Lahn-Camino 2008-2009
Datum | Strecke | Länge | Gesamtlänge | |
1. | 06.10.2008 | Wetzlar - Weilburg | 31 km | 31 km |
2. | 07.10.2008 | Weilburg - Villmar | 26 km | 57 km |
3. | 04.06.2009 | Diez - Obernhof | 31 km | 88 km |
4. | 13.07.2009 | Obernhof - Bad Ems | 27 km | 115 km |
5. | 14.07.2009 | Bad Ems - Friedrichssegen | 16 km | 131 km |
6. | 20.07.2009 | Friedrichssegen - Lahnstein | 11 km | 146 km |
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06.10.2008: Wetzlar - Weilburg (31 km) Der Wecker geht um 5.45 Uhr, aufstehen. Heute geht es los. Ich bin dann auch mal weg für zwei Tage. Zwar nur auf dem Lahn-Camino von Wetzlar nach Lahnstein, das Ganze auch noch in einzelnen Etappen. Soviel Zeit habe ich nicht, und vor allem auch nicht so viel Urlaub. Irgendwie bin ich vor einigen Wochen auf das Thema „Jakobsweg“ gestoßen. Klar, Hape Kerkelings Buch habe ich realisiert, es bisher aber noch nicht gelesen. Irgendwann stöberte ich wohl mal im Internet und fand überraschenderweise den Lahn-Camino. Wenn schon nicht Spanien, dann eben hier, vor der Haustüre, waren meine ersten Gedanken. Anvisiert waren die Herbstferien in Rheinland-Pfalz, also Anfang Oktober. Zwei Etappen wollte ich zunächst absolvieren. Was benötige ich denn alles dafür? Zunächst besorgte ich mir das Buch „Der Jakobsweg von Wetzlar nach Lahnstein“ von Karl-Josef Schäfer sowie eine topographische Karte für die entsprechenden Streckenabschnitte. Ganz wichtig war für mich, auch wenn in Deutschland nicht unbedingt erforderlich, ein Credencial del Peregrino, der offizielle Pilgerausweis. Diesen besorgte ich mir über die St. Jakobusbruderschaft in Trier, bei der ich inzwischen auch Mitglied geworden bin. Als Termin fasste ich den 6. und 7. Oktober ins Auge, zu Hause alles abgesprochen und Urlaub eingereicht. Übernachten wollte ich in Weilburg. Aber dort ein Zimmer zu bekommen, war nicht einfach. Eine Pension wollte mich wohl nicht so richtig aufnehmen, eine andere hatte wegen Krankheit geschlossen. Zum Glück hatte ich im Internet mitbekommen, dass es nun auch eine „Pilgerherberge“ in Weilburg gäbe. Ein kurzer Anruf im „Hotel Weilburg“ und ich hatte ein Dach über dem Kopf. Dazu gab es noch ein paar Tipps für die Wegeführung, das gefiel mir. Der Rucksack war gepackt, das Bahnticket von Koblenz nach Wetzlar vor ein paar Tagen im Internet gelöst, es konnte also endlich losgehen. Zum Frühstück genehmige ich mir zwei Brote mit Pflaumenmus und eine Tasse Milch. Meine Frau Susanne nimmt mich mit zum Bahnhof, so erspare ich mir die ersten zwei Kilometer zu Fuß. Überhaupt nicht gefällt mir der starke Regen, der während der Zugfahrt ein unangenehmer Begleiter ist. Glücklicherweise nieselt es in Wetzlar nur leicht, und bald hört es sogar ganz auf. Vom Bahnhof marschiere ich zunächst zum Dom, photographiere die Jakobusskulptur über dem Portal und lasse mir ein paar Minuten in der Stille der leeren Kirche. Das Besondere an diesem Gotteshaus ist, dass es sowohl von der katholischen als auch von der evangelischen Gemeinde für Gottesdienste genutzt wird. Leider gibt es dort für den Beginn des Caminos keinen Pilgerstempel. Das gegenüberliegende katholische Pfarramt ist noch nicht besetzt, so dass ich mir meinen ersten Stempel bei der Touristen-Information abholen muss. Dann mache ich mich endgültig auf den Weg, es ist inzwischen 9.30 Uhr und ich finde am Eisenmarkt den ersten Wegweiser des Lahn-Caminos, die gelbe Muschel auf blauem Grund. Bald verlasse ich den gekennzeichneten Weg nach rechts, denn ich möchte vom Kalmunt, einer Burgruine hoch über Wetzlar, den herrlichen Blick über Stadt und Land mitnehmen. Eine gute halbe Stunde später bin wieder zurück auf dem Camino, es geht nun stadtauswärts in Richtung Nauborn. Nach einigen Kilometern Asphalt führt die Strecke nun über Waldwege weiter, entlang eines kleinen Baches durch die Natur. Am Wegesrand erkunde ich die Grundmauern der für unsere Verhältnisse sehr klein ausgefallenen Theutbirg-Basilika aus dem späten 8. Jahrhundert. Aber man kann schon die einzelnen Bereiche der Kirche erkennen, auch mit Hilfe einer Informationstafel.Der weitere Weg nach Laufdorf wird teilweise beschwerlich, der Regen der letzten Tage hat eine Passage aufweichen lassen und ich stapfe durch tiefen Morast. Nachdem ich das Dorf durchquert habe, mache ich nach zwei Stunden an einer heruntergekommen Schutzhütte („Uus Häusche“) eine erste kurze Rast mit Trinkpause. Etwas weiter oberhalb hat man einen herrlichen Ausblick auf den Taunus bis hin zum Feldberg, und das bei dem Wetter, denn es beginnt wieder leicht zu regnen. Nun durchquere ich ein ausgedehntes Waldstück und erreiche Oberndorf, einem zur Stadt Solms gehörenden Ortsteil. Bis hierhin ist der Weg durchgehend sehr gut markiert. In Oberndorf jedoch bin ich wohl nicht sehr aufmerksam und komme cirka einen Kilometer vom Weg ab, bis ich es bemerke. Na ja, das sind dann zwei Kilometer mehr als geplant. Auf dem Rückweg laufe ich an einer großen Schafherde vorbei. Bald bin ich aber wieder richtig, finde die inzwischen vertrauten blauen Schilder, die mich nun nach Braunfels geleiten. Auffällig ist, dass es hinter jedem Ort zunächst bergauf geht, um dann irgendwo wieder hinabzugehen, um den nächsten Ort zu erreichen. Nach Braunfels ist es nicht anders. Ich gelange in ein malerisches Städtchen, dessen historischer Kern aus dem 18. Jahrhundert aus wunderschönen Fachwerkhäusern besteht. Diese sind um eine prachtvolle Schlossanlage angesiedelt. Der Marktplatz mit seinen einladenden Straßencafés rundet das romantische Bild ab. Auf der Suche nach dem katholischen Pfarramt bin ich in die verkehrte Richtung gelaufen, aber auf dem Marktplatz befindet sich