicht geöffnet. Ich versuche also mein Glück bei der Verbandsgemeindeverwaltung, die ich nach einem kleinen Umweg auch finde. Dort weiß zunächst keiner mit meinem Begehr etwas anzufangen. Schließlich gelange ich aber an einen sehr freundlichen Mitarbeiter, der mir das Siegel der Gemeinde in den Pilgerausweis drückt. Ich bedanke mich herzlich und bin nach einigen Minuten so gut wie aus Treis-Karden heraus. Ich folge der Landesstraße 202 und habe freie Sicht auf die Ruine der Burg Treis, die bereits vor dem Jahre 1100 erbaut wurde. Erst später wurde die Wildburg zum zusätzlichen Schutz auf dem gleichen Bergsattel errichtet. Beide Burgen wurden im 16. Jahrhundert durch die Franzosen zerstört, die Wildburg jedoch vor rund fünfzig Jahren durch den neuen Eigentümer wieder aufgebaut. Ich laufe an der Wildburgmühle vorbei und dann geht es richtig los: der felsige Weg steigt allmählich an. Nur ein Stückchen weiter befindet sich der Zugang zur Wildburg, diese ist aber für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Auf dem kleinen Platz vor dem Tor steht am Hang ein Heiligenbild von Franz von Assisi. Eine Inschrift mahnt den Wanderer: „Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn baue und bewahre (Genesis 2,15)“. Direkt daneben befindet sich ein Brunnen mit einem Trog, als wolle dieser einen dazu anhalten, noch einmal einen kräftigen Schluck zu trinken. Auf den folgenden cirka 3,5 Kilometern scheint der Steigungsgrad immer mehr zuzunehmen. Ich komme richtig ins Schwitzen. Da es heute früh recht frisch ist, habe ich vorsorglich eine lange Jacke angezogen, die ich gerne noch anbehalten werde. Nun durchbrechen die ersten Sonnenstrahlen den Nebel und blinzeln durch den dichten Laubwald. Ich liege mit meiner Schönwetterprognose doch nicht daneben. An einem alten vermoosten Wegkreuz erreiche ich den höchsten Punkt und bin froh, dass es jetzt leicht abwärts geht. Kurz darauf trete ich aus dem Wald und schaue auf eine Komposition aus Nebel und Sonnenstrahlen, die mich in diesem Moment ein wenig blenden. Im Wald hinter mir hört man das Klopfen eines Spechtes. Linker Hand befindet sich eine mehr oder weniger verwelkte Blumenwiese. In deren Spitzen haben unzählige Spinnen ihre Netze ausgebreitet. Da gibt es regelmäßige, runde Netze, aber auch Formen, die man als chaotisches Durcheinander bezeichnen könnte. Die Schönheit aller Gebilde wird erst durch die Einwirkung der Sonne deutlich, die den Morgentau in den Netzen glänzen lässt. Die Natur ist wunderschön, geht es mir durch den Kopf. Die nächste Passage vergeht wie im Fluge, ich lasse meine Augen nach immer schöneren und perfekteren Werken der kleinen Krabbeltiere über die Wegesränder suchen. Zum Glück verpasse ich dabei nicht auf der anderen Wegseite ein Hinweisschild, das mir deutlich macht, nun rechts zum Kloster Maria Engelport abzubiegen. Es geh weiter leicht bergab, die Sonne wird intensiver und beginnt mich zu wärmen. Dann steht vor mir mitten im Wald ein Schwertransporter, der Fahrer hat gerade den Anhänger mit Baumstämmen beladen. Ich weiche über den Wegrand aus und genehmige mir einen Müsliriegel. Nach einem weiteren Kilometer stehe ich am Rande eines Tales. Vor mir liegen weitläufige Grünflächen, über denen der Nebel scheinbar schwebt. An einem Wirtschaftsweg befinden sich zwölf eher modern gestaltete, bunte Kreuzwegstationen. Ich muss aber in die entgegengesetzte Richtung weiter. Die Turmspitze der Klosterkirche ist schon über den Baumwipfeln sichtbar. Am Weg stehen Obstbäume, deren Äste durch ihre Früchte nach unten gezogen werden. Dieser Einladung kann ich nicht widerstehen und greife schamlos zu. Ich werde mit zuckersüßen Pflaumen belohnt. Geht es mir heute doch gut! Der Weg wird nun bis zur Landesstraße 202 auf der rechten Seite durch einen langgezogenen Kräutergarten flankiert. Direkt auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich das Kloster, das inzwischen zum Tagungs- und Exerzitienhaus umgebaut wurde und von den Hünfelder Oblaten geleitet wird. Erste Klostergründungen lassen sich bereits auf die Jahre 1202 und 1265 datieren. In seinem jetzigen Zustand wurde die Anlage im Jahre 1903 wieder aufgebaut und vor rund dreißig Jahren dem neuen Zweck entsprechend renoviert. Das Kloster liegt abgeschieden und idyllisch von Wäldern umgeben im Flaumbachtal. Ich verweile ein wenig in der schön gestalteten Kirche und entzünde an der Statue „der lieben Frau von Engelport“ eine Kerze. Bevor ich das Kloster verlasse, klingele ich an der Pforte und bitte Bruder Otto, der mir öffnet, um einen Stempel für meinen Pilgerpass. Ich richte noch meinen Rucksack und mache mich auf den weiteren Weg. Dieser führt mich hinter das Gebäude, wo ich auf die im Oktober 1915 eingesegnete Mariengrotte treffe. Auch hier entzünde ich noch eine Kerze und gehe noch einige Augenblicke in mich. Ich verschwinde dann in einem dichten Wald. Meine Wanderkarte verrät mir, dass ich auf den nächsten zwei Kilometern einen Höhenunterschied von rund einhundertachtzig