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Jakobsweg Trier - Vézelay

 

  Datum Strecke Länge Gesamtlänge
15. 28.05.2013 Clairvaux - Essoyes 25 km 377 km
16. 29.05.2013 Essoyes - Les Riceys 18 km 395 km
17. 30.05.2013 Les Riceys - Etourvy 22 km 417 km
18. 31.05.2013 Etourvy - Tonnerre 20 km 437 km
19. 01.06.2013 Tonnerre - Chablis 18 km 455 km
20. 02.06.2013 Chablis - Auxerre 20 km 475 km
21. 03.06.2013 Auxerre - Cravant 20 km 495 km
22. 04.06.2013 Cravant - Vézelay 35 km 530 km

 

 Zum Betrachten der Bilderserie des kompletten Weges bitte auf die Miniatur klicken.

 

Von Koblenz nach Clairvaux (27. Mai 2013)

Es ist jetzt auf den Tag genau ein Jahr her, dass Jörg und ich unsere Pilgertour durch Frankreich in Clairvaux planmäßig unterbrochen hatten. In diesem Jahr haben sich einige einschneidende  Ereignisse in mein Leben eingeschlichen, sowohl privat als auch beruflich. Heute stehe ich bereits um vier Uhr auf und schlüpfe in meine bereitliegende Kleidung, schnüre meine Wanderschuhe zu und schnalle mir den bereits am Vortag gepackten Rucksack auf den Rücken. Um 4.30 Uhr nehme ich die ersten zwei Kilometer der diesjährigen Pilgerwanderung unter meine Füße und marschiere zum Koblenzer Hauptbahnhof. Dort kaufe ich mir am gerade geöffneten Kiosk zwei belegte Brötchen und einen Tetrapack Kakao. Auf dem Bahnsteig 5 werde ich auf meinen Zug warten, der mich zunächst zum Hauptbahnhof nach Bingen mitnehmen wird.

Erfreut stelle ich fest, dass ich so früh bin, dass ich einen Zug nehmen kann, der eine Viertelstunde früher abfährt und mir in Bingen ein zusätzliches Zeitfenster von fünf Minuten für das Umsteigen anbietet. Die Fahrtzeit nutze ich, um mein Frühstück einzunehmen. Ich bin noch ein wenig schläfrig und versuche mich wach zu halten, damit ich tatsächlich in Bingen aussteige. Der Zug erreicht pünktlich Bingen und ich wechsele rasch zum Bahnsteig 202, wo mein Anschlusszug schon bereitsteht. Rund neunzig Minuten dauert die Fahrt nach Kaiserslautern mit der Regionalbahn. Die bisher angenehm verlaufende Fahrt wird auf diesem Abschnitt zunehmend unruhiger; es steigen an jeder Haltestelle Schüler und Berufstätige zu, die sich wild durcheinander die Erlebnisse des vergangenen Wochenendes erzählen.

Die Bahn ist heute extrem pünktlich, wir erreichen Kaiserslautern gemäß Fahrplan. Ich habe dort Glück, denn ich kann auf dem Bahnsteig verbleiben, muss nur die Seite wechseln. Nur wenige Minuten später kann ich in einiger Entfernung den langsam in den Bahnhof einfahrenden ICE erkennen. Ich steige in den richtigen Waggon ein und treffe dort rasch auf Jörg. Wir freuen uns beide auf unser Wiedersehen, vor allem aber auf die bevorstehenden Tage. Wir werden in Clairvaux in den Jakobsweg einsteigen und bis nach Vézelay, einem der historischen Sammelpunkte der mittelalterlichen Pilger, gehen. Während der nächsten zweieinhalb Stunden haben wir uns bei einer Geschwindigkeit bis zu 320 km/h viel zu erzählen. Gegen 9.50 Uhr steigen wir am Kopfbahnhof Paris-Est bei herrlichem Sonnenschein und angenehmen Temperaturen aus dem Zug.

In unmittelbarer Nähe des Bahnhofs nehmen wir in einem Straßen-Café Platz und bestellen uns einen café au lait. Eigentlich trinke ich gar keinen Kaffee, aber dieser ist mit sehr viel Milch angereichert und schmeckt ganz gut. Nach dem Begleichen der Rechnung beginnen wir einen Spaziergang durch das X. Arrondissement (Arrondissement de l’Entrepôt) von Paris, da unser Anschlusszug nach Bar-sur-Aube erst um 12.12 Uhr abfährt. Dabei fallen uns der viele Unrat auf dem Bürgersteig, der immense Autolärm und die unzähligen Kosmetiksalons auf. Drei Bauwerke stechen aus den Häuserzeilen heraus: das Rathaus aus dem Jahr 1896, der Porte Saint-Martin aus dem 17. Jahrhundert und die spätgotische Pfarrkirche Saint-Laurent, die im 15. Jahrhundert begonnen und im 18. Jahrhundert vollendet wurde. Am Eingang der Westfassade werden wir von einer Jakobus-Statue begrüßt. Während der kurzen Besichtigung der Kirche entzünde ich eine Kerze und bitte um eine sorgenfreie Pilgerwanderung.

Kurz vor 15 Uhr verlassen wir in Bar-sur-Aube den Schnellzug und werden mit einem Kleinbus nach Clairvaux gebracht. Unser Hotelzimmer können wir noch nicht beziehen, daher gehen wir zur ehemaligen Abtei und heutigem Gefängnis, um sie zu besichtigen. Die nächste Führung findet erst um 16.30 Uhr statt, sodass wir die bis dahin verbleibende Zeit in der nahe gelegenen „Bar St. Bernard“ bei einem Bier verbringen. Von den Erläuterungen der Führung verstehen wir nicht viel, da meine beschränkten Französischkenntnisse leider nicht ausreichend sind. Die wesentlichen Informationen über die Geschichte des Klosters können wir einer Beschreibung in Deutsch entnehmen, die wir beim Einlass bekommen haben. Die meisten Gebäude sind leider in einem sehr bedauernswerten Zustand. Nur das Refektorium der Laienbrüder und deren darüber liegender Schlafsaal wurden bisher saniert und werden teilweise für repräsentative Veranstaltungen genutzt.

Auf dem Weg zurück zum Hotel treffen wir Peter aus dem Saarland, einem Radpilger der am vergangenen Donnerstag in Metz losgefahren ist und dessen Ziel ebenfalls Vézelay sein wird. Gegen 17.30 Uhr checken wir im „Hotel de l´Abbaye“ ein und beziehen unser Zimmer im zweiten Stock. Danach machen wir noch einen kleinen Spaziergang zur etwas erhöht befindlichen Statue des Heiligen Bernhard von Clairvaux. Von dort hat man einen guten Ausblick auf die Abteianlage. Bisher war es sehr sonnig und warm, allmählich ziehen dunklere Wolken auf. Wir beschließen deshalb, ins Hotelrestaurant zu gehen und das Abendessen einzunehmen. Vor einem Jahr haben wir hier mit Christian, der von Bamberg über Trier nach Santiago de Compostela unterwegs war, gemeinsam zu Mittag gegessen. Heute Abend haben wir zunächst die Auswahl aus Salaten und Vorspeisen vom Buffet. Danach bekommen wir ein Steak mit Nudeln und als Dessert eine Mousse au Chocolat, dazu lassen wir uns einen halbtrockenen Rotwein schmecken. Gegen 21.00 Uhr sind wir wieder in unserem Zimmer, bereiten den folgenden Tag vor und finden rasch einen tiefen Schlaf.