die Touristen-Information. Dort hoffe ich auf einen weiteren Pilgerstempel. Der freundliche Mitarbeiter hat allerdings nur einen „Bausatzstempel“ seines Arbeitgebers und alternativ einen vom ortsansässigen Wanderverein für eine permanente IVV-Wanderung. Ich entscheide mich dann für letzteren Stempel, besser als gar keinen. Ich verlasse Braunfels über ein welliges Geläuf, zunächst aber ein unendlich erscheinender Anstieg. An dessen Ende werde ich noch einmal mit einem wundervollen Ausblick auf die Silhouette der Stadt entschädigt. Noch etwas weiter kann ich am Horizont die Ruine Philippstein mit dem gleichnamigen Dorf sehen. An einem Parkplatz macht mich ein Hinweisschild auf eine Besonderheit aufmerksam: eine Steinsetzung. Ich bin neugierig und biege vom Weg nach rechts in den Wald ab. Um eine Hinweistafel aus Holz hat man kreisförmig Findlinge angeordnet, eine Rekonstruktion einer vorgeschichtlichen Kultstätte, wie sie hier in der Gegend aufgefunden wurde. Leider fehlen weitergehende Informationen, so dass ich ein wenig ratlos und weiteren rund zwei Kilometern mehr wieder meine eigentliche Strecke aufsuche. Erneut geht es durch ein längeres Waldstück und ich nähere mich dem Örtchen Hirschhausen. Am Wegesrand stehen zahlreiche Apfelbäume, deren Früchte mir vorzüglich schmecken. Mitten im Ort auf einer Anhöhe befindet sich die leider verschlossene achteckige evangelische Kirche aus dem Jahre 1763. Etwas weiter befindet sich an einer Leitplanke ein andersartiger Muschel-Wegweiser, der meine ganze Aufmerksamkeit weckt. Er führt zu den Mauerresten der Wallfahrtskirche „Unserer Lieben Frau“, die zu der Johanniter-Komturei „Im Pfannstiel“ gehörte. Die Kirche wurde 1461 erstmals urkundlich erwähnt und im Jahre 1517 vollendet. Bereits 1550 wurde sie im Zuge der Einführung der Reformation in Hessen abgerissen. Leider gibt es keine Entfernungsangabe, die ich jetzt aber ergänzen kann. Vom ersten Wegweiser sind es cirka 1,2 Kilometer bis zum Mauerfeld, das mit einem schlichten Birkenkreuz markiert ist. Eine informative Holztafel mit umfassenden historischen Daten rundet das Gesamtbild ab. Hier kann man an einer alten Pilgerstätte in sich einkehren und Kraft tanken für den Rest des Tagespensums. Wieder auf dem Camino zurück, folge ich einer stark befahrenen Landstraße, die Autos sind äußerst rücksichtslos. Ich überlege schon, ob ich meinen Stockschirm nicht zum Schutz als Abstandhalter in die Fahrbahn halten soll. Jedoch rettet mich oder auch die Autos der nächste Richtungswechsel. Ich folge nun der bis zu zwei Meter hohen Mauer des Weilburger Tiergartens, für einen Besuch habe ich allerdings keine Zeit. Wiederum muss ich ein Stück auf der Kreisstraße gehen, dazu fallen mich fast noch zwei halbstarke Hunde an, also Schritt vergrößern und die Frequenz erhöhen. Der Weg verschwindet kurz vor einer großen Kreuzung im Gestrüpp, es ist bei gutem Willen und scharfem Blick ein schmaler Pfad und auch eine gelbe Muschel erkennbar.Erneut darf ich mich wieder der Zivilisation entziehen und bin von Wald umgeben. Hin und wieder zwitschern Vögel oder es huscht auch einmal ein Eichhörnchen vor meiner Nase über den Weg. Ich bin guter Hoffnung, bald mein erstes Tagesziel Weilburg zu erreichen. Ich bin jetzt seit 6,5 Stunden auf den Beinen und sehne mich nach einer Dusche und einer warmen Mahlzeit. An einem Anstieg entdecke ich rechts am Weg das Grab eines Meerschweinchens namens Uschi, das am 9. Juli dieses Jahres verstorben ist. Nur ein wenig weiter komme ich aus dem Wald heraus und habe die ersten Häuser Weilburgs vor mir. Rechter Hand begrüßt mich das Jagdschloss Windhof aus dem 18. Jahrhundert, das heute als Wohngebäude für die Staatliche Technikerschule dient. Der Camino bringt mich bergab in Richtung Zentrum. Kurz davor entdecke ich auf der rechten Straßenseite die katholische Pfarrkirche „Heilig Kreuz“. Einem Schild kann ich entnehmen, dass das Pfarrbüro bis 17.00 Uhr geöffnet hat. Ich klingele und werde durch Herrn Pfarrer Mayer und einen Mitarbeiter herzlich begrüßt. Gerne gibt man mir das Siegel der Pfarrgemeinde als Pilgerstempel in mein Credencial. Nach einer kurzen Unterhaltung verabschieden wir uns voneinander, nicht ohne den Segen Gottes für die weitere Pilgerschaft von Pfarrer Mayer. Ich sehe mir zum Abschluss des Tages noch den historischen Marktplatz und das prächtige Schloss an und decke mich mit Lebensmitteln und Getränken ein. Auf dem Weg ins Hotel erlaube ich mir noch einen Döner, der wirklich seinesgleichen sucht. Ich habe noch nie so viel Fleisch, Salat und mehr in einem Fladenbrot verschwinden gesehen, und geschmacklich - eine Wucht! Nun wird es Zeit, dass ich mir etwas Ruhe gönne und begebe mich an der katholischen Kirche vorbei zum „Hotel Weilburg“ in der „Frankfurter Straße“. Hier werde ich sehr freundlich aufgenommen und bekomme noch ein Buch über die Sehenswürdigkeiten der Region. Als ich das mir zugewiesene Zimmer 29 betrete, bin ich überrascht, denn die Schranktüren und der Nachttisch sind mit Jakobsmuscheln verziert. Da hat aber einer die Pilgerherberge wörtlich genommen und für ein angenehmes Ambiente gesorgt. Zum Glück habe ich bis auf eine kleine Blase keine weiteren Probleme feststellen können. Meine Marschstrecke zog sich durch die bewussten und unbewussten Umwege auf cirka 35 Kilometer hin, für die ich knapp sieben Stunden benötigt habe. Nach einer angenehmen heißen Dusche schaue ich mir noch einmal die Photos vom heutigen Tag an, befülle mein Notizbuch und telefoniere mit meiner Familie. Danach lege ich mich ins Bett, stöbere noch ein wenig in dem Buch und finde einige interessante Informationen über die Orte, die mir am morgigen Tag begegnen werden.