Metern zu erwarten habe. Hier ist mein ständiger Begleiter ein kleiner Bach, der es allerdings vorzieht, sich in die andere Richtung, also abwärts, zu bewegen. Mehrfach muss ich auf dem schmalen Pfad unter umgestürzten Bäumen durchklettern. Nach einer Weile knickt der Weg aus dem Tal ab und verbreitert sich fortlaufend, bis ich einen herrlichen Aussichtspunkt erreiche. Von dort schaue ich kilometerweit in den Hunsrück hinein. Die Sicht ist heute so gut, dass am Horizont sogar die drei markanten Schornsteine der ehemaligen Blei- und Silberhütte in Braubach am Rhein zu erkennen sind. Ich überquere eine Kreisstraße und biege erneut in ein Waldstück ein, das ich erst kurz vor Beilstein verlassen werde. Der Mosel-Camino folgt nun einem engen Tal. Normalerweise schlängelt sich hier ein kleiner Bach, der aber nur durch den dunkel gefärbten Boden zu erahnen ist. Es wird Zeit, dass es wieder einmal regnet, aber bitte nicht heute! Ich verliere merklich an Höhe und muss aufpassen, dass ich nicht auf dem Schiefergeröll ausrutsche, das hier vereinzelt den Boden bedeckt. Nach gut zwei Kilometern tauchen am rechten Berghang erste Fragmente von Trockenmauern auf. Kurz danach erkennt man weiter oberhalb einige aufgegebene Weinberge, die sich bis zum Ortseingang von Beilstein hinziehen. Hier beginnen aber auch schon die bewirtschafteten Anbauflächen und ich lasse es mir nicht nehmen, die eine oder andere Kostprobe mitzunehmen. Die Rebstöcke sind gut bestückt mit Trauben. Dieses Jahr soll ein gutes, ertragreiches Jahr für die Winzer sein. Die Trauben schmecken sehr süß und munden mir sehr. Von meinem Standort aus lassen sich schöne Photos der Burgruine Metternich und der ehemaligen Karmeliterkirche erstellen. Ich überquere die Kreisstraße 42 und befinde mich unmittelbar an der barocken Kirche. Der Bau wurde im auslaufenden 17. Jahrhundert begonnen, aber erst fast einhundert Jahre später vollendet. Während des dreißigjährigen Krieges wurde Beilstein von den Spaniern erobert. Diese brachten eine wertvolle, aus dunklem Holz geschnitzte Figur der Gottesmutter mit und ließen diese bei ihrem Abzug vierzehn Jahre später zurück. Die schwarze Madonna ist in einer Seitenkapelle der Klosterkirche zu bewundern. Ich trage mich noch in das Gästebuch der Kirche ein und gehe in das anliegende Klostercafé. Dort frage ich nach einem Pilgerstempel, den mir eine Mitarbeiterin aus dem in dem Gebäude integrierten Pfarramt besorgt. Von der Terrasse des Cafés hat man einen schönen Ausblick auf die Mosel und das auf der anderen Seite liegende Ellenz.Ich steige dann über die steile Klostertreppe hinab in die Niederungen des historischen Ortskernes und befinde mich auf einem kleinen Platz, der von hübschen Fachwerkhäusern umrahmt ist. Das „Dornröschen der Mosel“, wie Beilstein im Volksmund genannt wird, wimmelt inzwischen von Touristen und immer mehr werden mit Bussen herangekarrt. Ich besorge mir an einem Imbissstand eine Bratwurst mit Brötchen und sehe zu, dass ich weiterkomme. Ich gehe durch enge Gassen. Hier wurde jeder Meter zur Bebauung ausgenutzt und ein Haus ist schöner als das andere. Schade nur, dass in fast jedem Erdgeschoss ein Speiselokal angesiedelt ist und um Touristen wirbt. Nach dem letzten Fachwerkhaus hört diese Idylle mit einem Schlag auf und ich stehe vor moderneren Gebäuden. Rechts geht es zur Burgruine Metternich, auf der es auch einen Stempel geben soll. Tatsächlich bekomme ich einen, signiert von Herrn Herzer, dem derzeitigen Burgherrn. Er schenkt mir noch einen Pin mit dem Wappen der Metternicher, die darin drei Jakobsmuscheln integriert hatten. Eine Frau fragt mich neugierig, ob ich denn für den Stempel hier eine Wanderauszeichnung erhalte. Ich antworte ihr, dass es nur in Santiago de Compostela eine Urkunde nach Vorlage des Pilgerausweises gebe. Ja, da wäre sie auch schon gewesen, wahrscheinlich als Touristin, vermute ich mal. Ich verabschiede mich höflich von Herrn Herzer und orientiere mich zunächst auf meiner Wanderkarte. Ich stelle fest, dass mich nun ein Stück Weg erwartet, das für die nächsten zwanzig Minuten an der K 42 entlangführt und aufgrund der vielen unübersichtlichen Kurven recht gefährlich erscheint. Hier empfehle ich, sich ganz rechts zu halten, wenn möglich, auch hinter der Leitplanke herzugehen. Mir begegnen glücklicherweise nicht allzu viele Autos. Die wenigen haben aber eine Geschwindigkeit drauf, die es ihnen wohl nicht ermöglicht, bei Gefahr rechtzeitig zu bremsen. Ich hoffe, dass zukünftig dieser Wegabschnitt in irgendeiner Art und Weise umgangen werden kann. Nach gut anderthalb Kilometern zweigt der Camino nach rechts ab in den Wald. Hier geht es noch etwas steiler bergauf. Nun stoße ich auf die Landesstraße 200, folge dieser bis zur nächsten Kreuzung, um dann entlang der Landesstraße 98 zu gehen. Von weitem sehe ich eine Schutzhütte, an der ich die Straße wieder verlassen kann. Auf diesem Abschnitt sind die Jakobsmuscheln sehr rar. Hier muss ich mich vornehmlich an den