Rhein-Camino 2010-2012
Datum | Strecke | Länge | Gesamtlänge | |
1. | 15.03.2010 | Koblenz - Kamp-Bornhofen | 34 km | 34 km |
2. | 11.08.2010 | Kamp-Bornhofen - St. Goarshausen | 21 km | 55 km |
3. | 14.12.2010 | St. Goarshausen - Lorch | 26 km | 81 km |
4. | 08.11.2011 | Lorch - Geisenheim | 32 km | 113 km |
5. | 10.07.2012 | Geisenheim - Mainz | 33 km | 146 km |
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Von Koblenz nach Kamp-Bornhofen (15. März 2010) Nach einem langen, kalten und weißen Winter sehne ich endlich den Frühling herbei, um wieder einmal raus auf den Weg zu gehen. Durch erste Pilgerberichte in diversen Internetforen aus dem compostelanischen Jahr 2010 animiert, packe ich mein kleines Bündel für eine Tagesetappe und starte bereits frühmorgens um 6.30 Uhr. Heute gehe ich direkt von zu Hause los auf die erste Etappe des Rhein-Caminos, die mich bis nach Kamp-Bornhofen führen soll. Die ersten sechs Kilometer laufe ich zum eigentlichen Startpunkt der Etappe, der Johanniskirche in Lahnstein. Zunächst geht es leicht bergab unter den Brücken der Bundesstraße 327 bis zum Koblenzer Stadion Oberwerth. Anschließend wird der Rhein über die Horchheimer Brücke überquert. Es ist feuchtkalt und grau, eigentlich kein schönes Pilgerwetter. Kaum habe ich die andere Rheinseite erreicht, beginnt es leicht zu regnen. Ich überziehe meinen Rucksack mit dem Regenschutz und gehe durch den Koblenzer Stadtteil Horchheim. Dabei komme ich an der katholischen Pfarrkirche St. Maximin vorbei. Deren Turm stammt noch aus dem späten 16. Jahrhundert, die Kirche selbst wurde mehrfach aus Kapazitätsgründen erneuert, letztmalig zu Beginn des 20. Jahrhunderts. ,,Ich laufe durch ein noch lebloses Gewerbegebiet von Niederlahnstein und dann an der katholischen Kirche St. Barbara vorbei. Hier habe ich mir bereits vor gut zwei Wochen einen Stempel abgeholt, da das Pfarrbüro zu dieser frühen Stunde noch geschlossen ist. Ein paar Ecken weiter stehe ich vor der Johanniskirche, direkt davor steht der „Santiago-Stein“. Ich überquere die Lahn nach Oberlahnstein und gehe durch die Innenstadt. Nach der evangelischen Kirche aus dem 19. Jahrhundert komme ich an der katholischen Pfarrkirche St. Martin vorbei. Einige Schritte weiter liegt auf der linken Seite hinter einem alten Brunnen die Hospitalkapelle mit Pilgergrab. Dort biegt der gut markierte Camino rechts zum Rhein ab und verlässt dann die Stadt Lahnstein an der Martinsburg (erbaut im späten 13. Jahrhundert als Zollburg und Teil der Stadtbefestigung) und einigen chemischen Fabriken. Inzwischen hat es wieder aufgehört zu regnen, es ist trotzdem ungemütlich. Es geht auf einem asphaltierten Leinpfad am Rheinufer entlang, flankiert von Kleingärten. Später gesellt sich links die inzwischen gut befahrene Bundesstraße 42 dazu. Am Horizont türmt sich hoch oben über Braubach das Wahrzeichen der Stadt, die Marksburg aus dem 13. Jahrhundert empor. Die Burg ist die einzige mittelalterliche Höhenburg am Mittelrhein, die nie zerstört wurde. ,Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ragt ein grauer Betonbau empor, der sich kurz darauf als die katholische Pfarrkirche Heilig Geist herausstellt. Mir persönlich gefällt diese Art von Gotteshaus nicht so sehr, aber das ist halt Geschmacksache. In großen Buchstaben prangt im Chorraum das „Vater Unser“ an der Wand. Ansonsten ist die Kirche sehr spärlich ausgestaltet und wirkt auf mich sehr kühl. Im Pfarrbüro erhalte ich meinen ersten Stempel für heute. Die Wegmarkierungen führen mich entlang wunderschöner Fachwerkhäuser über die „Oberalleestraße“ und die „Brunnenstraße“ in die „Dachsenhauser Straße“. Der Zugang zu einem schmalen Pfad wird mir durch ein Absperrgitter verwehrt, das ich aber leicht an der Seite überwinden kann. Wenige hundert Meter weiter liegt vor mir der Grund für die Absperrung: ein umgestürzter Baum, den ich aber oberhalb umgehen kann. Der gemütliche Teil des Tages ist hiermit vorüber, jetzt geht es bergauf. Doch zunächst gelange ich zur 1242 geweihten St. Martins-Kirche, der ältesten Kirche der Stadt. Das Gelände rund um die Kirche wird als Friedhof genutzt. Von hier oben hat man einen herrlichen Ausblick auf das Rheintal. In Serpentinen windet sich der schmale Pfad nun rund einhundert Höhenmeter nach oben bis zu einer Schutzhütte, von der man wiederum einen tollen Blick in das heute leider graue und diesige Tal hat. Kurz darauf werde ich von einem dichten Laubwald aufgesogen, der Weg führt an bizarren Gebilden aus Schiefergestein vorbei. ,Etwas unterhalb von mir entdecke ich auf einer kleinen Ebene zwei aufgeschichtete Haufen, die sich nach dem Studium einer Hinweistafel als Schauholzkohlenmeiler und eine Köhlerhütte erweisen. Kurz darauf habe ich das Vergnügen, wiederum über unzählige Serpentinen einige der mühsam erklommenen Höhenmeter hinabzusteigen. Es geht in ein schmales, aber sehr tief eingeschnittenes Tal, das ich nun ganz umlaufen darf, selbstverständlich verbunden mit einem netten Anstieg. Dafür entschädigt erneut ein traumhafter Blick auf den Rhein und das gegenüberliegende Boppard. Weit in der Ferne sind trotz der trüben Witterung noch Koblenz und Lahnstein zu erahnen. Kaum habe ich diese Stelle hinter mir gelassen, geht es steil abwärts fast bis auf die Höhe der Bundesstraße 42. In einem kleineren Seitental werde ich wieder nach oben geführt. Dann wird es etwas schwierig, denn der Weg ist durch umgestürzte Nadelbäume versperrt. Auch hier hat der Orkan „Xynthia“ gewütet. Kurz darauf