   

 

 

 

Von Clairvaux nach  Essoyes (28. Mai 2013)

Obwohl der Wecker auf 7.00 Uhr eingestellt ist, wachen Jörg und ich schon eine halbe Stunde früher auf. Die innere Unruhe vor dem ersten Pilgertag ließ anscheinend keinen tiefen Schlaf zu. So machen wir uns halt fertig, packen unsere Rucksäcke und gehen ins Restaurant zum Frühstück. Dort sitzen bereits einige andere Gäste, vornehmlich Handwerker auf Montage. Wir bekommen eine gute Auswahl serviert: getoastetes Baguette, Croissants, Schokocroissants, Brot, Butter, Marmelade und O-Saft. Wir bestellen und beide einen café au lait, der mir aber zu stark ist. Nach dem ausgiebigen Frühstück begleichen wir unsere Rechnung und schultern das Gepäck. Wir wandern an der Abtei entlang auf der D12. Die Sonne lässt sich schon blicken und sorgt für eine gewisse Wärme, sie wird aber hin und wieder von vereinzelten Wolken verdrängt. Wir bleiben jetzt die nächsten Zeit auf der schmalen Landstraße und müssen öfter nach links auf das Bankett flüchten, da uns in unregelmäßigen Abständen Lastwagen mit einer hohen Geschwindigkeit entgegen kommen.

Nach acht Kilometern treffen wir auf die romanische Chapelle de Mondeville, die natürlich verschlossen ist. Durch ein Guckloch kann man wenigsten einen Blick ins Innere der Kirche werfen. Unter den umstehenden Linden machen wir unsere Rast und verzehren einen Apfel. Zu unserer rechten befinden sich die ersten Weinfelder, auf denen die Trauben für den Grundwein für Champagner wachsen. Nach einer knappen Viertelstunde geht es weiter und wir erreichen das Dorf Champignol-les-Mondeville, wo wir uns in einer Boulangerie mit einem Baguette versorgen. Hinter dem Dorf wechseln wir auf die D70, unterqueren die A5 und laufen an einem Kieswerk vorbei. Hier kommen wir richtig schön ins Schwitzen, denn es geht bis nach Saint-Usage zunächst ordentlich bergauf und anschließend abwechselnd auf und ab. Hinter der Kirche führt uns der Weg durch eine schöne Allee, an deren Beginn wir den ersten Wegweiser in Form einer Jakobsmuschel entdecken.

Nach Überwindung eines weiteren Anstieges eröffnet sich uns gegen 12.30 Uhr am „Plateau de Blu“ ein wunderschöner Ausblick in die Ferne. Von hier aus ist bereits der Funkmast von Les Riceys zu erkennen, den wir morgen passieren werden. Inzwischen haben sich am Himmel die Wolken verdichtet und es kommt zunehmend Wind auf. Auf dem Rastplatz neben einem Cadole (Unterstand in den Weinfeldern aus Stein) nehmen wir eine kleine Mahlzeit bestehend aus Baguette und Salami zu uns. Während wir die Kleinigkeit genießen, fallen vereinzelt Regentropfen auf uns herab. Ein Blick nach oben verheißt nichts Gutes, also packen wir unsere Siebensachen und ziehen unsere Regenponchos über. Die Tropfen werden deutlich mehr und kurz vor Essoyes spazieren wir durch einen strammen Regen. In der Tourist-Info bringen wir unseren Wunsch nach einer Unterkunft für die Nacht vor. Das funktioniert auf Englisch ganz passabel. Leider erreicht die junge Frau in der von ihr gewählten Herberge niemanden. Sie spricht eine Nachricht auf den Anrufbeantworter und bittet uns, in einer Stunde noch einmal zu wieder zu kommen.

Inzwischen schauen wir uns die Stadt ein wenig an und gehen in Richtung Kirche, die erwartungsgemäß nicht geöffnet ist. Vor einer Bar entdecken wir ein wohlbekanntes Fahrrad mit Packtaschen. Wir haben uns nicht geirrt, in der Bar sitzt Peter und trinkt einen Kaffee. Wir möchten uns gerne dazu setzen, werden jedoch von einer Bedienung darauf aufmerksam gemacht, dass bereits geschlossen sein. Komisch, auch andere Gäste haben gerade erst ihr Essen serviert bekommen. Dann eben nicht, wir können auch gerne wo anders einkehren. Das machen wir auch, und zwar in einer Bar gegenüber dem Rathaus, ganz in der Nähe zur Tourist-Info. Wir ziehen unsere nassen Ponchos aus, lassen auf dem Fußboden eine Pfütze entstehen und trinken etwas. Als wir die Bar in Richtung Tourist-Info verlassen, regnet es immer noch. Zu unserer Freude bekommen wir eine Adresse genannt, bei der Pilger kostenfrei aufgenommen werden. Dort bestünde  die Möglichkeit zum Kochen, wir sollten uns aber besser vorher im Supermarkt mit Lebensmitteln eindecken. Wir bedanken uns für die Mühe bei unserem ersten Engel der diesjährigen Pilgertour (ich habe vor kurzem das Buch „…und täglich einen Engel“ von Regine Haumaier gelesen). Im Supermarkt haben wir es uns einfach gemacht: es gibt heute Abend Spaghetti mit Tomatensoße mit Baguette und einer Flasche Rotwein, und für das Frühstück nehmen wir gleich noch ein Baguette und einen Weichkäse mit. Gegen 16.00 Uhr betreten wir den Hof der Familie Chevalier in der Rue Auguste Renoir. Unter der Klingel an der Hofeinfahrt werden wir von einer Jakobsmuschel begrüßt, im Hof selbst vom Sohn der Eigentümer.

Er zeigt uns in einem Anbau einer Gerätehalle die Unterkunft: einen großen Aufenthaltsraum mit offenem Kamin, drei Zimmer mit je vier Betten (mit Bettwäsche und Handtüchern), saubere sanitäre Anlagen und eine große Küche mit allen möglichen Geräten. Wir vermuten, dass hier zu Erntezeiten Saisonarbeiter ihr Domizil haben. Wir fühlen uns sofort wohl und sind sehr zufrieden, bedanken uns schon einmal ganz herzlich. Die anschließende Dusche weckt wieder sämtliche Lebensgeister. An meinen Füssen machen sich wie im vergangenen Jahr einige rötliche Flecken bemerkbar. Das brauche ich nicht schon wieder. Kurz darauf fragt der Hausherr selbst nach, ob alles in Ordnung sei. Nachdem die nasse Bekleidung zum Trocknen aufgehängt worden ist, nehmen wir die Küche in Beschlag und bereiten unser Abendessen zu. Abschließend machen wir wieder „Klar Schiff“ und begeben uns zur Ruhe.

   

 

 

 

Von Essoyes nach Les Riceys (29. Mai 2013)

Ich glaube, wir brauchen gar keinen Wecker mehr zu stellen, da wir sowieso früher aufwachen. Wir machen uns frisch und bereiten anschließend unser kleines Frühstück zu. Jörg kocht sich etwas Kaffee und wir verzehren unser Baguette und etwas Käse. Nachdem wir das genutzte Geschirr abgespült und weggeräumt haben, ist nun das Gepäck dran. Die Rucksäcke sind rasch gepackt. Wir hinterlassen einen Zettel mit ein paar Dankesworten an die Familie Chevalier, dazu legt jeder von uns einen 10 Euro-Schein. Gegen 08.45 Uhr verlassen wir unsere Unterkunft und gehen auf der D67 stadteinwärts, wo wir zum einen das noch heute in Familienbesitz befindliche Haus von Pierre Auguste Renoir passieren, zum andern in einer Boulangerie ein frisches Baguette kaufen. Es ist trocken, bewölkt und ich schätze die Temperatur um die zehn Grad.