Markierungen des Moselhöhenweges orientieren, auf dem ich inzwischen wieder einmal gelandet bin. Ich kreuze nochmals die Landesstraße 98 und laufe parallel dazu weiter auf einem asphaltierten Wirtschaftweg bis zum Lindenhäuschen, einer kleinen Kapelle zu Ehren der Mutter Gottes. Linker Hand ist das Örtchen Grenderich zu erkennen, das ich allerdings auch dort liegen lasse. Bisher sind mir recht wenige Menschen unterwegs begegnet, bei dem herrlichen Wetter hätte ich mehr erwartet. Inzwischen ist es auch sehr warm geworden, meine lange Jacke habe ich schon längst im Rucksack verstaut. Es tut gut, frische Luft an den Körper zu lassen. An der nächsten Weggabelung weiß ich nicht, wo ich herlaufen soll. Ich gehe nach einer inneren Eingebung. Doch was war das gerade auf dem Boden? Ich kehre um und entdecke einen gelben Pfeil und die Buchstaben M-C. Da war doch was, gelber Pfeil, Mosel-Camino? Jetzt führt mich meine innere Stimme doch auf den rechten Pfad. Ein Landwirt, der seinen Acker mit schwerem Gerät bearbeitet, schaut mich verwundert an. Und da ist auch schon der nächste gelbe Pfeil. So ist das ja einfach und alle Zweifel zum richtigen Weg verschwinden in Sekundenbruchteilen. Vor mir befindet sich an den Wegrändern dichtes Gestrüpp. Mit den darüber befindlichen Ästen sieht das aus wie ein großes helles Tor zum letzten Teilstück des heutigen Tages. Noch steigt der Weg ein wenig an. Ich laufe jetzt auf einem mit Gras bewachsenen Waldweg, umgeben von Nadelbäumen. Die Grasnarbe sieht von Schritt zu Schritt wüster aus. Hier müssen ganze Wildschweinhorden gehaust haben. An der nächsten Kreuzung weist ein Schild auf die Höhe 410 hin, dem höchsten Punkt der heutigen Etappe. Kurz darauf befindet sich ein Wegkreuz und davor finde ich einige prachtvolle Exemplare Steinpilze. Da ich keine vernünftige Transportmöglichkeit habe, lasse ich sie stehen. Schade, die hätten heute Abend eine schmackhafte Mahlzeit ergeben können. Ich bin trotzdem gut gelaunt, es geht auf den nächsten vier Kilometern beständig abwärts und ich verliere hier rund dreihundert Meter an Höhe. Leider sind vereinzelte Passagen mit gewalztem Schotter versehen, auf dem das Gehen etwas schwer fällt. Eine gute dreiviertel Stunde später erreiche ich die „Obere Bergstraße“ und damit auch die ersten Häuser von Bullay. Über den Umweltbahnhof gehe ich zur katholischen Pfarrkirche St. Maria Magdalena, die sogar geöffnet ist. Der Chorraum ist sehr spärlich ausgestattet, ein überlebensgroßes Kreuz konzentriert die Blicke auf sich. In einer Seitennische befindet sich eine steinerne Altarbildwand aus dem 17. Jahrhundert. Leider hat das Pfarramt nur vormittags geöffnet, sodass ich heute keinen Stempel mehr erhalten kann. Direkt neben der Kirche entdecke ich neben der Eingangstür eines Hauses eine vergoldete Jakobsmuschel. Ich muss mich jetzt beeilen, um meinen Zug nach Koblenz zu bekommen. Ich löse im Bahnhof an einem Automaten ein Ticket, bemerke aber schnell, dass ich damit nicht den von mir gewünschten Intercity nehmen kann. Also warte ich eine weitere halbe Stunde auf dem Bahnsteig auf die nächste Regionalbahn, die auch noch überflüssigerweise in jedem Dörfchen an der Mosel in Richtung Koblenz anhält. So treffe ich gegen 17.20 Uhr dort am Hauptbahnhof ein und mache mich auf den Weg nach Hause. Zufälligerweise ist meine Frau mit dem Auto unterwegs und nimmt mich schon nach wenigen Metern auf, sodass mir der letzte Kilometer zu Fuß für heute erspart bleibt.
Von Bullay nach Traben-Trarbach (14. Dezember 2009) Zum Ende des Jahres will ich unbedingt noch eine Etappe auf dem Mosel-Camino gehen. Dienstliche und auch private Termine haben meine Pläne immer weiter nach hinten geschoben, doch heute ist es endlich soweit. Am vergangenen Wochenende sind die Temperaturen stark gesunken, sodass ich wohl oder übel mit deutlich extremeren Verhältnissen rechne, als bei meinen bisherigen Pilgertagen. Das hat allerdings auch etwas Gutes; ich habe die Möglichkeit, einmal verschiedene Bekleidungsstücke bei kalten Temperaturen zu testen. Bevor es losgeht, gibt es Frühstück mit der ganzen Familie. Die üblichen zwei Kilometer bis zum Bahnhof sind für mich inzwischen Routine. Ich erstehe meine Fahrkarte und begebe mich auf den Bahnsteig, wo schon unzählige Schüler auf den gleichen Zug wie ich warten. Um 7.40 Uhr geht es endlich los. Ich bin noch etwas schläfrig und schließe die Augen. Eine knappe Stunde später steige ich am Bullayer Umweltbahnhof aus dem Zug und mache mich auf den Weg zum katholischen Pfarramt, um mir dort meinen ersten Stempel für heute abzuholen. Da das Pfarramt erst um neun Uhr öffnet, gehe ich noch für ein paar Minuten ans Moselufer. Auf der anderen Seite liegt das Örtchen Alf, das vor einigen Jahren wegen der populären Fernsehserie mit dem zotteligen Außerirdischen mit gleichem Namen ständig die Ortschilder gestohlen bekam. Kurz darauf habe ich einen neuen Stempel in meinem Pilgerausweis und folge wieder den Muschelwegweisern, die mich zur Bullayer