entdecke ich wieder Zeichen von Zivilisation, auch wenn es nur die Motorsäge eines Waldarbeiters ist. Eigentlich müsste es jetzt hier irgendwo rechts nach Osterspai abzweigen. Ich wähle den nächstmöglichen Weg, dieser führt mich aber in eine Sackgasse. ,Seitdem ich Braubach verlassen habe, sind die Muschelwegweiser immer weniger geworden. Seit geraumer Zeit habe ich gar keine mehr gesehen. Zum Glück habe ich meine Wanderkarte mit eingezeichnetem Jakobsweg dabei. Ich frage mich nur, warum ein ausgewiesener Weg so schlecht oder gar nicht markiert ist. Oder sind die Schilder Opfer von Souvenirjägern geworden? Jedenfalls sollte sich unbedingt jemand um die „Nachmuschelung“ kümmern. Wer hier ohne Karte unterwegs ist, ist hoffnungslos verloren. Anhand der Karte stelle ich fest, dass es zu meinem nächsten Zwischenziel Osterspai nicht mehr weit sein kann. Ich muss jetzt etwas vorsichtiger sein, denn es geht durch stillgelegte Weinberge steil abwärts. Der schmale Pfad ist von glatten Schieferstücken durchzogen, die in Verbindung mit Feuchtigkeit sehr rutschig sein können. Hier gibt mir mein Pilgerstab zusätzliche Stütze und lässt mich diese Passage sicher bewältigen. Schließlich gelange ich an eine Kreuzung, an der ich die abwärtsführende Straße wähle. An deren Ende gelange ich direkt an das katholische Pfarrhaus von Osterspai, das ich kurz vor Ende der Öffnungszeit erreiche. Auch hier erhalte ich einen schönen Stempel für meinen Pilgerausweis. Ich suche auch noch die spätbarocke Kirche St. Martin aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert auf, die mit ihrer Helligkeit auf mich sehr angenehm wirkt. Nach einer kurzen Besinnung finde ich in der Nähe eine Bäckerei, in der ich mich mit Lebensmitteln und Getränken versorge. ,Um wieder auf den markierten Jakobsweg zu gelangen, muss ich den gleichen Weg bis zur letzten Kreuzung zurückgehen. Dort biege ich nach rechts ab, und oh Wunder, dort prangen auf einen Schlag zwei Muschelwegweiser. Nun folgt der beschwerlichste Abschnitt des Tages: auf mich warten 250 Höhenmeter auf vier Kilometern Strecke. Dabei passiere ich zunächst einen kleinen jüdischen Friedhof mit vier Grabmalen, später noch einen Bauernhof. Am Rande einer Weide schmelzen allmählich die letzten Schneereste dahin. Auf den folgenden Metern zeigt sich noch einmal, mit welcher Wucht der Orkan „Xynthia“ hier zugeschlagen hat. Unzählige, dickstämmige und gesunde Nadelbäume sind wie Streichhölzer umgeknickt oder entwurzelt worden. Forstarbeiter haben die Wege großflächig freigeräumt, es riecht nach frischen Tannenzweigen. Etwas weiter gelange ich an einen Sammelplatz, wo bereits zersägte Stämme hoch übereinandergeschichtet wurden. Bisher sind mir unterwegs noch keine weiteren Wanderer begegnet, dafür überholen mich nun mitten im Wald innerhalb kürzester Zeit ein PKW, ein Postauto, ein Geländewagen und zu guter Letzt auch noch ein Motorroller. Meine Karte zeigt mir, dass es nicht mehr weit bis Kamp-Bornhofen sein kann. An einer Schutzhütte hängt hoch an einer Tanne ein Kruzifix mit der eingravierten Jahreszahl 1950, in der Nähe steht eine überlebensgroße Pilzfamilie aus Holz. An der Hütte beginnt ein Naturlehrpfad mit dem Thema „Bäume des Jahres“. Alljährlich wird durch eine Kommission ein „Baum des Jahres“ gewählt. Dieser wird hier mit einer Informationstafel versehen an diesem Weg angepflanzt, eine tolle Idee! Am Jakobstempel hoch über Kamp-Bornhofen genieße ich noch einmal den Ausblick auf den Rhein. Die Sonne setzt sich mehr und mehr gegen die Wolken durch und strahlt ins Tal. ,Nur noch einige Wegbiegungen trennen mich jetzt von meinem Tagesziel. Am Ortseingang treffe ich auf ein paar Ziegen, die mich neugierig betrachten. Hier finde ich auch wieder Wegweiser, die mich an der Bundesstraße 42 in Richtung Süden zum Wallfahrtskloster Bornhofen geleiten. Zunächst betrete ich die Wallfahrtskirche, ich bin ganz allein. Am Gnadenbild des Klosters entzünde ich für meine Familie zwei Kerzen und nehme erst einmal Platz, um die Schönheiten der Kirche auf mich einwirken zu lassen. Abschließend möchte ich mir noch einen Stempel an der Klosterpforte holen, stelle aber fest, dass diese erst um 14.00 Uhr öffnet. So setze ich mich auf die Klostermauer mit Blick zum Rhein und genieße eine spanische luftgetrocknete Salami und Mineralwasser als Mittagsvesper. Zwanzig Minuten später erhalte ich von einem Pater meinen Stempel. Wir unterhalten uns ein wenig über meine Pilgerschaft, dann verabschieden wir uns voneinander, er wünscht mir noch Gottes Segen für meinen weiteren Weg. Zum Bahnhof im Ortsteil Kamp gelange ich, indem ich anderthalb Kilometer nach Norden gehe. Dort angekommen stelle ich fest, dass der nächste Zug erst in einer halben Stunde abfährt. Diese Zeit nutze ich aus, um noch einen Abstecher zur katholischen Pfarrkirche St. Nikolaus zu machen, die aber leider verschlossen ist. Die verbleibende Zeit warte ich auf dem Bahnsteig. Ein Bahnticket kann ich mir nicht ziehen, da der Automat defekt ist und von einem Mitarbeiter von der Bahn gerade gewartet wird. Im Zug selbst mache ich den Zugbegleiter darauf aufmerksam, doch er scheint mir nicht glauben zu wollen und sieht mich als Schwarzfahrer an. Zu meinem Glück sind auch noch andere Fahrgäste in Kamp zugestiegen, die meine Ausführungen bestätigen. So muss ich dann nur die erforderlichen 4,95 Euro zahlen. Fünfundzwanzig Minuten später verlasse ich am Koblenzer Hauptbahnhof den Zug. Dort werde ich bereits von meiner Frau erwartet.