Über einen Feldweg laufen wir auf einen Wald zu und werden von zwei Autos überholt. Am Waldrand treffen wir auf eines der Fahrzeuge, aus dem ein älterer Herr aussteigt und sich mit uns unterhält. Wenn ich alles richtig verstanden habe, war er im Krieg Soldat in der Nähe der deutsch-französischen Grenze. Er wünscht uns zum Abschied einen gute Zeit auf dem Jakobsweg und verwendet dabei sogar ein paar deutsche Wörter. Es geht nun etwas steil durch ein kleines Tal mit Wald und Weinfeldern bergauf, an dessen Ende wir auf die D70 stoßen. Dieser folgen wir nach rechts und bleiben eine Zeit lang auf ihr. An einer Schutzhütte, die sogar mit einem offenen Kamin ausgestattet ist, müssen wir in einen Wald einbiegen. Der Untergrund ist von den Regenfällen der letzten Tage aufgeweicht und mit großen Pfützen übersät. Unser Führer beschreibt an dieser Stelle den Wegeverlauf etwas unklar, sodass wir erneut auf die D70 treffen. Zunächst überlegen wir uns, auf der Landstraße zu verbleiben, nehmen dann aber doch die nächste Möglichkeit, um nach links wieder in Richtung Wald zu gehen. Grund dafür sind die zahlreichen Lastwagen, die uns mit hoher Geschwindigkeit entgegen kommen. Wir orientieren uns anhand der Landkarte und liegen damit gar nicht so falsch. Der eingeschlagene Weg bringt uns tatsächlich zurück auf die ursprüngliche Route abwärts nach Courteron. Hier gibt es sogar eine Rundwanderung zu den vorhandenen Cadoles.

Am Ortsrand von Courteron biegen wir nach links ein und überqueren wir die hier noch sehr schmale Seine sowie die D671. Es liegt wieder einmal ein Anstieg vor uns, vorbei an blühenden Raps- und Getreidefeldern, die hier außergewöhnliche Größen haben. Manchmal habe ich den Eindruck, dass Ausmaße von einem Kilometer und mehr normal sind. Das Geländeprofil wechselt nun ständig. Hinter einer Waldpassage türmt sich vor uns der Funkmast von Les Riceys auf, den wir bereits gestern am „Plateau de Blu“ sehen konnten. Hier dominieren wieder Weinfelder, an deren Rand Holzstämme gelagert werden. Das ist der ideale Ort, um eine Pause für unsere Mittagsrast einzulegen. Heute gibt es Baguette, Salami und Äpfel. Nach einer guten halben Stunde packen wir alles zusammen und machen uns wieder auf den Weg, der sich jetzt leicht bergab durch die Weinfelder schlängelt. Gegen 13.00 Uhr haben wir einen ersten Blick auf Les Riceys (das aus den drei Ortsteilen Riceys-Bas, Riceys-Haut-Rives und Riceys-Haut besteht) und erreichen am Waldrand die kleine Chapelle Saint-Jacques, die sich jedoch in einem erbarmungsvollen Zustand befindet.

Es sind nur noch ein paar Minuten, bis wir den Ortsteil Riceys-Haut-Rives durchqueren. Wir kommen an der verfallenen Église Saint-Jean-Baptiste vorbei, in die man durch ein Gitter hineinschauen kann. Es bietet sich das Bild eines einst wohl prächtigen Gotteshauses, das heute Verfalls gezeichnet ist. Das Langhaus ist leergeräumt, die Kanzel ist zum Schutz mit Planen abgedeckt, an der Decke sind Fangnetze angebracht. Die Kirche ist sicherlich erhaltenswert, besonders auch aufgrund der wunderschönen Buntglasfenster im Chor. Schließlich finden wir in einem Park das schlossähnliche Rathaus und treffen vor der Gemeindeherberge erneut auf Peter, der die letzte Nacht hier verbracht hat. Das Rathaus gleicht eher einem kleinen Schlösschen. Das Gemeindebüro öffnet erst um 14.00 Uhr. Da Peter noch den Schlüssel für die Herberge hat, zeigt er uns die Räumlichkeiten. Die Zimmer sind einfach, die Küche ist mit dem nötigsten ausgestattet. Damit Peter seine Reise fortsetzen kann, übernehmen wir den Schlüsselbund von ihm und warten auf den Treppenstufen des Rathauses. Pünktlich erscheint die Gemeindemitarbeiterin, der ich, wie ich meine, in einem fast fehlerfreien Satz auf Französisch mitteile, was es mit dem Schlüssel und mit uns auf sich hat. Sie weist uns ein Zimmer zu und wir nutzen die Duschen, die sich in einem sehr guten Zustand befinden. Mir ist es heute nicht so gut. Ich habe den Eindruck, etwas erhöhte Temperatur zu haben, in meiner rechten Hüfte zieht es etwas und meine Füße weisen leicht rote Flecken auf.

In einem Supermarkt decken wir uns mit Lebensmittel für den heutigen Abend ein, genehmigen uns zum sofortigen Verzehr einen Trinkjoghurt. Da wir beide ein wenig müde von der eigentlich kurzen Etappe sind, legen wir uns für eine kurze Zeit auf die Betten. Gegen 18.30 Uhr werde ich wach, Jörg war schon vorher aufgestanden und ist an die frische Luft gegangen. Zum Abschluss des Tages kochen wir die eingekaufte mediterrane Nudelpfanne und trinken eine Dose Bier dazu. Auch heute gehört wie am Vortag der Abwasch dazu, wir wollen schließlich alles sauber für unsere Nachfolger hinterlassen. Wir entscheiden uns danach zu einem kurzen Verdauungsspaziergang durch den Ort, der wie ausgestorben wirkt. Keine Menschenseele ist auf der Straße. Der Himmel zieht sich allmählich zu und es fallen vereinzelt Regentropfen. Das ist das Signal für uns, zurück zu unserer Unterkunft zu eilen. So ist es heute 20.30 Uhr, als wir uns in unsere Schlafsäcke verkriechen und den Tag beenden.

   

 

 

 

Von Les Riceys nach Étourvy (30. Mai 2013)

Trotz einer eher unruhigen Nacht werden wir heute erstmalig nach einem lärmigen Geräusch des Weckers wach, bleiben aber noch einige Zeit liegen. Irgendwann ist es dann doch an der Zeit, aufzustehen und sich für den Tag vorzubereiten. Wir bereiten uns ein karges Frühstück zu, das aus einem Baguette und einem scharf riechenden Weichkäse besteht. Um 8.30 Uhr sind wir schließlich soweit, dass wir den Schlüssel im Gemeindebüro abgeben und uns auf den Weg machen. Wir verlassen Les Riceys in Richtung Westen auf der der D17, die wir gemäß Führer nach wenigen Schritten nach links auf einem Grasweg verlassen sollen. Wir entschließen uns jedoch aufgrund der nach den Regenfällen schlechten Beschaffenheit der Wege auf der Straße zu bleiben, zumal wir dadurch noch ein paar Meter weg einsparen.

Inzwischen hat es wieder leicht zu regnen begonnen und wir werfen uns die Regencapes  über. Die zum Glück wenig befahrene Landstraße ist recht wellig mit einigen An- und Abstiegen. Schließlich erreichen wir Bagneux-la-Fosse und machen an der verschlossenen Kirche eine erste kurze Pause. Es ist mit rund 12 Grad weiterhin zu kalt für die Jahreszeit, dazu weht ein mittlerer Wind und am Himmel sieht alles grau aus. Die Sonne ist heute gar nicht zu sehen. Zu unserem Glück hat es aufgehört zu regnen. Da ich friere, ziehe ich meine etwas dickere Sportjacke. Dann geht es weiter. Wir überwinden einen kleinen Hügel und sehen schon von weitem trotz Nebelschwaden einen kleinen See, der bei schönem Wetter zu einer Rast eingeladen hätte. So ziehen wir daran vorbei und gelangen nach Bragelogne, wo wir in einer Boulangerie noch ein Baguette kaufen. Hinter dem Örtchen geht es leicht aufwärts bis zur D82, der wir nach Villers-le-Bois folgen. Hier machen wir an einer überdachten Bushaltestelle unsere zweite Rast für heute und vertilgen Baguette und Salami.