Moselbrücke führen. Die Brücke ist mit ihrer Stahlbauweise eine Besonderheit. Eine Etage über der Autostraße führt nämlich auch die Bahntrasse. Hinter der Brücke geht es zum ersten Mal für heute bergauf, allerdings moderat. Das Ziel ist die Marienburg, die hoch über der Mosel thront. Nach gut zwei Kilometern am Hang über schmale Pfade biege ich nach rechts ab und erreiche die Anlage, die heute neben einer Jugendkirche auch eine Jugendbegegnungsstätte mit rund 120 Betten beherbergt und vom Bistum Trier verwaltet wird. Von hier oben hat man einen wunderschönen Blick auf das Moseltal. Ich betrete die Kirche und finde einen modern gestalteten Raum vor. Die Kirche ist hell, farbenprächtig und jugendlich eingerichtet und bietet Ausstellungsmöglichkeiten von Arbeiten der jungen Leute. Hier komme ich für einige Momente zur Ruhe und verlasse dann die Marienburg in Richtung Zell. Am Wegesrand sind Kreuzwegstationen aus inzwischen verrostetem Stahl angebracht, nur das Kreuz Jesu ist aus Holz gefertigt. Ich laufe auf die stark befahrene B 53 zu und wundere mich, dass ich keine Wegweiser finde. Da ich in Richtung Zell muss, folge ich der Straße auf dem Gehweg und zweige kurz darauf nach links ab. Dort gehe ich zwischen Rebstöcken direkt auf das Moselufer zu. Bald passiere ich den Zeller Campingplatz, der naturgemäß zu dieser Jahreszeit geschlossen ist. Vor mir eröffnet sich am gegenüberliegenden Moselufer die Sicht auf Zell mit der katholischen Pfarrkirche St. Peter und Paul im Zentrum. Ich überquere die Mosel über die Fußgängerbrücke und stehe schon vor der Kirche. Beim Pfarramt frage ich nach einem Stempel und erhalte den von der Pfarrgemeinde St. Jakobus in Zell-Kaimt. In einer Bäckerei mit angeschlossener Metzgerei kaufe ich mir ein zweites Frühstück und ein Stück Fleischwurst für die Mittagsrast. Dann geht es am Zeller Schloss vorbei, einem der wenigen historischen Gebäude, die die verheerenden Stadtbrände im 19. Jahrhundert schadlos überstanden haben. Ich verlasse die Stadt durch die „Schlossstraße“, an der zahlreiche Winzerbetriebe ihre Weine anbieten. Auf Höhe der Autobrücke über die Mosel biegt der Camino nach links ab und führt mich durch ein kleines Gewerbegebiet. Dort erwarten mich an der etwas verfallenen Wassertretanlage cirka fünfhundert beschwerliche Meter bergauf. Oben angelangt, wird der sehr gut ausgeschilderte Weg etwas flacher und bietet wieder einmal einen der reizvollen Panoramablicke ins Tal. An einem Aussichtspavillon mache ich ein Photo von mir per Selbstauslöser. Es geht weiter mit Kraxelei, schmale Pfade tun sich vor mir auf. Ich habe den Eindruck, es geht kreuz und quer durch den Wald bis zum „Beinter Kopf“. Dort sind die Grundmauern eines ehemaligen römischen Bergheiligtums zu sehen. Eine Schautafel gibt hierzu die entsprechenden Erläuterungen. Nun folgt der abenteuerlichste Abschnitt des heutigen Tages. So etwas habe ich noch nicht erlebt! Ich bin inzwischen in eine Region vorgedrungen, wo der Boden mehr oder weniger mit den Resten des ersten Schneefalls vom vergangenen Wochenende bedeckt ist. Der Weg selbst ist nur noch als Trampelpfad zu erahnen. Aber in den Augenblicken, wo ich scheinbar die Richtung verloren habe, kommt die Rettung mittels einer gelben Muschel auf blauem Grund. Ich muss nur die Augen offen halten und aufmerksam sein. Das Gleiche passiert mir an vier oder fünf weiteren Stellen, meistens, wenn der Weg plötzliche Richtungsänderungen vornimmt oder sich steil nach oben durch Schieferfelsen schlängelt. Trotzdem genieße ich diesen Abschnitt, er hat etwas ganz Besonderes an sich. Der Camino bleibt weiter gemein und führt immer weiter hinauf auf den „Bummkopf“, einer Erhebung, die zur Gemeinde Briedel gehört. Der Weg ist hier durch die Verwüstungen von Wildschweinen gekennzeichnet. Dann wird es wieder flacher, ich bin oben angelangt. Dafür weht mir hier ein heftiges Lüftchen um die Ohren. Ich gehe ein paar Meter entlang der Kreisstraße 52 und biege an einer roten Bank rechts ab in einen Feldweg. An der nächsten Kreuzung weiß ich nicht weiter und schau mich um. Mitten in einem Feld steht ein Strommast mit Farbklecksen drauf. Beim genaueren Hinsehen erkenne ich daraus einen gelben Pfeil und die Großbuchstaben M-C für Mosel-Camino, sodass ich doch den richtigen Weg einschlage. Über mir lockert sich die Wolkendecke etwas auf und einige Sonnenstrahlen dringen hervor. Von meinem Standort aus kann ich wieder weit in den Hunsrück schauen, dessen Spitzen mit weißem „Puderzucker“ überzogen sind. Plötzlich erklingt ein ohrenbetäubender Lärm. Dann steigt aus dem vor mir liegenden Wald ein riesiges Transportflugzeug auf. Klar, ich bin hier auf Höhe des Flughafens Hahn. Jetzt geht es weiter abwärts ins Tal. Das nächste Ziel Enkirch nähert sich unaufhaltsam. Bald sind tief unter mir die ersten Häuser zu erkennen, während ich mich noch durch aufgegebene Weinlagen bewege. Der Weg wird noch abschüssiger und endet zunächst am so genannten „Fünf-Täler-Blick“. Auf einer Tischplatte aus