07.10.2008: Weilburg - Villmar (26 km) In dieser Nacht habe ich gut geschlafen. Da ich mich heute schon früh auf den Weg begeben möchte, gehe ich kurz nach 7.00 Uhr zum Frühstück. Dieses fällt recht üppig aus: Brötchen, Brot, Wurst, Käse, Rührei, Müsli, Saft, Milch und natürlich Kaffe oder Tee. In einem Gespräch mit dem Hotelier ergibt sich, dass die Verzierungen der Möbel in meinem Zimmer doch nur rein zufällig sind. Ich behaupte aber trotzdem, dass das seit heute nicht nur der Zufall so will, sondern eine Pilgerherberge einfach so ausgestattet sein muss. Nachdem ich marschbereit bin, bezahle ich die Rechnung (Sonderpreis für Pilger in Höhe von 35 €). Ich verabschiede mich mit einem ganz herzlichen Dank und begebe mich auf die zweite Etappe des Lahn-Camino. Vom Hotel geht es an der Heilig-Grab-Kapelle aus dem frühen 16. Jahrhundert mit dahinterliegendem Friedhof aus dem 19. Jahrhundert vorbei. Über eine lange Treppe gelange ich hinunter zum Lahnufer. Dort treffe ich auf eine weitere Attraktion von Weilburg, dem Schiffstunnel aus dem Jahre 1847 mit integrierter Schleuse. Daneben gibt es noch zwei weitere Röhren für die Bahn und Autos. Weiter geht es entlang der mit Nebel überzogenen Lahn, ein wunderschöner Ausblick mit Sonnenaufgang. Der Camino führt aber bald weg vom Ufer, steil die Berge hinauf, nassen und morastigen Wegen folgend, sodass ein Vorwärtskommen nur sehr schwierig und langsam möglich ist. Mittlerweile bin ich im Weiltal angekommen, der nächste Ort heißt Freienfels. Direkt am Weg liegt ein nettes Lokal im alten Bahnhof, stilvoll dekoriert mit Andreaskreuz, Bahnschranke und einem echten Eisenbahnwaggon. Kurz danach geht es aufwärts zur Ruine Freienfels, die durch einen Förderverein mit mittelalterlichem Leben befüllt wird. Nun steigt der Camino wieder an, um nach einiger Zeit bergab nach Weinbach zu führen. Hier erhalte ich beim Einwohnermeldeamt meinen ersten Stempel für den heutigen Tag. Zudem nutze ich die Gelegenheit, in einem kleinen Supermarkt meine Flüssigkeitsvorräte aufzufüllen. Inzwischen habe ich ja gelernt, dass vor jedem Dorf zunächst einige Höhenmeter zu bewältigen sind, so auch vor Elkershausen, das ebenso wie bei den anderen in einer Senke oder einem Tal liegt. Am Ortsende war ich nicht überrascht, als es wieder nach oben geht, und das mal erneut durch tiefen Matsch. Mir fällt auf, dass in der Region sehr viele Höfe mit Pferden ansässig sind, aber erst in Langhecke kommt mir auch einmal ein Reiter hoch zu Ross entgegen. Sonst bin ich die ganze Zeit alleine auf dem Weg, höchstens vor Ortschaften gehen mal einige Leute mit ihrem Hund spazieren. Aber das tut mir gut, nur mit mir selbst in der Natur zu sein, mal ein Eichhörnchen an einem Baum, ein paar Krähen über mir, auf den Weiden Kühe oder Schafe. Nicht vergessen darf ich die vielen Mistkäfer, die meinen Weg kreuzen. Hinter Langhecke ist der Camino geprägt von kilometerlangen Geraden, denen man genauso weit mit den Augen bis zum Horizont folgen kann. Am Ende dieses Abschnittes trete ich am Galgenberg aus dem Wald heraus. Ich befinde mich bereits in der Gemarkung Villmar. Bisher habe ich Glück mit dem Wetter, kein Niederschlag, hin und wieder sogar etwas Sonne. Temperaturen um die 13 Grad machen das Pilgern im Herbst angenehm. Auf den letzten Kilometern vor Villmar treffe ich die Entscheidung, heute doch nicht, wie ursprünglich geplant, bis nach Limburg zu laufen. Ich werde mich an den Etappenvorschlag des Buches halten, da ist nun mal Villmar für heute das Ziel. Bis auf eine kleine Blase am linken Fuß habe ich keine Probleme, möchte aber nichts herausfordern. Ich versuche noch, einen weiteren Stempel zu bekommen, aber leider treffe ich sowohl im Pfarrbüro als auch im Rathaus niemanden an. Trotzdem erhalte ich auch hier noch einen Stempel, und zwar bei der Post. Nun ist auch die zweite Etappe des Lahn-Caminos nach etwas über sechs Stunden beendet. Ich marschiere noch zum Bahnhof, löse mein Ticket nach Hause und warte noch vierzig Minuten auf den Zug. In Limburg muss ich umsteigen, dann geht es mit Zwischenhalten in jedem kleinen Örtchen weiter bis nach Koblenz, wo ich von meiner Frau abgeholt werde. Nun bin ich gespannt, wann ich mir die nächsten Etappen vornehmen kann. Bis jetzt hatte ich viel Spaß, habe über vieles nachgedacht und bin einfach mal weg gewesen. Ich freue mich auf die Fortsetzung meiner Pilgerreise, die mich wiederum über herrliche Wege und Landschaften führen wird. Dann wird es zunächst von Villmar bis nach Limburg gehen.