Von Kamp-Bornhofen nach St. Goarshausen (11. August 2010) Für die letzte Woche der diesjährigen Sommerferien in Rheinland-Pfalz haben mein Sohn Christian und ich uns noch eine Etappe auf dem Rhein-Camino vorgenommen. Es geht von Kamp-Bornhofen nach St. Goarshausen. Unser Zug fährt um 7.00 Uhr am Koblenzer Hauptbahnhof ab. Nachdem wir unsere Fahrkarten am Automaten gelöst haben, begeben wir uns auf den im Fahrplan angegebenen Bahnsteig. Dort sind wir jedoch überrascht, dass weder ein Zug auf uns wartet noch dass die Anzeigetafel auf die Abfahrt hinweist. Zum Glück ertönt in dem Moment der größten Ratlosigkeit eine blechern klingende Durchsage per Lautsprecher. Wir werden informiert, dass wegen Bauarbeiten keine Züge zwischen Koblenz und Wiesbaden pendeln, dafür aber ein Schienenersatzverkehr mittels Bus eingerichtet ist. Wir verlassen daraufhin eilig den Bahnhof in Richtung Bussteige und finden rasch den passenden Bus. Nach wenigen Minuten geht die Reise los, eine gute halbe Stunde später erreichen wir unseren Startort Kamp-Bornhofen und werden auf der Höhe der katholischen Pfarrkirche abgesetzt. Unser Weg führt uns zunächst entlang der Bundesstraße 42 parallel zum Rhein in Richtung Süden zum Wallfahrtskloster. Die dortige Kirche ist bereits seit einiger Zeit eingerüstet und vor allem leider verschlossen. Hinter dem Wallfahrtsbezirk pilgern wir entlang der „Loreley-Burgen-Straße“ auf einem schmalen Bürgersteig. Dann müssen wir die Seite wechseln und biegen nach rechts ab in eine steil ansteigende Straße, die direkt zu den Burgen Sterrenberg und Liebenstein führt. Wir lassen erstere rechts des Weges liegen und begeben uns zur Burg Liebenstein, deren Ruine heute ein kleines Hotel mit Außenrestauration beherbergt. Von hier oben hat man einen tollen Ausblick auf das Rheintal. Allerdings ist das Wetter heute nicht sehr sommerlich, schwere graue Wolken lassen die Sonne nicht zur Geltung kommen. Wir laufen jetzt stetig bergauf durch teilweise eingezäuntes Gebiet, das man nur durch stählerne Drehtore betreten und verlassen kann. Hier an den Hängen im Bereich der beiden Burgen läuft ein Projekt „Nachhaltige Entwicklung xerothermer Hanglagen“. Hier weiden auf 60 Hektar Fläche Burenziegen und Exmoorponys, allerdings sehen wir nicht ein Tier. Erst als wir alle Höhenmeter erklommen haben, entdecken wir vor uns ein Gatter mit zwei Ponys und zwei Fohlen darin. Wir befinden uns nun auf den Rheinhöhen, haben fast freien Blick auf die Hochebenen der anderen Rheinseite. Der Camino folgt dem Waldrand und schon bald tauchen am Horizont die ersten Häuser von dem Dörfchen Lykershausen auf. Einige Hinweisschilder kündigen eine Straußwirtschaft an, die aber zu der frühen Uhrzeit noch nicht geöffnet hat. Auch die evangelische Dorfkirche ist verschlossen, sodass wir zügig weitergehen. Immer wieder muss ich einen Blick in die Wanderkarte werfen, da die Wegmarkierungen des Rhein-Camino mehr als spärlich sind. Alle paar Kilometer hat man das Glück, eine gelbe Muschel auf blauem Grund zu finden. Hinter Lykershausen verlassen wir den markierten Weg, da wir noch der Jakobskirche in Dahlheim einen Besuch abstatten wollen. Hierzu gehen wir am Friedhof entlang und folgen einem Feldweg am Waldrand, der langsam abwärtsführt. Schon sehr bald sehen wir in dem vor uns liegenden Tal das Örtchen. Die Jakobskirche thront mittendrin auf einer Anhöhe. Am Ende des Feldweges biegen wir nach links auf eine recht unübersichtliche Kreisstraße. Der örtliche, äußerst gepflegt aussehende Kunstrasensportplatz, begrüßt uns, wir befinden uns in der „Jakobstraße“ und gehen eine steile Gasse aufwärts. Nur noch ein paar Treppenstufen trennen uns vom Portal. Die Kirche ist geöffnet und wir verweilen einige Zeit darin. Rechts neben dem Chor ist eine moderne Statue des heiligen Jakobus angebracht. Im Pfarrbüro erhalten wir den Stempel der katholischen Pfarrgemeinde. Eine Einwohnerin gibt uns auf Nachfrage einen Hinweis auf eine Metzgerei, die wir direkt aufsuchen. Dort kaufen wir ein Stück frische Fleischwurst und lassen uns diese auf den nächsten Metern schmecken. Wir verlassen Dahlheim auf dem gleichen Weg wie auf dem Hinweg und bleiben noch ein weiteres Stück an der schmalen Kreisstraße. Glücklicherweise ist die Straße nur sehr wenig befahren, sodass wir unbeschadet in Prath ankommen. Hier werden wir an der ersten Kreuzung von einem Muschelwegweiser in Empfang genommen, wir befinden uns also wieder auf dem Camino. Wir durchqueren das Dorf und sind schon bald unterwegs in Richtung Wellmich. Ein wie mit dem Lineal gezogener Asphaltweg geleitet uns in ein Waldstück. Währenddessen erkläre ich Christian, wie man anhand einer Wanderkarte seinen Standort feststellen und sich orientieren kann. Er hat das auch recht schnell verstanden und an einer markanten Waldkante darf er sich selbst einmal versuchen. Ich bin zufrieden mit dem Ergebnis, er hat prompt unseren Standort ermitteln können. Bald werden wir in Wellmich sein, unserem nächsten Zwischenziel. Wir gehen auf einem Waldweg in Serpentinen bergab. Am Wegesrand finden wir in großer Menge Speisepilze, doch leider haben wir keinen geeigneten Behälter dabei, um sie mitzunehmen. Schade, das hätte für den Abend eine leckere Mahlzeit werden können. So haben wir nur die Möglichkeit, bereits reife Holunder- oder Brombeeren zu genießen. Wir probieren zwar auch einmal einen Apfel, aber der ist uns noch zu sauer. In einer Haarnadelkurve haben wir zwischen den Bäumen einen traumhaften Blick auf Wellmich, die Burg Maus und in der Ferne auf St. Goar. In Wellmich weichen wir erneut vom Camino ab, denn wir möchten uns die katholische Pfarrkirche St. Martin mit ihren schönen Wandmalereien