Erneut widersetzen wir uns dem Vorschlag des Wanderführers, der uns durch eine Waldpassage leiten will. Wir entschließen uns wie heute Morgen, auf der Straße zu bleiben. Dieses Mal ist es ein kleiner Umweg, aber wir behalten unsere trockenen Füße. So erreichen wir Étourvy, ein 200-Seelen-Dorf von der entgegengesetzten Seite. Wir finden sehr schnell unsere Unterkunft und lassen uns im Hof des „Foyer rural de grand Secteur“ nieder. Es dauert nicht allzu lange, bis ein Mitarbeiter uns entdeckt. Er erledigt die Formalitäten und wir bezahlen unser Zimmer. Anschließend zeigt er uns das Zimmer, das „Pilgerrestaurant“ und öffnet für uns den kleinen Hofladen. Mit einer Einkaufsmöglichkeit haben wir in Étourvy nicht gerechnet. Dort können wir uns mit allem notwendigen für den nächsten Tag eindecken. Im Zimmer pflegen wir unsere Ausrüstung und uns selbst (herrlich: eine heiße Dusche!). Meine Füße sehen immer besser aus, die roten Flecken breiten sich aus. Dazu zieht es etwas in der rechten Hüfte.

Nach einer kurzen Erholung im Land der Träume gehen wir um 18.30 Uhr in das Nachbargebäude, in dem neben dem „Pilgerrestaurant“ noch eine große Küche und zwei Säle für Veranstaltungen untergebracht sind. In unserem Bereich finden wir alles, was wir benötigen: Mikrowelle, Kaffeemaschine, Tee, Kaffee… Das Abendessen wartet bereits im Kühlschrank auf uns: Salatteller (Rote Beete, Tomaten, gekochte Eier), Schweinebraten mit Butterreis und als Dessert Apfelkuchen. Eine Karaffe Wein ist ebenfalls für uns vorbereitet. Im für uns bereitgelegten Gästebuch finden wir einen Eintrag von Christian aus Bamberg, mit dem wir im vergangenen Jahr bis Clairvaux gepilgert sind. Er war genau ein Jahr vor uns in dieser Herberge. So verbringen wir in dem gewölbeartigen Raum einen schönen Abend, den wir gegen 21.00 Uhr mit der Bettruhe beenden.

   

 

 

 

Von Étourvy nach Tonnerre (31. Mai 2013)

Da wir heute nur 19 Kilometer vor uns haben, dösen wir trotz Wecker um 7.00 Uhr noch lange in unseren Betten vor uns hin und ruhen uns richtig gut aus. Wir gehen erst spät zum Frühstück, das bereits gestern bei unserer Ankunft bereit war. Es gibt ein Baguette, verschiedene Sorten Marmelade und Honig, Cerealien, Milch, Kaffee und Tee. Nach dem Abwasch machen wir uns fertig und verlassen um 10.15 Uhr unsere Unterkunft. Es ist kalt, grau und bewölkt. Ich trage heute Sandalen, um meine Füße ein wenig zu schonen und von weiteren Druckstellen zu verschonen. Nach rund 200 Metern müssen wir über einen Grasweg gehen, der klatschnass ist. Also wechsele ich in meine Wanderstiefel und verstaue stattdessen die Sandalen im Rucksack.

Der Grasweg führt uns zum Teil rechts steil oberhalb von Étourvy, das wir wegen aufsteigendem Nebel kaum sehen können. Ich bin froh, dass ich feste Schuhe an den Füssen habe, denn der Weg ist uneben, matschig und damit auch rutschig und nass. Wir erreichen die D82, auf der wir nur ein kurzes Stück bleiben und hinter einer Schutzhütte leicht bergab weiterwandern. Auf dem Bergrücken zwickt es in meinem linken Schuh. Ich kontrolliere die Stelle vorsichtshalber, kann aber nichts feststellen. Nachdem die Socke etwas zurechtgerückt wurde und ich wieder marschbereit bin geht es weiter. Wir befinden uns auf einer Hochebene und laufen gefühlt im Zickzack durch Getreidefelder, die außergewöhnliche Abmessungen haben. Inzwischen regnet es mal wieder so stark, sodass unsere Ponchos zum Einsatz kommen. Nachdem wir eine Stunde später in Mélisey ankommen, lässt der Regen nach und verstauen die Ponchos in den Rucksäcken.

Hinter Chamelard sollen wir laut unserem Führer nach links durch ein Tal zu einem Bauernhof gehen, doch die Niederschläge der vergangenen Tage haben den Zugang derart unter Wasser gesetzt, dass an ein Durchkommen nicht zu denken ist. Selbst die angrenzende Wiese ist knöchelhoch mit Wasser gefüllt. Wir haben keine Lust auf nasse Stiefel und entscheiden uns nach Kartenstudium, weiter geradeaus zu laufen. Das ist eine gute Idee gewesen, denn wir kommen genau an dem beschriebenen Bauernhof heraus. Leider regnet es wieder in Strömen, schlimmer als heute und die Tage zuvor. Hinter einem zweiten Bauernhof stoßen wir auf die D944, der wir ein Stück folgen und schließlich überqueren, um in einen Wald zu gelangen. Allmählich steigt die Nässe die Hosenbeine hoch, die Stiefel stehen unter Wasser und unter dem Poncho ist es auch nicht mehr trocken. Trotzdem genehmigen wir uns eine kurze Auszeit, um eine Kleinigkeit zu essen. Vor uns tut sich eine Ortschaft auf, die wir zielstrebig ansteuern: Épineuil. Wir marschieren durch die menschenleere und für uns vernachlässigt wirkende Hauptstraße bis zum fließenden Übergang nach Tonnerre. Gegen 15.00 Uhr sind wir bei unserer heutigen Unterkunft, der „Ferme de la Fosse Dionne“ in einer kleinen Gasse. Unmittelbar davor rauscht nur noch das Wasser aus einer Karstquelle, um die 1758 ein Waschhaus errichtet wurde. Der Regen hat aufgehört.

Der Hausherr zeigt uns unser Zimmer, das wir erschöpft und erwartungsfroh beziehen. Endlich können wir uns der nassen Bekleidung entledigen und nehmen eine heiße Dusche. Anschließend drehen wir sämtliche Wärmequellen auf, die unser Zimmer hergibt, und hängen Jörgs Wanderstöcke mit Hemden, Hosen und Socken darüber. Selbst unsere Wanderstiefel müssen dran glauben und werden direkt über einem Heizkörper platziert. Wir sind voller Hoffnung, dass morgen früh alles trocken ist. Wir sind sehr zufrieden mit der Unterkunft. Schade, dass wir wegen des schlechten Wetters keine Gelegenheit haben, im Hof einen Drink zu uns zu nehmen. Das verlegen wir halt in die Schankstube, die stilvoll mit zahlreichen antiquierten Grammophonen ausgestattet ist. Auf Empfehlung des Wirtes trinken wir ein Bier aus Burgund. Es schmeckt lecker. Tja, wir sind jetzt im Burgund, haben die Champagne hinter uns gelassen, und nicht ein Glas des edlen Getränkes zu uns genommen, Hammer! Leider können wir im Haus kein Abendessen bekommen, (obwohl es bestellt war), denn die Küche wird renoviert. Der Wirt gibt uns ein paar Tipps, wo man gut essen kann. Diese Häuser sind uns jedoch etwas zu gehoben. Wir schauen uns die Stadt an und sind überrascht von den riesigen Ausmaßen des Hotel Dieu, einem Hospital aus dem Jahre 1293.

Schließlich kehren wir gegen 18.30 Uhr in einer unscheinbaren Pizzeria ein. Neben Bier und Cola bestellen wir uns als Vorspeise einen Salat, der frisch zubereitet wird und üppig ausfällt. Die Bestellung der Pizza gestaltet sich etwas schwierig. Jörg möchte auf seiner Pizza zusätzlich Sardellen haben, was wir dem Wirt leider nicht erklären können. Als auf meinem Salat Sardellen auftauchen, frage ich ihn einfach, wie man sie in Frankreich nennt: anchois. Und so bekommt Jörg auf seine Pizza doch noch Sardellen. Wir haben uns mit unserer Auswahl etwas übernommen und sind richtig satt, als wir nach einem kurzen Verdauungsspaziergang um 21.00 Uhr unsere Unterkunft erreichen. 