04.06.2009: Diez - Obernhof (31 km) Da es in den nächsten fünf Wochen schwierig wird, einen Tag frei zu bekommen, habe ich mich sehr kurzfristig entschlossen, eine weitere Etappe auf dem Lahn-Camino zu pilgern. Nachdem ich bereits bis Diez gekommen bin, soll die nächste Etappe auch dort beginnen und mich bis nach Obernhof mit dem altehrwürdigen Kloster Arnstein führen. So mache ich mich am frühen Morgen auf den Weg, beginne an der Haustüre mit kleinem Tagesgepäck auf dem Rücken. Erstmalig habe ich meinen neuen Pilgerstab dabei, den ich erst vor ein paar Tagen im Wald gefunden habe. Dass er schon so schnell zum Einsatz kommen würde, hätte ich selbst nicht gedacht. Ich überlegte sogar, ihn zu Hause zu lassen. Man glaubt aber gar nicht, welch gute Dienste einem ein solcher Stab in profiliertem Gelände leisten kann. Doch dazu später. Ich komme nach gut zwanzig Minuten am Koblenzer Bahnhof an. Mein Zug steht bereits abfahrbereit am Bahnsteig. Ich ziehe mein Ticket und suche mir einen schönen Platz am Fenster, sodass ich später die Lahn im Blick habe. Cirka eine Stunde später treffe ich in Diez ein. Der Bahnhof befindet sich in einem schäbigen Zustand, keine gute Visitenkarte für die Stadt. Vom Bahnhof begebe ich mich zunächst in Richtung Innenstadt. Die Straße ist aufgerissen, hier wird seit Monaten gebaut. Vor mir nähert sich die Silhouette des ehemaligen Grafenschlosses, dessen älteste Teile aus dem 11. Jahrhundert stammen. Nachdem es in der Vergangenheit als Amtshaus der Nassauer oder bis ins 20. Jahrhundert auch einmal als Gefängnis diente, wird es nun seit einigen Jahren als Jugendherberge genutzt. Zudem befindet sich das Diezer Standesamt im Schloss. Unterhalb des Schlosses finde ich auch die ersten Wegweiser des Lahn-Caminos, die mich direkt zur katholischen Pfarrkirche Herz-Jesu führen. Die Kirche selbst ist ein gotischer Hallenbau, während der dazugehörende Turm eher der modernen Zeit zuzuordnen ist. Schade, dass die Kirche noch verschlossen ist. Ich kann aber durch eine gläserne Türe hineinschauen. Das Pfarrbüro befindet sich wegen Umbauten zurzeit direkt gegenüber dem Kircheneingang. Ich erhalte dort den ersten Stempel für heute in meinen Pilgerpass. Der Weg führt mich nun auf die Höhen, es geht zunächst über Serpentinen und dann über eine steile Straße nach oben. An der nächsten Kreuzung biege ich nach rechts ab und kann am Horizont schon die Schaumburg erkennen. Jedoch sind es noch einige Kilometer, bis ich tatsächlich davor stehen werde. Zunächst geht es auf einem schmalen Pfad hinter der Leitplanke einer Kreisstraße her, der aber bald in ein kleines Waldstück abzweigt. Wenig später überquere ich die Straße oberhalb eines Friedhofes und gelange so auf einen breiteren Feldweg. An dessen Rand erhasche ich die neugierigen Blicke einer Schafherde. Nun schlängelt sich der Weg wieder abwärts in Richtung des kleinen Örtchens Fachingen, auf das man von einem Aussichtspunkt einen schönen Blick werfen kann. Am Fachinger Bahnhof gibt mich der Waldpfad wieder frei und ich durchquere das Dorf bis zum anderen Ende. Hier ist sogar die Lahn in unmittelbarer Sichtweite. Auf dem nächsten Abschnitt kommt dann erstmalig mein Pilgerstab so richtig zum Einsatz. Es geht steil hinauf bis zu einer Schutzhütte mit Grillplatz. Doch noch ist das Ende dieser Passage nicht in Sicht, auch wenn es nun etwas moderater wird. Ich trete aus dem Wald heraus und vor mir befinden sich saftig grüne Wiesen, deren Farbgebung sicherlich bei Sonnenschein noch intensiver erscheinen würde. Zurzeit ist es nämlich ziemlich grau und der Himmel bewölkt. Das Thermometer zeigt wohl auch nur um die vierzehn Grad an, aber zum Glück bleibt es trocken. An der nächsten Biegung bietet sich ein traumhafter Ausblick auf die Lahn und auch noch einmal auf Fachingen. Hier oben folgt der Weg nun den natürlichen Vorgaben des Flussbettes, entlang felsiger Erhebungen. Ich laufe über eine schmale Holzbrücke und erreiche einen weiteren überdachten Aussichtspunkt, der zum wiederholten Male einen tollen Blick ins Tal preisgibt. Nur wenige Minuten später endet der Waldweg an einer Schranke und einem Wegekreuz aus Lahnmarmor. Hier beginnt das Örtchen Balduinstein. Doch zunächst heißt es mal wieder, die zuvor mühsam erklommenen Höhenmeter bergab zu bewältigen. Am Bahnhof hat man einen ersten Blick auf das Zentrum und hoch oben thront die imposante Schaumburg. Auffällig ist der inzwischen von einigen Häusern umbaute achteckige Portturm, der durch seine Bauweise selbst den Historikern viele Rätsel aufgibt. Es gibt Vermutungen, dass die Templer die Bauherren gewesen sein könnten, vieles spricht wohl dafür. Schaut man nun in das Tal linker Hand hinein, erkennt man auf einem Felsen die Burg Balduinstein. Diese wurde im frühen 14. Jahrhundert von Kurfürst Balduin von Trier erbaut. Etwas davor passiere ich noch die katholische Pfarrkirche St. Bartholomäus. Am Ortsausgang steigt der Weg wieder an, das nächste Ziel wird die Schaumburg sein. Diese wurde wohl schon im 10. Jahrhundert erbaut, aber erst im 12. erstmals urkundlich erwähnt. Hinter der Schaumburg (eine Besichtigung war leider nicht möglich) fühlen sich anscheinend einige maulende Rinder von mir in ihrer Ruhe gestört. Es geht an steilen Mauern und über schmale Trampelpfade bergab zum Talhof. Direkt nebenan befindet sich ein Teich, einige Enten schnattern mich an. Weiter geht es durch großflächiges Weideland. Hier treffe ich wieder auf Vieh. Dieses Mal sind es einige ungarische Steppenrinder mit extrem langen Hörnern. Kurze Zeit später biegt der ausgeschilderte Weg wieder in ein Waldstück ab. Ein Schild informiert mich, dass ich nun das Naturschutzgebiet Gabelstein-Hölloch betrete. Vom Aussichtspunkt Falkenhorst hat man erneut einen phantastischen Ausblick auf das Lahntal sowie auf das Naturdenkmal Gabelstein. Hierbei handelt es sich um einen sagenumwobenen Felsen aus vulkanischem Diabas-Madelstein in der Nähe von Cramberg. Mit scharfem Auge kann man einige dort ansässige Greifvögel kreisen sehen. Nach einer kurzen Waldpassage laufe ich auf einem Wiesenweg durch Rapsfelder, die allerdings schon verblüht sind. Für einen kleinen Farbtupfer darin sorgen die vereinzelt wachsenden Mohnblumen. Am Horizont erblicke ich das Dörfchen Steinsberg, die Glocke des Rathauses läutet gerade zur zwölften Stunde, welch eine Begrüßung! Ich