ansehen. Wir verlassen Wellmich über die Obergasse und biegen wenig später auf den Zubringerweg zur Burg Maus ab. Cirka zwanzig Minuten und einigen Höhenmetern später stehen wir vor dem Burgtor. Dieses ist jedoch nur für Besucher der dort ansässigen Falknerei passierbar. Also beschließen wir, hier unsere Mittagsrast einzulegen. Es gibt Obst und spanische Salami. Nach der Pause mühen wir uns weiter aufwärts auf die Rheinhöhen. Nun begegnen uns ständig einzelne Wanderer oder auch kleinere Gruppen. Das haben wir bei unseren bisherigen Touren so noch nicht erlebt. Wir bewegen uns jetzt an der Kante zum Rheintal, wobei uns allerdings der Blick ins Tal durch Büsche und Bäume verwehrt bleibt. Hier gibt es saftig grüne Wiesen, die einen krassen Gegensatz zu dem grauen Firmament darstellen. Gelangweilt schauen uns darauf grasende Rinder an, als wären sie in einer anderen Welt zu Hause. Allmählich lichten sich auch die grünen Sichtsperren und wir haben freien Blick auf St. Goar und die Burg Rheinfels. Wir laufen jetzt durch Weinberge und erreichen in der Gemarkung Nochern eine gut gepflegte Schutzhütte. In dem ausliegenden Wanderbuch tragen wir uns natürlich auch ein, leider habe ich meinen Stempel vergessen, der hätte sich hier gut gemacht. Ein wenig weiter haben wir die Wahl, den eher „einfacheren“ Weg durch einen Weinberg oder über einen Klettersteig zu gehen. Wir folgen der Empfehlung eines Hinweisschildes und lassen den Klettersteig sein, der nur mit entsprechender Ausrüstung benutzt werden soll. Es geht aber trotzdem über einen sehr schmalen Pfad steil abwärts an den Ortseingang von St. Goarshausen. Zu unserer Überraschung befindet sich direkt vor uns ein Supermarkt, bei dem wir unsere Getränkevorräte auffüllen. Eine Kleinigkeit zum Essen gönnen wir uns auch, bevor wir uns auf den Weg zur Rheinfähre machen. Da derzeit ab St. Goarshausen kein Zug nach Koblenz fährt, haben wir beschlossen, mit der Fähre nach St. Goar überzusetzen und ab dort nach Hause zu fahren. Während Christian sich auf einer Bank an der Anlegestelle ausruht, schaue ich mir noch kurz die evangelische und die katholische Kirche an, die sich beide auf der anderen Straßenseite befinden. Nach meiner Rückkehr zum Anleger erreicht die Fähre gerade das Ufer und wir packen unsere Sachen zusammen. Die Überfahrt ist recht preiswert und dauert nur ein paar Minuten. Dabei genießen wir den Blick zurück auf St. Goarshausen und Burg Katz. Es folgt ein kurzer Fußmarsch durch die mit Touristen überfüllte Innenstadt bis zum Bahnhof. Kurz darauf sitzen wir im Zug und lassen uns nach Koblenz fahren. Dort werden wir bereits von meiner Frau erwartet. Wir hatten wieder einen schönen Pilgertag, wurden von Regen verschont und haben gesund unser Ziel erreicht.
Von St. Goarshausen nach Lorch (14. Dezember 2010) Lange habe ich überlegt, ob ich mir noch einmal für einen Tag in diesem Jahr den (kleinen) Rucksack aufschnalle und eine Etappe auf einem Pilgerweg absolviere. Mitten in den Überlegungen erreichte mich eine Sendung mit der Post. Inhalt: ein Kalender für das Jahr 2011, erstellt vom Internet-Forum „Jakobus-Peregrino“. Der Kalender ist sehr gut gelungen, enthält unzählige Bilder von Forumsmitgliedern und hat mich derart motiviert, dass die Entscheidung schnell gefällt war. Es sollte die Fortsetzung des Rhein-Camino von St. Goarshausen nach Kaub werden. Wie immer begebe ich mich auf die ersten zwei Kilometer abwärts zum Bahnhof. Dort fährt mein Zug um 7:23 Uhr auf die andere Rheinseite zum Beginn der heutigen Etappe. Eine gute halbe Stunde später verlasse ich den Zug und besorge mir in dem nahe liegenden Supermarkt Getränke und Verpflegung für den Tag. Bevor es richtig losgeht, gehe ich zum katholischen Pfarramt an das andere Ende der Stadt, um einen Stempel für den Pilgerausweis zu erhalten. Dort treffe ich Pfarrer Königstein, den ehemaligen Jugendpfarrer von Lahnstein, der auch für unsere Gemeinde in Bad Ems zuständig war (das ist bestimmt schon dreißig Jahre her). Er ist jetzt hier seit einiger Zeit als Gemeindepfarrer ansässig. Wieder zurück am Bahnhof angelangt, finde ich rasch den mit der Muschel markierten Weg. Es geht direkt in die Höhe, mal mehr, mal weniger intensiv. Nach einem kurzen Stück schaut mir ein Reh in die Augen, verschwindet dann aber schnell in einem Hang und ich verliere es aus dem Blickfeld. Der Boden ist mit einer mittleren Schneedecke versehen, in der Spuren von anderen Menschen sichtbar werden, die schon vor mir hier unterwegs waren. Leider war in St. Goarshausen die Kirche noch verschlossen, so nutze ich den Aufstieg nach Patersberg, um für einen schönen und sorgenfreien Tag zu beten. Das Dorf ist noch verschlafen, keine Menschenseele ist auf der Straße. Auch die Kirche ist verschlossen, daneben reihen sich hübsche kleine Fachwerkhäuser aneinander. Ich finde den ausgeschilderten Weg wieder und laufe einfach stur geradeaus. Ein Hinweisschild mit mir unbekannten, nicht an meinem Weg liegenden Örtlichkeiten, lässt mich aufmerksam werden. Ein Blick in die Wanderkarte zeigt mir, dass ich falsch bin. Zum Glück ist es nur ein kurzes Stück, das ich zurückgehen muss. Ich folge einer Straße, die sich in fünf Haarnadelkurven ins Tal zu einer Hauptstraße schlängelt. Auf der gegenüberliegenden Seite geht es über ein paar Treppenstufen direkt scharf rechts in einen Hang hinein. Auf einer sehr kurzen Strecke steigt der Weg jetzt bis zum St. Goarshausener Stadtteil Heide an. Dort werde ich von zwei aggressiv bellenden Hunden begrüßt, die zum Glück hinter einem Maschendrahtzaun gefangen sind. Für den nächsten Wegabschnitt benötige ich wieder die Karte, um mich zu orientieren. Ich durchquere ein kleines Waldstück