   

 

 

 

Von Tonnerre nach Chablis (1. Juni 2013)

Trotz der Hitze in unserem Zimmer haben wir gut geschlafen und werden erst um 7.30 Uhr wach. Die nicht gerade umweltfreundliche Trocknungsaktion zu Gunsten unserer Kleidung und Stiefel war erfolgreich. Ich öffne das Fenster und der erste Blick nach draußen lässt endlich einen schönen Tag erahnen. Am blauen Himmel schweben vereinzelt weiße Wolken und die Sonne lächelt mich bereits mit einer angenehmen Wärme an, als wolle sie sich für die vergangenen vier Regentage entschuldigen. So gehen wir gut gelaunt zum Frühstück, das in einem offenen Raum in einer Zwischenebene des Hauses serviert wird. Es gibt Kaffee, heiße Schokolade, Cerealien, geröstetes Baguette, Croissants, Orangensaft und selbstgemachte Marmeladen. Zwei französische Ehepaare leisten uns Gesellschaft, wenn auch nur körperlich.

Anschließend verpacken wir unsere Sachen, schultern die Rucksäcke und gehen in die Schankstube zum Bezahlen. Dort sitzt inzwischen eine größere Gruppe älterer Herrschaften beim Frühstück, die sich von uns aber nicht stören lässt. Einige neugierige Augenpaare können sich jedoch nicht gegen ihre Neugier wehren und beobachten uns freundlich. Vom Wirt lassen wir uns vor seinem Haus photographieren und machen uns um 9.15 Uhr auf den Weg. Zunächst geht es einige Treppenstufen steil aufwärts zur Église Saint Pierre, die jedoch leider verschlossen ist. Von außen ist ihre eigenartige Architektur zu erahnen. Wir hätten sie uns gerne von innen angesehen. Dafür werden wir mit einem grandiosen Blick auf die frühlingshaft angestrahlten Dächer von Tonnerre entschädigt. Bereits nach 400 Metern bergauf wird es uns zu warm und wir entledigen uns der langen Jacken. Noch herrscht eine angenehme Kühle vor, doch es wird sicherlich noch wärmer werden. Heute hängt eine völlig andere Grundstimmung in der Luft, die Jörg und ich erfreut aufsaugen. Um uns herum zwitschern zahlreiche Vögel und wir hören aus den anliegenden Wiesen die Grillen zirpen. Das sind gute Zeichen für einen trockenen Tag.

Es geht weiterhin bergauf bis zum einem Bauernhof, an dem wir rechts vorbei auf einer Hochfläche wandern. Anschließend laufen wir an einem Waldrand vorbei, passieren die Gehege einer Wildschweinzucht und unterqueren eine TGV-Trasse. Während den fünfzehn Minuten, in denen wir die Bahnlinie im Blickfeld haben, rasen mindestens zehn Züge vorbei. Wir erreichen das Dorf Tissey und dürfen dahinter wieder einmal bis zu einer Hochebene gehen. Die heutige Etappe scheint sehr hügelig zu werden. Die Dörfer liegen grundsätzlich in tiefen Tälern und wir müssen auf den vorgesehenen Wegen ständig mehr oder wenige große Höhenunterschiede bewältigen. Die Wege sind trotz der Regenperiode in einem guten Zustand. Das ist gut, unsere Schuhe bleiben trocken. Kurz vor Collan machen wir eine erste Pause und lassen uns auf einem Holzstapel nieder. Bei der Fortsetzung des Pilgerweges stellen wir fest, dass unsere Hosen nun mit kleinen Harzflecken versehen sind. Hinter Collan führt uns er Weg zunächst leicht ansteigend, dann flach bleibend, durch Getreidefelder, die schließlich von den ersten Weinfeldern abgelöst werden. Dort sind einige Winzer mit Pflegearbeiten an den zumeist flachwüchsigen Rebstöcken beschäftigt.

Endlich geht es über eine Betonrinne abwärts und vor uns ist das Tagesziel Chablis zu sehen, der Heimat hervorragender Weine. Zunächst entfernen wir uns scheinbar in einem Linksbogen von der Stadt. Wir überqueren die D965 und gelangen aus südöstlicher Richtung, an Kleingärten, einem Campingplatz und dem noch reißenden Flüsschen Serein vorbei ins Stadtzentrum. Unsere Unterkunft befindet sich ersten Stock eines Fachwerkhauses. Im Untergeschoß befindet sich der Shop eines Weingutes. Dort bekommen wir auch den Schlüssel für das Appartement mit Küchenzeile und können direkt die Rechnung bezahlen. Die Dusche tut gut und unsere Kleider haben sich endlich wieder eine Wäsche verdient. Bevor wir einen Stadtrundgang machen, kosten wir von dem Weißwein des Weingutes, der zur Begrüßung auf dem Tisch stand. Wir sind begeistert. Auf dem Weg zur Église Saint Martin treffen wir in einer Gasse Roland aus Bad Camberg, den wir als Pilger aufgrund seiner Jakobsmuschel am Rucksack erkennen. Vor ein paar Tagen hatte Peter schon von ihm gesprochen, aber wir hätten nicht damit gerechnet, ihn zu treffen. Roland geht nur noch bis Auxerre. Seine Frau trifft heute in seinem Hotel ein und er wird morgen in Auxerre  von ihr mit nach Hause genommen. Wir verabreden uns für morgen am Marktplatz gegen 9 Uhr, um gemeinsam nach Auxerre zu pilgern.

Leider ist die Kirche verschlossen, doch wir haben Glück. Ein Stadtführer erzählt einer Gruppe Interessantes über die Kirche und geht dann mit ihr hinein. Jörg und ich schließen uns einfach an. Die Kirche ist sehenswert und ich nutze die Gelegenheit zu einem kurzen Dankgebet. Gerade als wir die Kirche verlassen wollen, tritt Roland ein. Wir treffen ihn wenig später noch ein drittes Mal in einem kleinen Supermarkt, wo wir für die beiden nächsten Mahlzeiten einkaufen: Paella, Eier und ein paar Snacks für den Abend. Auf dem Rückweg zu unserer Unterkunft besorge ich mir noch in der Tourist-Info den Pilgerstempel von Chablis. Bei dem jungen Mann im Weinshop kaufe ich zudem eine Flasche Wein, die wir als Gäste des Hauses sogar etwas günstiger bekommen. Nach dem Kochen und Abwaschen machen wir es uns auf dem Schlafsofa gemütlich und sehen uns das Pokalendspiel im Fernsehen an.

   

 

 

 

Von Chablis nach Auxerre (2. Juni 2013)

Ich habe eine richtig miese Nacht hinter mir. Seit gestern Nachmittag leide ich unter leichtem Durchfall. Bis 1.00 Uhr musste ich gleich dreimal auf die Toilette und habe danach kaum geschlafen. Irgendwann muss ich wohl doch noch eingeschlafen sein, wache aber bereits gegen 6.30 Uhr wieder auf. Von draußen dringt Lärm in unser Appartement. Heute, am Sonntag, findet in Chablis ein großer Markt statt, der gerade aufgebaut wird. Ich habe immer noch ein Probleme mit dem Verdauungstrakt und verzichte deshalb auf das Frühstück. Ein Pfefferminztee muss heute Morgen zunächst ausreichen. Jörg bummelt schon einmal über den Markt, während ich mir das bunte Treiben vom Fenster aus dem ersten Stock ansehe. Unmittelbar vor unserem Haus befindet sich ein Hähnchengrill. Auf mehreren Spießen drehen sich große Hähnchen vor dem Feuer und mir läuft bei den verlockenden Düften das Wasser im Munde zusammen. Am liebsten würde ich ja um diese Uhrzeit…