durchquere das Dorf, passiere am anderen Ende eine Koppel mit einigen Pferden sowie ein kleines Blockhaus, das sich als großer Bienenstock entpuppt. Da habe ich ja heute einen tierischen Tag erwischt - dafür begegnet mir keine Menschenseele. Jetzt geht es bergab durch das Rupbachtal. Es dauert aber nicht lange, da muss ich wieder auf die Lahnhöhen hinauf. Dort werde ich mit einem schönen Blick auf Laurenburg mit der Burgruine und dem Schloss entschädigt. Fast wieder auf Flussniveau marschiere ich entlang den Gleisen der Lahntalbahn. Hinter einem Bahnübergang wird der Camino immer schmaler, nur getrennt durch einen Drahtzaun und später durch hohen Bewuchs. Nun erwartet mich ein anstrengender Abschnitt. Es geht fast zwei Kilometer steil aufwärts durch ein in Vergessenheit geratenes, schmales Bachtal. Wie gut, dass ich meinen Pilgerstab habe, der mir richtig gute Dienste leistet. Oben angelangt, führt mich schon ein Wegweiser zur Brunnenburg, einem ehemaligen Kloster, das um 1200 gestiftet wurde. Jedoch gab man das wahrscheinlich von Benediktinerinnen bewohnte Stift bereits dreihundert Jahre später schon wieder auf und es verfiel zur Ruine. Imposant sind trotzdem die Reste des Kirchenportals und des Chores. Es ist jetzt nicht mehr weit bis Obernhof, denke ich. Aber falsch eingeschätzt, der Camino schlängelt sich weiter um die Lahnwindungen herum. Es gibt immer wieder Möglichkeiten, einen herrlichen Blick in das enge Tal zu erhaschen, so zum Beispiel auf Kalkofen, bekannt durch den dortigen Lahnpegel. Nachdem sich der Weg abwechselnd in die Höhen und Tiefen bewegt, erblicke ich endlich Obernhof. Ein kleiner Umweg von insgesamt einem Kilometer zum Schillertempel steigert diesen traumhaften Ausblick noch einmal. Doch schon bald erkenne ich, dass mein Tagesziel nicht mehr fern ist. Ich laufe inzwischen am Rand einer Landstraße entlang, die kurz darauf einen scharfen Rechtsknick macht. Genau hier in dem Knick ist der Ortsbeginn von Obernhof und hier steht ein recht großes Kruzifix. Ich folge der Straße noch ein paar Meter und biege dann links ab in Richtung Kloster Arnstein, das ich heute noch besuchen möchte. Unterhalb des Klosterbergs passiere ich die Ruine der ehemaligen Pfarrkirche St. Margareta, die erst kürzlich befestigt wurde. Sie wird hin und wieder für ökumenische Gottesdienste genutzt. Gegenüber befindet sich die Klostermühle, die zu früheren Zeiten für die Versorgung des Klosters zuständig war. Heute beherbergt sie eine Bibelschule. Im Kloster Arnstein angekommen, begebe ich mich zuerst in die Klosterkirche, um ein wenig zur Ruhe zu kommen und über den Tag nachzudenken. Eine Besuchergruppe erhält gerade eine Führung durch Pater Bernhard, mit dem ich mich auch noch unterhalten möchte. Ich treffe ihn später im Klosterladen und bitte ihn um einen Stempel für meinen Pilgerausweis. In unserem Gespräch erzählt er mir, dass er selbst schon einige Jahre Militärpfarrer war und auch unseren evangelischen Militärdekan Karsten Wächter kennt. Im kommenden Jahr wollen wir mit einer Pilgergruppe von Diez nach Lahnstein pilgern und eventuell in der Jugendbegegnungsstätte im Kloster Arnstein übernachten.Ich blicke auf meine Uhr und stelle fest, dass es jetzt Zeit wird, zurück zum Bahnhof zu gehen, damit ich nicht eine weitere Stunde warten muss. Vorher möchte ich aber noch den kleinen Anstieg zur Kanzel erklimmen, von der man einen wirklich traumhaften Ausblick auf die gesamte Klosteranlage und Obernhof hat. Ich schaffe es rechtzeitig zum Bahnhof und habe sogar noch einige Minuten Zeit. Auf der anderen Lahnseite schaut aus einer Baumgruppe die evangelische Kirche aus dem Jahre 1715 hervor. Kurz darauf fährt auch schon mein Zug ein. Nach fast fünfundvierzig Minuten bin ich wieder in Koblenz und muss dann, wie immer, einen letzten Berg erklimmen, um nach Hause zu kommen. Dabei lasse ich den Tag Revue passieren. Diese Etappe war sicherlich nicht ganz einfach zu bewältigen und ist mit rund dreißig Kilometern sehr lang. Dafür gibt es aber viel zu sehen, seien es die schönen Aussichtspunkte auf das Lahntal oder auch die historischen Ruinen und Bauten.
13.07.2009: Obernhof - Bad Ems (27 km) Meine beiden ersten Urlaubstage in diesen Sommerferien habe ich für den Lahn-Camino reserviert. Dieses Mal werde ich nicht alleine unterwegs sein. Mein fast zwölfjähriger Sohn Christian begleitet mich. Geplant sind die beiden letzten Teilstücke von Obernhof nach Bad Ems und von Bad Ems nach Lahnstein. Wir machen uns nach dem Frühstück auf den Weg, jeder einen vollgepackten Rucksack auf dem Rücken und mit einem Pilgerstab in der Hand. Unser Zug nach Obernhof steht schon am Koblenzer Hauptbahnhof bereit und ich versuche, unsere Tickets zu bekommen. Leider nimmt der Automat keinen 20-Euro-Schein an, und mein Kleingeld reicht gerade für Christians Fahrschein. Bis zur Abfahrt ist noch Zeit und ich verlasse den Zug noch einmal, um an einem anderen Automaten mein Glück zu versuchen, aber auch das misslingt. Zum Glück kann mir im Zug ein freundlicher Mitreisender den Schein wechseln und ich werde doch nicht zum Schwarzfahrer. Nach gut vierzig Minuten Fahrt durch das Lahntal kommen wir an unserem Startort an. Unser erstes Ziel, das Kloster Arnstein, thront schon deutlich sichtbar über dem noch verschlafenen Obernhof. Der Lahn-Camino führt uns direkt an der Klostermauer über die „Pater-Damian-Straße“ entlang. Pater Damian war Angehöriger der Arnsteiner Patres und kümmerte sich um Lepra-Kranke auf den Hawaii-Inseln. Dort starb er 1889 auf Moloka´i selbst an Lepra. Seine Heiligsprechung durch Papst Benedikt ist für Oktober 2009 vorgesehen. Er gilt als Schutzpatron der Leprakranken und wurde in den 1980ern von Aids-Selbsthilfeeinrichtungen inoffiziell übernommen, da Infizierte und Erkrankte teilweise ebenso wie Aussätzige behandelt wurden. Wir möchten noch einen Blick in die Klosterkirche werfen, doch diese ist leider noch verschlossen. Auch das Büro der katholischen Pfarrgemeinde hier im Kloster ist wegen Urlaubs geschlossen, sodass wir auch keinen Stempel für unseren Pilgerpass erhalten können. Den werde ich dann eben in den nächsten Wochen noch besorgen. An der Klosterzufahrt geht der Weg nun oberhalb der Lahn auf einem asphaltierten Radwanderweg weiter. An verschiedenen Stellen hat man einen herrlichen Ausblick. So sehen wir einige Angler, die versuchen, mit