und laufe dann unterhalb desselbigen weiter. Von hier aus kann ich das Besucherzentrum und die Freilichtbühne auf dem Loreleyfelsen erkennen. Zwischen dem grauen Wolkenschleier kommt nun auch einmal die Sonne hervor. Ich spüre ihre angenehme Kraft im Gesicht, doch im nächsten Moment sorgt ein kalter Wind für ein Frösteln. Plötzlich verliert mein linker Fuß den Halt auf dem Boden, ich kann mich gerade noch abfangen und einen Sturz verhindern. Unter dem Schnee befinden sich oft gefährliche Eisflächen. In den nächsten Minuten kommt es immer wieder vor, dass ich ins Rutschen gerate. Ich versuche daher, durch etwas tieferen Schnee am Wegesrand zu laufen, eine gute Entscheidung! Ich pilgere entlang der „Loreley-Burgen-Straße“, die ich aber bereits am nächsten Feldweg in Richtung gefrorener Ackerflächen verlasse. Beim Betrachten des Bodens entdecke ich immer mehr Löcher, die durch schmale Kanäle miteinander verbunden sind. Beim genaueren Hinsehen erkenne ich kleine Spuren, die auf Mäuse schließen lassen. Just bei diesem Gedanken blinzeln mich aus einem solchen Loch zwei dunkle Augen an. Toll, was für Spuren im Schnee hinterlassen werden, die man sonst nicht bemerkt. Kurz darauf erreiche ich das Dörfchen Bornich. Hier muss ich wiederum sehr gut aufpassen, wo ich hintrete. Nur ganz wenige Flächen sind von Schnee und Eis befreit, es besteht akute Rutschgefahr. Schon früh wird man auf die evangelische Kirche hingewiesen, die gemäß einem Symbol auch geöffnet ist. Ich bin erleichtert, dass dem auch tatsächlich so ist. Teile des Gotteshauses stammen aus dem 12. Jahrhundert, das ursprünglich als romanische Pfeilerbasilika erbaut wurde. Im 16. Jahrhundert erfolgte ein Neubau, im 18. Jahrhundert wurden im barocken Stil eine Stuckdecke und eine hölzerne Empore eingebaut. Ich entzünde zwei Kerzen und gehe ein paar Minuten in mich. Bevor ich mich wieder auf den Weg begebe, trage ich mich noch in das ausliegende Besucherbuch ein und hinterlasse meinen Pilgerstempel. Weiter geht es über Feldwege leicht aufwärts durch Ackerland, wo ich von einem Reh und wahrscheinlich von einem Fuchs begleitet werde, die vor mir ihre Spuren im Schnee hinterlassen haben. Ich erreiche nun mit 359 Metern (gestartet bin ich bei 79 Metern) den höchsten Punkt der heutigen Etappe. Von da geht es abwärts nach Dörscheid. Die dortige evangelische Kirche ist verschlossen, also halte ich mich auch nicht länger als nötig auf. Nach Orientierung per Karte finde ich den richtigen Weg und laufe zunächst durch einen kleinen Wald, danach durch das Naturschutzgebiet Dörscheider Heide. Von hier aus habe ich einen wunderschönen Blick in das Rheintal auf Oberwesel. Die Sonne strahlt die Liebfrauenkirche so intensiv an, dass sie in einem intensiven Rotton leuchtet. Ich folge nun einem schmalen Pfad, der oberhalb eines Steilhanges herführt, aber bald in einen asphaltierten Wirtschaftweg in den Weinbergen mündet. Am Rande steht eine überlebensgroße Holzfigur, daneben hängt ein Holzschränkchen. Darin bietet ein Winzer gemäß einem angeschlagenen Hinweis in der wärmeren Jahreszeit Wanderern gegen einen Obolus Wein zum Kauf an. Leider ist das Schränkchen heute leer. Dafür entschädigt die wunderbare Aussicht auf Kaub und die Burg Pfalzgrafenstein mitten im Hochwasser führenden Strom. Wieso eigentlich bin ich schon in Kaub? Ich habe gerade erst knapp 15 Kilometer hinter mir. Ein Entschluss ist schnell gefasst, ich gehe weiter bis nach Lorch. Vorher schaue ich mir jedoch die beiden Kirchen in Kaub an. Zunächst betrete ich die katholische St. Nikolaus-Kirche, direkt nebenan ist die evangelische St. Trinitatis-Kirche. Ursprünglich waren beide Kirchen Bestandteil eines einzigen Baues, dessen älteste Teile aus dem 12. Jahrhundert stammen. Mit Einführung der Reformation wurden nur noch protestantische Gottesdienste gefeiert. Nach Wiedergründung einer katholischen Gemeinde im späten 17. Jahrhundert nutzten beide Gemeinden die Kirche für einen kurzen Zeitraum von zwanzig Jahren. Dann wurde der Chorbogen zugemauert und es entstanden zwei voneinander unabhängige Kirchen. Da der Rhein-Camino nur bis Kaub mit dem Muschelsymbol markiert ist, folge ich nunmehr dem Hessenweg 7 und dem Rheingau-Riesling-Wanderweg. Ich durchquere Kaub und mache einen kleinen Abstecher an den Rhein, um mir die Burg Pfalzgrafenstein aus der Nähe anzuschauen. Hinter dem Bahnhof steigt der Weg auf den nächsten zwei Kilometern wieder beständig an. Es geht jetzt überwiegend durch Mischwald. Der Weg zweigt dann nach rechts ab und führt mich über einen schmalen Pfad einen Hang hinab. Dabei ist der Weg selbst durch den Schnee kaum zu erkennen und ich laufe teilweise querfeldein. Ich überquere einen Bach und befinde mich im Niedertal. Vor mir sehe ich einige Bänke und Tische aus massivem Holz, die zum Rasten einladen. Am Wegesrand ist eine Informationstafel, in die eine Klappe eingebaut ist. Dahinter verbirgt sich ein Wanderbuch, in das ich mich mit meinem Stempel verewige. Überraschenderweise lächelt mich daneben eine fast leere Flasche „Jim Beam“ an. Ob da jemand den Mülleimer verwechselt hat oder ob der Grenzvogt frierenden Wanderern in der kalten Jahreszeit eine Freude machen möchte, kann ich nicht feststellen. An dieser Stelle befindet sich übrigens die Landesgrenze von Rheinland-Pfalz und Hessen. Dies wird optisch durch ein Holztor mit zwei großen Schrifttafeln dargestellt. Weiter geht es über Waldwege, die sich an die natürliche Umgebung des Rheingaus anschmiegen. Von einem schmiedeeisernen Aussichtstempel oberhalb von Lorchhausen habe ich freie Sicht nach Bacharach auf der gegenüberliegenden Rheinseite. Dort ragen die imposanten Ruinen der Werner-Kapelle