Um 9.00 Uhr verlassen Jörg und ich unsere Unterkunft und gehen zum vereinbarten Treffpunkt mit Roland, der jedoch nicht erscheint. So gehen wir, wie gestern vereinbart, alleine los. Ich habe heute erneut meine Sandalen an den Füssen. Wir lassen es uns aber nicht nehmen, die Marktstände zu inspizieren. Es werden zahlreiche Spezialitäten aus der Region wie Honig, Obst, Wurst, Schinken oder Käse angeboten. An einem Stand knetet eine Frau mit ihren Händen in einer rötlichen Masse und füllt diese schließlich in Därme zu Würsten ab. Ich darf mir das alles gar nicht ansehen. All die Leckereien, und ausgerechnet jetzt streiken Magen und Darm. So kaufe ich mir für unterwegs ein paar Bananen, damit ich zumindest später etwas essen kann. Wir verlassen Chablis auf der Hauptstraße und wenden uns an einem Kreisverkehr nach links in Richtung Milly. An der Église Saint-Sébastien biegen wir nach rechts ab und erklimmen einen sehr steilen Weinberg. Hier oben erreichen wir die Weinlage Côte de Lechet, eine der edelsten und mit dem Prädikat „Premier Cru“ versehen. Nach einem Abstieg umrunden wir den Étang de Beines, eine kleinen See, an dem einige junge Leute campen und angeln. Eigentlich möchten wir eine Rast einlegen, doch trotz schönem Wetter und angenehmen Temperaturen weht ein kühler Wind. So dauert es noch ein paar Kilometer, bis wir das Dörfchen Beine hinter uns gelassen haben und wir uns an einer Wegegabelung niederlassen. Ich verzehre eine Banane, ein paar getrocknete Aprikosen und salzige Pistazien.

Die Fortsetzung des Weges erweist sich etwas schwierig. Die Beschreibung im Führer deckt sich nicht unbedingt mit den tatsächlichen Gegebenheiten. Wir haben wieder einmal einen Anstieg vor uns und landen auf einer kleinen Landstraße, der wir in einem Linksbogen folgen sollen. Nach Studium der Landkarte hätten wir schon längst einen Abzweig nach links nehmen müssen, den wir bisher aber noch nicht gesehen haben. Ein Blick in Karte und Landschaft lässt uns zu der Entscheidung kommen, in das vor uns liegende Tal hinabzusteigen und auf der anderen Seite über einen Weg die dahinter liegende Straße zu erreichen. Dort angekommen zeigt sich unsere guter Spürsinn, wir sind absolut richtig, und oh Wunder, hundert Meter weiter stößt von rechts kommend ein Weg auf den unseren. Diesen hätten wir eigentlich gehen sollen. Das Gelände bleibt weiterhin hügelig und so wandern wir auf und ab bis nach Venoy, wo wir auf einer niedrigen Mauer eine weitere Pause einlegen. Mir geht es weiterhin ganz gut. ich hoffe, dass sich durch die heutige Diät meine Verdauungsprobleme erledigt haben. Schließlich laufen wir über eine Autobahnbrücke und gehen hinter Egriselles durch Wiesen und Felder. Von hier aus sieht man bereits sehr gut die Türme der Kirchen von Auxerre. Unser Weg führt uns allmählich abwärts ins Tal der Yonne und gegen 15.00 Uhr erreichen wir Auxerre. In einer Bar nehmen wir zunächst ein Getränk zu uns, anschließend machen wir uns auf die Suche nach unserer Unterkunft, dem , einer Art Jugendherberge.

Auf dem Gelände der Herberge findet heute ein großes Fest statt. Zahleiche Naturschutz- und Menschenrechtsorganisationen informieren an ihren Stände, für das leibliche Wohl ist auch gut gesorgt. Den Herbergsvater finden wir durch Zufall unmittelbar vor dem Eingang. Er berät gerade ein paar junge Leute zum Thema Fahrrad. Für unser Zimmer bekommen wir zwar keinen Schlüssel, aber es gibt einen schönen Pilgerstempel. Was folgt? Waschen, duschen, ausruhen. Als alles fertig hergerichtet ist, begeben wir uns auf Erkundung in die Stadt. Als erstes besichtigen wir die Église Saint-Pierre. Durch die mittelalterlichen Gassen, die mit bunten Fachwerkhäusern gesäumt sind, finden wir schließlich die Kathedrale Saint-Etienne, die im hellen Sonnenlicht erstrahlt. Die Kirche erscheint mir monumental. Besonders imponiert mir das Tympanon des Hauptportales. Ich kann mich gar nicht satt sehen an der Bildersprache der Künstler. Beim Betreten der Kathedrale mache ich einen persönlichen Zeitsprung und befinde mich um einige hundert Jahre zurück versetzt. Mich umgibt eine Aura des Alten, Vergangenen. Ich lasse mich in der Nähe des Hochchores, wo gerade eine Marienandacht gefeiert wird, zu einem Gebet nieder. In einem Verkaufsraum für Bücher und Tonträger zur Kathedrale bekomme ich einen weiteren Stempel für den Pilgerpass.

Nun treibt uns der Hunger an, doch wir finden weder ein geöffnetes Lokal noch eines, das uns gefällt. Wir landen schließlich bei einem Kurden, der einen Döner-Laden betreibt. Bei der Bestellung erzählt uns der Deutsch sprechende Inhaber, dass er drei Jahre bei seinem Bruder in Berlin gearbeitet hätte. Er serviert uns einen Kebab-Teller mit verschiedenen Saucen, die alle sehr lecker sind. Dazu bekommen wir Salat und Kartoffelecken. Das war die richtige Wahl. Wir sind satt geworden, es hat geschmeckt und wir hatten eine nette Unterhaltung. Mich freut allerdings, dass ich das Essen sehr gut vertragen habe und keine weiteren Schwierigkeiten mehr habe. Zum Abschluss spendiert er uns noch türkischen Kaffee und Tee. Mit einem herzlichen Dank verabschieden wir uns und gehen zurück zur Unterkunft. Dort schreibe ich noch die Ereignisse des Tages auf, während Jörg sich mit drei Franzosen im Hof unterhält, die mit den Aufräumarbeiten des inzwischen beendeten Festes beschäftigt sind. Die drei sind allesamt mindestens einen Kopf kleiner als Jörg. Und: Jörg spricht kein Französisch, die Franzosen im Prinzip weder Deutsch noch Englisch, aber es funktioniert. Ich gehe auch noch einmal nach draußen und schalte mich in die Unterhaltung ein, mache zum Abschluss des Tages noch ein schönes Photo von Jörg und seinen drei kleinen französischen Freunden. Gegen 21.00 Uhr verschwinden wir in unseren Schlafsäcken.

   

 

 

 

Von Auxerre nach Cravant (3. Juni 2013)

Heute steht uns eine sehr leichte Etappe nach Cravant bevor. Deswegen lassen wir uns auch sehr viel Zeit, stehen spät auf und verpacken schon einmal unsere Ausrüstung. Um 8.30 finden wir uns in der Küche der Herberge ein, wo für uns der Tisch gedeckt ist. Das Frühstück ist in Ordnung, eben typisch französisch mit Baguette, Butter, Marmelade und Kaffee bzw. Tee. Damit kommen wir sehr gut zurecht, zumal das französische Baguette deutlich besser im Geschmack ist als bei uns in Deutschland. Gegen 9.00 Uhr verlassen wir die Herberge und gehen zurück an die Yonne. Von der Flussbrücke haben wir noch einmal einen traumhaften Blick auf die Kathedrale, die bereits um diese Zeit von der Sonne angestrahlt wird. Während Jörg noch einmal seine Stiefel auszieht und den Sitz seiner Stützstrümpfe korrigiert, nutze ich die Gelegenheit, um auf der Brücke noch ein schönes Photo zu machen.