einem Schlauchboot in der Flussmitte ihre Angelruten auszuwerfen. Ein besonders schöner Aussichtspunkt gibt mir die Gelegenheit zu einem tollen Photo von Kloster Arnstein und dem Wasserschloss Langenau. Der Radweg schlängelt sich weiter eng anliegend am Berghang durch einen bewaldeten Landstrich. Er fällt dann aber nach kurzer Zeit steil ab bis auf Flusshöhe, vorbei an einem großen Maisfeld, bis zur Schleuse Hollerich. Hier treffen wir auf eine Gruppe Radwanderer, einige der wenigen Menschen, denen wir unterwegs begegnen. Rund um die Schleuse ist das Tal sehr breit, es befinden sich dort weitläufig saftig grüne Wiesen. Nach einem weiteren kurzen Waldstück erblicken wir am Horizont bereits Nassau und auf der Höhe die sich abzeichnenden Konturen des Bergfriedes der Nassauer Burg. In den Lahnwiesen machen wir aber zunächst eine erste Rast und erfrischen und stärken uns ein wenig. In Nassau erklimmen wir zunächst den Burgberg, der ziemlich steil in die Höhe führt und uns ganz schön schnaufen lässt. Ein Auto überholt uns, tja, das wäre jetzt sehr bequem. Wir betreten den großräumigen Burghof durch einen Torbogen. Viel ist von der im 11. Jahrhundert erbauten Burg nicht geblieben, lediglich der Palas und der Bergfried stehen noch. Diesen gilt es nun mit seinen genau einhundert Treppenstufen zu bezwingen. In einem der drei Stockwerke des Turmes ist sogar ein Trauzimmer des Standesamtes Nassau untergebracht. Oben angekommen, erwartet uns ein weitreichender Ausblick aus den kleinen Türmchen des Bergfriedes auf die Stadt und das umliegende Land. Es wird jetzt Zeit, unseren ersten Pilgerstempel für heute zu ergattern. Dazu durchqueren wir fast die komplette Stadt, passieren dabei den Stein´schen Hof, in dem der Reformer Freiherr vom Stein 1747 geboren wurde. Am Ortsausgang finden wir die katholische Pfarrkirche St. Bonifatius, die in modernem Stil errichtet wurde. Die gut gelaunte Pfarrsekretärin drückt uns gerne das Pfarrsiegel in unsere Ausweise. In einem Supermarkt füllen wir unsere Getränkevorräte auf und besuchen noch die im spätromanischen Stil erbaute evangelische Pfarrkirche Johannes der Täufer. Nun ist auch die Zeit gekommen, für die Mittagsverpflegung, zu sorgen. Christian hat Lust auf einen Döner, den wir in aller Ruhe auf einer Bank direkt an der Lahn genießen. Dabei entscheiden wir uns, dem ausgeschilderten Lahn-Camino bis Misselberg zu folgen und dort erst nach Dausenau abzubiegen. Zunächst führt uns der Weg auf einem Fußweg unterhalb einer Kreisstraße, die wir später auch noch unterqueren müssen. Christian wird von einem sich aufplusternden Schwan bedroht, der seine fünf Jungen schützen möchte. Es wird etwas schattiger, wir gelangen in ein Waldstück. Der Weg ist schweißtreibend, es geht jetzt ein Stückchen steil nach oben. Auf den Lahnhöhen angekommen, befinden wir uns mitten in Getreidefeldern. Am Wegesrand steht ein knorriger, blattloser Baum. Ein kleiner Vogel sitzt auf einem Ast und zwitschert fröhlich vor sich hin. Ein blattloser Ast weist uns den weiteren Weg, wiederum in die Höhe. Von hier aus haben wir noch einmal eine ganz andere, aber schöne Perspektive auf die Burg Nassau. Hinter der nächsten Kurve sind schon die ersten Häuser von Misselberg zu sehen. Gleichzeitig kann man weit ins Lahntal blicken, Dausenau ist bereits zu erkennen. Misselberg scheint fast vollständig im Urlaub zu sein. Christian zählt einschließlich diverser Tiere elf Seelen und einen LKW auf dem Marsch durch das Dorf. Nach einem weiteren steilen Wegstück treffen wir auf ein blaues Hinweisschild für einen Abstecher zur St. Kastor-Kirche nach Dausenau. Wir gönnen uns eine kleine Erfrischungspause und folgen dann dem mit gelben Jakobsmuscheln und Pfeilen ausgewiesenen Weg. Es dauert knapp fünfundvierzig Minuten, bis wir den Schiefen Turm und das von Resten der mittelalterlichen Stadtmauer eingerahmte Zentrum von Dausenau erblicken. Sofort fällt die weiß getünchte frühgotische St. Kastorkirche ins Auge. Teile der Kirche wurden wahrscheinlich bereits im 12. Jahrhundert erbaut, weitere Anbauten im 14. Jahrhundert. Bei Restaurierungsarbeiten im Jahre 1991 wurde in der Kirche ein Fragment einer Jakobsmuschel als Grabbeigabe gefunden. Da die Kirche im Sommerhalbjahr nur an Wochenenden geöffnet ist, hatten wir uns bereits vor zwei Wochen bei einem Sonntagsausflug den wirklich schönen Pilgerstempel für unsere Pilgerausweise besorgt. Dabei hatten wir ausführlich Gelegenheit, die Kirche zu besichtigen. Wir halten uns daher nicht allzu lange in Dausenau auf und begeben uns nun auf den Lahnhöhenweg auf der Westerwaldseite. Der Weg leitet uns zunächst durch aufgegebene Weinberge. Am Hang stehen einige Ferien- oder Wochenendhäuser. Ein paar Arbeiter rufen uns ein aufmunterndes „Buen Camino“ zu. Das tut gut, denn allmählich werden die Beine müde. Eigentlich wollte ich Christian den herrlichen Ausblick auf Bad Ems vom Concordiaturm zeigen, aber leider verpassen wir irgendwo einen Wegweiser. Auch auf meiner Wanderkarte bemerke ich den Fauxpas nicht sofort. So bleiben wir auf dem eingeschlagenen Weg, der uns über den Hasenberg an den östlichen Stadtrand von Bad Ems führt. Nach wenigen Minuten erreichen wir den Kurbezirk mit Römerquelle, Kurhotel, Spielcasino und Wasserturm. Zur Erfrischung kaufen wir uns eine große Portion Eis. Das tut jetzt gut und motiviert für die letzten Kilometer bis zum Ziel. Wir durchqueren den Kurpark und erblicken die Russische Kirche auf der anderen Lahnseite. Die goldenen Kuppeln wirken durch die wenigen Sonnenstrahlen noch intensiver. Christian wird nun doch allmählich müde, er ist solche Touren nicht gewöhnt, aber er schlägt sich wacker. Zur Belohnung darf er sich noch ein Eis holen, dieses Mal im besten Eissalon von Bad Ems. Den kenne ich noch als kleiner Junge, denn in Bad Ems bin ich aufgewachsen. Wir werden heute bei meinen Eltern übernachten, doch bis zu deren Haus am nördlichen Ende der Stadt sind es noch gut zwei Kilometer. Die Pilgerstempel können wir heute nicht mehr bekommen, die evangelischen und katholischen Pfarrämter sind heute Nachmittag geschlossen. Gegen 17.00 Uhr treffen wir bei meinen Eltern ein, wir haben knapp 26 Kilometer absolviert. Wir kühlen unsere Füße in kaltem Wasser und lassen es uns gut gehen. Erholung ist nun angesagt, morgen wird es einen weiteren Tag mit vielen Kilometern geben.