heraus. Am Wegesrand befindet sich eine Natursteintafel mit der Aufforderung, ein Gebet zu sprechen. Ich komme diesem Wunsch gerne nach. Nun geht es wieder abwärts, ich muss trotzdem immer aufpassen, dass ich nicht in ein Eisloch trete. Am Hang sind einige Arbeiter beschäftigt, eine Mauer aus großen Steinblöcken zu errichten. Der Vorarbeiter beeilt sich, mir den Weg mit seinem Bagger freizumachen und fährt rückwärts ins Tal hinab, um eine neue Ladung Steine zu holen. Auf der anderen Seite des Tales kann man im Schnee einen Weg erkennen, der mit Kreuzwegstationen versehen ist und an der Clemens-Kapelle endet. Bis dahin sind es aber noch ein paar Meter. Ich komme an einer kleinen Schafherde vorbei und die Tiere blöken mich laut an. Eigentlich führt der Weg nicht an der Kapelle vorbei. Ich nehme aber den kurzen Umweg in Kauf, um wenigstens einen Blick hineinzuwerfen. Das ist auch nur durch ein Fenster im Portal möglich, denn die Kapelle ist verständlicherweise verschlossen. Nun dauert es nicht mehr allzu lange, dann sollte ich mein Ziel Lorch erreichen. Ich gehe jetzt einen guten Kilometer durch viele aufgegebene Weinberge, das müssten doch gute Lagen sein. Hier befindet sich auch das Naturschutzgebiet „Engweger Kopf und Scheibigkopf“, das auf Höhe der Ruine Nollig (wahrscheinlich ein Rest der ehemaligen Stadtbefestigung aus dem 14. Jahrhundert auf einem Felsrücken oberhalb der Stadt) endet. Hier muss ich über einen steilen Felsenweg ins Tal gehen. Dabei sind mir an einigen Stellen in den Fels getriebene Tritte und Stahlseile eine nützliche Hilfe. Ich lasse mir dabei sehr viel Zeit und erreiche eine kleine Brücke, unter der ich hindurchlaufe. Dort erwartet mich ein Hohlweg auf blankem Fels und Schieferplatten, die aufgrund des Niveaus öfter mit einer dünnen Eisschicht bedeckt sind. Ich erreiche wohlbehalten die ersten Häuser von Lorch und begebe mich direkt zu der katholischen Pfarrkirche St. Martin. Der Innenraum ist leider durch ein Gitter abgetrennt. Ein Hinweis klärt mich auf, dass es ist ein Schutz vor Kirchenräubern sei, die im Rheingau und auch in Lorch bereits ihr Unwesen getrieben haben. Neben dem Schriftenstand befindet sich jedoch ein Schalter, mit dem man die Kirche für einen kurzen Moment beleuchten kann. Das lasse ich mir auch nicht nehmen. Ich spreche noch ein Dankgebet, dass ich diesen Tag gesund überstanden habe. Jetzt muss ich mich beeilen, denn mein Zug fährt in einer guten Viertelstunde in Richtung Koblenz und der Bahnhof liegt am anderen Ende von Lorch. Ich besorge mir schnell am Automaten ein Ticket, da fährt der Zug auch schon ein. Das passt ja richtig gut. Eine Stunde später bin ich wieder zu Hause und lege mich zur Entspannung erst einmal in eine heiße Badewanne.
Von Lorch nach Geisenheim (8. November 2011) Nach vielen Wochen ohne einen Pilgertag beschließe ich kurzfristig, meinen Pilgerweg auf dem Rhein-Camino ab Lorch fortzusetzen. Diesen Tag widme ich meiner lieben Frau, die in einer guten Woche eine schwere Operation erwartet. Mit der Bahn fahre ich früh von Koblenz in den Rheingau und beginne den Weg an der katholischen Pfarrkirche St. Martin in Lorch, die im 14. Jahrhundert vollendet wurde. Leider ist die Kirche nur an den Wochenenden geöffnet, sodass ich sie nicht besichtigen kann. Damit entgeht mir der älteste und wohl auch erste monochrom konzipierte Schnitzaltar aus dem Jahre 1483, der somit eine herausragende kunstgeschichtliche Stellung innehat. Hinter der Kirche befindet sich das Pfarrhaus, wo ich meinen Pilgerstempel erhalte. Dann erklimme ich den Römerberg und befinde mich nach einem guten Kilometer hoch über Lorch, habe von dort einen schönen Ausblick. Ich passiere eine kleine Solaranlage und laufe hangparallel in Richtung Süden. Von hier oben erscheint der Rhein wie eine dampfende Suppe, der Nebel wird allmählich dichter. Dunkle Wolken verhindern zudem, dass die Sonne stärker zur Geltung kommt. Ich laufe entlang des Rheingauer Rieslingpfades durch die Weinberge. Die meisten Rebstöcke haben bereits ihr Laub vollständig abgeworfen, nur vereinzelt leuchten einige Lagen in bunten Herbstfarben. Ich gelange nun in ein Waldstück und muss den „Bachergrund“, ein Seitental, umlaufen. Dabei komme ich an einigen schönen Wochenendhäusern vorbei, die idyllisch am Südhang gelegen sind. Bald bin ich wieder in Sichtweite des Rheins und halte mich auf einem Weg direkt unterhalb des herbstlichen Waldrandes auf. Auf der gegenüberliegenden Flussseite kann ich im Nebel gerade noch die Burg Sooneck erahnen. Direkt daneben hat der Mensch eine furchtbare Narbe in die Natur geschlagen. Dort befindet sich nämlich ein terrassenförmiger Quarzit-Tagebau, der bis zu meinem Standort einen unüberhörbaren Lärmpegel produziert. Dieses Bild passt nun wirklich nicht in ein Weltkultur-erbe. Kurze Zeit später erreiche ich den Aussichtspunkt „Georgs-Ruh“. Hier treffe ich auf eine halboffene Schutzhütte mit herrlichem Blick auf Trechtingshausen. Am Rand des Berghanges hat man eine Sitzgruppe installiert, die zur Rast einlädt. Dieses Angebot nutze ich für eine erste Verschnaufpause und nehme einen kleinen Snack zu mir. Ich durchwandere das „Bodental“ und gelange zum „Teufelskadrich“, einem sagenhaften Berg mit steilen Geröllhalden. Es ereignete sich vor langer Zeit, dass der Ritter Sibo von Lorch einem alten Männlein die Unterkunft verweigerte und dieses zur Strafe seine Tochter entführte. Alle Bemühungen des Ritters, sie zu befreien, waren umsonst. Es gelang niemandem, den Kadrich zu besteigen, ohne von einem Steinregen überrascht zu werden. Erst einige Jahre später gelang es dem Ritter Rudhelm mit Hilfe eines silbernen Glöckleins, das er von einem grauen Weiblein