Schiefer sind die jeweiligen Täler mit der jeweiligen Himmelsrichtung eingraviert. Wirtschaftswege durch die Weinberge geleiten mich mitten hinein nach Enkirch. Hier kann ich leider keinen Stempel erhalten, denn die Tourist-Info hat bereits geschlossen und im wunderschönen evangelischen Pfarrhaus treffe ich niemanden an. Das Örtchen hat mit seinen unzähligen Fachwerkhäusern Charme und bietet einiges für das Auge. Man muss nur aufmerksam durch die schmalen Gassen spazieren. Ein Besuch der evangelischen Kirche bleibt mir versagt, da diese leider verschlossen ist. Ich verlasse Enkirch in Richtung Aussichtspunkt „Rottenblick“. Klar, dass es wieder steil nach oben geht, über Treppenstufen und schmale Wege bis in die obersten Weinlagen. Dort wurde von einer Bürgervereinigung ein kunstvoll verzierter Pavillon errichtet, der in 255 Metern Höhe liegt. Selbstverständlich wurde der Standort so gewählt, dass Wanderer erneut einen herrlichen Blick auf das Moseltal genießen dürfen. Ich trage mich in das in einem Holzkasten an der Rückwand des Pavillons aufbewahrte Wanderbuch ein. Dann hole ich meine Fleischwurst aus dem Gepäck und vertilge diese mit Genuss. Meine mitgeführte Wasserflasche ist inzwischen durch die Außentemperaturen so stark abgekühlt, dass ich den Inhalt kaum trinken kann. Allmählich reißt der Himmel weiter auf, es sind jetzt sogar vereinzelt größere Flächen blauen Himmels zu erkennen. Ich folge weiterhin den Wegweisern, die jetzt zusammen mit denen des Moselhöhenweges und des Sponheimer Weges auftreten. Ich befinde mich auf dem „Kirster Grad“. Linker Hand führt eine Straße in Richtung Starkenburg, rechts fällt es steil abwärts ins Tal und bietet sensationelle Ausblicke. Auf dem anderen Moselufer erkenne ich bereits die ersten Ausläufer von Traben-Trarbach, das mitten in einer weitläufigen Moselschleife angesiedelt ist. Darüber befindet sich ein Plateau, auf dem im 17. Jahrhundert nach dem 30-jährigen Krieg durch den französischen König Ludwig XIV. die Festung „Mont Royal“ errichtet, wenig später aber bereits gesprengt wurde. Der Pfad über den Grat hat es in sich, zum Glück führt parallel dazu ein „normaler“ Weg. Allerdings hat man dann keine Gelegenheit, an einem der Aussichtspunkte ins Tal zu blicken. Schließlich endet der Weg an der Landesstraße 192, der ich noch zwei Kurven folgen muss, um den Ortseingang von Starkenburg zu erreichen. Hier steige ich links einige Stufen hoch, um zu den kläglichen Resten, nämlich den Grundmauern der ehemaligen Starkenburg zu gelangen. Auf dieser wurde im 14. Jahrhundert der Trierer Fürstbischof Balduin von der Gräfin Loretta von Sponheim einige Monate festgehalten und später gegen ein hohes Lösegeld freigegeben. Über die „Schlossstraße“ gehe ich weiter, passiere die verschlossene evangelische Kirche aus dem 18. Jahrhundert und biege dann nach rechts ab. Hier hängt auch die berühmte Hochwassermarke vom 30. Februar 1986 an der Hauswand. Es ist nicht mehr allzu weit bis zu meinem Tagesziel Traben-Trarbach und ich liege sehr gut in der Zeit. Hinter Starkenburg geht es auf einem Feldweg bereits leicht abwärts weiter. Hier wurde erst vor gut zwei Wochen die Wegführung geändert, ist aber gut ausgeschildert. Diesen Hinweis bekam ich gestern noch von Wolfgang Welter, dem Co-Autor meines Pilgerwanderführers. Wenig später erreiche ich die ersten Weinberge von Traben-Trarbach und laufe über einen steil abfallenden, betonierten Wirtschaftsweg. Durch die blattlosen Bäume hindurch erkenne ich schon die Reste der Grevenburg, die ich gleich noch ein wenig erkunden werde. Sehr interessant finde ich dabei den Bereich der ehemaligen Vorburg. Hier wurde ein Turm in die Felswand gehauen. Man kann ihn sogar noch betreten und andeutungsweise die sich nach oben windende Treppe erkennen. Leider ist von der Hauptburg nicht allzu viel übrig geblieben. Die Burg wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts von den Franzosen gesprengt, nur wenige Reste der Kommandantenlogis (heute das Wahrzeichen von Traben-Trarbach), dem Palas und der Kasematten sind erhalten. Von hier oben hat man einen wunderschönen Blick auf Traben-Trarbach und den Moselbogen. Doch es wird nun Zeit, dass ich mich auf das letzte Stückchen Weg mache. Über einen sehr engen Pfad mit unzähligen Serpentinen gelange ich nach unten an die B 53. Kurz darauf stehe ich vor dem imposanten Brückentor, das die Zerstörung der Moselbrücke im zweiten Weltkrieg überstanden hat. Ich schaue auf meine Uhr und stelle fest, dass ich deutlich früher mein Ziel erreicht habe, wie es geplant war. Ich verzichte darauf, heute den Kirchen im Ort einen Besuch abzustatten. Ich werde das bei der Fortsetzung meiner Pilgerwanderung im kommenden Jahr nachholen. Vielmehr beeile ich mich nun, um den eine Stunde früher abfahrenden Zug zu erreichen. Dabei komme ich am alten Bahnhof vorbei, wo ich vor einigen Wochen bei einem Vortrag von Ka-Jo Schäfer zu Gast war. Er hatte mir damals gesagt, dass es hier bei der Tourist-Info einen neuen