14.07.2009: Bad Ems - Friedrichssegen (16 km) Heute Morgen geht es etwas später los, da die beiden Pfarrämter von Bad Ems erst ab 10.00 Uhr geöffnet haben. Christian und ich nutzen die Gelegenheit, auf dem Weg in die Stadt in einem Supermarkt Getränke zu kaufen. Kurz darauf beginnt es leicht zu regnen und wir überlegen, aus den Rucksäcken unsere Regenjacken herauszunehmen. Während wir noch unentschlossen sind, hört es auch schon wieder auf. Wir erreichen nach wenigen Minuten die evangelische Martinskirche, suchen das Pfarramt auf und bitten um einen Stempel für unsere Pilgerpässe. Leider bekommen wir nur einen Adressstempel, ein Pfarrsiegel darf uns die Mitarbeiterin ohne den Pfarrer nicht herausgeben. Wir gehen weiter in die Stadt bis zum katholischen Pfarramt St. Martin. In dieser Gemeinde bin ich groß geworden und war viele Jahre Ministrant. Hier bekommen wir von der Pfarrsekretärin das schöne Siegel der Pfarrei. Auf dem Weg zur katholischen St. Martinskirche passieren wir meinen ehemaligen Kindergarten und treffen den Küster, der früher neben meinem Elternhaus gewohnt hat. Das Gotteshaus selbst ist nur spärlich beleuchtet, der Organist übt gerade auf seinem Instrument. Ab hier ist es nicht mehr weit bis zum Einstieg in den Lahn-Camino, den wir für uns an der Talstation der Malbergbahn wählen. Die Bahn war einst die steilste Zahnradbahn von Deutschland, wurde aber im Jahr 1980 wegen technischer Mängel außer Betrieb genommen. Seitdem versucht ein Verein dies wieder rückgängig zu machen, bisher aber erfolglos. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als wir damals mit unserer Familie mit der Bahn auf den Malberg gefahren sind und dann den dort angesiedelten Tierpark besucht hatten. Heute verfallen die beiden Wagen und die Gleisanlage zunehmend, auch weil Randalierer ihre Zerstörungswut an der Anlage ausgelassen haben. Der nächste Streckenabschnitt führt uns stetig bergauf, wir stoßen bald auf den ersten Wegweiser des Lahn-Camino und fühlen uns nun wieder geborgen. Die Wege sind hier in keinem guten Zustand. Fahrzeuge haben tiefe Spuren hinterlassen, umgestürzte Bäume machen das Weitergehen nicht unbedingt einfach. Als wir eine alte Stahlbrücke über der Malbergbahntrasse erreichen, erkennen wir, wie die Natur sich im Laufe von fast dreißig Jahren alles zurückerobert hat. Die Gleise sind kaum noch zuerkennen. Ein umgestürzter Baum zwingt uns zu einer kleinen Kletterpartie. Ein paar Meter weiter bietet sich uns ein wunderschöner Ausblick auf das Zentrum von Bad Ems. Dort haben wir einen der höchsten Punkte der heutigen Etappe erreicht. Wir wandern jetzt wieder ins Tal, wobei der Waldweg des Öfteren durch längere Graspassagen unterbrochen wird. Darin wohnen allem Anschein nach kleine stechfreudige Krabbelwesen, denn unsere Beine weisen jetzt leicht gerötete und fürchterlich juckende Stellen auf. Hin und wieder haben wir den Eindruck, dass hier selten Menschen hergehen, die Wege sind teilweise sehr dicht zugewachsen. Dies zeigt sich besonders nach dem Abzweig zum Haus Lindenbach, den ich sicherlich nicht noch einmal gehen würde, auch wenn er so markiert ist. Ich werde demnächst einmal prüfen, ob es nicht eine andere Möglichkeit gibt. Hier müssen wir cirka zweihundert Meter durch dichtes Gestrüpp und Gras gehen. Unsere Schuhe sind bald klatschnass, weil sich noch Morgentau und Reste des nächtlichen Regens darin verstecken. Leider ist am nächsten Querweg keine Markierung erkennbar, wir laufen auch prompt in die falsche Richtung, kommen aber direkt vor dem Erholungsheim für Eisenbahner, dem Haus Lindenbach, heraus. Es heißt, wieder umkehren und anhand der Wanderkarte den richtigen Weg festzustellen. Wir gelangen auf eine Straße, die wir in Richtung Westen einschlagen. Kurz darauf besteht noch einmal die Möglichkeit, die Vorräte in einem Supermarkt aufzufüllen. Wir sind aber bereits gut versorgt. Obwohl wir jetzt schon über zwei Stunden unterwegs sind, befinden wir uns immer noch in der Gemarkung Bad Ems. Hinter dem Klärwerk steigt der Weg über eine betonierte Straße wieder an. Dort tänzelt ein bunter Schmetterling um uns herum, lässt sich auf einem Strauch nieder und flattert mit seinen Flügeln, als wolle er uns einen guten Weg wünschen. Wir haben wieder ebenes Geläuf erreicht, unterhalb von uns erscheinen die ersten Häuser von Nievern. Wenige Schritte weiter machen wir am Sportplatz eine kurze Pause, um uns zu stärken. Christian klagt über leichte Schmerzen in der linken Wade. Die Insektenstiche haben sein Bein anschwellen lassen. Wir folgen dem Weg nach Miellen, der immer schmaler wird und letztendlich gerade so viel Platz lässt, dass ein einzelner Pilger vorwärts kommt. Ein wachsames Auge ist erforderlich, denn links befindet sich ein tiefer Abgrund. An einer Weggabelung lassen wir das Miellener Wasserwerk aus dem Jahre 1908 links liegen. Bald darauf treffen wir auf einen Wegweiser, der unter anderem auf eine Stempelstelle für den Lahn-Camino hinweist. Wir überlegen nicht lange und folgen ihm. Von einer Stempelstelle in Miellen habe ich vorher noch nichts gehört. Wir werden nicht enttäuscht: mitten im Dorf hängt an einer Informationstafel ein Holzkästchen. Darin befinden sich ein angeketteter Stempel und ein Stempelkissen. Umgehend drücke ich den Stempel mit einem Motiv aus Jakobsmuschel und der Miellener Gedächtniskapelle in unsere Pilgerausweise. Eigentlich kann man diesen lohnenswerten Abstecher nicht als Umweg bezeichnen, denn rasch befinden wir uns wieder auf dem Camino und suchen nun die besagte Gedächtniskapelle auf, die etwas oberhalb des Weges liegt. Die Kapelle wurde im Jahre 1952 zum Gedenken an alle Gefallenen sämtlicher Kriege dieser Welt errichtet. Wir setzen uns einen Augenblick in die Kapelle und Christian entzündet eine Kerze. Vom Plateau der Kapelle schaut man auf die Lahn und die anliegenden Flusswiesen. Der Camino windet sich nun abwärts zu einer kleinen Straße. Wir biegen nach links ab und stehen vor einem Schriftstein. Dieser bestätigt unsere eingeschlagene Richtung in das Mühlenbachtal, das 1904 die Bezeichnung „Schweizertal“ erhalten hat. Im weiteren Verlauf entdecken wir noch vier andere Steintafeln, die an die hier platzierten Mühlen aus dem frühen 18. Jahrhundert erinnern. Nur eine davon ist gänzlich erhalten geblieben. Von allen anderen sind höchstens einige Reste von Bruchsteinmauern zu erahnen. Auf mehr oder weniger breiten Pfaden dauert es nun einige Zeit, bis wir durch dicht bewachsene Felsengen an dem heute nicht mehr so reißenden Mühlenbach das Ende erreichen. Dort erwartet uns eine Bank. Sie wirkt wie eine Einladung für eine kurze Rast und zugleich wie eine Belohnung für die Mühen des Aufstieges. Über uns ziehen dunkle Wolken am Himmel auf. Wir hoffen aber weiterhin, nicht in einen Schauer zu geraten. Über einen Wiesenweg gelangen wir nach Frücht, wo wir im Prinzip einmal um den Ort geführt werden. Dies hat auch seinen besonderen Grund, denn neben der Besichtigung der evangelischen Thomaskirche haben wir so die Möglichkeit, die Gruft des Freiherrn von Stein zumindest von außen zu sehen. Das Gelände selbst ist durch eine Mauer und ein verschlossenes Tor für Besucher abgesperrt und nicht betretbar. Nach unserer Dorfrunde verlassen wir Frücht über einen Feldweg. Dann gibt es Schwierigkeiten. Wir können keine Wegzeichen mehr finden, da muss die Wanderkarte helfen. Die auf der Karte angegebene Richtung weist rechts hinab in ein Tal, und tatsächlich entdecken wir versteckt an einem Baum eine gelbe Jakobsmuschel. Christian hat jetzt bei jedem Schritt Schmerzen, die Wade gleicht einer roten Kugel. Wir fassen daher den Entschluss, die Etappe bereits in Friedrichssegen abzubrechen und an einem anderen Tag fortzusetzen. Ich rufe meine Frau an, sie wird uns an der Lahnbrücke in Friedrichssegen abholen. Hierzu müssen wir allerdings noch gut zwei Kilometer durch das Erzbachtal hinab bis an die Lahn laufen.