Viel gibt es heute nicht zu berichten. Wir wandern eigentlich die ganze Zeit am zw. der Yonne entlang. Kurz vor Vaux werden wir von Gruppe Fahrradfahrern aus England überholt. Bevor der asphaltierte Leinpfad auf eine Landstraße stößt, macht die Gruppe einen kurzen Halt und wir werden von einem älteren Herrn angesprochen, führen eine nette Unterhaltung über unser Vorhaben und unsere Herkunft. Im Laufe der nächsten Kilometer haben wir auf dem Kanal in Form von zwei Booten Gesellschaft. Wir holen sie an den zahlreichen Schleusen immer wieder ein. Auf unserem weiteren Weg machen wir vor Vincelles auf einer Bank eine Pause und lassen Luft an unsere Füße. Ein kleiner Imbiss darf nicht fehlen. Hier werden wir letztmalig von den zwei Booten überholt. Gegen 14.00 Uhr treffen wir in Cravant ein. Vor dem Stadttor steht zum ersten Mal ein Hinweis auf unser diesjähriges Ziel Vézelay. Unsere Unterkunft, das Hotel St. Pierre, ist noch verschlossen. Es öffnet eigentlich erst eine Stunde später, doch durch einen Handwerkertermin erscheinen die Eigentümer heute etwas früher und wir können unser Zimmer beziehen. Wir werden von einem pastellfarbenen Raum überrascht und verfallen zunächst in unser tägliches Ritual: waschen, duschen, trocknen. Ich hänge meine nassen Sachen nach draußen, später bietet sich die deutsch sprechende Wirtin an, sie in den Trockner zu werfen.

Nach einer Ruhephase schauen wir uns Cravant ein wenig genauer an, bleiben aber an der nächsten Ecke an einer Bar hängen und genehmigen uns ein Bier und ein Eis. Dabei nervt uns eine Französin, die sich in Blickweite von uns mit einem Bekannten bei laufendem Motor ihres Rasenmähers eine geschlagene Viertelstunde unterhalten muss. Unser Abendessen nehmen wir im Hotelrestaurant ein. Außer uns sind noch ein schwedische Ehepaar sowie fünf weitere Gäste anwesend. Wir entscheiden uns für ein Menü, das verhältnismäßig preiswert und vor allem vielversprechend klingt: Cappuccino von Leberpastete und Gemüsecremesuppe garniert mit Sahne und Schokopulver; Törtchen von Lauchgemüse und Riesencrevettes; Rinderfilet mit Rotweinsauce, Tomaten, Zuccini, Karotten und Gratin aus violetten Kartoffeln; Melonenkugeln und Schokotaler mit Vanilleeis. Dazu trinken wir einen 2010er Chitry Vin Rouge. Die Speisen sind liebevoll angerichtet und schmecken toll. Die Wahl hat sich gelohnt, wir sind satt und müde. Morgen steht uns die Königsetappe mit rund 34 Kilometern nach Vézelay bevor. Wir möchten uns gerne früh auf den Weg machen und gehen deshalb nach dem Begleichen der Rechnung früh ins Bett.

     

 

 

 

Von Cravant nach Vézelay (4. Juni 2013)

Ich sehne mich nach dem Ende des nächsten Teilstückes auf dem Weg nach Santiago de Compostela. Wir erreichen heute mit Vézelay einen mittelalterlichen Wallfahrtsort, der noch heute einer der vier bedeutenden Sammelpunkte der Jakobspilger in Frankreich in Richtung Pyrenäen darstellt. Vor uns liegen 34 Kilometer zum Teil entlang des Flusses Cure, zum Teil auch auf den Höhenzügen in der Nähe. Jörg und ich waren uns schon seit einiger Zeit einig, aufgrund der Streckenlänge früh los zu marschieren. Das bedeutet allerdings auch der Verzicht auf das Frühstück in der Hostellerie. Gegen 6.45 Uhr stehen wir mit unseren Rucksäcken auf der Straße, ich wieder mit Sandalen an den Füßen.  Es geht zunächst an der Église „Saint-Pierre-Saint-Paul“, einem Kriegerdenkmal und einem Waschhaus entlang. Hinter Cravant haben wir das Vergnügen, auf einem schmalen Pfad eine Hochebene zu erklimmen. Oben angekommen werden wir von der aufgehenden Sonne begrüßt. Als Lohn für die erste Müh´ am frühen Morgen verlieren wir wieder an Höhe und erreichen das Örtchen Accolay. Bevor wir die Cure überqueren, werden wir durch ein Hinweisschild an der Brücke mit Informationen versorgt, wo sich Pilger im Dorf versorgen können. So füllen wir in der angegebenen Bäckerei unseren Brotvorrat auf und wandern anschließend auf einem Waldweg auf unterschiedlichem Niveau an der Cure entlang.

In Bessy-sur-Cure wechseln wir auf die D227 und erreichen nach einer weiteren halben Stunde Arcy-sur-Cure, das wegen seiner steinzeitlichen Höhlenmalereien bekannt ist. Am Friedhof finden wir zwei Bänke vor und legen hier nach den ersten zwölf Kilometern eine kurze Rast ein. Eigentlich sollte der Weg am Eingangsbereich der Haupthöhle entlangführen… Wir verpassen jedoch die Hinweise, wie man dorthin gelangt und vertrauen lieber den rot-weißen Balken, den Wegzeichen des GR645. Es geht aus Arcy heraus, wiederum auf eine Höhe und dann durch Wald. Allmählich macht sich ein Hungergefühl in der Magengegend breit. Ein Bocadillo wäre jetzt nicht schlecht. In Anlehnung an Hape, dessen Hörbuch wir gestern Abend gelauscht haben, sage ich zu Jörg: „Dann bestell dir doch eins beim Universum!“ Unser Waldweg beschreibt einen großen Bogen durch ein Tal, in dem sich die Cure schlängelt. Der Belag unter unseren Füßen wird grober und wir verlieren wieder an Höhe. Als wir aus dem Wald heraustreten, sehen wir vor uns steile Felswände mit zahlreichen Höhlen darin. An einer Bahntrasse wagen wir einen Blick auf die Landkarte. Wir stellen fest, dass wir gerade den Weg herunter gegangen sind, der laut Pilgerführer von den Höhlen von Arcy kommend genau in die entgegengesetzte Richtung führen soll. Nach weiterem Kartenstudium entscheiden wir uns für eine Alternative, die wie die beschriebene Route zu den Ruinen der römischen Befestigungsanlage „Camp de Cora“ und der sich anschließenden D950 führt.

Von der Eisenbahnbrücke über die Cure laufen wir gut zwei Kilometer bis zum Dorf Saint Moré. Und dort begegnen wir dem Universum in Form der Bar „Auberge du Camp de Cora“. Wir sind total begeistert und lassen uns auf der Terrasse nieder. In der Bar werden wir vom etwas flippigen Wirt per Handschlag begrüßt und wir bestellen uns etwas zu trinken und je ein Sandwich mit Wurst. Was wir dann serviert bekommen, schlägt sämtliche Rekorde: auf jedem Teller liegt ein halbes Riesenbaguette mit dickem Belag. Wir lassen es uns diesen Mittagssnack schmecken und genießen dazu die wärmende Sonne. Nach einer halben Stunde brechen wir wieder auf und folgen den GR-Markierungen. Im Dorf wird gerade eine Straße asphaltiert, sodass wir mehr auf unsere Füße achten denn auf Wegezeichen. Und so ist schon beinahe vorprogrammiert, dass wir nicht mehr weiter wissen. Ein älteres Ehepaar in seinem Auto erkennt wohl unsere Ratlosigkeit, leitet uns zu seinem Haus und zeigt uns den richtigen Weg. Das Angebot für einen Kaffee lehnen wir aufgrund der gerade absolvierten Pause dankend ab und machen uns lieber an den Aufstieg zu den immer noch imposanten Grundmauern des römischen Kastells. Über die D950 sowie eine weitere kleine Landstraße erreichen wir das Dorf La Jarrie und befinden uns wieder auf der beschriebenen Route. Kurz darauf passieren wie die Siedlung Les Hérodats und treffen dort zwei Niederländer, die gerade eine Rast einlegen. Die beiden sind in Reims gestartet und wollen wie wir nach Vézelay, eventuell auch noch weiter.