erhielt, zum Berg vorzudringen. Ihr Bruder erklärte ihm, dass der Teufel im Kadrich wohne und die Berggeister beherrsche. Am nächsten Tag waren alle losen Steine verschwunden und dem Teufel wurde der Ausgang versperrt. Die Berggeister und auch die Tochter des Ritters Sibo wurden befreit. Auf dem Rückweg nach Lorch verschwanden alle Bergmännlein und der Teufel hat dem Kadrich nur noch seinen Namen hinterlassen. Am Wegesrand entdecke ich dann die verschwundenen Berggeister: erst einen, dann immer mehr Figuren aus zusammengefügten Steinen. Ich lasse es mir nicht nehmen, einem der Berggeister den Hut mit einem flachen Stein auszubessern. Auf dem weiteren Weg meiner Pilgerwanderung biege ich am „Bacharacher Kopf“ nach rechts ab und laufe über Berge welken Laubes. Der schmale Pfad ist kaum noch zu erkennen und windet sich durch lichten Eichenwald. Hier begegnen mir vier ältere Damen mit einem Hund, denen ich später noch Respekt zollen sollte, denn es wird jetzt abenteuerlich. Der Pfad im Hang wird felsiger, ich muss einige steile Stufen emporsteigen, teilweise mit Hilfe von Holzgeländern und Drahtseilen. Ich gelange danach wieder auf einen einfacheren Abschnitt und habe einen ersten Blick auf Assmannshausen. Über serpentinenartige Wirtschaftswege gehe ich abwärts und erreiche die katholische Pfarrkirche Heilig Kreuz aus dem 14. Jahrhundert. Die Kirche wird zurzeit renoviert und ist deshalb auch verschlossen. So entscheide ich mich, direkt weiterzugehen. Es geht steil aufwärts über die „Höllengasse“, von der Talstation bis zur Bergstation der Sesselbahn und zum Jagdschloss Niederwald. Ich laufe an einem Wildgehege und dem zum Hotel umgebauten Jagdschloss vorbei und bleibe dann einen Kilometer auf einem schmalen Weg entlang der L3034. Am Ende der Straße komme ich zum Niederwald-Denkmal, das 1883 von Kaiser Wilhelm I. eingeweiht wurde. Leider hat man in diesem Sommer begonnen, das Denkmal von Grund auf zu sanieren. So erhalte ich heute einen Anblick, der mich eher an ein Werk des Verpackungskünstlers Christo denn an ein Denkmal erinnert. Unterhalb des Monumentes habe ich einen tollen Blick auf Bingen und Rüdesheim. Beide Städte sind jedoch noch mit Nebelschwaden bedeckt, wenngleich die Sonne immer mehr Lücken in der Wolkendecke findet. Es liegt jetzt noch eine gute halbe Stunde Wegstrecke vor mir, bis ich an der Abtei St. Hildegard eine längere Pause einlegen werde. Hinter einer Biegung erscheinen am Horizont die Turmspitzen der Abteikirche. Mit jedem Schritt scheint die Kirche weiter aus dem Boden in die Höhe zu wachsen, bis ich schließlich vor ihr stehe. Zunächst gehe ich durch einen kleinen Garten und betrete das Gotteshaus, das im Zeitraum 1900 bis 1908 nach dem Vorbild der alten Basiliken im romanischen Stil erbaut wurde. Der Innenraum ist freundlich, hell und bunt ausgemalt von Künstlern der Beuroner Kunstschule mit Motiven aus dem Alten Testament und dem Leben der Heiligen Hildegard. Ich trage mich in das ausliegende Fürbittenbuch ein und entzünde für meine Familie eine Kerze. Bevor ich wieder aufbreche, kaufe ich im Klosterladen eine Flasche Wein und lasse mir einen Stempel in den Pilgerausweis geben. Über den Rüdesheimer Stadtteil Windeck gelange ich zur Wallfahrtskirche Nothgottes, die aus dem frühen 14. Jahrhundert stammt. Der Klosterbau wurde vom Bistum Limburg der „Gemeinschaft der Seligpreisungen“ für zunächst zehn Jahre zur Verfügung gestellt. Ich frage einen Angehörigen der Gemeinschaft, der gerade eine Avocado bearbeitet, ob die Kirche zugängig sei. Er erkennt in mir den Jakobspilger und wünscht mir einen guten Weg. Auch hier hinterlasse ich einige Worte in einem ausliegenden Buch und verweile noch ein wenig in der Ruhe der kleinen Kirche. Am Ende einer Waldpassage komme ich zur Antonius-Kapelle, deren Altar von Vandalen mittels Feuer stark zerstört wurde. Was sind das nur für Menschen? Bereits zwanzig Minuten später erreiche ich Marienthal und das dortige Franziskanerkloster mit Wallfahrtskirche. Schon um 1309 wurden hier die ersten Wallfahrten durchgeführt, bald danach mit dem Bau einer Kirche begonnen, die 1857/58 neu errichtet wurde. Nachdem Augustinerchorherren und Jesuiten sich um die Wallfahrt kümmerten, sind seit 1873 die Franziskaner vor Ort. Wie in den beiden vorherigen Kirchen verweile ich auch hier in Ruhe und Gebet, trage mich in das ausliegende Buch ein. An der Klosterpforte erhalte ich meinen Pilgerstempel und mache mich wieder auf den Weg. Ich gehe an zahlreichen kleinen Kapellen vorbei, die mit Bildern und Geschichten aus dem Leben Jesu versehen sind. Am Klosterfriedhof mitten im Wald begebe ich mich nach rechts auf einen Waldweg, der schnurgeradeaus führt. An der nächsten Kreuzung biege ich erneut nach rechts ab und erreiche einige Rebflächen, die noch gut mit Weintrauben bestückt sind. Das nutze ich schamlos aus und stibitze mir ein paar rote Trauben, die zuckersüß sind und richtig gut schmecken. Ich bin jetzt in Johannisberg angekommen. Der Weinort rühmt sich als Geburtsort der Spätlese. Jetzt verstehe ich auch, warum noch so viele Trauben an den Weinstöcken hängen. Von hier aus muss ich noch eine gute halbe Stunde bis zum Bahnhof nach Geisenheim laufen. Auf halbem Weg liegt auf der rechten Seite das ehemalige Kloster Johannisberg, das in einen Hotelkomplex umgebaut wurde. Die Klosterkirche wurde zu einem Restaurant umfunktioniert. Ich habe bei dem Gedanken ein komisches Gefühl. Unterwegs fülle ich meine Vorräte in einem Supermarkt auf, denn ich habe nach dem langen Tag Hunger bekommen. Bald fährt auch schon der nächste Zug in Richtung Koblenz ein, eine Stunde später steige ich dort aus und werde bereits von meiner Frau erwartet.