Stempel für den Pilgerpass gebe. Diesen bekomme ich dann auch und treffe noch einen Mitarbeiter, den ich bereits beim Vortrag kennen gelernt hatte. Wir sprechen kurz über meinen heutigen Weg und ich lobe ausdrücklich die gute Ausschilderung und die phantastischen Aussichtspunkte hoch über der Mosel. Dann verabschiede ich mich rasch, denn die Abfahrtszeit meines Zuges rückt näher. Nur einhundert Meter weiter ist der Bahnhof, der sich als einschienige Sackgasse herausstellt. Da ich es nicht schaffe, dem Automaten ein Ticket zu entlocken, muss ich es beim Zugbegleiter lösen. Nach gut fünfzehn Minuten ist die Reise auch schon zu Ende, denn der Zug pendelt nur zwischen Traben-Trarbach und Bullay. Hier steige ich aus und wechsele den Bahnsteig. Dort werde ich von zwei Zollbeamten angesprochen und wir unterhalten uns die nächsten zehn Minuten. Als dann mein Anschlusszug in den Bahnhof einfährt, verabschiede ich mich und steige ein. Jetzt dauert es noch fast eine Stunde, bis ich in Koblenz bin. Ich mache es mir etwas gemütlich und merke, dass ich ein wenig müde geworden bin. Ich lasse noch einmal den Tag an mir vorüberziehen. Es war wieder ein schöner Tag mit einem landschaftlich reizvollen Streckenabschnitt und vor allem unter etwas anderen klimatischen Verhältnissen. Jetzt mache ich aber erst einmal Winterpause. Im nächsten Jahr geht es weiter bis nach Trier. Ich spüre, wie meine Augenlider immer schwerer werden. Kurz vor Koblenz wache ich auf. Noch zwei Kilometer Fußmarsch, dann bin ich zu Hause.
Von Traben-Trarbach nach Klüsserath (5. Juli 2010) Heute heißt es wieder sehr früh aufstehen. Der Wecker wirft mich um 6.00 Uhr aus dem Bett. Ich habe mir für die nächsten vier Tage ein Mammut-Programm vorgenommen, das man so eigentlich nicht absolvieren sollte. Geplant sind die letzten vier Etappen des Mosel-Camino, die ich allerdings in zwei Tagen bewältigen möchte. Im Anschluss daran sollen noch die ersten drei Etappen auf dem Jakobsweg von Trier nach Vézelay folgen, wiederum in zwei Tagen. Ich möchte einmal versuchen, an meine Grenzen zu gehen, Erfahrungen zu sammeln und daraus zu lernen. Nach einem gemeinsamen Frühstück mit der Familie mache ich mich mit einem 11 Kilo schweren Rucksack auf den Weg zum Bahnhof. Allerdings sind darin auch drei Liter Wasser enthalten. Ich kann nicht abschätzen, wie die Temperaturen sein werden und vor allem nicht, wo ich nachtanken kann. Um 7.22 Uhr setzt sich mein Zug in Richtung Mosel in Bewegung. In Bullay steige ich um und fahre wenige Minuten später weiter nach Traben-Trarbach. Zunächst gehe ich auf dem Weg zur katholischen Pfarrkirche St. Peter und Paul an der evangelischen Kirche vorbei. Beide Gotteshäuser sind jedoch verschlossen. Nun wechsele ich auf die andere Seite der Mosel und schaue mir dort die katholische Pfarrkirche St. Nikolaus an. Von außen hätte ich die spartanische, eher moderne Ausstattung nicht erwartet. Leider hat das Pfarramt entgegen meinem Kenntnisstand erst eine Stunde später geöffnet, so dass ich mir beim Ordnungsamt der Verbandsgemeinde einen Stempel geben lasse. Tja, und dann geht es los mit dem ersten Anstieg des heutigen Tages. Zunächst verläuft der Camino durch die Weinlage „Taubenhaus“ recht steil nach oben. Dabei erhalte ich noch einen guten Blick auf die evangelische Kirche von Trarbach. Wenige Schritte weiter laufe ich auf einer alten Römerstraße bergauf und mache mitten darin eine erste Trinkpause. Es ist schon recht warm geworden, aber der Wald kühlt etwas. Nur wenig später treffe ich ein älteres Ehepaar und wir gehen bis zum Parkplatz zu den Graacher Schanzen gemeinsam weiter. Die beiden sind oft wandernd unterwegs, machen aber aufgrund ihres Alters überwiegend Tagestouren. Am Rastplatz verabschieden wir uns voneinander. Für mich sind es nach Bernkastel-Kues ab hier nur noch gute zwei Kilometer. Als ich den Wald verlasse, passiere ich eine Waldschänke, einen jüdischen Friedhof sowie zwei in die Weinberge gebaute Kapellen. Ich habe von hier aus einen phantastischen Blick auf Bernkastel-Kues. Durch das Graacher Tor betrete ich den Stadtteil Bernkastel und befinde mich inmitten mehrerer Touristengruppen und ihrer Stadtführer. Irgendwie erinnert mich das Städtchen mit seinen zahlreichen Fachwerkhäusern an Beilstein. Sicherlich hat das alles seinen Reiz und sieht toll aus, aber es ist mir persönlich zu sehr auf den Tourismus ausgerichtet. Ich versuche, dem Trubel zu entfliehen und gehe in die katholische Pfarrkirche St. Michael. Die ursprüngliche Kirche und der Turm stammen aus dem ausgehenden 14. Jahrhundert. Die Ausstattung ist dem Bau angepasst und wirkt sehr gediegen auf mich. Ich lasse mich einige Minuten nieder und sammele mich ein bisschen. Dann überquere ich die Moselbrücke und passiere das Cusanus-Stift. Dieses wurde vom wohl berühmtesten Sohn der Stadt, Nikolaus von Kues, später Kardinal und Fürstbischof von Brixen, 1458 gegründet und dürfte damit heute das älteste Seniorenheim Deutschlands sein. Im katholischen Pfarramt