Nach einer kurzen Unterhaltung laufen wir steil bergab in ein Tal hinein. Auf halbem Weg können wir bereits am Horizont Vézelay erkennen. In Asquins hoffen wir auf eine geöffnete Église „St. Jacques le Majeur“ aus dem 12. Jahrhundert, doch wir werden leider enttäuscht. So finden wir eine Bar und trinken eine Cola und essen ein Eis. Nun steht nur noch der Aufstieg nach Vézelay bevor. In Asquins treffen wir erneut die beiden Niederländer, mit denen wir das letzte Stückchen gemeinsam gehen und unsere Unterhaltung von vorhin fortsetzen. Kurz vor der „Port Neuve“ aus dem Spätmittelalter bleiben die beiden etwas zurück. Der Kern des Wallfahrtsortes besteht aus einer langen Straße, die sich ansteigend bis zur Basilika „St. Marie Madeleine“ emporzieht. Kurz vor der Basilika befindet sich das Pilgerbüro. Dort holen wir uns den Pilgerstempel ab und wir treffen zum dritten Male die Niederländer. Jörg besorgt sich zudem noch einen neuen Pilgerausweis. Danach machen wir uns auf die Suche nach unserer Unterkunft. Da wir sie nicht auf Anhieb finden, versuchen wir es in der Tourist-Info, die im unteren Teil der Stadt angesiedelt ist. Die Auskunft ist eindeutig: das Haus „Cabalus“ aus dem 10. Jahrhundert befindet sich schräg gegenüber dem Pilgerbüro in Blickweite zur Basilika, also wieder aufwärts.

Wir werden von Madame, einer Schweizerin, eingelassen. Sie führt das Haus bereits seit siebenundzwanzig Jahren und betreibt neben der Herberge im geschmackvoll eingerichteten Untergeschoß ein Café und eine Teestube. Der Slogan des Hauses trifft den Nagel auf den Kopf. Man taucht tatsächlich in eine ganz andere Welt ein, ohne jedoch auf moderne Errungenschaften wie Dusche und elektrisches Licht verzichten zu müssen. Auch im Mittelalter wurden hier Pilger aufgenommen. Davon zeugt noch eine Jakobsmuschel über einem Türsturz. Madame führt uns über verzweigte Gänge und schmale Treppen zu unserem Zimmer im oberen Stockwerk. Das Zimmer ist sehr spärlich eingerichtet, versprüht dadurch aber eine besondere Atmosphäre. Der Holzboden ist mit kleinen, rötlichen Fliesen belegt, die Wände sind unverputzt. Die Betten sehen aus wie Strohsäcke, die mit einer Tagesdecke überzogen sind. Tatsächlich sind sie mit guter Bettwäsche versehen, in der wir sicherlich gut schlafen werden. Hinter einem Holzverschlag sind das Waschbecken und die Dusche versteckt. Hier fühle ich mich richtig wohl, in einer anderen Welt eben. Nach einer erfrischenden Abkühlung unter der Dusche machen wir einen kleinen Rundgang um die Basilika und durch die Stadt. In einer Bar bestellen wir uns einen Kaffee und einen Kakao. Während wir das Geschehen auf der Straße beobachten, entdecke ich auf der Rückseite des Stadtplanes, den wir in der Tourist-Info erhalten haben, die Gottesdienstzeiten der Basilika. So beschließe ich für mich, um 18.00 Uhr zur Vesper und dem anschließenden Gottesdienst zu gehen. In der Zwischenzeit will Jörg in einem kleinen Shop für das Abendessen einkaufen, das wir heute Abend in unserem Zimmer einnehmen wollen.

Ich betrete die Basilika über die sehr dunkel gehaltene Vorhalle. Je weiter ich mich in Richtung Altar bewege, desto mehr Licht verströmt sich in dem Gotteshaus. In den Stuhlreihen haben sich circa vierzig weitere Frauen und Männer eingefunden. Vor dem Altar haben sich jeweils sieben in weiße Roben gehüllte Nonnen und Mönche von der "Fraternités de Jérusalem" zum Gebet niedergelassen. In der Basilika herrscht eine angenehme Stille. Die Ordensleute erheben sich und beginnen mit der Vesper. Dabei singen sie die ihre Gebete in einer Schönheit, wie ich sie selten gehört habe. Der engelsgleiche Gesang ergreift mich, lässt alles um mich herum verschwimmen. Ich lasse mich von den Stimmen einfangen. Jetzt wird mir so richtig klar, wo ich bin. In Wetzlar bin ich 2008 gestartet. Jetzt bin ich rund 850 Kilometer weiter westlich in Vézelay angekommen. Mir läuft es eiskalt den Rücken runter und meine Augen werden feucht. In dieser Kirche haben sich über Jahrhunderte Pilger und Wallfahrer versammelt. Ich fühle mich in ihrer Tradition, sauge förmlich ihre Schatten auf. Die Ordensleute singen weiter und ich falle immer tiefer in die Vergangenheit. Inzwischen hat der Gottesdienst begonnen. Ein Mönch geht mit dem Weihrauchfass durch den Mittelgang. Ich verstehe zwar sehr wenig, was der Zelebrant spricht, dafür reicht mein Französisch nicht aus. Aber ich fühle mich trotzdem mitten drin. Ich werde noch unruhiger. Nach dem „Vater unser“ schwärmen alle Ordensleute aus und geben den Friedensgruß an jeden einzelnen Gottesdienstbesucher weiter. So berühre ich vierzehn Mal ein Paar Hände, alte und junge. Dabei schaue ich in vierzehn strahlende, glückliche Augenpaare, wie ich sie selten gesehen habe. Aus diesen Augen spricht ein tiefer Glaube, der ansteckt, den ich bewundere. Bei der Kommunion darf sogar jeder, der möchte, einen Schluck aus dem Kelch nehmen. Das habe ich zuhause so noch nicht erlebt und ich empfinde ein noch intensiveres Zugehörigkeitsgefühl wie vorher. Zum Abschluss des Gottesdienstes lassen sich die Ordensleute noch einmal zum stillen Gebet nieder. Ich bin dankbar, dass ich die Gelegenheit hatte, diese rund neunzig Minuten in der Basilika verbringen zu dürfen. So emotional hat mich auf meiner bisherigen Pilgerreise noch kein Ereignis berührt. Es ist das i-Tüpfelchen auf allen Teilstücken, an das ich mich sicherlich noch sehr lange und sehr gerne erinnern werde.

Auf dem Heimweg zur Unterkunft bin ich noch immer begeistert und schwebe über dem Kopfsteinpflaster. Gegen 19.30 Uhr betrete ich unser Zimmer. Passend zu meiner Stimmung hat Jörg ein gemütliches Abendessen vorbereitet. Wir lassen uns viel Zeit und genießen die eingekauften Speisen: Brot, Tomaten, Leberpastete, Käse, Salami, Schokolade und eine Flasche Chablis-Wein. Als Absacker mischen wir Calvados mit Cola. Es wird ein schöner Abend. Wir lassen noch einmal die letzten Tage Revue passieren, lachen herzhaft über das kalte und nasse Wetter der ersten Tage. Wir schmieden aber auch schon Plänen für die Zukunft. Ab Vézelay geht es in zwei Jahren weiter, danach ebenfalls im Zweijahresrhythmus. Unser Ziel wird sein, jeweils circa dreihundert Kilometer zu schaffen um dann 2020 ab Saint Jean-Pied-de-Port den Camino Francés komplett zu gehen. Gegen 22.00 Uhr legen wir uns ins Bett und schlafen rasch ein. 

   

 

 


 

pa jwtv

 

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