Von Geisenheim nach Mainz (10. Juli 2012) Meinen Urlaub habe ich mir in diesem Jahr etwas anders vorgestellt. Schon frühzeitig stand fest, dass ich die ersten drei Wochen der Sommerferien frei haben werde. Mein Sohn wird davon zwei Wochen mit der Sportjugend in Obervellach in Österreich verbringen. Zwei Tage nach meinem letzten Arbeitstag ist meine Familie nach Hamburg gefahren, um dort meinen zwei Wochen zuvor verstorbenen Bruder Martin zu Grabe zu tragen. Auch wenn wir selten Kontakt zueinander hatten, ist mir sein Tod sehr nahe gegangen. In so einer Situation kommen einem wohl immer Gedanken, was man hätte besser machen können. So war für mich recht bald klar, dass ich noch einmal raus in die Natur, auf den Jakobsweg, musste, um diese Situation für mich zu verarbeiten. Ich wählte für mich die letzte Etappe auf dem Rhein-Camino von Geisenheim bis nach Mainz. Wie immer geht es früh mit dem Zug vom Koblenzer Hauptbahnhof los. Nach einer guten Stunde bin ich am Ziel und verlasse rasch den Bahnhof. Ich möchte direkt auf die Strecke. Über die „Bahnstraße“ und die „Behlstraße“ gelange ich auf die „Albert-Schweitzer-Straße“, der ich bis zu den letzten Häusern folge. Dort überquere ich eine breitere Straße und befinde mich mitten in Weinfeldern. Ich möchte ein erstes Photo machen und stelle fest, dass ich meine Kamera zu Hause liegen gelassen habe. Zum Glück habe ich mein Mobiltelefon dabei, mit dem ich zwar keine qualitativ guten Bilder, aber immerhin überhaupt welche machen kann. Nach einem Kilometer erreiche ich den südlichen Rand von Johannisberg. Ich passiere die Ackermühle und folge dem „Märzackerweg“ bis nach Oestrich-Winkel. Dort gehe ich in Richtung „Schloss Vollrads“, biege aber auf Höhe des Sportplatzes wieder nach rechts in die Weinberge. Nach vier Kilometern bin ich in Hattenheim, wo ich zunächst an einem Bach vorbeilaufe und anschließend steil nach Osten aufsteigen muss. Circa dreißig Minuten später habe ich eine erste Gelegenheit, mich in Erbach in die geöffnete katholische Kirche St. Sophia zu setzen, wo ich zwei Kerzen entzünde. Leider hat das Pfarrbüro geschlossen, sodass ich mir keinen Stempel geben lassen kann. Den bekomme ich dafür aber im evangelischen Pfarramt. Weiter geht es über die „Erbacher Straße“ nach Eltville. Dort gleicht die Innenstadt einer Baustelle. In einer Drogerie kaufe ich mir Getränke, denn ich habe bereits viel getrunken. Im katholischen Pfarramt St. Peter und Paul bekomme ich den nächsten Stempel. Auch hier mache ich eine kurze Besinnungspause in der Kirche, in der ich mit leiser Musik berieselt werde. Ich entzünde wiederum zwei Kerzen und trage mich im ausliegenden Buch ein. Nach einem kurzen Stück auf der „Rheingauer Straße“ biege ich an den Rhein ab und bleibe die nächsten drei Kilometer auf dem Leinpfad. In Niederwalluf gehe ich direkt in den Ort, passiere dabei die katholische Johanneskirche, die aber verschlossen ist. Nach einem kleinen Umweg zum Bahnhof erreiche ich die evangelische Erlöserkirche, die tagsüber geöffnet ist. Hier möchte ich meine Mittagsrast machen, schaue mir aber zunächst die Kirche an und trage mich auch hier in einem Buch ein. Nach einem Gebet verzehre ich ein kleines Baguette und ein Stück Wildschweinsalami. In der Nähe des Wallufer Sportplatzes erreiche ich wieder das Rheinufer, wo ich am Schiersteiner Wasserwerk mit Naturschutzgebiet entlanglaufe. Auf einem Strommast entdecke ich zwei Störche, die ihre Nester bewachen. Das nächste markante Objekt ist der Hafen von Schierstein. Hier fand am vergangenen Wochenende das Hafenfest statt. Unzählige Menschen sind noch mit den Aufräumarbeiten beschäftigt. Am Ende des Hafens verlasse ich kurz den Rhein und besorge mir in einem Supermarkt noch etwas zu trinken. Es ist mittlerweile sehr warm geworden und ich habe inzwischen alle Flaschen geleert. Hinter dem „Schloss Biebrich“ gehe ich ans Rheinufer und finde dort eine Anzahl Steinmännchen. Ich setze noch den ein oder anderen Stein drauf, bevor ich mir die leider verschlossene Oranierkirche von außen anschaue. Die nächste Passage ist nicht so schön, es geht durch kalte Industrieanlagen. Zum Glück lasse ich das Stück rasch hinter mir und befinde mich in einer parkähnlichen Wohnanlage und den Rheinwiesen von Wiesbaden. Ich bleibe auf dem Rheinuferweg bis zur Theodor-Heuss-Brücke und wandere von der Hauptstadt Hessens zur Hauptstadt von Rheinland-Pfalz. Am Ende der Brücke entdecke ich die bekannten Jakobsweg-Schilder, denen ich vertraue und auch folge. Auf Mainzer Seite wende ich mich der Karmeliterkirche zu, um auch dort etwas zu verweilen. Meine nächste Station ist die Ruine der St. Christoph-Kirche aus dem 13. Jahrhundert, die als Taufkirche von Johannes Gutenberg gilt. Heute ist die im Krieg zerstörte Kirche Mahnmal für die Opfer und die Zerstörung von Mainz. Die letzten Meter der heutigen Etappe führen mich über die Schusterstraße, bis ich schließlich vor dem Mainzer Dom, der dem heiligen Martin geweiht und somit das richtige Ziel für die heutige Pilgerwanderung ist. Dankbar für den heutigen Tag, entzünde erneut zwei Kerzen und lasse mich zu einem Gebet nieder. Anschließend schaue ich mir den Dom noch etwas genauer an, bevor ich mich auf den Weg zum Bahnhof mache. Ich bin froh, dass ich heute unterwegs war, denn ich hatte viel Zeit zum Nachdenken, der Kopf ist jetzt wieder frei. Schon bald habe ich die Möglichkeit, mich in einen Zug nach Koblenz zu setzen und eine gute Stunde später wieder an meinem Wohnort anzukommen.
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