St. Briktius erhalte ich von der Pfarrsekretärin neben dem eigenen auch noch die Pfarrsiegel von St. Michael in Bernkastel und St. Peter in Lieser für meinen Pilgerausweis. Der Camino führt mich entlang der B 53, vorbei am Geburtshaus von Cusanus und biegt dann nach rechts auf einen Weg unterhalb der Weinberge ab. Bald erreiche ich Lieser und besichtige die dortige Pfarrkirche. Es geht nun hinauf auf den Brauneberg, bis ich das Örtchen Monzel erreiche. Dort besuche ich die katholische Pfarrkirche St. Nikolaus. Leider kann ich hier meine Wasservorräte nicht auffüllen, da der Dorfladen noch geschlossen hat. Hinter Monzel geht es wieder einmal tüchtig nach oben. Der Abschnitt strengt mich richtig an und ich bin froh, dass ich mitten im Wald eine Sitzgruppe finde, an der ich eine kurze Pause einlege kann. An der Minheimer Schutzhütte geht der Weg nach rechts ab und bringt mich mit einer weit ausholenden Schleife in den Wallfahrtsort Klausen. Die große, schmuckvoll ausgestaltete Wallfahrtskirche wurde zu Beginn des 16. Jahrhunderts eingeweiht, nachdem bereits rund sechzig Jahre zuvor eine Marienkapelle existierte. Allmählich zieht sich der Himmel über mir zu, graue Wolken ziehen auf und der Wind nimmt zu, Zeichen für ein Gewitter. Ich hoffe jedoch, mein Ziel heute trocken zu erreichen. Der Camino meint es gut mit mir: hinter Krames geht es erneut brutal aufwärts, meine Füße beginnen zu jammern, auch mein Rücken fordert baldige Erholung. Ich passiere die Waldkapelle und hinterlasse in einem ausliegenden Gästebuch einen Abdruck meines persönlichen Pilgerstempels. Leider liegt die Kapelle an einem Schotterweg, der von LKWs befahren wird. Ich werde sechs Mal in eine Staubwolke eingehüllt und trete beinahe auf eine Blindschleiche. Dann darf ich nach rechts abbiegen und gelange durch einen langgezogenen Wirtschaftsweg zu meinem Tagesziel Klüsserath. Im Ort selbst werde ich von einer Frau auf meine Pilgerschaft angesprochen. Es stellt sich heraus, dass sie Gattin des Ortsbürgermeisters ist. Auf diesem Wege komme ich zu einem nicht eingeplanten Stempel in meinem Pilgerausweis. Ich verabschiede mich von den beiden und muss nur noch um zwei Ecken gehen, wo ich das Hotel „Zum Rebstock“ finde. Dort werde ich heute übernachten. Mein Zimmer liegt im ersten Stock, direkt an einer Zufahrt zur Bundesstraße. Das kann ja eine unruhige Nacht werden. Ich dusche geschwind und wasche meine Kleidung durch, hänge sie zum Trocknen auf Bügeln ans Fenster. Anschließend esse ich im Restaurant einen Wildtopf, zum Dessert genehmige ich mir noch ein leckeres Vanilleeis mit Erdbeeren. Ich entschließe mich, noch etwas fernzusehen, mache aber um 8.00 Uhr den Fernseher aus und versuche, zu schlafen. Dies misslingt deutlich, vorbeifahrende und bremsende Autos erzeugen einen solchen Lärm, sodass ich immer wieder wach werde. Ich besorge mir im Restaurant noch eine Flasche Wasser. Erst viel später schlafe ich richtig ein, werde aber auch schon wieder um 5.40 Uhr wach. Ich schließe das Fenster und kann dann doch noch zwei Stunden die Augen zumachen.
Von Klüsserath nach Trier (6. Juli 2010) Kurz nach 8.00 Uhr gehe ich zum Frühstück. Ich esse zwei Brötchen und einen Joghurt. Nachdem ich meine beiden Wasserflaschen aufgefüllt habe, bezahle ich und mache mich auf den Weg. Es geht natürlich wieder bergauf, entlang eines Kreuzweges bis zu einer Marienkapelle. Von hier hat man einen tollen Ausblick auf Klüsserath und die Weinlage „Bruderschaft“. Es folgt direkt danach ein sehr steiles Stück mitten in die Weinberge. Ich umrunde zwei Täler mit den üblichen Höhenunterschieden. Wenig später passiere ich das Zitronenkrämerkreuz. Hier soll im Jahre 1687 ein italienischer Zitronenhändler einen gewaltsamen Tod erlitten haben. Ich entferne mich etwas von der Mosel, die Weinberge werden von Getreidefeldern abgelöst. Auf dem Hummelsberg treffe ich auf das Landwehrkreuz, das von einer Schafherde umringt ist. Durch den Wald geht es jetzt beständig bergab. Zwischen den Bäumen lugt hin und wieder die Autobahn A 1 in Richtung Saarbrücken durch. Kurz darauf befinde ich mich erneut mitten in den Weinbergen. Auf der anderen Moselseite ist Longuich zu sehen, weiter rechts die Autobahnbrücke über die Mosel und die ersten Straßenzüge von Schweich. Es geht immer weiter abwärts und ich unterquere die A 1. Wenige Ecken weiter bin ich mitten im Ort, stehe vor der katholischen Pfarrkirche St. Martin. Ich lasse es mir nicht nehmen, für ein paar Minuten in der Kirche Platz zu nehmen und mich zu sammeln. Im nahe gelegenen Pfarramt erhalte ich auch einen Pilgerstempel. Meine Getränkevorräte fülle ich kurz darauf in einem Supermarkt auf und kaufe auch etwas Obst. Ich laufe durch Schweich, vorbei an der ehemaligen Synagoge und bis zum Bahnhof, der deutlich außerhalb liegt. Jetzt zieht sich auch wieder der Himmel etwas zu, doch es bleibt trocken. Der Camino führt mich nun durch Wald. Teilweise sind die Wege durch umgestürzte Bäume versperrt, hier ist Klettern angesagt. Am