Lahnstein, Hospital-Kapelle (16. Juli 2009) Bis heute steht noch kein Tag fest, an dem wir den Lahn-Camino abschließen wollen. Da es in Lahnstein im Stadtarchiv den letzten Stempel für den Lahn-Camino gibt, müssen wir uns ein wenig an den Öffnungszeiten des Archivs orientieren. Aus diesem Grund fahre ich zwei Tage später nach Lahnstein und treffe auch einige Leute dort an. Ich erhalte für unsere Pilgerpässe den Stempel mit einem Motiv der Hospitalkapelle. Ein Herr bietet mir an, die Hospitalkapelle auf der anderen Straßenseite zu zeigen. Gerne nehme ich das Angebot an. So erhalte ich eine persönliche Führung durch die rund siebenhundert Jahre alte Kapelle, die in früheren Zeiten tatsächlich Pilger beherbergte. Zeugnis davon lieferten die Funde bei Restaurierungsarbeiten. Dabei wurde unter anderem auch das Grab eines unbekannten Pilgers mit den Resten einer Jakobsmuschel gefunden. Die Kapelle ist als solche von außen nicht erkennbar. Das Portal ist mit feinen Pilger- und Muschelverzierungen versehen und besitzt ein kleines Fenster, durch das auch bei verschlossenen Türen ein Blick in die Kapelle möglich ist. Ich bedanke mich ganz herzlich bei meinem Begleiter für die informative Führung und fahre wieder nach Hause.
20.07.2009: Friedrichssegen - Lahnstein (11 km) Christian und ich haben uns nun doch entschlossen, den Lahn-Camino noch in den Sommerferien zu beenden und uns den bereits erhaltenen Pilgerstempel zu verdienen. Für heute haben wir Großes vor: zunächst marschieren wir von Friedrichssegen nach Lahnstein. Anschließend ist geplant, direkt die erste Etappe des Mosel-Camino dranzuhängen. Um 8.00 Uhr bringt uns Susanne zu der Stelle, an der wir in der vergangenen Woche den Lahn-Camino abbrechen mussten. Wir befinden uns in einem ehemaligen Erzgrubengebiet. Überall stößt man auf Zeugen der vergangenen Tage. Der Camino meint es direkt gut mit uns. Die erste Aufgabe des heutigen Tages besteht darin, aus den Niederungen des Lahntales bis auf die Lahnhöhen zu „klettern“. Zum Glück für unsere noch ungeschmeidige Muskulatur, dass der Weg nur sehr gemächlich ansteigt. Am Waldruheplatz „Spießborn“ erreichen wir die Landstraße nach Lahnstein und laufen ein Stück an deren Rand. Kurz darauf können wir weit in den Hunsrück hineinsehen. So erblicken wir bereits den Sendemast des Südwestrundfunks, an dem wir am Nachmittag noch vorbeilaufen werden. Wir steuern nun genau auf das Lahnsteiner Kurgebiet zu, wo auch viele Wochenendhäuser stehen. Dabei bewegen wir uns durch Hohlwege, über Wiesenpfade und schließlich auch über felsigen Untergrund, der teilweise sehr rutschig ist. Manchmal müssen wir uns klein machen, um unter umgestürzten Bäumen hindurchzugelangen. Dafür entschädigen immer wieder die prächtigen Ausblicke auf das Lahntal. Es geht immer weiter bergab durch Getreidefelder bis zu den ersten Häusern von Lahnstein, einem Pferdegestüt. Hier überholen wir zwei Wanderer, die ersten seit langer Zeit auf dem Camino! Auf einer Erhebung jenseits der Lahn thront auf einer Anhöhe die Allerheiligenbergkapelle. Kurz bevor wir in Richtung Burg Lahneck abbiegen, passieren wir am Wegesrand eine kleine Kapelle, an der wir einen Moment verweilen. Am noch geschlossenen Lahnsteiner Schwimmbad zweigt der Weg rechts ab. Nur noch eine Straßenbiegung und wir stehen vor dem schmalen, äußeren Eingangsportal der Burg Lahneck. Wir verzichten jedoch auf eine Besichtigung, da heute noch eine gute Strecke vor uns liegt. So machen wir uns lieber an den Abstieg, der uns in kurz geschwungenen Serpentinen über einen schmalen Pfad durch den bewaldeten Burgberg hinabführt. Seine Fortsetzung findet der Camino auf dem Lahnuferweg. Es geht weiter unter der Rudi-Geil-Brücke hindurch und dann nach links in die Innenstadt von Oberlahnstein zur Hospitalkapelle. Zwischendurch kommen wir an einem Hinweisschild zum Mosel-Camino vorbei, dem wir aber erst später folgen werden. Die Hospitalkapelle betrachten wir uns zumindest von außen, Hineinsehen durch das Fenster im Portal ist ja möglich. Wir werfen auch einen Blick auf den rückseitigen Chor, den wir über eine bewohnte Gasse erreichen. Einige hier lebende Leute schauen uns seltsam an. Vielleicht fühlen sie sich auch nur in ihrer Ruhe gestört. Wir dürften nicht die ersten Pilger sein, die sich hierher verirrt haben. Vor der Hospitalkapelle beenden wir sodann den Lahn-Camino. Insgesamt bin ich rund 165 Kilometer gelaufen, Christian war davon 55 Kilometer mit dabei.
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