Trierer Forsthaus mache ich eine kurze Trinkpause. Mein linker Fuß macht mir ein paar Sorgen. Unter dem Ballen zieht es inzwischen bei jedem Schritt schmerzhaft. Rechts hält es sich noch in Grenzen. Ich befürchte nichts Gutes, gehe trotzdem weiter und erreiche kurz darauf das erste Ortsschild von Trier, es ist allerdings „nur“ der Stadtteil Quint. Der Weg verlauft hier auf dem Kamm der Heidestuben, einem Höhenzug. Dabei komme ich an einem großen Metallkreuz vorbei, von dem man schon zumindest den Ehranger Hafen und den Bahnhof sehen kann. An der Heidekapelle aus dem 14. Jahrhundert führt ein Kreuzweg mit Bronzereliefs abwärts nach Trier-Ehrang. Die vielen Treppenstufen wirken sich auf meine Füße inzwischen sehr schmerzhaft aus. In der Nähe befindet sich die katholische Pfarrkirche St. Peter, sie ist aber nicht geöffnet. Ich laufe nun durch Ehrang, überquere die Kyll und gehe entlang der Bahntrasse in Richtung Trier. Kurz darauf biege ich nach rechts ab und habe einen langgezogenen Anstieg vor mir. Unmittelbar neben dem Weg ist der Lärm der Autobahn nach Luxemburg zu hören, der mich ein Stück begleiten wird. An einem Brunnen kühle ich mir den Nacken mit frischem Wasser, das tut gut. Kurze Zeit später zeigt mir ein Wegweiser an, dass es noch cirka 6,5 Kilometer bis zur Porta Nigra seien. Ich laufe am Ehranger Schützenhaus vorbei, später durch Weideland mit grasenden Rindern. Auf einem Waldweg verliere ich allmählich die Höhe, bevor es steil über natürliche Stufen nach Biewer geht. Leider ist die dortige St. Jakobus-Kirche verschlossen. Eine Infotafel davor gibt Erläuterungen zum Jakobsweg und zur Kirche. Die nächsten Kilometer sind langweilig. Es geht auf dem Moselradweg entlang. Der Gestank der angrenzenden Kläranlage ist unangenehm. Hier überholen mich oder begegnen mir vereinzelte Radfahrer. Bald stehe ich vor der Kaiser-Wilhelm-Brücke, die ich überquere. Ich begebe mich nun in Richtung Zentrum, orientiere mich an den Hinweisen zur Tourist-Info, die unmittelbar neben der Porta Nigra angesiedelt ist. Bald stehe ich tatsächlich vor dem antiken Tor. Mein erstes Ziel in Trier ist die Dominformation, dort bekomme ich meinen letzten Stempel für den Mosel-Camino. Gleichzeitig lasse ich mir schon den ersten Stempel für den Jakobsweg von Trier nach Vézelay geben. Es ist meine Pilgerpflicht, dem Dom einen Besuch abzustatten. Mitten im Dom kommt ein älterer Herr zielstrebig auf mich zu und wünscht mir einen guten Camino. Ich bin überrascht und wir kommen ein wenig ins Gespräch. Es stellt sich heraus, dass er bereits zweimal in Santiago war und zudem aus meiner Heimat Aachen stammt. Ich setze mich nochmals auf eine Bank und lasse einfach meine Gedanken fallen. Ich habe es geschafft und spreche ein Dankgebet für den erfolgreichen Abschluss des Mosel-Camino. Ich bin in Trier angekommen. Ich bin stolz, ein tolles Gefühl überkommt mich! Wie muss das erst in Santiago sein? Als ich den Dom verlasse, werde ich von einer Dame angesprochen. Auch sie wünscht mir alles Gute für meinen weiteren Weg. Hier in Trier kommt jetzt erstmals ein richtiges „Pilger-Feeling“ auf, hier kann die Bevölkerung wohl mit den Pilgerzeichen etwas anfangen und würdigt deren Träger. Ich gehe weiter zu meiner Unterkunft, dem „Warsberger Hof“. Beim Einchecken an der Rezeption bekomme ich die Info, dass ein weiterer Jakobspilger heute Nacht hier sei. Ich werde ihn aber in Trier nicht zu Gesicht bekommen. Meine Unterkunft ist eine kleine Kammer unter dem Dach mit Waschbecken in einer Nische. Dusche und WC befinden sich auf dem Gang. Zuerst melde ich mich bei meiner Frau und befreie dann meine Füße von Schuhen und Socken. Unter den Ballen lächeln mich zwei hübsche Blasen an, na prima! Nach dem Duschen und der Kleiderwäsche besorge ich mir in der ältesten Apotheke Deutschlands Compeed-Pflaster, das ich natürlich nicht im Gepäck dabei habe. Ich hoffe, dass ich damit am morgigen Tag einigermaßen laufen kann. Jetzt habe ich Hunger und nehme auf der Terrasse im Hof meiner Unterkunft Platz. Ich bestelle mir neben einem alkoholfreien Weizenbier ein Rahmsüppchen von Wiesenkräutern mit Croutons sowie „Gnocchi goldgelb in Olivenöl gebraten mit Cherrytomaten, Salbei und frisch gehobeltem Grana Padano“. Das Essen ist richtig heiß und schmeckt prima. Ich sitze unter einem Kirschbaum, der hin und wieder eine überreife Frucht abwirft, in Greifhöhe sind leider keine mehr vorhanden. Gegen 21.30 Uhr genehmige ich mir auf dem inzwischen fast menschenleeren Marktplatz noch ein Eis, das allerdings nach dem üppigen Essen etwas zu groß ausfällt. Danach mache ich mich fertig für die Nacht. Ich behandele meine Füße und bin gespannt auf morgen. Gelernt habe ich bereits jetzt schon, bei hohen Temperaturen nicht mehr so lange Strecken zurückzulegen, die Füße werden es mir danken. Aber ich glaube auch, es ist gut, dass ich diese Erfahrungen hier gemacht habe, es wird mir hoffentlich nicht noch einmal passieren.
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